Die Stossstange

Da war diese lächelnde Frau. Schmutzig, heruntergekommen, aber immer noch schön. Man war brutal zu ihr, man hat sie lieblos angeschmiert, ihrem klassischen Profil keine Achtung geschenkt. Es war einst eine Stadt, die sie wollte, heute jedoch verrottet sie unbemerkt am ersten Stock eines Hauses nahe der Bergmannstrasse. Man hat ja so viel von dem Zeug. Und hier schaut eh keiner hin, man redet lieber über den Platz für den nächsten Tattoofleck. Handinnenseiten scheinen inzwischen sehr beliebt zu sein. Klassische Schönheiten sollten es vielleicht mal mit einem fetten Piercing probieren. Oder so bleiben, wie sie sind, mir ist es lieber so. So kommen sie auch in mein Blog, trotz - oder wegen - allem.



Ich mache das Bild, und hinter mir macht es Klonk. Ein alter Golf parkt "italienisch" aus und hat hinten Vollkontakt mit einem unsagbar dreckigen, alten Lastwagen, der den ausgemalten Parolen zufolge einem Hausbesetzer gehören dürfte. Der Golf fährt nach vorne, und erwischt den Kombi davor nur leicht. Die Fahrerin hat offensichtlich Probleme, die Entfernung abzuschätzen. Was sie beim nächsten Zurückstossen eindrucksvoll beweist. Mit einem weiteren Klonk schiebt sich ihre Stossstange unter den mächtigen Eisenbügel an der Front des Lieferwagens. Sie löst sich mit einem erbärmlichen Knirschen und kehrt nicht ganz in die Ausgangslage zurück, doch sogleich ertönt wieder das trockene Tonk der vorderen Kollision. Die Dame am Steuer dreht heftig herum, gibt Gas und

TONKCCCCHHH

schiebt den Abschluss ihres Wagens abermals tief unter den Lastwagen. Zu tief. Denn diesmal hat sich etwas verheddert, und während sich der Golf von seinem ungleichen Gegner löst, bleibt die Stossstange auf der einen Seite hängen, und löst sich mit einem Knirschen und viel bröckelnden Rost vom Fahrzeug.

Die Fahrerin steigt aus, besieht sich den Schaden, steigt ein, holt ihr Handy und telefoniert kurz unter Beschreibung des Problems, sagt ja und Hm und gut, legt auf, geht zur Stossstange und stellt sich auf die andere, noch intakte Seite, die dann auch gleich aufgibt und bricht. Die Fahrerin öffnet den Kofferraum, legt die Stossstange hinen, schliesst den Kofferraum, setzt sich hinter das Steuer und kommt diesmal mit dem etwas verkürzten Fahrzeug ohne weitere Probleme aus der Parklücke.

Ich überlege kurz, ob ich den Termin am Abend absage und sofort heim fahre, bleibe dann aber und bekomme wenigstens gute südfranzösische Küche am Mmaybachufer.

Mittwoch, 20. Juni 2007, 16:44, von donalphons | |comment

 
kreative Problemlösung...

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Sie tat, was sie konnte.

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früher hatten die Autos wenigstens noch gscheite Metallstoßstangen - dann kamen die lackierten - und die logische Konsequenz waren Einparkhilfen.

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Fühlte mich spontan an das letzte Kapitel aus H.G.Wells Zeitmaschine erinnert, das ähnlich apokalyptisch rüberkommt, bevor sich der Zeitreisende eine bessere Zeit aussucht. Gute Heimfahrt!

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Ich weiß nicht, was Ihr wollt ...

...wer sich Anfang bis Mitte der 90iger in den neuen Bundesländern umgetan und sich Häuser, die um die Jahrhundert gebaut wurden, angeschaut hat, stellte fest, daß hier (neue) Elektroleitungen auf Putz verlegt wurden ... natürlich nicht, ohne störende Stuckelemeneten per Hammer zu Laibe zu rücken.

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Die Elektrosünden stammen oftmals aus vorsozialistischen Zeiten. Im Westen fallen sie weniger auf - da hat sie man zu Wirtschaftswunderzeiten zusammen mit dem Stuck wegmodernisiert. Manchmal habe ich den Eindruck, der Mangel im Osten hat mehr vor rücksichtsloser Modernisierung bewahrt als durch Verfall teilweise ganzer Altstädte verloren ging.

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Nonsense..
... nimm´ es mir bitte nicht übel aber dann kennst Du Dich nun wirklich nicht aus.
(Eines der typischen Beispiel, wo der Wunsch die Realität ersetzen muß ;) )

Die alte Bausubstanz ist - wie in keinem Land Mittel(!)-Europas buchstäblich ruiniert worden: aus einer Wohnung wurden 2, das Verrottenlassen halber Innenstädte, nachträglich eingezogene Wände, die Zerschlagung dörflicher Strukturen durch Plattenbauten. Und die post-leninsche Elektrifizierung ist nun deutlich an den Arbeiten und an dem verwendeten Material zu erkennen.

Es gibt zwar die These, daß die "neue Baukultur" in Westdeutschland mehr Schaden angerichtet habe als die allierten Bomberverbände: das will ich nicht kommentieren aber auch das waren ja "sozialistische" Bilderstürmer Stadtplaner. ;)

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Das ist Westberlin. SO36, Vorhof der Hölle.

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Davon gehe ich aus, sonst hätte die Dame längst mittels Hammerschlägen den Kopf verloren ... ;)

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Tut mal nicht so, als wäre das eine Spezialität der West- oder Ostberliner. Kommt vorher mal nach Straßburg. Hier hat man keine Bombentreffer im Zweiten Weltkrieg gehabt, im Ersten erst recht nicht, und trotzdem stehen zwischen den alten Fachwerkhäusern moderne Betonklötze, ja es verschwinden heute noch historische Bauten. Einfach so. In meinem Vorderhaus war eine Wohnung in einem ehemaligen Laden, mit allem Charme der Zwischenkriegszeit. Die kennst du heute nicht mehr wieder. Und die Stromkabelverlegung im wilhelminischen Gerichtsgebäude - nun ja. Davon kann ich allerdings keine Bilder zeigen, dort sind Aufnahmen nicht erlaubt.

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Bei der Verlegung von Elektroleitungen greifen sogar Kulturvölker gerne zu eher pragmatischen Lösungen. Da wird dann halt eine Kerbe in die Mauer geflext, auf dem kürzesten Weg.

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In SO36 fehlen nicht weniger Stuckfassaden als in vergleichbaren Ostbezirken. Im Osten bröselte sowas "nur" weg - im Westen hatte man die Mittel, gleich ordentlich zu schleifen. Die Ausmalung der 'Treppenhäusern gleich mit drauf.

Aufputz-Leitungen, unsensible Teilung von Wohnraum und Elektriker, die sich schon immer gern am Stuck vergreifen, sind eher Kleinkram. Sowas ärgert den Neubesitzer und Bauherren, läßt sich aber meist reparieren, restaurieren, rekonstruieren.

Die wirklichen Sünden, die kompletten Substanzverluste sind meist aus den Augen - aus dem Sinn. Ob nun totmodernisiert oder verfallen und beseitigt.

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Dort geparkt tut mir jetzt selbst die Barchetta leid!

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Wenn sie erst mal fährt, brauchen hier andere Dein Mitleid.

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Harmlos angemalt und nur verdreckt
Für den Sündenfall fehlen aber noch ein paar Farbschichten. Alles noch viel zu filigran und mit wenig Aufwand wiederherstellbar. Es sei denn, sie war dereinst nicht so monochrom.

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Das war sie ziemlich sicher. Und das haus sieht nicht so aus, als würde man sich darum besonders kümmern. Den Golf überlebt sie wahrscheinlich.

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Ich hätte herzlich und schallend lachen müssen, aber nicht aus Schadenfreude. Die Beschreibung hört sich nach einem dieser unerträglich schlechten Fernsehsketche an, in welchen diese simple Klischee-Ausschöpfung ganz und gar nicht witzig ist. Aber in der Realität so unbeirrt einen stereotypischen Fehler durchzuhalten verdient Respekt. Es wäre eher ein Mitlachen als ein Auslachen.

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Gastro-Tipp
Gute südfranzösische Küche am Maybachufer? Etwa im Café Jacques? Da war ich vor einiger Zeit und eher underwhelmed. Lohnt ein neuerlicher Besuch?

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Nun, mein vegetarischer Wunderteller mit sesamfrittiertem gemüse war wirklich vorzeigbar.

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