Materialwert

Alle fragen sich ja, wann die Krise vorbei ist. Ich denke, ich kann zumindest sagen: Noch ist sie nicht vorbei. Ich habe dafür eine ziemlich gute Berechnungsmethode. Sie basiert auf englischen Teekannen aus Silber, die ich bei Ebay kaufe. Wie beispielsweise letztes Wochenende, als ich in Frankfurt festsass, keinen Flohmarkt hatte und leicht frustriert war. Da war eine Teekanne, die mir gefallen hat, viktorianisch, 1887, 52o Gramm schwer. In der beliebten Form mit den Rippen, einmal sauber gelötet, Ebenholzgriff, neckische Ballenfüsse. Eine Form, die Antiquitätensammler anspricht, weil sie typisch für eine Zeit ist, deren Formen später nicht mehr kopiert wurden. Und obendrein von einem bekannten Silberschmied jener Epoche.



Ich habe sie gekauft. Was mich selbst sehr erstaunt hat, denn in den letzten Wochen ist das Pfund gegenüber dem Euro stark angestiegen, weshalb sich der Kauf in England nicht mehr besonders lohnt. Es gab eine Zeit, da kostete der Euro 96 Pence, jetzt sind es nur noch 84. Einkäufe aus England haben sich seitdem also erheblich verteuert. Sollte man meinen. Mein Gebot war in Euro nicht hoch und in Pfund sehr, sehr niedrig. Es blieb das beste Gebot.

Der Kurs des Pfundes ist irrelevant. Ich mache das jetzt seit ein paar Monaten, genauer, seitdem ich bei der FAZ blogge und mir denke, dass dieses Geld vor allem dem Spass und dem Luxus geweiht ist - neben meinen drei Wohnungen voller Antiquitäten, die ich ohnehin schon habe. Vollkommen unabhängig vom Kurs des Pfundes entwickeln sich die Preise nach einem anderen Parameter: Es ist der Preis des Silbers. Alle von mir gekauften Kannen liegen in einem sehr schmalen Rahmen über dem Silberpreis; man muss mit rund 20% Aufschlag rechnen, und in den schlimmsten Zeiten, als die Kauflaune wirklich auf dem Boden lag, konnte man fast zum Materialpreis kaufen.

Und das ist auch weitgehend unabhängig vom eigentlichen Wert der Antiquität. Eine üppigst gravierte Biedermeierkanne von 1827 mit Silbergriff war tatsächlich etwas teurer, aber nicht im Mindesten so, dass sich der Preis signifikant vom Material wegentwickelt hätte. In normalen Zeiten wie etwa 2004/5, als ich sehr viel Besteck kaufte, war das Verhältnis von ideellem Wert zu Materialwert noch mindestens 1:1, das heisst, man bezahlte in etwa das Doppelte des Materialwertes bei einfachsten Stücken, und bei ausgefallenen Stücken vor 1900 das drei- bis sechsfache. Gestern Abend blieb eine Kanne mit Milchkännchen von 1860 liegen - 900 Gramm schwer, mit 191 Pfund blieb sie unter dem Limit.

Was ich auch erlebe: Es gibt kaum britische Käufer. Die steigen normalerweise beim Materialwert aus. Darüber sind die Deutschen (manche Kanne sehe ich in Pfaffenhofen zu verdreifachten Preisen wieder, für die dummen reichen Bayern reicht das), die Franzosen (das Leben ist schön, noch einen Froschschenkeltee?), die Spanier (Schwarzgeld ole!) und besonders die Italiener, wo solche Kannen sehr schick sind.

Wie erklärt man dieses Verhalten? In meinen Augen ist es so, dass die Menschen im Moment einfach nicht bereit sind, Dinge ideell zu bewerten. Was gilt, ist der Materialwert und obendrauf der Nutzwert. Rechnet man das Silber bei der obigen Kanne heraus, bleiben keine 20 Euro für das erworbene System Kanne. Das ist weniger, als eine moderne Blechkanne kostet. Alter, Geschichte, Patina, Design: Wertlos. Es wird einfach nicht bezahlt.

Das muss sich erst wieder ändern. Die Krise ist vorbei, wenn solche Kannen in Deutschland für minimal 3-400 Euro zu haben sind, weil die Briten wieder mitspielen und der Silberpreis gegenüber dem historischen Wert an Bedeutung verliert. Wenn sich Menschen wieder etwas Schönes leisten, Luxus, Lebenfreude, und bereit sind, dafür Geld auszugeben. Mit den Silberkannen kommen auch die grossen Tische wieder, die üppigen Lebensmittel, der Genuss und der Wunsch, mehr zu haben und es auch zu zeigen.

Gestern Abend, nachdem recht viel im Angebot war, und sich bei den Käufern des Kontinents eine gewisse Ermüdung eingestellt hatte, habe ich eine Kanne von 1930 in einer klassischen, zeitlosen Form knapp unter dem Materialpreis erstanden. Es wird noch sehr, sehr lange dauern.

Montag, 29. Juni 2009, 16:29, von donalphons | |comment

 
Es dauert schon seit 1999
Verheiratete Durchschnittsverdiener haben seit 1999 kaufkraftbereinigt ein sinkendes Einkommen, das wurde uns als Aufschwung verkauft. (Quelle: BT-Drucksache 16/8346)

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Warte noch zwei jahre, und das wird uns trotzdem wie der Himmel erscheinen. Da kommt noch was ganz Dickes nach.

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Es wird keine zwei Jahre dauern. Das geht schneller und es wird am härtesten die treffen, die es sowieso schon schwer genug haben. Das ist wie auf einer Hühnerleiter: Wer unten sitzt, bekommt alles ab.

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Sagen wir: Nach der Bundestagswahl geht es los, und dann kommt was Heftiges, abgebremst durch Gute-Laune-Versuche.

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Man kann sogar den Zeitpunkt ganz exakt bestimmen: Es geht innerhalb von einer Minute nach Schliessung der Wahllokale los.

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ich möchte nur mal anmerken, dass man bücher nie - niemals! - _so_ hinlegt! das ist frevel! am materialwert!

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besser als bücherfetisch. wer seine bücher wirklich liebt, der zerliest sie.

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da kommt nichts Dickes nach....das eigentliche "Dicke" kommt erst noch, denn wir verdrängen immer, dass es noch gar nicht hier gewesen ist. Und die Menschen lieben das Verdrängen.
Eben wie beim Zahnarzt. Genau in dem Moment, in dem man denkt "Mensch war´s das schon" ....kommt der echte Schmerz.

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Luxusindikator
.... die induktive Beweisführung zur Konjukturprognose via (Silber)Teekanne ist eigentlich ein subversives Meisterstück. Weshalb, verehrter Don, gibt es dafür nicht eine Kolumne im Wirtschaftsteil unserer Tageszeitungen, in denen es vor Prognostikern, Meinungsforschern und Indikatorgesums nur so strotzt?

Jedoch: was wird hier eigentlich mit dem Dicken Ende heraufbeschworen? Ich denke, solange über Krisen und deren Größe noch öffentlich spekuliert wird/werden kann, sind sie nicht wirklich "da". Gefährlich wirds, wenn die Fakten nicht mehr ausgetauscht werden.

Wer wüßte da beispielsweise näheres zum
Strukturreport, den Herr Tiefensee hat wieder verschwinden lassen?

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Beim Strukturreport geht es einfach nur um die bittere Wahrheit: Fast 20 Jahre nach dem Fall der Mauer gibt es im Osten der Republik trotz der riesigen Finanzspritzen Regionen, deren BIP unter dem von Sizilien und unter dem der französischen Überseekolonien liegt.

Die Empfehlung im Strukturreport war jetzt einfach die, immer knapper werdende Transferleistungen nur noch auf entwicklungsfähige Kerne zu konzentrieren und den Rest einfach sich selbst und seinem Elend zu überlassen.

Diese Abkehr vom Giesskannenprinzip ist richtig, politisch natürlich nicht vermittelbar. Also stellt man sich dem Problem nicht, sondern schliesst den Report weg.

Die besondere Blödheit im Hause Tiefensee lag darin, dass man den Report unbedingt schnell in der Presse haben wollte, ihn aber vorher offenbar nicht richtig gelesen hatte. ;-)

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Es geht nach Westen...
Ein kluger Mann hat in den Achtzigern erkannt, dass die Kreativität und mit ihr die Innovationen westwärts wandern. Von Europa in die USA, dann nach China und Indien und nun da landen wo wir vor kurzem noch die Aufstände erlebt haben: Afghanistan und Iran. Es geht dabei gar nicht um das Wohlergehen sondern um die Artikulation des verfeinerten Geistes in Gestalt einer Neuinterpretation des Bekannten. Das Bekannte ist die Demokratie. Die Neuinterpretation findet dort statt. Ob uns das gefällt oder nicht. Ich nehme an, dass ds DICKE ENDE die Tatsache ist, dass wir zusehen werden, wie neue Entwicklungen im Mittleren Osten uns einfach ohne weitere Beachtung übergehen. Danach käme dann wieder die Levante und Europa und wir wären einmal rum....

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Es ist jugendlicher leichtsinn und völlige unkenntnis, und doch: was kommt, das kommt und man hält es eh nicht auf. Man kann die schäfchen-sofern vorhanden- ins trockene -soweit möglich- stellen und sich bis zur katastrophe zum beispiel am materialwert erfreuen...es gibt religiös-fanatisch angehauchte grüppchen, die warten schon seit jahrzehnten auf den untergang der welt und ängsteln, unken, versauen sich alles, abstinieren und *gott-wer-weiß-was*...und für was...-ich bin ahnungslos, aber glücklich-besonders über den materialwert....

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