Die Wege der anderen

Ich muss mich, sagte ich zur Kollegin, noch ein wenig verschieben, sonst wird es eng mit der Sonne. Und dann verschob ich mich. Über mir sirrten Schwalben. Die Kollegin hat auch einen Balkon, aber den darf man nicht betreten. Und wenn es finster wird, sieht man dort auch keine Sterne. Die Sonne ist etwas, das Klimanlage und Jalousien verstellt. Schon komisch.



Es gibt vieles, das ich an meinen Arbeiten mag. Ich mag es, wenn ich etwas mit den Händen tun kann, und den Druck, hinauszugehen und etwas zu erleben, um darüber schreiben zu können. Momentan habe ich so viel erlebt, dass ich sogar liegen bleiben kann, was meinem Bein gut bekommt.In Sachen Geschichten bin ich eine Kuh geworden, ich fresse die Weise des Lebens ab, verdaue viel und am Ende kommt eine beliebte Erzählungsheumilch frei von Schleichwerbezusatzstoffen heraus. Aber im Gegensatz zur Kuh kann ich frei entscheiden, auf welche Weide ich gehe. Und Welten trennen mich von der Stallhaltung, selbst wenn im Moment die Ruhe das wichtigste ist. Für die Wunden (Schreiben tut immer noch weh), aber auch wegen der Hitze. Ich habe das mal zusammengerechnet: Ich bin dieses Jahr insgesamt sicher 4000 Kilometer geradelt. Da darf man auch mal pausieren.



Das grösste Privileg aber: Ich muss nicht irgendwohin pendeln, wo mir dann alles vorgeschrieben wird, vom Bodenbelag über die Lampe bis zur Tischhöhe. Mein Weg zur Arbeit führt über drei Teppiche an 40 Bildern und einigen Büsten vorbei zu einem Chippendale-Sofa aus Samt mit grünen Streifen. Beuge ich mich nach vorn, arbeite ich, falle ich nach hinten, höre ich auf und denke nach. Darüber, wie es wohl wäre, müsste ich mit einem öffentlichen Verkehrrsmittel fahren, warten, Werbung anschauen, mich schubsen und auch mal kontrollieren lassen, jeden Tag eine Stunde Zeit verlieren, und irgendwo ankommen, wo ich wenig zu sagen habe. Ich höre, dass es in Firmen oft um die Autostellplätze geht: Ich habe vier Stück davon. Und ich bin deshalb für ein normales Arbeitsleben so ziemlich unvermittelbar.



Ich war mal in München bei einem Thinktank von Mannesmann eingeladen, dessen Arbeiter keine Arbeitsplätze mehr hatten, sondern nur noch private Kästen zum herumschieben. Und alle mussten das toll finden, es kam ja auch von einem anderen Thinktank, und sollte die Kommunikation fördern. Das ist dann vermutlich der Endpunkt, wenn es gar keine gefühlt eigenen Plätze mehr gibt, zu denen man fährt. In den letzten Tagen gab es in Berlin und Hamburg einige Bemerkungen in meine Richtung, die sich am Kuchen, an den Kannen und dem Gebäude festhielten. Das ist nicht das Privileg. Es ist die Freiheit, die eigene Wohnung, und der Sternenhimmel, der langsam verschwindet, wenn das Gewitter heraufzieht.

Aber das versteht man nur, wenn man an Orten lebt, wo es noch Sterne gibt, und dankbar dafür ist, dort zu leben, wo alle anderen davor auch schon waren. Niemand kennt den Tag oder die Stunde, aber ich bin dankbar um alle Stunden, die ich davor schon nicht pendeln muss.

Donnerstag, 23. August 2012, 01:32, von donalphons | |comment

 
Second Best
Der Hausherr mag ja - wie so oft - durchaus richtig liegen; einschlägige Studien über die gesundheitsgefährdende Wirkung des Pendelns sind schließlich Legion. Jedoch lässt sich mit ein wenig konsequentem Real Life Design (tm) auch "normales" Erwerbsleben menschenwürdig gestalten. Mein Büro habe ich kurzerhand mit ein paar Grafiken und Gemälden an den Wänden und ein paar ohnezufrageneingeschleppten Kleinmöbeln verwohnlicht. An einen solchen Ort pendelt man dann auch per öffentlichem Nahverkehr (lesend) oder Fahrrad (denkend, schwitzend) gern. Allerdings muss man vermutlich auch erst mal cubicle-Erfahrung gesammelt haben, um hier eine gewisse Verve zu entfalten, die zweitbeste aller Welten schätzen lernen.

... link  

 
Auch wenn ich den Hausherrn um sein Domizial beneide (das reale), so muß ich doch sagen, daß mir der ÖPNV die Möglichkeit gab, ganze Bibliotheken auszulesen. Es war also keine verschwendete Lebenszeit. Die hohe Kunst besteht übrigens darin, wenn man mit einer Hand am Haltegriff festgekrallt ist mit der anderen einhändig umzublättern.

... link  

 
Allerdings muss man vermutlich auch erst mal cubicle-Erfahrung gesammelt haben, ...

Nein, muss man nicht. Man muss (um mal ein bewusst blödes Beispiel zu nehmen) auch kein Crack geraucht haben, um festzustellen, dass es bessere Dinge gibt, die man sich antun kann.

Davon abgesehen kann ichsagen, dass ich nach nunmehr acht Jahren Homeoffice meine kleine Bürogemeinschaft am alten Wohnort schon ab und zu vermisse.

... link  

 
Nun, bei mir kommt dazu, dass ich alle Menschen respektvoll hasse, wie die Pest, weshalb ich ja auch zum einsamen, verbiesterten Blogger wurde.

ÖPNV will gelernt sein. Aber ich habe mich dem gerade unfreiwillig aussetzen müssen, und das war keine schöne und bildungsfördernde Erfahrung. Für das Lesen brauche ich Tee, Tee und nochmals Tee, da bin ich einfach abhängig. Und natürlich kann man Büros schöner machen - aber halt nicht obsessiv, und wo kein Kronleuchter, da kein Lebensglück. Statt dessen infiziere ich ja mein Umfeld mit ähnlichen Ansprüchen. Klassiker:

Besuch: Oh, schöne Kronleuchter!

Ich: Gerade wieder welche frisch reingekommen, wie viele Flammen brauchst Du?

... link  

 
ich habe gerade mal überlegt, ob in der Drittwohnung auch welche hängen?

... link  

 
Noch nicht. Aber der Mercatino dell'Usato ist nicht weit.

... link  

 
ÖPNV,
das kann man nicht lernen, man kann allenfalls abstumpfen, bis es nicht mehr ganz so sehr nervt.

... link  

 
Kronleuchter?
Sogar in Meran, ein recht hübscher, in einem dieser Hausdurchgänge: http://jeeves.blogger.de/stories/2113907/

... link  


... comment
 
Lieber ein kleiner Herr als ein großer Knecht
das ist nicht von mir und ist nicht neu und es ist nicht für jeden oder jede - aber es ist für mich wahr.

... link  

 
Manche sind natürlich auch gern in einem Betrieb, aber das muss man dann auch mögen.

... link  

 
lieber sogar noch ein grosser herr denn ein kleiner knecht.
meines unmassgeblichen wissens nach ist die treppe von oben kehren.

... link  


... comment
 
Ich stand vor 2 Tagen in einem Stau.
Es war heiss. So gegen 10 Uhr. Vor und hinter mir nur teure, dunkle Autos.

Ich hatte im Laufe der Jahre einfach vergessen, was ein Stau eigentlich ist. Und ich träumte wieder von dieser fußballfeldgrossen Fliegenklatsche, die immerzu auf diesen Stau draufschlägt. Wenns sein muss auch auf den Abschnitt, in dem ich gerade stand.

Nun will ich es auch wieder vergessen.

... link  

 
Ja, ich kenne das sehr gut, die Autobahn an den Tegernsee hat im Moment 12 Kilometer Baustelle. Aber am schlimmsten ist nicht der Stau, sondern der Moment, wenn es wieder zu fliessen beginnt. Das ist wie der Unterschied von sitzenden zu herumsirrenden Fliegen.

... link  


... comment
 
Ich halte gar nicht so viel vom Home Office. Das schöne am Büro ist, man lässt die Arbeit dort, und nimmt wenn überhaupt nur die Arbeit mit, die man auch nach Hause mitnehmen will. Dafür richte ich mich gerne im Büro auch mit privaten Dingen ein, wie ich will, und ein Arbeitgeber, der das nicht versteht, der versteht mich nicht und den will ich nicht.

Bei Ihnen kommt freilich hinzu, Sie sind "Freier" und nehmen das auch noch wörtlich. Das ist natürlich für streng hierarchisch organisierte Unternehmen nichts, wo kämen wir denn da hin. Immerhin hab ich als Angehöriger eines freien Berufs da noch etwas mehr Freiheiten, und im Ergebnis ist es der Schaden des Unternehmens nicht. Man arbeitet ja gern und gern auch mehr, wenn es Spaß macht, und man mag damit verbitterten Ausbeuterpropagandisten eine Vorlage geben, aber mei. Besser als in eine PArtei einzureten um dann dort Spenden zur Finanzierung des eigenen Lebensunterhalts abzuschnorren ist es allemal.

ÖPNV freilich nervt, zumal ich mehrfach umsteigen muß. Bei gutem Wetter dann lieber die 2x40Min Rad, für schlechtes Wetter bin ich da, zugegeben, zu bequem.

... link  


... comment
 
Ich weiß ja nicht, ob ich von diesem Blogpost konditioniert worden bin. Aber ich hatte heute in der Shoppingmeile bei der wochenendlichen Beschaffungskriminalität einen heftigen Anfall von Misanthropie. Ich wäre fast soweit gewesen sogar Fahrrad zu fahren, nur um dem zu entkommen. Kaputter Geldautomat, kreischende Bälger, olfaktorisch herausgeforderte Mitbürger, ein sogenannter Kinderwagen (tatsächlich ein T-34 Sportversion mit drei Mann Besatzung) und vor allem viel zu viel von allem. Langer Rede kurzer Sinn: ich erhole mich von diesem Kulturschock gerade mit Tom Sharpe. Ich weiß nicht, wie Sie zu gut geschriebener Schundliteratur stehen, Don Alphonso. Aber gerade Sharpes Roman "Der Renner" paßt gerade gut zu Ihrer Situation in literarischer Hinsicht. Kann ich nur empfehlen. Very british, der Humor. Übrigens hat Tom Sharpe auch den Nachweis erbracht, daß in Rassismus jede Menge Witz steckt ("Tohuwabohu", "Mohrenwäsche").
http://de.wikipedia.org/wiki/Tom_Sharpe

... link  

 
Oh, ich liebte Tom Sharpe; habe alles gelesen, manches sogar zwei-dreimal, das geht schnell, ist eben nicht gerade Thomas Mann. Die politischen Südafrika-(wahrlich:)Grotesken sowie natürlich die Henry Wilt-Erlebnisse ... ein riesiger Spaß. Und überhaupt nicht p.c.
Nur den Roman vom inzwischen mathusa-altem (müdem?) Sharpe, "Der Einfaltspinsel" (2005), da war ich doch arg enttäuscht. Und hab dann nix weiter gekauft & gelesen.
Ich seh' jetzt, da gibt's inzwischen noch weiteres:
2009 The Gropes, Lauter Irre
2010 The Wilt Inheritance, Henry haut ab
...ist das empfehlenswert?
.
Sorry, falls o.t.

... link  

 
Bei Mohrenwäsche hätte ich mich beinahe totgelacht.

... link  

 
A propos "Mohren":
Meine Gattin jobt manchmal in einer Bäckerei/Konditorei/Cafe. Da kam letztens eine Kundin und beschwerte sich lauthals über das Tages-Sonderangebot von "Mohrenköpfen", das sie auf einer Schiefertafel las.
Meine (russische) Gattin versuchte, ihr zu erklären, dass das nix Böses, usw. ... vergebens gegen diese keifende Kundin. Eine Kollegin löschte dann das pöse Kreide-Wort.
Hinterher fragten alle Anwesenden meine Gattin: was sind den eigentlich "Mohren"? Und (m)eine junge Russin erklärte den Deutschen das Wort.

... link  

 
Dacht ich mir's doch, Don Alphonso, daß Sie es kennten. :-)
Hab übrigens vor ein paar Tagen "Mohrenwäsche" wieder gelesen. Es ist irgendwie zeitlos. (Und ich hab Muskelkater).
"Gropes" schlägt in die Region von "Blott in the Landscape", Jeeves. Es war sehr amüsant, aber irgendwie hat man es eben schon mal gelesen. "Henry haut ab" hab ich noch vor mir. Das war auch der Grund, die alten Sachen mal wieder vorzunehmen. Ich bin ja ein absoluter Fan der Porterhouse-Bücher. Die Mohren-Kundin war bestimmt vom Stamme Heathcote-Kilkoon.

... link  

 
Der war gut.

... link  

 
So sind sie eben, die Neger, nich:
http://www.youtube.com/watch?v=TmR1YvfIGng

... link  


... comment
 
"Aber das versteht man nur, wenn man an Orten lebt, wo es noch Sterne gibt" - nun ja, Sterne gibt es überall, man muss nur hingucken.
Und was das Pendeln betrifft: Wenn ich morgens meine zehn Minuten Radweg durch den Stadtpark nicht hätte (und für meine Frau sinds die Felder an der Landstraße hinter Hittfeld), dann ... ja, dann könnt ich auch den ÖPNV nehmen. Aber das wär der Tod.

... link  

 
Nö. In Berlin sieht man bestenfalls noch ein paar Handvoll, da hilft alles Hingucken nichts. Ich empfehle einen Besuch nachts am Teide zum Vergleich.

... link  

 
Da mögen Sie Recht haben. Der Stadtpark ist jetzt auch nicht grade ein Naturparadies.

... link  


... comment