Mit neuen Augen sehen

Es trägt nicht wirklich zur Entmystifizierung des Cabriofahrens bei, wenn ich an dieser Stelle eingestehe: Ja, man erlebt die Welt völlig anders. Man ist nicht mehr entkoppelt, da sind Geräusche, Gerüche und der Fahrtwind, und als ich diese Woche zum ersten Mal seit Monaten wieder ein geschlossenes, hochmodernes Fahrzeug bewegte, fühlte ich mich, als hätte ich aus Versehen eine Überdosis Beruhigungsmittel in mich reichgeschüttet. Das lauteste Geräusch war das Sirren der Klimaanlage, die mich mit einer Luft anpustete, der alles Lebendige fehlte.

Abgesehen vom reinen fahrerlebnis sehe ich nun nicht mehr nur die Welt, sondern auch meine bevorzugten Einkaufsmöglichkeiten anders. Die Mitbringsel werden durch die Raumnot kleiner und feiner, Geschäfte mit Gepäckstücken und Kleidung werden ganz neu nach anderem durchsucht, ich trage ernsthaft Sakkos mit Aufnähern an den Ärmeln sowie Lederjacken und habe als notorischer Kopfbedeckungsablehner inzwischen 5 Kappen, Hüte und ähnliches nur für die Fahrerei ohne Dach und - Gott liebt auch die Weicheier - Windschott.

Während ich auf Floh- und Antikmärkten ausschliesslich Dinge für den stationären Gebrauch suchte, schaue ich nun nach Dingen zum Mitnehmen, und hier besonders Bewährtem gegen die Ereignisse, die einen beim Cabriofahren so ereilen. Nach der letzten Reise etwa suche ich dringend Damenhandschuhe. Es war nämlich so, dass die Copilotin auf den Pässen und des Nachts meine Nothandschuhe tragen musste, die im Handschuhfach für eben solch unvorsichtige Zeitgenossen liegen. Italien ist ein Wämeversprechen, das jeden zweiten, dritten tag auch im Mai noch gebrochen wird, und die Heizung des Wagens genügt allenfalls südsizilianischen Ansprüchen. Da sass die grazile Copilotin also und hatte sehr, sehr unförmige Dinger an den Händen, bis sie dann selbst Abhilfe schuf.

Doch schon in zwei Wochen wird eine neue Copilotin neben mir sitzen, und dann das Wetter des Nordens und den Fahrtwind unterschätzen. Nun käme ich mir etwas blöd vor, in ein Fachgeschäft zu gehen und Handschuhe für Frauen zu kaufen, deren Grösse ich naturgemäss nicht kenne. Doch glücklicherweise, auf einem Markt, wo ich üblicherweise so gut wie nie etwas finde:



Auf diesem Markt war eine Frau, die noch ungetragene, originalverpackte Damenhandschuhe aus den 50er oder 60er Jahren hatte - das Geschäft, aus dem sie laut Preisschild am roten Faden stammen, wurde vor über 30 Jahren übernommen und hat längst einer drittklassigen Parfumerie weichen müssen. Sie sind so fein und weich, dass jede Ohrfeige damit immer noch eine Liebkosung wäre. Und als ich schon gezahlt hatte, sah ich aus dem Augenwinkel noch ein Portemonnaie wie -

das zu erklären, wird etwas komplex, die Kurzversion: Ich habe einen Geldbeutel, in dem die letzten 20 Jahre meines Lebens stecken. Als ich 20 wurde, beschlossen meine Eltern, dass es Zeit sei für ein richtiges Stück, gingen in das erste Haus am Platz und kauften ein Portemonnaie, das von den Gummigeschossen und dem Reizgas im Gaza bis zum winterlichen Ausrutscher in den Atlantik bei Lissabon alles mitgemacht hat. Die Idee meiner Eltern, mir etwas ungewöhnlich Teures und Schweres zu kaufen, das man immer fühlt, hat funktioniert und dafür gesorgt, dass es letzten Monat auch eine Trickdiebattacke in Brescia überstanden hat. Der Weg zu meiner Brieftasche führt nur über meine Leichte.

Doch nach den 20 Jahren ist sie fraglos defekt, das Leder ist gerissen. Aber ich kann mich nicht einmal dazu durchringen, sie zum Schuster zu bringen, selbst wenn mitunter die Münzen aus einer geplatzten Naht auf den Boden kullern. Sollte ich mal drei Monate nichts zum bloggen wissen, würde ich sie einfach ausleeren und erzählen, was sich da in den letzten zwei Jahrzehnten an Erinnerungen angesammelt hat.

In Italien habe ich mich jetzt seit 2 Jahren dauernd nach einer Alternative umgeschaut. Das Original der britischen Nobelmarke gibt es nicht mehr - zu teuer sei das gewesen, man habe diese Stücke kaum verkauft, meinte man in der Niederlassung in München - also suchte ich immer wieder mal. Aber selbst der gute Taschenmacher, der selbst seit 40 Jahren eine Tasche eines anderen Handwerkers benutzt, hatte nichts, was meinen Vorstellungen und Ansprüchen entsprach. Ganz zu schweigen von all dem üblen Zeug aus Fernost, das auch in Italien längst eine unschöne Kultur der fehlenden Nachhaltigkeit erzeugt.

Nur hier, auf diesem schlechten Markt, in einer Kiste ganz unten, war aus dem gleichen Geschäft wie die Handschuhe ein Portemonnaie, nagelneu und unbenutzt und aus dem genau gleichen Material, in der gleichen Farbe wie meines, aus einer Zeit, in der man lediglich Visitenkarten hatte, und Bilder der Familie. Oh mei, 10 Cent, sagte die Frau hinter dem Tapeziertisch. 10 Cent, sagte ich. Gut. Nicht, dass ich jetzt umräumen würde - aber sollte dereinst das alte Stück wirklich nicht mehr tragbar sein, dann habe ich jetzt Ersatz: Gleiches Format, gleiches Lederl, gleiches Gefühl, und der Preis "damals" laut innenliegendem Zettel: 148,50 DM. 1965 kostete ein neuer VW Käfer 5000 Mark.

Und dann war da noch das Opernglas aus der Zeit um 1840. Komplett aus Bronze, früher vergoldet, und nicht mit einer angesetzten Stange, sondern eine Öse im Metall. Komplett zerlegbar für die Reinigung. 1840 dachte man eben noch an nachfolgende Generationen, die gegenüber dem Händler den Staub im Glas bemängelten und wussten, dass sie es zu Hause öffnen und herrichten konnten. Es ist schlichtweg das Opernglas, das die Copilotin heben wird, hinüber zum Tisch eines Restaurants sieht und dann fragte: Don, was essen die dort? Und ich werde antworten: Ich weiss es nicht, aber sicher kein Mintplätzchen, dessen Geschmack ich verabscheue, aber dessen Werbung ich bis heute als wunderbar arrogant empfinde. Sodann wird die Copilotin sagen: Gib Gas, Don. Und sie legt das Fernglas in das Handschuhfach, zieht die feinen braunen Handschuhe an, und wir entschwinden hinter einer saftig grünen Hügelkuppe in die Richtung, wo Italien liegen muss.

Und zwar weitaus früher, als meine Feinde das, egal ob mit neuen giftgrünen oder alten rotgeränderten Augen gern sehen würden.

Sonntag, 3. Juni 2007, 20:31, von donalphons | |comment

 
Sehr nett geschrieben :-)
Wie war das mit der Zeitrechnung??
20 oder 30 Jahre alt - Dein Portemonnaie?

Dein Schreibstil liest sich einfach - mmhhmm - flüssig.

Gruß
Lupi

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Genau dieser Schreibstil macht den Unterschied zwischen zwischen Amateur und Profi, Blogger und Gelerntem also, aus.

Darum kann man den Don auch lesen, wenn er eigentlich nichts zu sagen hat, was für Außenstehende von informellem Wert ist.

Vielleicht sollte der Don, statt alte Autos zu photographieren oder noch älterem nachzutrauern auch mal den Autoren der Zukunft zeigen, wie man etwas schreibt, das man auch in 3 Monaten noch gut lesen kann, ohne sich dafür schämen zu müssen.
Ich wäre dabei.

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Leider bringe ich meine Restzeit damit zu, geschichten über Anlagebetrug zu schreiben, die nicht veröffentlicht werden...

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10Cent??
...ich hoffe, Du hast ihr dafür Euro gegeben, oder?

10 Cent - das ist ja noch nicht mal symbolisch... das ist eher beleidigend, bzw. ein "Ich-bin-zu-geizig-zum-Verschenken".

Wie auch immer - herzlichen Glückwunsch zum Fang!

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Es war gewissermassen eine Dreingabe, denn die Handschuhe waren ein zigfaches teurer. Und ich verstehe schon, dass man nicht verschenkt, denn so bleibt es ein fairer Deal.

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Geschenke verpflichten ... gekauft ist gekauft. ;)

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Jeder bekommt, was er verdient.

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