: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Samstag, 26. Juni 2010

Phantomschmerzen

Immer, wenn ich in der Schweiz bin, frage ich mich, wie eigentlich Deutschland aussehen würee, hätte es den 2. Weltkrieg nie gegeben.







Denn diese weitgehend intakten Innenstädte, wo niemand etwas wegbombte und danach auch kaum jemand grossflächig alte Gebäude abreissen liess, jedenfalls nicht allzu viel - diese Altstädte haben einen enormen Reiz. Da kann man über die Schweiz sagen, was man will: Es ist einfach sehr lebenswert hier.



Auch die Sache mit den Preisen muss ich relatvieren: Wenn Quark für 2,50 CHF enorm teuer ist, ist doch eine geflammte Biedermeierkommode in Kirschholz auch mit ein paar kleinen Schäden für weniger als 200 CHF geradezu nachgeschmissen. Aber auch hier: Zwei Weltkriege weniger lassen mehr überleben.

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Donnerstag, 10. Juni 2010

Die vergebliche Laura

Es ist eigentlich nicht so, dass ich als zulaufende Spitze einer Familie voller ungenutzter Aussteuerschränke explizit Bettwäsche bräuchte. Aber es wird nicht mehr lang so einfach möglich sein, Bettwäsche von Laura Ashley zu kaufen, denn deren deutsche Filialen wurden geschlossen. Und dort gab es wirklich gute Bettwäsche zu relativ hohen, aber auch sich relativierenden Preisen. Denn nicht nur die Qualität ist weit überdurchschnittlich, sondern auch die Gestaltung und vor allem - die Idee dahinter. Oder genauer, auf der Rückseite.



Vorne ist es der übliche Prunk, für den man die Firma so gut kennt, unverschämt sattes Blau und Blütenpracht. Eine Farbe, die ebenso intensiv wie opulent ist, ohne dabei protzig zu sein. Ideal für den grossen Auftritt im Schlafzimmer. Dreht man die andere Seite hin, ist es nicht mehr palastartig, sonderndie typisch ländliche Bettwäsche, für die die Marke auch so bekannt ist. IM Prinzip ist es eine famose Idee in Zeiten, in denen kaum mehr jemand Platz hat, und dennoch oft wechseln will. Die Farben beissen sind nicht; wenn man ein Bett in Goldbrokat hat, passt die eine Seite, und wenn man im Fichtenbett schläft, die andere. Nur Vorteile. Und so gesehen, denn es sind ja eigentlich zwei bettbezüge, gar nicht so teuer. Zumal auch von guter Qualität.

Und in Deutschland nicht mehr zu bekommen. Man schläft lieber in Polyester, das kostet immer noch sehr viel weniger. Aber ich habe ja nochmal nachgekauft. Lustig, eigentlich: Zum ersten Mal in meinem Leben kaufe ich Bettwäsche. Das war noch nie nötig, und wäre eigentlich auch nicht nötig, aber ich mag dieses satte, dicke Blau.

(Und all das andere, das ich fand, mag ich auch. Aber man soll es ja nicht übertreiben, und wenn doch, zumindest nicht darüber bloggen.)

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Donnerstag, 3. Juni 2010

Das Glück des Untüchtigen

Es sieht nicht gut aus für meine Pläne, die mich heute am Tegernsee sagen, idealerweise im Sonnenschein und mit dem Aufbau meines Faltbootes beschäftigt: Der Tegernsee und der Himmel nähern sich bedrohlich an, es gibt niedrige Regenwolken und Hochwasser bei unter 10 Grad. Plus, aber das kann sich auch noch ändern. Also habe ich nach einer turbulenten Nacht mit Polizei etc, zur Beruhigung meiner Nerven altes Silber geputzt. Das beste, was man an solchen Tagen im Regen tun kann



Als ich in der Schweiz war, war ich natürlich auch in einem Brockenhaus, so heissen dort die Trödler, und fand eine von den das 18. Jahrhundert zitierenden Lampen, die ich so gerne mag, und für die ich keinen Platz mehr habe. Mit puffrotem, verstellbaren Schirm. Es gibt im Klenzeviertel einen Laden, der sie als sehr begehrenswert führt und sehr viel dafür verlangt, und wenn ich sehe, was die dort kosten und mit dem Brockenhaus vergleiche... und bekanntlich findet sich schon eine Gelegenheit, sie zu stellen.

Oder auch nicht. Tatsächlich stand sie tagelang nur in der Wohnung herum, und weil ich gestern Besuch bekam, räumte ich sie schnell hinaus in das Vorzimmer, wo ein kleiner Marmortisch vor meinem roten Plüschlesesessel steht. Und dachte mir heute morgen: Also eigentlich...



Jetzt darf ich aber wirklich nichts mehr kaufen. Ausser Büsten natürlich, und ein paar Gemälden. Und im Speicher wäre noch Platz für einen Reservekronleuchter. Man weiss ja nie

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Sonntag, 23. Mai 2010

Der alte Mann im Keller

Viel schlechtes Volk fuhr heute nach München, und ein besserer Sohn. Viel schlechtes Volk war vor Bildschirmen, aber ich fuhr an der Isar entlang, in ein Villenviertel auf dem Hochufer. Viel schlechtes Volk erlebte eine Niederlage, und ich ging zum Lachen in den Keller.



Aber gar nicht mal wegen all der lederbehosten Verlierer, die jetzt dumm aussehen, sondern weil im Keller etwas gefunden wurde. 35 Kilo parischer Marmor, der den neuen Bewohnern nicht gefallen hat, weil er in Form eines alten Zausels zubehauen war, mit Falten, eingefallenen Augen und wirren Haaren, und einer Hakennase. Diese 35 Kilo wollten sie also los werden, und setzten sie bei Ebay hinein. Kellerfund. Alt, möglicherweise, stand schon länger rum. Es war, wie es sich zeigen sollte, ein Pseudoseneca aus französischer Produktion, denn der Name steht mit Accent auf der Büste. Im ersten Moment dachte ich, es sie vielleicht doch Alabaster, aber dann schimmerten die Kristalle im Abendlicht: Marmor, gemeisselt, um 1800 bis 1900, würde ich sagen. Errstklassige Arbeit, nur an unsichtbaren Stellen nicht poliert, wo man dann auch erkennt, dass es echter Stein ist. Ab ins Auto damit.



Die Datierung ist relativ einfach, weil die Basis und die Grösse und der spezielle Typ typisch für das 19. Jahrhundert sind; davor kamen die Repliken vor allem aus Italien und orientierten sich an dem Bronzeexemplar, das in Neapel aufbewahrt wird. Die Zuschreibung der oft gefundenen Büste an Seneca - es muss ein Prominenter dieser Zeit gewesen sein - war willkürlich und ein Musterbeispiel für Fehlinterpretationen eines Gesichtsausdrucks, das hier die Stoa vorstellen sollte, und die Ablehnung des neronischen Prunks. Vermutlich jedoch handelt es sich um ein idealisiertes Bildnis des Lyrikers Hesiod, denn von Seneca fand man 1813 ein zeitgenössisches Bildnis - und er sah ganz anders aus. Fett statt eingefallen. es dauerte ein paar Jahrzehnte, bis man allgemein einsah, hier nicht Seneca vor sich zu haben. Danach war man mit falschen Aufschriften eher etwas vorsichtig, zumal in jenen gebildeten Kreisen, die sich dergleichen leisten konnten. Neue Gipsabgüsse in dieser Grösse kosten schon über 500 Euro, man kann sich überlegen, was eine exakte Marmorkopie damals kostete. Heute, und ich spreche da aus leidvoller Erfahrung, ist man bei Auktionen schnell mit den Kosten eines leicht gebrauchten Kleinwagens dabei. Ohne Aufgeld. Ich schaue immer. Ich biete auch mit. Meistens sprengt schon der Einstiegspreis der schriftlichen Gebote meine Möglichkeiten. Aber diesmal nicht. Höhö.

Nun ist der Pseudoseneca also bei mir. Es ist mit ihm, wie mit den von mir ebenfalls gesuchten Bildnissen von Kardinälen und Jesuiten: Schön sind sie alle nicht. Aber gerade das macht sie so interessant.

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Montag, 17. Mai 2010

Steinobst

Es gibt zwei gute Gründe, gerade jetzt im Urlaub immer etwas mehr Geld auszugeben:

1. wegen solcher meines Erachtens gar nicht so unwahrscheinlichen Vorstellungen von Politik in Zeiten der Staatspleiten, die, wenn ich mich sehr ungeschickt anstelle sich tatsächlich anschicken könnten, mich zu entreichen.

2. Um jetzt das zu haben, was andere bald nicht mehr haben werden, oder vielleicht nie haben werden: Ein angenehmes Leben. Ich sage nicht, dass Pech un Schwefel vom Himmel fallen werden, aber Koch ist nun mal schon Ministerpräsident, und das prekariat ist ja zufrieden, solange es nur kostenloses WLAN und Streetview-Bilder für alle Natztotalistaristen gibt. Und nichts garantiert uns, dass die sich nicht doch irgenwie vermehren.

Wie auch immer, die Zeiten sind schlecht, und der kluge Mann baut vor. Ich zum Beispiel möchte auch in schlechtesten Zeiten volle Fresskörbe haben, was gar nicht so leicht sein wird, wenn das Geld sich als die Utopie erweist, die es schon immer war. Aber ich war in San Gimignano, und dort fand ich zu meiner Freude etwas, das wie Essen aussieht.



Aber kein Essen ist. Bei der Banane erkennt man leicht, dass es bemalter Alabaster ist, der Pfirsich dagegen ist nicht als Stein zu erkennen, solange man ihn nicht berührt. Es sind diese Dinge, die es erstaunlicherweise in Deutschland nicht gibt, und die deshalb noch als echte Mitbringsel gelten dürfen. beliebt sind sie dagegen in Amerika, und ich muss sagen: Da haben unsere Freunde wirklich mal Geschmack.

Für mich, der ich ohnehin allergisch auf so manche Frucht reagiere, sind dieses Steinobst ein Segen: ich kann immer eine volle Fruchtschale haben, die nie fault und nie gegessen werden muss. Es ist im Übrigen, Touristenfalle hin, Amerikaner her, gar nicht so arg teuer in San Gimignano: Als eine italienische Bank in München vor 15 Jahren solche Dinge als Nebengeschäft im Angebot hatte, waren die Früchte sehr, sehr viel teurer. Und auf lange Sicht sind sie Kosten zu vernachlässigen, solange sie keine Wurfgeschosse im Ehekrieg werden.



Es ist ökonomisch, und es ist natürlich auch ökologisch. Kein Dünger und Insektizid, kein Transport über die halbe Welt, und kein Abfall. Dick wird man damit auch nicht. Bleibt nur die Frage, die ich mir daheim stellte: Warum zum Teufel habe ich nicht gleich mehr gekauft?

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Montag, 3. Mai 2010

Wie Muttern

Im zunehmenden Alter bemerke ich an mir Seiten, die ich so früher an mir nicht finden konnte. Nehmen wir doch einfach mal dieses Paar Schuhe, dessen Ladenpreis beim gut 20-fachen dessen liegt, was für chinesische Herrenschuhe zu bezahlen ist:



Ich bin da ein wenig wie jener Okkultist, der sich Kreuze in die Schuhsohlen schnitzte, um bei jedem Schritt auf ein Symbol der Kirche zu treten. Ich habe gern eine Schicht Italien zwischen mir und dem Rest der Welt. Und je besser dieses Italien ist, desto lieber habe ich es dort. Heute räumte ich die Schuhe ein, zu den anderen, sehr guten Stücken, mit denen ich meine innere Imelda befriedige. Und die ich alle nicht getragen habe. Über einem Preis von 250 Euro, das ist meine Feststellung, denke ich mir, dass es jetzt zu schade ist, diese und jene Schuhe zu tragen, das könne man doch nicht tun, die seien etwas für besondere Anlässe, die dann aber nie in der Menge kommen, als dass es die Existenz dieser Schuhe rechtfertigen würde. Praktischerweise sind Stofftaschen dabei, mit denen man das ungetragene Elend vertuschen kann. Es ist kein schöner Zug, es ist kein hedonistischer Zug, es ist kein Luxus, es ist eigentlich nur doof.

Und wenn es so weiter geht, sitze ich bald mit einer angestossenen Tasse vor einem nicht passenden Teller und esse Kuchen mit einer Nirostagabel.

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Sonntag, 25. April 2010

Ein Herz für misshandelte Missgeburten

Ich brauche, wie hier allgemein bekannt sein sollte, brauche ich kein neues Fahrrad mehr. Auch kein Rocky Mountain, da habe ich schon das allererste Vertex. Man kann sagen: Ich habe mehr als ein Rad. Man kann auch sagen: Es ist zwar nett, wenn hie und da früher extrem teure Maschinen für Baumarktpreise auf den Markt kommen, aber es sollte auch nett für andere sein.

In dem Jahr, in dem mein Vertex für die Kleinigkeit von 2795 Mark allein für den Rahmen auf den Markt kam - ohne Gabel, wohlgemerkt - gab es auch eine etwas billigere Version, den Thin Air, der mit 2200 Mark aber auch schon, wie der Name es ausdrückt, preislich recht hoch angesiedelt war. Und genau so ein Thin Air hat sich damals jemand aufbauen lassen, mit dem, was 1993 so schick war: Von Syncros die Stütze, der Vorbau und der Lenker, damals exotische Magurabremsen, Ceramicfelgen, geflochtene Speichen und letztlich die auch heute noch reichlich obskur aussehende Girvin Elite Parallelogrammgabel. Mit Titanfeder. Nur bei der Kurbel wurde etwas gespart, aber auch so ist das Ergebnis, sagen wir mal, gewöhnungsbedürftig:



Grossbild

Nach ein paar Jahren wurde es durch ein GT ersetzt, und dann vor allem im Winter gefahren, was den Lack zersetzt und das Aluminium oxidiert hat. Es ist in einem schrecklichen Zustand, gar nicht mehr schön, aber ich sah es und dachte mir: Es gibt maximal 20 93er Vertex in Deutschland, und damals in meinem Radladen genau 1 Thin Air - davon gab es auch nicht mehr als ein paar Dutzend, schliesslich wurden die in Kanada handgeschweisst, und die Firma hatte enorme Lieferprobleme. Damals musste man um die Rahmen betteln, so begehrt waren sie. Der Spass hat, so wie er dasteht, sicher über 5000 Mark gekostet, damals war es ein Sport, der noch so richtig ins Geld ging. Und morgen fahre ich nach Italien und kann auch nicht auf den Flohmarkt in Pfaffenhofen, mein Geld unter die Leute bringen.

Also fuhr ich in den Münchner Süden, sehr klischeemässig, und rettete das nun wirklich nicht schöne Stück aus der Garage vor der Vernichtung als Stadtrad unter einem Studentenhintern, dem ein Baumarktrad zu teuer ist. Platz ist ja noch genug da. (und weitere Fragen zu Sinn und Zweck finde ich unhöflich)

Nachtrag: Leicht geputzt und entdreckt, ein paar Aufkleber weniger und mit neuen Reifen ist es immer noch gewöhnungsbedürftig.



Aber besser.

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Samstag, 17. April 2010

Reste in Kisten

ich kaufe ungern etwas, weil ich es brauche. ich kaufe, wenn ich denke, dass ich es brauchen könnte. Wenn ich es dann habe, stellt sich entweder heraus, dass ich es gebraucht habe, oder doch bald, dass ich es gebraucht haben werde. In meinem Schlafzimmer etwa stand ein Drittstuhl in einer Ecke, wo er hin passte. ich hatte ihn auf einer Auktion gekauft, wo ich den ganzen Nachmittag darauf sass, und keine Lust hatte, ihn mir unter dem Hintern wegkaufen und wegnehmen zu lassen. Jahrelang also stand er in der Ecke, sah dekorativ aus, hatte keine Funktion, aber störte auch nicht.

Bis meine Mutter jüngst auf den Telefonstuhl neben der Biedermeierkommode wies und fragte, ob ich davon noch einen Zweiten hätte. Mit einer symmetrischen Aufstellung sähe der ganze Bereich doch sicher harmonischer aus. Der Stuhl in meinem Schlafzimmer passte nicht ganz genau, aber in Farbe, Form und Holz dennoch gut zu den anderen Stücken. Als ob er nie woanders gestanden wäre. Das sind Momente des stillen Triumphes.

Anderes liegt nicht einfach so rum, sondern wandert in Kisten. Vor über 10 Jahren bekam ich bei der Auflösung eines Fahrradgeschäfts gleich 10 Sattelstützen geschenkt, das Stück damals um die 200 Mark teuer. Inzwischen habe ich nur noch zwei übrig, der Rest wurde beispielsweise am Müsing verbaut, oder verschenkt; ein Bekannter etwa hat ein bleischweres Oparad mit Heylight-Stütze. Und irgendwo, wusste ich, hatte ich auch noch einen fast neuen Selle Italia Campionissimo, ein Sondermodell zur Erinnerung an Fausto Coppi, in Weiss und mit Kupfernieten. Jetzt, mit dem Colnago und dem eher hässlichen Komfortsattel aus chinesischer Produktion, hatte ich, nach vielleicht 15 Jahren, endlich das passende Rad dazu.



Als ob er dafür gemacht worden wäre. Manchmal frage ich mich, ob der "mobile Mensch" nicht einfach eine Erfindung der Konsumgüterindustrie ist, um ihren Absatz zu fördern, denn mobile Menschen können keine Vorräte anlegen, müssen immer auf schmales Gepäck achten, sich reduzieren und gleich wieder neu kaufen, können nicht lagern und warten, füllen Müllberge und Auftragsbücher, sind immer neu und trotzdem passt nichts richtig zusammen, weil nie alles gleich neu ist. Es gibt keine Reste in Kisten, auf die man zurückgreifen kann. natürlich spart man sich damit aber auch die entnervte Suche, die ich heute in den Holzlegen hatte.

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Donnerstag, 15. April 2010

Der essentielle Ernesto

Es begann vor ein paar Wochen am Gardasee.



Wir fuhren heim, und auf dem Gepäckträger war ein Rad. Nur ein Rad. Es hätten auch zwei sein können, aber leider war das gebrauchte Moser-Rennrad in diesem anderen Radladen zu gross für meine nicht wirklich langen Beine. Und wie es nun mal so ist: Man denkt an das schreiend bunte Ding zurück, und dann fahren sie einem auch schon entgegen, die de Rosas, die Bassos, die Tomassinis und die Colnagos, die klingenden italienischen Namen, idealerweise ausgerüstet mit Campagnolo, alles italienisch, so wie man es schon früher immer gern gehabt hätte. Als Schüler, als schon ein Rad für 1000 Mark eine Investition war. Heute bekäme man für 500 Euro keinen guten Rahmen aus Italien mehr, da gibt es nur noch Zeug aus Fernost. Ich fuhr also die Gardesana hinunter und dachte, vielleicht schaue ich mich doch mal nach einem ordentlichen Colnago um. Aus Frust heraus wurde es dann doch ein gepflegtes Müsing mit Shimano 600. Bis dann heute morgen mein Auge eigentlich auf einen Verkäufer von Berglaufrädern gefallen ist, und dessen Berglaufräder wiederum waren an dem hier:



Grossbild

Das ist ein Colnago Mapei Dream, gebaut ungefähr 2000. Mit der fast kompletten Chorus-Gruppe von Campagnolo. Ein papageienbunter, italienischer Kindertraum. Und weil der Besitzer wegen eines neuen Mountainbikes das Rad nicht mehr fuhr, gab es das quasi als Dreingabe zu den (hier nicht abgebildeten) Berglaufrädern. Heute habe ich keinen Frust mehr, es geht mir blendend, da nehme ich das doch gerne dazu.



Er ist, zugegeben, in einer harten Farbgestaltung. Es ist kein dezentes Rad, es verbirgt nicht seine Herkunft, nicht weniger als 17 Mal findet man darauf den Namen von Ernesto Colnago. Es gehört ein gewisses Selbstbewusstsein dazu, so etwas zu tun, aber Colnago ist halt der Traum vieler Kinder, da kann man sich das schon leisten, wenn aus den Kindern Männer wurden, die endlich die weit mehr als 3000 Euro auf den Tisch legen können, um sich den Traum zu erfüllen.



Schliesslich ist alles dran, was man haben möchte. Campagnolokurbeln zum Beispiel, mit ihren unnachahmlichen Oberflächen, die man sofort erkennt. Gedichte in Aluminium, Spitzenwerke italienischer Formgebung. Schwerer, teurer, aber eben auch schöner als der Krempel aus Fernost. Ein Fanal gegen den Fetisch Zweckmässigkeit.



Da sind die Laufräder von Campa, mit ihren hohen Felgen, den Messerspeichen und den klassisch geformten Naben, die von ihrer Grösse her recht gut zum voluminösen Rahmen passen. Der ist erheblich dicker als der Müsing: Auch aus Aluminium, und wenn man genau hinschaut, ahnt man auch, warum er so bunt ist:



Mit den dicken Schweissnähten und den gebeulten Rohren ist er nackt vielleicht doch nicht so schön wie das Müsing. Das Colnago ist brutal zerklüftet und nicht wirklich klassisch. Absolut kein Vergleich zu einem alten Stahlrahmen. Aber darauf kommt es nicht an, es ist ein sehr steifer und leichter Rahmen mit sehr schönen Komponenten, bis auf:



Die Carbonteile. Leider wurden die originalen Bremsschaltgriffe aus Aluminium gegen die Exemplare der höchsten Gruppe von Campa ausgetauscht. Und die sind aus Carbon, leicht und stilistisch nicht passend. Wie auch die Carbon-Sattenstütze.Aber - egal.

Warum noch ein Rennrad, wird die schnöde Vernunft jetzt fragen, die schon an Teekannen leidet, und die Antwort; nun, die lautet: Irgendwann muss es eben ein Edelitaliener mit Campa sein. Und in meinem Keller am Tegernsee ist noch viel Platz.

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Sonntag, 28. März 2010

Hässliche Männer und eine hässliche Geschichte

Seit Jahr und Tag fahre ich nun in Mantua an einem Fahrradgeschäft vorbei, in dem die üblichen italienischen Renner im Schaufenster stehen. Nicht dass ich einen bräuchte, und so schaue ich nicht genau hin, und gehe froh meines Weges. Diesmal aber war zufällig in der Nähe ein Parkplatz frei. Diesmal blieb ich stehen. Diesmal las ich das Schild Occasione unter einem Rennrad. es war ein gebrauchtes Moser Leader AX, ein muffenlos verlöteter und verschliffener Traumrahmen der frühen 90er mit einer billigen Campagnologruppe, und für 250 Euro zu haben. Allein der Rahmen kostete damals 1800 DM. Und wäre der Rahmen nicht definitiv 2 Zentimeter zu hoch gewesen - hätte ich es genommen. Ich überlegte und dachte nach, ich unvernunftete in Gedanken und tatete rational. Und liess ihn hässlicherweise stehen.

Am Wochenende hatte ich etwas Zeit, und jemand meinte, ich sollte mir mal die Ebay-Kleinanzeigen anschauen, die gerade dabei sind, dem Auktionshaus in manchen Bereichen den Rang abzulaufen, weil viele Nutzer von den hohen Gebühren genervt sind. Idealerweise betrachtet man das bei Dingen, mit denen man sich auskennt. Warum nicht Räder? Und ganz oben stand, gleich bei mir um die Ecke, ein 97er Müsing Cayo, in weinrot und trotz Alurahmen immer noch in schlichter Anmutung, für 13% des Neupreises, eher selten und nur bei gutem Wetter gefahren, leicht verbessert und zufällig in meiner Rahmengrösse. Und diesmal dachte ich mir: Siehste, es ist manchmal doch gut, enthaltsam zu sein. Zumindest im ersten Moment.



Abgesehen von meinem Entsetzen darüber, wie wertinstabil inzwischen auch hochwertige Räder in erstklassigem Zustand sind: Ich bin noch immer kein Fan der verbauten Shimano-Ultegra-Gruppe, es ist mir irgendwie zu einfach und zu normal, aber es ist das, was ich für die Berge gut brauchen kann. Tuningmassnahmen lohnen sich da nicht mehr wirklich, das Gerät wiegt schon unter 9 Kilo. Für den Hausgang brauche ich dagegen diese Sammlung von wenig erbaulichen Gestalten des 16. und 17. Jahrhunderts:



Irgendwer hatte da ein Faible für die Täter und Betreiber der grossen Religionskriege von 1520 bis 1648. Ich weiss, warum ich mir den Wallenstein und den Gustav Adolf ins Haus hänge, sie passen perfekt in eine grössere Lücke und thematisch zum Gebäude, aber manchmal frage ich mich schon, was den Vorbesitzer so antrieb, ausgerechnet solche Herrschaften zu rahmen.

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