Von der Dauer des Streichens

Ein Tor in Berlin streichen ist eine mittelmässig lange Sache: Man nimmt Farbe und Pinsel, schleift ein paar hundert Schmierereien ab, kassiert ein paar anerkennende Blicke von Jungvandalen, die sich über die neue Fläche für ihr Gekrakel freuen, beginnt zu streichen und weist den beköterten Proll darauf hin, dass er die frische Hundescheisse, die gerade in die Einfahrt gelegt wurde, bitte entfernen soll. Man bekommt ein paar Tritte von dessen Freunden, kein Umstehender kümmert sich um einen, wie es ihnen schon egal war, dass man das Tor streicht, und ist nach 20 Minuten fertig und kann zwei Wochen in der Reha ausspannen.

In der Provinz ist das ganz anders. In der Provinz wird man mit dem Abschleifen vom Führer der koreanischen Reisegruppe gebeten, mal einen Moment aufzuhören und aus der Tür zu verschwinden, weil seine Schäfchen gerne ein ungestörtes Bild des Stadtpalastes machen wollen - dass ihr Bus davor steht, stört sie nicht. Bis man mit dem Schleifen fertig ist, hat man mit der Hälfte der Mieter die letzten Neuigkeiten ausgetauscht und Verabredungen für die heute zu machende Kürbistarte getroffen, und zudem ein Emailproblem gelöst. Beim anschliessenden Streichen kommen mehrere Nachbarn vorbei und geben der Überzeugung Ausdruck, dass es ein schönes Portal ist, und die alte Frau T. erinnert einen an den zugrunde liegenden Erwerb des Tores und an den Opa, der ein fescher Mann war und dem man glücklicherweise nachzukommen scheint, weshalb sie wissen möchte, ob es denn nun endlich mal mit der Hochzeit geklappt hat. In der Frage schenken sich die katholisch erzreaktionäre T. und Herr M. nichts, der aus einem arabischen Land kommt undes einfach nicht für angemessen hält, dass der Streichende immer noch nicht verheiratet ist, spätestens nächstes Jahr sollte es aber wirklich klappen. Kaum ist er weg, gilt es, noch eine sehr feine High-End-Box eines französischen Herstellers zu begutachten, und danach wird noch eine ältere Dame vorstellig, die den letzten Spross des Clans preist und wissen möchte, ob er immer noch mit den Schiessprügel Viecher abknallt, wofür der Clan ja eine gewisse Berühmtheit hatte. Im Herbst, so erzählt sie, habe die Grossmutter des Streichenden immer über den Dregghammel ihres Gatten geschimpft, dessen Beute die hinteren Sitze des Autos vollgeblutet hatte, trotzdem, es gab auch sehr gute Zeiten und es war so lustig mit denen, so war das damals, wie sieht es eigentlich mit den eigenen Heitratsplänen aus, und langsam wird es dunkel über der Stadt, so dunkel, wie das Tor eigentlich hätte werden sollen, das aber erst halb gestrichen ist.

Erfreulicherweise belassen es die beiden Elitessen von gegenüber am Zigarettenautomat bei dem kurzen, bösen Blick auf den Knienden. Es liegt eher wenig daran, dass ihm ihre Exzesse mit den 28 leeren Flaschen Bier auf dem Tisch dank bei StudiVZ hochgeladener Bilder hinreichend bekannt sind, sondern eher in ihrer Ablehnung gegenüber jeder Form von niederer Tätigkeit, deren Verachtung sie sicher in einen Sachbearbeiterposten oder sogar den der Rumsteherin bei der OMD in Düsseldorf treiben wird, wo sich dergleichen trifft und bastardischen Nachwuchs zusammenfickt, als wäre es die rurale Genpoolerweiterung hinter dem Klo des Lentinger Jurafestes.

Kurz danach steht ein älteres Paar mit jüngerer Tochter vor einem und will höflich, aber bestimmt wissen, wo denn bitte das Studentenwohnheim ist und wo man sich da anmelden kann. Der Mann mit dem Pinsel richtet sich auf und erteilt ihnen eine kurze Einführung in die Eigenheiten des hiesigen, überlaufenen Immobilienmarktes und verweist auf den Umstand, dass sie um diese Uhrzeit ohnehin zu spät dran sind, um noch was zu reissen, und die Vermietungsanzeigen werden erst übermorgen im lokalen Schmarrnblatt zu finden sein, da sollen sie mal besser schauen, die älteren Herrschaften haben es hier zwar mit Immobilien, aber nicht mit dem Internet. In eine WG jedenfalls, das wird schnell klar, wollen die Eltern ihre Tochter nicht stecken, uninah soll es sein und auf Maklerprovisionen sind sie ebenso nicht erpicht, und so steht dann die Frage im Raum, ob der Mann mit dem Pinsel vielleicht etwas wüsste.

Der Mann mit dem Pinsel könnte jetzt natürlich ein Angebot machen: Verbringung des Nachwuchses in die Gästewohnung für die ersten zwei Wochen und solange Restaurierung des bislang unfertigen Lofts im Hinterhaus, aber einerseits, man sieht es ja, kommt man zu nichts hier in der Stadt, und andererseits -

ist der Mann mit dem Pinsel müde. Müde vom depperten Gschau seiner Tochter, müde von der Genervtheit der Mama, die es gewohnt ist, dass ihr Wille durch den Befehl des Gatten umgesetzt wird, müde von diesem Anspruch, dass es hier zu laufen hat wie oben in NRW, müde vom bagatellmässigen Umgang und überhaupt, zu müde, um jetzt zu erklären, dass er hier nicht der kleine Hilfsarbeiter ist, der für einen Fuffi Trinkgeld alte Frauen beschwatzt, doch was von ihren Imperien rauszurücken. So bedauert er, dass hier nichts möglich sein dürfte; der eigene Stadtpalast sei voll und die Frau B. hat zwar zwei Häuser weiter die Strasse runter, aber sie will nicht mehr vermieten, seitdem es mal Ärger gab, wie gesagt: Mittwoch das schwarzbraune Käseblatt, bitteschön, viel Glück, und dann im letzten Licht des Tages die letzten Pinselstriche, aufräumen, auf das Bett setzen, umfallen und die ganze Nacht von blonden Elitessen träumen, die verlangen, dass man jetzt sofort das neu gefliesste Bad in einem neuen, sanften Braunton umfliesst, und man beim Beschaffen der Kacheln ein Rennen mit den Disziplinen Skatebord, Rennrad, Laufen und Reiten bestreiten muss, letzteres auf dem Pferd Püppi, das der früheren Mitbewohnerin der Liebsten gehörte und damals tragend wurde, und deshalb nicht geschlachtet werden musste. Diese Mitbewohnerin übrigens, die ihrem Gaul die Wahl zwischen Bolzenschuss und Mutterschaft liess, studierte auch BWL.

Dienstag, 25. September 2007, 13:32, von donalphons | |comment

 
Fein! :)

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Und dennoch sieht das Tor gut aus!

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Ach schön! Das befreiende Gefühl es nicht jedem Deppen recht machen zu müssen.

Gibt's auf den Ausdruck "lokales Schmarrnblatt" eigentlich auch schon irgendwelche Geschmacksmusterrechte? Für den würde ich sonst schon einige Anwendungsgebiete wissen...

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Nicht dass ich wüsste. Wobei das ein hübscher Blogname wäre.

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Also mein Favorit ist "beköterter Proll" und überhaupt der erste leider zu treffende Absatz. Ich komme gerade dem dringenden Bedürfnis einer erneuten Berliner Wohnungssuche nach, möglichst hoch im Haus und möglichst Hinterhaus, denn dieser erste Absatz ist die Liveaufnahme des Geschehens vor meiner Friedrichshainer Haustür, egal auf welchen meiner drei ansonsten hübschen Balkone ich mich begebe.

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Und nun sitzen wir alle hier und warten auf die Visualisierung - zumal hier auch ein Photo fehlt.

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Danke, jetzt ist mein Tag gerettet.

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Bitte.
Du musst nicht streichen, nehme ich an.

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Doch.
Letzte Woche. Die Fensterfronten gen Süden, 3 Balkontüren und eine Garage, partielles Kitten inklusive.
Früher immer Sikkens Cetol Filter 7 genommen, jetzt mal Cetol Novatech ausprobiert. Ist angeblich lösemittelreduziert, allein meine Synapsen wollten das nicht so recht glauben.
Was kommt denn am Stadtpalast zum Einsatz?

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Gibt es von diesem Stadtpalast auch mal ein Foto zu begutachten? :)

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Ungern. Ich will es gewissen Leuten nicht zu leicht machen.

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"wo sich dergleichen trifft und bastardischen Nachwuchs zusammenfickt, als wäre es die rurale Genpoolerweiterung hinter dem Klo des Lentinger Jurafestes."

Wirklich hübsch geschrieben, bravo, Sie Kunstfigur. Sie meinten damit bestimmt Menschen, hab' ich richtig geraten? Uns was schreiben Sie wohl morgen? Gibt es noch Applaus, wenn Sie Scheiße ins Publikum werfen?
Ihr Kunstfigur gibt vor jüdische Wurzeln zu haben und kann doch nicht von 12 bis Mittag denken.

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Wenn Sie sich mal mit den problematischen Folgen des fortgesetzten Inzests kleiner Gruppen auseinandersetzen ("Habsburger Lippe", der Niedergang der Gonzaga, etc.), dürfte Ihnen schnell klar sein, dass Genpoolerweiterungen alles andere als schlecht sind, und dass festlichkeiten und Alkohol in situ zu Fortpflanzungen führen, sollte auch bekannt sein. Ersteres empfiehlt übrigens auch das Judentum, das in der Folge von Jehuda he-Chassid durchaus zur Heirat von Nichtjüdinnen und Nichtjuden rät, wenn jüdische Gemeinschaften zu klein sind. Die waren nicht doof, damals.

Oder betrifft es die semiprofessionellen Dienstleist das Karnickeln von PR und Marketing? Möchten Sie die Geschichten aus der Sauna in Elmau Anno 2000 hören?

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Hab ich etwas überlesen oder ging es in dem Artikel darum adligen oder jüdischen Stammlinien eine Blutauffrischung zu verschaffen? Oder fühlen Sie sich nach Art eines Kardinal Meisner unverstanden? Ersparen Sie uns die Peinlichkeit, das Wort vom "bastardischen Nachwuchs" hat sich ebenso wie "entartet" weit von seinen Ursprüngen entfernt.

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Na dann sagn´S halt was sie meinen und lassen Sie einen nicht rumrätseln, an welcher Stelle die Laus die Leber kreuzte. "Bastardisch" ist ein Archaismus; ein seltenes, altes, nicht mehr sehr gebräuchliches Wort; ich hingegen mag es wegen seines rohen Klangs, und es bedeutet nicht "Bastard" im direkt abwertenden Sinne, sondern lediglich "unehelich" oder "ausser der Ehe" oder "zur linken Hand", wie man früher auch sagte. Was sich innerhalb des Textes als stringente Fortführung der mehrfach erwähnten Hochzeitsofferten erklären lässt.

Muss ich mich jetzt für Ihre Unkenntnis entschuldigen? Und wer ist bittschön "uns"?

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Wir könnten das jetzt noch tagelang lustig weiterführen, tun uns aber keinen großen Gefallen. Ich wünsche dem Autor der Kunstfigur, daß von der Kunfigur nicht allzuviel auf den Autor abfärben wird.

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Blabla.
Kunstfigur und Autor haben eine zumindest begrenzte Einsicht in Fehler, die hier aber eher andere haben sollten. Zu dem was ich sage, stehe ich, und das, was andere reinlesen wollen, ist deren Problem, solange es nicht verfälscht wird. Sonst wird das hier ganz schnell zu niggemeierischen Lügenkarusell mit passend zusammengereimten Nichtzitaten.

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Sauna!
Wenns irgendwann reinpasst, würde ich schon gerne die elmauische Saunageschichte hören, resp. lesen ;-)

Und ein Foto vom fertigen Tor fände ich auch gut - gab ja schon eins vom alten Zustand, insofern...

...der Stadtpalast war übrigens auch schon im Fernsehen. Da gab es vor einigen Monaten eine Reportage über die Rockbeatmusiker "Slut", die ja auch aus Ingolstadt kommen. Und beim obligatorischen Kamerarundgang, um den Lokalkolorit darzustellen, wurde auch das eine oder andere Bauwerk gezeigt...

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Slut, auch genannt die Emoschande der Stadt.

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Na, so schlimm finde ich die gar nicht. Habe im letzten Jahr in Berlin die Jungs als Vorband gehört, da haben sie Stücke aus der Dreigroschenoper gespielt. War für das Gros des Publikums wahrscheinlich total "unkuhl" - aber mir hat es gefallen.

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Man schätzt es in der Fremde nie, mit den Ausgeburten der Heimat konfrontiert zu werden. Zumal, wenn sie nicht mal von der richtigen Seite der Donau kommen.

OK, Erkan und Stefan sind schlimmer.

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"OK, Erkan und Stefan sind schlimmer."

Zustimmung.

Zum Rest: *schulterzuck*

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Den Rest muss man nicht zwingend kennen.

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