: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Donnerstag, 13. September 2007

Unterlassene Hilfeleistung

Kennt jemand diesen Reflex, wenn man etwas schlimmes sieht und sofort weg will, schnell weg, obwohl gerade jetzt Hilfe gebraucht wird? Diese Sekunde, die in den eigenen Abgrund blicken lässt und die alle Behauptungen, natürlich würde man - Beispiele: den Juden im 3. Reich helfen, keinen Verletzten liegen lassen, dem Asylbewerber gegen die Skins unterstützen - verlogen und heuchlerisch erscheinen lassen? Bis das überwunden ist, ist man glücklicherweise schon meist mittendrin im Geschehen, da ist etwas, das einen vorantreibt, auch wenn man, sobald das Blaulicht verschwunden ist, über die Leitplanke das Innerste in den Strassengraben kotzt und monatelang Alpträume hat. So ging mir das schon mehrfach, und letzten Sonntag auch mit einem alten Haus, das mir von aussen sehr gut gefallen hat.



Das Schlimmste ist auf den ersten Blick schon gemacht, der Dachstuhl ist von modernen Verbauungen und Dreck befreit, und die morschen Balken sind kunstfertig ersetzt. Aber ein Stockwerk tiefer ist ein Riss in der fast ein Meter dicken Mauer, durch den man den Himmel sieht. Dieses Haus ist angesichts seiner paar kleinen Zimmer eine Ansammlung schlimmsten Horrors, seit ungefähr 80 Jahren gnadenlos runtergewohnt und mit keinem finanziell sinnvollen Aufwand zu retten.



Die schönen Räume sind wie so oft im hellen Speicher, aber da gibt es ein Problem: Die Raumhöhe ist bei 1,90 Meter. Wenn erst mal eine richtige Decke drin ist, wird es noch niedriger sein. Es drückt auf das Gemüt, und würde ich es besitzen, ich wüsste nicht, was ich damit tun sollte. Es ist wie eine entstellte Schönheit, der Gegensatz zwischen dem, was ist, und dem, was sein könnte, tut weh, weil es nur mit so unendlich viel Arbeit, Mühe, Problemen und Katastrophen geht.



Ich habe solche Balken freigelegt und saniert, ich weiss, wie einem die Hände danach weh tun, und bei mir sind wenigstens auch die niedrigsten Zimmer weitaus höher. Da ist noch herausragende Substanz, aber hier braucht jeder Zentimeter Arbeit, es muss alles dem Vergehen entrissen werden, und das bei nicht wirklich idealer Grundsubstanz. Hier hatte ich diesen Fluchtreflex, nichts wie weg, das würde ich nicht packen, Monate voller Plackerei und ein Ergebnis, das einen für immer einschränken würde. Dachte ich.

Aber die Bilder wurden dann soch so toll, und der Besitzer ist so verdammt stolz auf das, was er geschaft hat, dass ich ihn jetzt doch wieder beneide.

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Ach, Sommer

Jetzt. Am letzten Tag der grossen Besuchsaison, nach zwei Wochen voller Wolken, Regen und Kälte. Man könnte es einen versöhnlichen Abschied nennen, als wollte die Provinz nochmal beweisen, dass sie es kann. Dass es nur ein Versehen war, ein Ausrutscher, und die Verheissung des goldenen Septembers seine unfassbar blaue Berechtigung hat.



Man kann viel tun, um gegen das diesjährige Debakel anzukämpfen. Gestern Abend, die noch leicht warme Tarte Tatin, auf der der Karamel erstarrte; eine Bibliothek, Tee zu jeder Zeit und auch angenehme Stunden im Bad, mit etwas zu lesen und heisser Zitrone, aber das alles, all der Prunk und die Grösse des Stadtpalastes, ist schal und nichtig, wenn einen dann am Morgen alle Kraft und Herrlichkeit aufweckt, und einen herrlichen Tag verspricht.



Am Rande: Der Unterschied zwischen Parvenü und Bourgeoisie, oder auch gut Bürgerlich, wird ganz gut beschrieben durch das, wie man auf kurzfristige Veränderungen im Leben reagiert. Der Parvenü, der mal aus seiner Krisenregion herauskommt und zu Werbezwecken das Dienstbotengebäude eines Herrenhauses bewohnen darf, ist beeindruckt - der Bürger würde selber für das Haupthaus zahlen, weil es da ist, wie bei ihm daheim. Man will dort sein, nicht irgendwo absteigen. Zum Glück jedoch kennt der Bürger bisweilen andere Bürger, die es als Freude betrachten, ihn zu beherbergen. Für den Weg dorthin nimmt er einen älteren, offenen Wagen, den er im Familienfundus vergefunden hat; sich dafür einen Opel geben zu lassen, und den dann toll zu finden, überlässt er dem White Trash, der auch in Containern haust, solange jemand zahlt, für Suff, Awareness und Arschkriechereien.

Es nötig haben, liebe Leser, kommt von Not. Und das ist auch eine Frage der Haltung und Einstellung.

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