Der relativierende Anrufnazi

Eine schon etwas ältere Geschichte.

Manche werden wissen, dass ich einige Stationen der Verhandlungen über die sog. Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter in Deutschland und Österreich aus nächster Nähe verfolgt habe - teilweise so nah, dass meine journalistische Arbeit, wenngleich durch einen irrwitzigen Zufall und eine sagenhafte Dummheit der ehemals ausbeutenden Seite begünstigt, nicht ohne Einfluss geblieben ist. Doch, man kann mit Journalismus etwas ändern. Nein, es ist nicht einfach so. Es ist nie so, man zahlt dafür mitunter auch einen hohen Preis, aber am Ende macht man eine Rechnung, und wenn es sich gelohnt hat...

dann ist man nicht ganz unbekannt und wird rumgereicht. Das ist der der wo herausbekommen hat dass die von denen, und so. Ah ja. Wissen Sie was? Kommen Sie doch mal bei uns vorbei, ich mache da die Sendung "Sag unserem Studiogast die Meinung", da können Sie mit den Hörern, wie wäre es nächste Woche, ja? Prima! Aber klar doch, machen wir gerne.

Eine Woche später sass ich dann im Studio, trug den Kopfhörer und rückte ganz nah an das Mikrophon heran, damit es möglichst dunkel und grollend wirke. Auf der anderen seite, an den Telefonen, wartete die dumpfe bayerische Masse, und der wurde ich als jüdischer Journalist von der Ostküste vorgestellt. Die nächste Stunde war für mich sehr lehrreich, obwohl ich hierzulande gross geworden bin. Aber es ist immer noch ein Unterschied, ob die Leute hintenrum was erzählen, oder aus der Anonymität des Telefonhörers agieren. Nun hat der Sender eine ellenlange Liste bekannter Irrer, die nicht durchgestellt werden, und jeder Anrufer muss auch ein paar Fragen der Hörermoderation über sich ergehen lassen, aber die Grenze zwischen rechter CSU und Vollnazi ist fliessend, und so kamen manche durch.

Nach 40 Minuten etwa meldete sich ein altes Arschloch, das offensichtlich noch nicht mitbekommen hatte, dass ich seinem Vorgänger gerade dasselbige bis zur Fressritze aufgetrennt hatte und so richtig gut in Fahrt war. In der Fahrt, in der ein Bierkrug ist, der auf dem Schädel eines Besuchers des Oberstimmer barthelmarktes zertrümmert wird. Es war noch keine Schreierei, aber in Sachen persönlicher Beleidigung lag ich schon uneinholbar vorne, als der Moderator als Rettungsversuch das Arschloch nahm, das sagte: Jo mei oiso wissns se kenna iba de Zwongsoabeidda sogn wos megn owa: Wos hom de Bartisana domois mid uns gmocht? Und wos hod da Ameriganer mit dem Indiana gmocht?

Und mir wurde weiss vor Augen. So richtig blendend weiss, wei es einem weiss wird, wenn einen ein Stein im Rücken trifft. Ich hatte in den Wochen davor all die Scheisse gesehen und all die verfickten Wichser, die erzählten, dass es bei der Zwangsarbeit ja noch besser als im KZ und im Gas war und das Londoner Abkommen schon alles geregelt hatte und man das Geld für die Wirtschaft brauchte und und und. Und dann noch dieser Abschaum am Telefon. Er, ich, der Moderator, wir ganz allein in einem schalltoten Studio mit ein paar zigtausend Zuhörern. Ich bin nicht gschead, ich komme aus einer sehr guten Familie und bei uns habe ich nichts von dem gelernt, was ich sagte. Meine Mutter schaltete das Radio aus und ging in den Garten zum jäten, was sie seitdem immer macht, wenn ich im Radio bin, um das nicht zu hören. Ich selbst fand nachher den Mitschnitt, hm, nun, ich war etwas erstaunt. Das Blog hier ist sehr schonend dagegen. Die Redaktion erzählte mir nachher, dass zwei andere Anrufer mit ähnlichen Absichten dann darauf verzichtet hatten, durchgestellt zu werden.

Seitdem habe ich Relativierer gefressen. Es gibt nichts zu relativieren. Man kann vergleichen, aber nicht relativieren. Stalin war scheisse, Hitler war scheisse, Mao war scheisse, jeder auf seine Weise, aber ebensowenig, wie Hitler gleich Mao ist, sind die Erschossenen in Piaski die Erschlagenen am gelben Fluss, genausowenig sind die Untaten Yahoos gleich dem Versagen von Google gleich der Geldgier von Cisco, und wenn einmal der Schröder für seinen Schmusekurs mit China bezahlen muss, wird das Merkel deshalb keinen Mengenrabatt bekommen. Nicht jeder ist käuflich, und nicht jeder zahlt, nicht jeder hat einen Preis, es gibt welche, die empfinden nichts und andere wissen genau, was sie tun. Jedes Verbrechen, jede Tat steht für sich selbst. Es gibt unendlich viele Ausreden, Ausflüchte und Gegenrechnungen. Aber keine einzige, die richtig ist.

Freitag, 15. Juni 2007, 00:36, von donalphons | |comment

 
Mit dieser Spezies
hatte ich auch schon öfter zu tun.
Da mir nie spontan die richtigen Schimpfwörter einfallen, lehne ich mich inzwischen ruhig zurück und erzähle...

"Ach, in München haben sie vor ein paar Tagen einen Saukerl verhaftet, der hat seine 4jährige Tochter [insert unerquickliche Details]... was sollte man mit dem machen?"

Darauf folgen in der Regel höchst kreative Beispiele spontaner Selbstjustiz.

Dann fährt man fort:

"Ach wissen Sie, das sehen Sie zu eng. In Berlin hat neulich ein Vater seine 5jährige Tochter [insert unerquickliche Details]..."

"Wieso, was hat das eine mit dem anderen....

Pause

Schweigen

Ende

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Sollte ich mir merken.

Aber ich glaube, ich vergesse das glücklicherweise und mache es auf meine Art.

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hui gewagt avantgarde, sie machen ihrem namen alle ehre. ansonsten war dieser text ein echter don alphonso, danke.

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Muss sehr, sehr befriedigend sein, solche Leute fachmäßig und schnell - und dann noch öffentlich - zerlegen zu können. Ich selbst bin für sowas leider nie schlagfertig genug. Außerdem wird mir nicht weiß vor Augen, sondern rot. Vielleicht liegt's daran; ich könnte mal dran arbeiten.

Der Sendungsmitschnitt ist aber nicht irgendwo mal zu hören, oder? Damit könntest du das befriedigende Gefühl glatt weitergeben. Allzuoft ist man gezwungen, hilflos die Faust in der Tasche zu ballen.

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Und wos hod da Ameriganer mit dem Indiana gmocht?

Diese Logik hat sich mir noch nie erschlossen, die Ermordung von Juden mit der Ermordung von Indianern zu rechtfertigen. Als gäbe es überhaupt eine Rechtfertigung.

Heute tun ja alle so, als hätte es in ihrer Familie keine Nazis gegeben, jawohl das waren alles anständige Leute, die keinem was zuleide taten, Juden sogar geholfen hatten und im Übrigen auch gar nichts von den KZs wussten. Aber man braucht oft gar nicht doll zu kratzen, da kommt dieselbe braune Scheiße zum Vorschein, nur in moderner Form. Und oft genug sind es Leute aus denselben Familien, die schon damals dabei waren. In meinem Blog liegt noch eine angefangene Geschichte dazu herum, sollte ich vielleicht wirklich mal fertigschreiben.

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Ich erinnere mich noch, als der US Film "Holocaust" in die deutschen Wohnzimmer flimmerte.

Danach gab es mindestens 2 Meinungen:

Die einen sagten empört: So schlimm war das doch gar nicht und die Russen und die Amis haben doch auch...

Die anderen sagten empört: Ha, nein, es war doch alles viel viel schlimmer...

Und oft sah man da ein Funkeln in den Augen.

Eigentlich gab es mindestens 3 Meinungen...

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Die Logik, die dahintersteckt, ist das Aufmachen von Nebenkriegsschauplätzen. Das machen alle, denen die Argumente ausgehen oder die dringend etwas relativieren oder verschleiern müssen. Ablenken in der Hoffnung, das Gegenüber lässt sich mitnehmen. Und allzuoft finden sich ein paar Doofe, die mit auf diese Reise gehen.
Ich befrage dich zu Juden - du erzählst mir was von Indiandern. Ich befrage dich zum Rauchen - du erzählst mir was vom Alkohol. Ich befrage dich zu Yahoo - du erzählst mir was von China. Ich befrage dich zu Äpfeln - du erzählst mir was von Birnen. Mit der Christiansen funktioniert das immer ganz wunderbar. Statt einfach beim Thema zu bleiben und aufrichtig zu antworten.

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Achja, mit der Christiansen und mit Blog-Kommentatoren.

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Boah - man müsste erst mal Prinzipien haben, zu denen man stehen könnte, aber genau daran fehlt es ja. Die einen stottern, die anderen sagen gar nichts. das Bildblog hat sich ja auch für Yahoo entschieden. Ich mein, was soll man da noch sagen?

Und die behauptung, dass Yahoo Deutschland nichts damit zu tun hat, stimmt halt einfach nicht. Wenn es so wäre, dann würde Yahoo Deutschland nicht versuchen, die Debatte über ihr Verhalten in China schon im Vorfeld zu torpedieren. Da ist keine Unabhängigkeit, die Leute in Hongkong vollstrecken, die leute in Deutschland decken und die Aktionäre und Adical streichen ein.

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so ad absurdum kann man dons text aber nicht führen, holgi. ich sehe darin eine andere qualität und will jetzt auch nicht meinen kommentar unbedingt wiederholen, den ich bei dir gepostet habe. aber für mich ist er erhellend. er zeigt eine andere ebene in all den diskussionen auf, angefangen davon, dass don autofahren mit einer bestimmten marke vorgeworfen wird, bis hin zu diesem komischen oldheimerdingens, was halt viele, mich eingeschlossen, nicht verstehen und dann ganz schnell darauf herumhacken.

das mit den prinzipien ist eine andere sache. ich bin sogar ganz fester überzeugung, dass der herr, der damals beim radio angerufen hat, durchaus feste prinzipien hatte und das schreckt nämlich ab. das schreckt mich und leute ab, die ich kenne.

ich taumle auch zwischen so vielen generationen hin und her. ich meine, mein großvater ist 1901 geboren und ich war ein kleines mädchen, als er gestorben ist.

mein großvater war der mit den prinzipien in der familie. meine tante war es dann auch aber mein vater hat sich davon abgewendet, in dem sinn das er nicht komplett konsequent gewesen ist, aber er hat auch andere leute gedeckt.

was sind also meine prinzipien? sie sind recht schwammig, aber ich glaube sie zu haben. jedes prinzip ist irgendwann aufweichbar.

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Ich führe nicht Dons Text ad absurdum, Sunny, sondern antworte nur auf die Frage von arboretum.

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... die den Mechanismus und den Zweck dieser Argumentation durchaus verstanden hat. Aber logisch ist eine solche Argumentation dadurch noch lange nicht. Genausowenig wie die Behauptung, Yahoo Deutschland habe damit nichts zu tun. Hey, das ist ein Konzern, global player oder wie sich das nennt.

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Lieber Don, fällt das dummdreiste Geseiere eines bekennenden NPD-Wählers, der hier allen Ernstes behauptet, die Neofaschisten wären annähernd die wahren Schützer der Meinungsfreiheit, unter diesselbe? Kann ich dem Verfasser bitte virtuell aufs Maul hauen? Danke.

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dann habe ich es nicht richtig verstanden.
tkurbjuhn hat auch einiges nicht verstanden., glaube ich.

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Ooops, man sollte sowas immer gleich sofort lesen.

Der Kommentar wurde gelöscht, der Typ hat hier Hausverbot.

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Nur zu, Arboretum
einen hochinteressierten Leser und Weiterverlinker hast du in mir da auf jeden Fall!

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