Süchtig nach Asphalt
Wem das zu lang ist, hier in Kurzfassung:
Das Leben ist kurz genug, man soll es nicht noch durch ungesunde Süchte kürzer machen, sondern besser verlängern
Langversion
Es ist irgendwie bezeichnend, dass man gerne über dumme Arten spricht, mit denen Leute sterben. Dass jemand mal auf eine kluge oder elegante Art zu Tode kommt, ist eher selten, und, das muss man wohl so sagen, exklusiv ist so ein Tod auch nicht.
Mein Tod hätte vor ziemlich genau 25 Jahren an dieser Stelle sein können, da drinnen im Wasser, auf halbem Weg zwischen Limone und Malcesine. Ich möchte sagen, dass es durchaus hässlichere Orte gibt, an denen man sterben kann, und bei langsamer Unterkühlung im Spätsommer hat man schon ein paar Stunden auf dem in Flaute nicht fahrbaren Kleinstsurfbrett, um noch einmal die Landschaft zu geniessen. Dummerweise sind die Ufer jedoch nicht nur zu weit entfernt, um Details zu erkennen, man hört dort auch niemanden schreien. In der Mitte ist man, von dort aus gesehen, nur ein kleiner Punkt, und sonst so häufige Boote waren da auch nicht. Erst als mir das Bewusstsein langsam abhanden kam, haben mich ein paar Segler gerettet.
Meinen Nachruf hätte ich mir selbst prima schreiben können, da braucht man keine Phantasie: Gerade erst Abitur (sehr schlecht übrigens, auch in dem Fach, in dem ich heute beruflich brilliere)... in der Blüte seiner Jugend... so sinnlos... all die Freuden, die ihm nun versagt bleiben...
Wie eng das wirklich war, viel enger als alles, was ich auf dem Rad und auf dem Berg erlebt habe (unter anderem mit fünf Jahren einen Kakteenabgrund in Kroatien hinuntergefallen) wurde mir erst mit etwas Verzögerung bewusst. Man braucht das vielleicht nicht unbedingt, wenn man gerade von den engen Gassen der Heimat in die wilden, entgremzten Nächte Nünchens hinausgeschossen wird, aber zwei Dinge habe ich dabei gelernt:
1. Auf meine Intuition zu hören. Wenn ich ein schlechtes Gefühl habe, mache ich es nicht.
2. Alles zu nehmen, was ich kriegen kann, und vielleicht noch ein wenig mehr, solange es mit rechten Mitteln zugeht. Und zwar lieber heute als morgen. Vielleicht habe ich ein paar Wohnungen, Gemälde, wüste Nächte und Räder zu viel: Vollkommen egal.
Trotzdem bin ich wohlerzogen, zu wohlerzogen, um es wie die Russen zu machen, von denen mir mein Dealer in Salo erzählte, als ich ihn vor andertthalb Jahren kennenlernte: Die legten 10.000 Euro auf den Tisch und wollten, das Beste, was sie dafür kriegen konnten. Der Händler hatte noch ein Paar bislang unverkaufter Specialized Tarmac S-Works SL in einer extrem seltenen, limitierten und nicht Jedermann zugänglichen Version da, und die nahmen sie zum Sonderpreis; neu wären die Kisten noch teurer gewesen. So etwas würde ich natürlich nie machen, denn das ist pure Verschwenung ohne Chance, jemals das Geld wieder zu bekommen.
Diesmal bin ich auf der Westseite des Sees nach Hause gefahren, habe meinen Händler besucht, man kann ja mal unverbindlich schauen, und da stand eines der Tarmacs schon wieder im Hof: In Zahlung gegeben, nach ein paar Kilometern; zu wenigeen jedenfalls, um die erste Kette zu wechseln. Ein wenig verschrammt an manchen Stellen, aber nichts von Bedeutung. Ich hatte damals gesehen, wie er sie in seinen Lieferwagen verpackte. Jetzt ist eines wieder da. Und ich dachte so bei mir: Ich habe das Colnago eines korrupten PdL-gesundheitsministers der Lombardei. Wäre es nicht spassig, dazu noch das Specialized eines russischen Steuerflüchtlings und Ex-Oligarchen zu besitzen?
Mein Händler stand daneben und schaute zu, ob ich das wirklich, wirklich noch in mein mit Kissen und Vorräten für den Winter überfülltes Auto hineinbekam. Dass bei der ersten Kurve ein Koffer herausgefallen ist, lag aber nur daran, dass ich die Tür nicht richtig zugequetschtmacht habe, und nur wenig überhaupt nicht an der Überfüllung oder meiner Gier.
Es ist halt ein Andenken, an den Urlaub und an die Vergänglichkeit. All das, was mir bestimmt war, wäre nicht gekommen, wenn ich damals auf dem See geblieben wäre. Der Mensch ist halt kein Fisch. Und deshalb sehe ich nicht ganz ein, warum ich mir so etwas entsagen sollte. Andere rauchen, trinken, nehmen Drogen, besuchen Bordelle und Spielhöllen, lauter Tätigkeiten, mit denen man sich durchaus zugrunde richten kann. Ich lasse nichts aus, was ich mir leisten kann. Und in den nächsten 25 und 50 Jahren möchte ich nicht nochmal in so eine Lage kommen. Ich war danach ziemlich heiser. Und das, was sie behaupten, dass sich Unterkühlung irgendwann vor dem Ende warm anfühle: Das stimmt nur zur Hälfte. Man weiss sehr genau, dass es sich so anfühlt, aber man weiss auch, dass es nicht gut ist.
Dann doch lieber Sonne und Erde und das Wissen, dass man irgendwie, und sei es mit Hatschen, doch wieder nach Hause kommt. Befreit vom russischen Ignorantgen surren die Räder, es schimmert der Lack in Elfenbein, und die schwarzen Trauerräder soll jemand anderes kaufen. Ich mag es bunt.
Und lebendig.
Das Leben ist kurz genug, man soll es nicht noch durch ungesunde Süchte kürzer machen, sondern besser verlängern
Langversion
Es ist irgendwie bezeichnend, dass man gerne über dumme Arten spricht, mit denen Leute sterben. Dass jemand mal auf eine kluge oder elegante Art zu Tode kommt, ist eher selten, und, das muss man wohl so sagen, exklusiv ist so ein Tod auch nicht.
Mein Tod hätte vor ziemlich genau 25 Jahren an dieser Stelle sein können, da drinnen im Wasser, auf halbem Weg zwischen Limone und Malcesine. Ich möchte sagen, dass es durchaus hässlichere Orte gibt, an denen man sterben kann, und bei langsamer Unterkühlung im Spätsommer hat man schon ein paar Stunden auf dem in Flaute nicht fahrbaren Kleinstsurfbrett, um noch einmal die Landschaft zu geniessen. Dummerweise sind die Ufer jedoch nicht nur zu weit entfernt, um Details zu erkennen, man hört dort auch niemanden schreien. In der Mitte ist man, von dort aus gesehen, nur ein kleiner Punkt, und sonst so häufige Boote waren da auch nicht. Erst als mir das Bewusstsein langsam abhanden kam, haben mich ein paar Segler gerettet.
Meinen Nachruf hätte ich mir selbst prima schreiben können, da braucht man keine Phantasie: Gerade erst Abitur (sehr schlecht übrigens, auch in dem Fach, in dem ich heute beruflich brilliere)... in der Blüte seiner Jugend... so sinnlos... all die Freuden, die ihm nun versagt bleiben...
Wie eng das wirklich war, viel enger als alles, was ich auf dem Rad und auf dem Berg erlebt habe (unter anderem mit fünf Jahren einen Kakteenabgrund in Kroatien hinuntergefallen) wurde mir erst mit etwas Verzögerung bewusst. Man braucht das vielleicht nicht unbedingt, wenn man gerade von den engen Gassen der Heimat in die wilden, entgremzten Nächte Nünchens hinausgeschossen wird, aber zwei Dinge habe ich dabei gelernt:
1. Auf meine Intuition zu hören. Wenn ich ein schlechtes Gefühl habe, mache ich es nicht.
2. Alles zu nehmen, was ich kriegen kann, und vielleicht noch ein wenig mehr, solange es mit rechten Mitteln zugeht. Und zwar lieber heute als morgen. Vielleicht habe ich ein paar Wohnungen, Gemälde, wüste Nächte und Räder zu viel: Vollkommen egal.
Trotzdem bin ich wohlerzogen, zu wohlerzogen, um es wie die Russen zu machen, von denen mir mein Dealer in Salo erzählte, als ich ihn vor andertthalb Jahren kennenlernte: Die legten 10.000 Euro auf den Tisch und wollten, das Beste, was sie dafür kriegen konnten. Der Händler hatte noch ein Paar bislang unverkaufter Specialized Tarmac S-Works SL in einer extrem seltenen, limitierten und nicht Jedermann zugänglichen Version da, und die nahmen sie zum Sonderpreis; neu wären die Kisten noch teurer gewesen. So etwas würde ich natürlich nie machen, denn das ist pure Verschwenung ohne Chance, jemals das Geld wieder zu bekommen.
Diesmal bin ich auf der Westseite des Sees nach Hause gefahren, habe meinen Händler besucht, man kann ja mal unverbindlich schauen, und da stand eines der Tarmacs schon wieder im Hof: In Zahlung gegeben, nach ein paar Kilometern; zu wenigeen jedenfalls, um die erste Kette zu wechseln. Ein wenig verschrammt an manchen Stellen, aber nichts von Bedeutung. Ich hatte damals gesehen, wie er sie in seinen Lieferwagen verpackte. Jetzt ist eines wieder da. Und ich dachte so bei mir: Ich habe das Colnago eines korrupten PdL-gesundheitsministers der Lombardei. Wäre es nicht spassig, dazu noch das Specialized eines russischen Steuerflüchtlings und Ex-Oligarchen zu besitzen?
Mein Händler stand daneben und schaute zu, ob ich das wirklich, wirklich noch in mein mit Kissen und Vorräten für den Winter überfülltes Auto hineinbekam. Dass bei der ersten Kurve ein Koffer herausgefallen ist, lag aber nur daran, dass ich die Tür nicht richtig zuge
Es ist halt ein Andenken, an den Urlaub und an die Vergänglichkeit. All das, was mir bestimmt war, wäre nicht gekommen, wenn ich damals auf dem See geblieben wäre. Der Mensch ist halt kein Fisch. Und deshalb sehe ich nicht ganz ein, warum ich mir so etwas entsagen sollte. Andere rauchen, trinken, nehmen Drogen, besuchen Bordelle und Spielhöllen, lauter Tätigkeiten, mit denen man sich durchaus zugrunde richten kann. Ich lasse nichts aus, was ich mir leisten kann. Und in den nächsten 25 und 50 Jahren möchte ich nicht nochmal in so eine Lage kommen. Ich war danach ziemlich heiser. Und das, was sie behaupten, dass sich Unterkühlung irgendwann vor dem Ende warm anfühle: Das stimmt nur zur Hälfte. Man weiss sehr genau, dass es sich so anfühlt, aber man weiss auch, dass es nicht gut ist.
Dann doch lieber Sonne und Erde und das Wissen, dass man irgendwie, und sei es mit Hatschen, doch wieder nach Hause kommt. Befreit vom russischen Ignorantgen surren die Räder, es schimmert der Lack in Elfenbein, und die schwarzen Trauerräder soll jemand anderes kaufen. Ich mag es bunt.
Und lebendig.
donalphons, 01:58h
Freitag, 5. Oktober 2012, 01:58, von donalphons |
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pade,
Sonntag, 7. Oktober 2012, 17:32
Die Langversion ist eindeutig unterhaltsamer.
Danke!
Und danke an die Lebensretter.
Danke!
Und danke an die Lebensretter.
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donalphons,
Sonntag, 7. Oktober 2012, 22:31
Js, die waren sehr freundlich. Segler aus München.
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keiner original,
Sonntag, 7. Oktober 2012, 17:55
WER...
...hat sein Leben auf dem Scott ausgehaucht?
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schauerfeld,
Sonntag, 7. Oktober 2012, 18:52
... es wirkt eher, als hätte ein russischer Oligarch beim Zurücksetzen des SUVehikels den Fahrradständer touchiert?
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donalphons,
Sonntag, 7. Oktober 2012, 22:33
Unfall eines Amateurfahrerr, der es aber ganz gut überstanden hat.
Ein Scott war auch noch da, aber ich habe das Specialized genommen. Aus Gründen. Mit Stahl wäre das so nicht passiert, allerdings ist sogar die Carbonkurbel gebrochen.
Ein Scott war auch noch da, aber ich habe das Specialized genommen. Aus Gründen. Mit Stahl wäre das so nicht passiert, allerdings ist sogar die Carbonkurbel gebrochen.
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mark793,
Sonntag, 7. Oktober 2012, 18:56
Ah,
den Laufradsatz vom Scott auch gleich vor dem Container gerettet? Sehr vorbildlich! ;-)
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donalphons,
Sonntag, 7. Oktober 2012, 22:34
Leichenfledern ist auch nur Sparen :-)
Die waren quasi so lala mit dabei, und sind eher was für die krassen Momente. Suche Spinergy Spox.
Die waren quasi so lala mit dabei, und sind eher was für die krassen Momente. Suche Spinergy Spox.
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jotwede,
Sonntag, 7. Oktober 2012, 23:44
Wenn´s
mir gegeben wäre, ich hätte es auch eingepackt.
Interessanter Laufradsatz. Hat es auch ein Großbild?
Bitte.
Interessanter Laufradsatz. Hat es auch ein Großbild?
Bitte.
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donalphons,
Montag, 8. Oktober 2012, 16:29
Gerne! Kommt noch, ich war heute auf Tour. Nur welcher? Der Gelbe oder der Roval?
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carodame,
Sonntag, 7. Oktober 2012, 23:48
Das Rad zigarettenautomatenfarben! Glückwunsch zum Langzeitüberleben im Überfluss als freundliche Geste der Vorsehung. Bald ist das Artrad da...Solche Quittenmengen können zu extremer Verhäuslichung führen.
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donalphons,
Montag, 8. Oktober 2012, 16:31
Tatsächlich ist es Birne, aber auch die muss ja irgendwie verarbeitet werden - Birnen-Baiser-Kuchen etwa.
Über Bilder vom 27.-Ernesto freue ich mich. Ich stand vor der Wahl, das oder ein C50 für den gleichen Preis, aber das hier war einfach besser ausgestattet. Und hat mir einfach auch gut gefallen.
Über Bilder vom 27.-Ernesto freue ich mich. Ich stand vor der Wahl, das oder ein C50 für den gleichen Preis, aber das hier war einfach besser ausgestattet. Und hat mir einfach auch gut gefallen.
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muclomo,
Sonntag, 7. Oktober 2012, 23:57
Das Leben ist zu kurz um Wasser oder schlechten Wein zu trinken. Süchte jeder Art machen es lebenswert - man sollte nur aufpassen dass einem diese nicht sofort umbringen. Obwohl ich manch kurzes Leben (z.B. a la James Dean) mehr bewundere als einige lange - und überhaupt hat man nur eine Chance nicht als alter Depp zu enden: früh genug den Löffel abgeben - es muss ja nicht gleich nach dem Abi sein !
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donalphons,
Montag, 8. Oktober 2012, 16:32
Man muss alt werden, um über frühen Tod reden zu können - insofern ist, wer lange lebt, klar im Vorteil.
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ohneseiltaenzerin,
Montag, 8. Oktober 2012, 02:28
Oh,
verehrter Don,
wie darf man sich denn die erwähnten wüsten Nächte eines Mannes, der erklärtermaßen sein Dasein ohne Unterleib fristet, vorstellen?
Natürlich entschuldige ich mich für mein ungebührliches Benehmen, aber weibliche Neugier siegt zuweilen über jegliche Manieren ...
wie darf man sich denn die erwähnten wüsten Nächte eines Mannes, der erklärtermaßen sein Dasein ohne Unterleib fristet, vorstellen?
Natürlich entschuldige ich mich für mein ungebührliches Benehmen, aber weibliche Neugier siegt zuweilen über jegliche Manieren ...
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rollproll,
Montag, 8. Oktober 2012, 10:56
da hilft dann ein leichter klaps um das weibe wieder an die ihr sonst so ureigenen tugenden zu erinnern.
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donalphons,
Montag, 8. Oktober 2012, 16:33
Damals hatte ich noch einen Unterleib, aber keine Kunstfigur. Inzwischen habe ich da gewechselt.
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