: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 5. Juli 2009

Arzberg 2025 oder Meike Kowalskis bayerische Tante

Erinnert sich jemand an Erna Kowalski und ihre Tochter Meike aus Berlin? Nein? Nun, 2005 hat Erna die Grossmutter reichlich rüde ins Altersheim abgeschoben. Kein allzu gutes Altersheim. Die Oma ist inzwischen in der Geriatrie und schon lang vergessen, denn Erna und Meike haben andere Sorgen: Erwartungsgemäss wurde nichts aus dem gut dotierten Job bei einer Werbeagentur, eine Weile schlug sich Meike dann mit Projekten durch, und noch vor Ausbruch der Krise liess sie sich schwängern. Über den Vater gibt es Vermutungen vaginal-vager Natur, aber der Typ, mit dem sie nun zusammen ist, wird wohl eine Weile bei ihr bleiben. Wenn er nicht gerade seine zwei anderen Kinder aus anderen Beziehungen besucht. Ausserdem kommt Mutter Erna oft in Neukölln vorbei, und nachdem man Omas Wohnung in Charlottenburg gerade noch rechtzeitig verkauft hat, kommt Meike die nächsten 10 Jahre durch, wenn sie dem 1-Euro-Laden die Strasse runter die Treue hält. Das sind die wahren Stützen der deutschen Gesellschaft, robuste Kämpfer für den Nachwuchs und die Arterhaltung, kein Wunder, dass sie sich nicht mit diesem dünnen, fragilen Porzellan belasten wollten, als sie Wohnung räumten und ich das Arzbert 1382 für lumpige 20 Euro von jenem Trödler erstand, der es von ihnen bekam.

Zur Beerdigung ihrer angeheirateten Urgrosstante in einer kleinen, dummen bayerischen Stadt ist Meike übrigens auch nicht gefahren. Sie hat auch nichts geerbt, und als ihre Tante anrief, dass sie nun auch am Wohnungsräumen sei, und ob sie vielleicht eine Erinnerung haben wollte, lehnte sie nur genervt ab. Kein Platz in der Hinterhofwohnung im 4. Stock, dem Kind gehe es prima, ja, man komme mal vorbei, das mit der Beerdigung tue ihr leid, aber der Kleine sei krank gewesen, nein, wirklich nicht. Und Meike Kowalskis bayerische Tante nahm eine Tüte, räumte das Porzellan hinein und ging auf den Flohmarkt, wo auch ich war und mich in Gelassenheit übte.



Denn mit einem Sunbeam Supreme Mk III hat man entweder Gelassenheit, oder man krepiert. To cut a long story: Es gibt einen Termin, da der Wagen geschweisste Türen, einen sauberen Lack untenrum und der Besitzer ein unerwartet hohes, aber noch erträgliches Loch im Budget hat, noch ein paar hundert Euro entfernt von dem schlimmsten Szenario, das so schlimm nicht ist. Zudem gibt es aber weitere Unsicherheiten. Da ist beispielsweise das Handschuhfach, das wir als Teetassenablage zu nutzen gedenken. Innen ist es nicht grün, sondern rosa ausgekleidet. In Frankfurt hatte ich Leihgeschirr mit rosa Blüten. Daheim habe ich mindestens ein Dutzend Teeservice. Aber keines in Rosa. Bis ich Meike Kowaslkis bayerische Tante traf.



Die hatte nämlich Ess- und Teeservice von Arzberg dabei. Wenn das Berliner Arzberg-Geschirr, geschaffen von Hermann Gretsch, eine Inkunabel des Vorkriegsdesign ist, ist das, was Tantchen da aufgestapelt hatte, der Inbegriff des Nachkriegsdesigns: Form 2025 aus der Hand von Gretschs Nachfolger Heinrich Löffelhardt, der Sätze prägte wie: "Um Serien produzieren zu können, muss zunächst eine Form da sein, die so gut ist, dass sie es wert ist, vervielfacht zu werden." Ein Satz, den man in feinsten Marmor meisseln und dargestalt den Betreibern von 1-Euro-Läden und für Sozialabbau verantwortlichen Politikern um die Ohren hauen sollte, sowei den Kunden, die wirklich glauben, dass nur das Billige auch gut ist. Damals lohnte sich diese Haltung noch:



Immerhin war da ein leichtes Bedauern bei der Verkäuferin, die mir die Geschichte ohne den peinlichen Berliner Teil erzählte und es auch nicht über das Herz gebracht hätte, wenn sie das Goldrandporzellan in der Spülmaschine ruinierte. Sie sagte, ich sollte es in Ehren halten, auch wenn es billig sei, und tatsächlich, der Preis für alle 34 Teile lag nochmal unter dem, was in Berlin verlangt wurde. Natürlich habe ich nicht mehr verhandelt, natürlich werde ich es in Ehren halten. Ich habe auch schon einen Platz dafür: Im Picnickoffer des Sunbeams. Womit ich mein grünes Enoch Wood am Tegernsee lassen kann, aber das ist eine andere Geschichte.



Die Kanne war übrigens nicht mehr dabei, leider. Auch war ein Teller angestossen. Im Vergleich zum Berliner Exemplar wurde es also tatsächlich auch benützt. Und die Teekanne, die eigentlich für den Autoeinsatz gedacht war, passt auch nicht dazu. Man bräuchte nun so eine runde, schlichte Art-Deco-Kanne, ohne Zierat, mit einem geschwungenen Griff und einem abgesetzten Fuss, damit sie unten nicht so heiss wird.

So eine Kanne, wie ich sie zufällig letzte Woche in England bestellt habe. Nein, billig ist es alles nicht, und dafür, dass ich nach der Überführung gerade mal 50 Kilometer gefahren bin, 25 aus eigener Kraft und 25 auf dem Abschleppwagen gefahren bin, war es ein teures Vergnügen. Ich ziehe jetzt also den Neupreis des Arzberg 2025 von den Gesamtkosten ab. Schon lacht mir wieder die Sonne, und ich sehe es so rosa wie den Rand der Teller. Das Leben ist schön, und in vier Wochen, wenn der Schweisser aus dem Urlaub zurück ist und alles gemacht hat, wird es noch schöner. Für mich. Ich heisse ja auch nicht Meike Kowalski.

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