: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Mittwoch, 12. Januar 2005

Vorschauzeit

Letztes Jahr in Frankfurt, als ich überraschend eine Lesung auf der Buchmesse machen durfte, hiess es allerorten: Die junge deutsche Literatur kommt wieder, ja sicher. Man habe diejenige und den da und mit einem dritten werde schon verhandelt. Angeblich, munkelte man, sei die grosse Post-Pop-Literatur-Krise vorbei; dieses Ding, von dem ich bislang eigentlich noch nichts selbst mitbekommen habe ausser dem Flennen einiger Päderasten-Ideale, die trotz Jubelarien in den üblichen verdächtigen Fäuletons nur Absatzzahlen im niedrigen dreistelligen Bereich aufweisen konnten.

Jetzt ist Januar, und die Vorschauen trudeln ein. Und es schaut schlecht aus. Ganz wenig junge deutsche Auroren - nie war es leichter, als das wichtigste deutsche Debut dieses Frühjahrs in einer Zeitung, bei einem Preis oder einer staubtrockenen Akademie für angewandtes Hirnfickertum im inzestuösen Kontext zu gelten. Ein paar Leichtgewichte von den üblichen Literatenschulen, hier und da ein Preisträger, und in allen Taschenbuchverlagen die wässrige Hoffnung, aus den 03er Pleiten doch noch den einen oder anderen Euro rauszuquetschen. Zweite Hälfte 04 war ganz, ganz schlimm, wurde mir heute zugetragen. Und die Verlage sourcen das Autorentum eben in die USA zu Produktschreibern aus, die nachweislich die Märkte bedienen können.

Wird Zeit, dass sich ein gefrusteter und geschasster Verlagsboss als der Timm Renner der Buchbranche produziert und etwas Reisserisches wie "Ihr Kinderlein kommet - Geständnisse eines Debutantenpenetrators" publiziert.

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Montag, 10. Januar 2005

Das ziehen wir ganz gross auf

Nur nicht dran denken, was früher war. Es geht um die Zukunft, nur um die Zukunft. Und jetzt ist es günstig, die Mauern sehen noch, den Rest, die Erinnerung reissen wir raus und setzen was Neues rein. Für den alten Käse gibt Dir keiner was, nur wer vorran marschiert, wird es zu was bringen. Ein Schuttcontainer, die Wände spachteln, Laminatparkettimitation rein, und fertig isses. Das wird ganz gross, sage ich Dir.

So hat das wahrscheinlich vor vier Jahren geklungen, als sie sich über den Komplex hergemacht haben. Der Prospekt zumindest klang nach diesen nassforschen, kumpelhaften Händereibern, denen das Wort "Macher" wahrscheinlich schon bei der Geburt in die Hoden tätowiert wurde. Die eine Hälfte ist fertig, die andere noch nicht, leer sind sie beide. Und Steuern hat auch keiner der Investoren gespart, weil die aufgenommenen Kredite jetzt bedient werden müssen, und das wird wirklich teuer.



Draussen rosten die Container, drinnen schimmelt der Beton unter dem feuchten Müll. Noch ein, zwei Jahre in diesem Zustand, und man wird es wegreissen müssen, und mit den Mauern fällt dann auch die Erinnerung an das, was hier früher mal ein anderer Grössenwahnsinniger hinstellen liess. Einer von denen, die das aktuelle Objekt gross verkaufen wollten, soll einige Fragen seitens gewisser staatlicher Stellen beantworten müssen; so hört man zumindest; ein anderer macht laut Homepage angeblich andernorts Consulting und Projektentwicklung.

Was man bekanntlich ganz gross aufziehen kann.

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Sonntag, 9. Januar 2005

Ich habe keinen Fernseher

und wenn ich das hier lese, bin ich auch froh drum. Man kann alles irgendwie vermarkten, auch Monsterwellen. Warum nicht. Geschäft ist Geschäft.

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Freitag, 7. Januar 2005

M - da ist sie wieder,

die herzerfrischende Dummheit dieser Stadt mit ihren handylogorumreichenden Frauen, die sich stundenlang im Cafe mit dem Aufklappem und Zuklappen der Dinger beschäftigen können. Früher brauchte man Zigaretten zum spielen und befummeln, jetzt ist es der Klingelaparat. Sie reden über Escada und über Altersvorsorge, über die Immobilenpreise und mögliche Gehaltssteigerungen. Tief wie eine Pfütze Erbrochenes, weise wie ein Bild-Horoskop. Alles geht seinen gewohnten Gang in der einzigartigen Munich Area.

Und dann gehen sie, ihrem Schicksal, ihren Freunden, ihren Anlageberatern entgegen und an viel freiem Büroraum vorbei, und glauben, dass alles besser wird, 2005. Münchens PR-Tanten sind schon was einzigartiges.

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Dienstag, 4. Januar 2005

Brutstätte der neuen Menschen

Ein Stück Atlantikwall mit Schiessscharten (Blow away your Competition), einige Ecken und Kanten (Personality), ein Hauch Dekonstruktivismus (neue Wege gehen), und das alles in deuerhaftem Material (Nachhaltigkeit ist ein Top Issue),



fertig ist dieses Eck der Ausbildungsstätte für diejenigen, die die Zukunft gestalten werden. Nicht meine Zukunft, zum Glück. Das gehört zu den Elitessen 2. Ordnung; die der ersten Ordnung sitzen in einem ehemaligen Gebäude von christistischen Missionaren.

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Montag, 3. Januar 2005

Elitesse 2. Klasse,

B-Elitesse oder vielleicht auch Sub-Elitesse, so könnte man zu denen sagen, die am anderen Ende der Altstadt ihr Domizil haben. Ein der Fachhochschulen, auf die Bayern so stolz ist. Mit den echten Elitessen teilt man sich die Bibliothek – und in gewisser Weise auch das Menschenbild:



Wobei, die hier residieren in einem postkonstruktivistischen geschichtslosen Stahl-Glas-Betonquader-Areal, das alles mögliche vom psychiatrischen Krankenhaus über die Geflügewlzucht bishin zum Sektenhauptquartier sein könnte. Davor aber hat das (Fach)- Hochschulmarketing an der Bushaltestelle diesen Idealtypus gesetzt, diese neuen Menschen mit dem offenen, makellosem, nichtssagendem und bedeutungslosen Blendax-Antibelag-Lächeln, das früher auf keiner Team-Seite der Startup-Homepages fehlen durfte.

Es ist die Ikonographie des Wirtschaftswahnsinns, weltenfern vom Dreck alter Wir-packen-es-an-Kampagnen, die noch Geschichten zu erzählen hatten. Heute gibt es nur noch Glas und Stahl als Deko für ein Lächeln und einen Claim, der aus der Werbeabteilung der Bild-Zeitung stamnmen könnte. Aber das ist wohl wirklich die Zukunft; einfach, klar, und immer irgendwo eine lächelnde Blondine, die das Sanierungskonzept durchzieht, das durch das Totalversagen anderer lächelnder Menschen notwendig wurde. Kein Klischee, innendrin, im Gebäude, sehen sie wirklich so aus. Also, wer sowas sucht, der findet es hier.

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Sonntag, 2. Januar 2005

Offline in der Provinz

Der Freistaat hatte grosse Pläne mit den Internet. Virtueller Marktplatz Bayern, Bürgernetz, mit diesen Begriffen und Multimillionen-Subventionen sollte ein virtuelles Wunderland aus dem lehmigen Boden gestampft werden, wo auch der letzte Bauer zum Erzeuger, Marketingspezialisten und E-Commerce-Entrepreneur werden sollte.

Die Städte, zumal die reicheren, wurden gehalten, selbst vergleichbare Institutionen zu schaffen. Und weil man in dieser Provinzstadt meinte, dass auch ein paar Brosamen für sozial benachteiligte Kinder abfallen sollten, stellte man ihnen eine Art Internet-Cafe hin. Es bekam Räume im Erdgeschoss eines restaurierten Hauses, dessen in der Stadt durchaus angesehener Pojektträger eine Weile gewisse Probleme hatte, die Räume zu vermieten.

Dort nun konnten sich die sozial Schwachen 5 Tage die Woche unter Aufsicht von ABM-Kräften ihrer Entwicklung zum E-Bürger widmen, surfen, downloaden, bei der Arbeitsagentur reinschauen und feststellen, dass es auch hier für sie nicht allzu gut aussah. Aber immerhin konnten sie für lau ins Netz, die Technologien wie Chatten und Email erlernen, und hingen so nicht auf der Strasse herum, um so auszusehen, wie sich der typische braune Lokalpolitiker den türkischen Rabauken vorstellt.

(Nur ein Hinweis in Sache Rabauken: Die Provinzstadt beschäftigt einen speziellen Ordnungsdienst, der das Ausspucken von Kaugummi und ähnlichem mit Geldbussen belegt; Abiturfeiern mit einem Lärmpegel von mehr als 70 db im Stadtpark haben einen Aufschrei in der Lokalpresse und verstärkte Polizeipatroullien zur Folge, Sprayer, Tagger oder Street Culture hatten hier noch nie eine Chance, und Autos beschädigen hier allenfalls lokale CSU-Grössen, die beim Ausparken mit 2,5 Promille das Lenken vergessen, aber das Gaspedal voll durchdrücken, weswegen dann ihre Töchter zwei Monate lang versuchen dürfen, deren Mercedes Combi um die Strassenrandbegrünung zu wickeln, für die sich ihre Väter so stark eingesetzt haben - hier läuft alles wieder zusammen, aber nein, Rabauken gibt es nicht).

Nun, letztes Jahr gab es da einen neuen Stadtratsbeschluss, analog zum reduzierten Interesse der alleinseligmachenden Staatsregierung am Internet, und deshalb sieht das Internet Cafe für die Jugend jetzt so aus:



If you can´t bill it, kill it, werden sie sich im Stadtrat gedacht haben. Die Begründung dürfte so gelautet haben: "Inzwischen, ned woa, hod ja a jeda von dene a sowas dahoam, as Indaned hod se sein Plotz in da Geseischoft erobat, so wia bei uns jo a, schaugns nua amoi die schena Fraims auf unsane Seidn o, oiso, i moan, mia hom echt wos damit gschoft, olle Ziele san erreicht, oba etzad miassn mia de Mittl ondast verwendn..."

Die Gymnasiasten und Realschüler haben weiterhin das Programm Schulen ans Netz, und daheim steht auch so eine Kiste, die ihre Eltern nicht bedienen können, und sie werden auch nie die DivX mit all den nackten Frauen finden. Internet braucht keiner mehr, weil schon genug Leute in dieser Stadt für viel teures Geld zum Multimediahansel umgeschult wurden. Eigentlich, sagen die Stützen der Gesellschaft, wollten sie das Internet ja nie nicht haben, sie verstehen auch nicht, was es soll, und was daraus wurde, das sehen sie ja, wenn sie in ihre Depots schauen, alles voller EM.TV und Brokat, hoit na, de Brokat san ja pleite, solchene Hund - und deshalb stimmen sie auch überein, dass der Türke doch bitte was anständiges lernen soll, statt auf Kosten der Allgemeinheit sich im Internet rumzutreiben. Ansonsten hat man immer noch das Bürgernetz, mitsamt eigenem Haus in der Altstadt.

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Dienstag, 28. Dezember 2004

JWD

Während andere Städte und Regionen die New Economy als rettenden Strohhalm ansahen, war sie in der Provinz etwas, das man sich eben auch noch leistete - schliesslich war das damals schwer in Mode, und bei solchen Themen wie Innovation und Fortschritt sind die hiesigen Politiker immer vorne mit dabei. Existenzgründerzentrum. Gründer- und Technologiezentrum. Man will ja mit der Zeit gehen.

Nur... wohin damit? Die Provinz ist verschlafen und will das Zeug nicht in den Stadtmauern sehen. Also lieber hinaus damit, an die Autobahn, ins neue Industriegebiet, auch der guten Anbindungen wegen; ausserdem kann man dort so bauen, wie die Zukunft nun mal aussehen soll; voller Licht, Glas und Stahl, passend und noch etwas hübscher als die Raffinerie dahinter.



Gleich nebenan entsteht ein Factory Outlet Center, das die gleichen Politiker nach jahrelangen Kämpfen durchgesetzt haben. Im Moment macht es aber den Anschein, als hätten die Investoren den Mut verloren; der Bau stockt angeblich, und die Prognosen sind nicht wirklich vielversprechend.

Zukunft made in Bavaria.

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Sonntag, 26. Dezember 2004

Zielgruppensensitive Werbung

"30 und noch am arbeiten? Jetzt Online Lotto spielen bei Tipp(undverlier, anm.d.red.)24.de - Lotto im Internet. Clever gemacht."

Steht ganz oben bei den Anzeigenlinks - der Wirtschaftswoche im Internet. Früher spielte man in diesen Leserkeisen das russische Venture-Roulette, heute dagegenscheint die kleinere , staatlich lizensierte Totalverlust-Variante en vouge zu sein. Wenn sie noch die Worte "smart" und "Capital" reinbringen würden, hätten sie sicher eine noch bessere, ach was, optimalere Willingness 2 Click.

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Samstag, 25. Dezember 2004

Sweet Memories

Was wurde aus Rita und ihrer geplanten Karriere beim Film? Ist Claudia, die Tochter des Apothekers, nach ihrer Scheidung von dem Idioten endlich reif für das, was man vor 12 Jahren an diesem einem Sommerabend so kläglich vergeigt hat? Werde ich je begreifen, warum sie ihre Flügel freiwillig stutzen?

Es ist dieses primitive Ritual, das sie für diese eine Nacht nochmal an die Städten ihrer Jugend treibt, wenn sie in der Christmette (die Religion ist so grattlig wie ihre Buzzwords) waren, oder, wie die, die mir lieber sind, auch nicht. Es ist Hexensabbath, ein einziges Mal gehen sie mit dem Vorsatz raus, es nochmal zu erleben, es nachzuholen, wass immer sie auch verpasst haben. Heute Abend sind sie alle nochmal jung und zu haben, heute Abend werden sie noch einmal die Rebellion gegen das Leben wagen, dem sie hier nie mehr entgehen werden. So ist das hier in den frühen Stunden des 25. Dezember.

Allein dafür hat sich die Fahrerei in die Provinz gelohnt.

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