: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 1. Januar 2010

Ach ja, 2010.

Würde man mich wirklich fragen, was ich vom Jahr 2010 halte, dann würde ich vielleicht, solange es nicht gerade um mein angenehmes Privatleben gehen, seufzen und sagen, dass ich ihm lieber nicht vorgestellt werden möchte. Dummerweise benimmt sich das Jahr schon am ersten Tag recht schlecht, indem ich es gar nicht übersehen kann, und insofern -

ich wünsche es mir, zumindest für mein Leben und das Leben der wohlmeinenden Leserschaft, dass es wie mein Razesa wird. Das muss man nicht kennen, Razesa war eine in den 90er Jahren nicht allzu unbekannte Rahmenschmiede in Spanien, und schweisst dort noch heute, nur gibt es, soweit ich sehe, keinen Importeur mehr. Wie auch immer, das ist es:



Als ich es vor 17 Jahren zusammengebaut habe, gab es weder Internet mit günstigen Gebrauchtangeboten noch Modelle, die im Herbst schon veraltet waren. Campagnolo hatte elend lange Lieferfristen, gute Rennräder verloren auch bei Benutzung kaum an Wert, und wer sich ein derartiges Rad kaufte, hatte vor, es auch noch nach 10 Jahren zu fahren. Insofern waren die hohen Kosten am Anfang durchaus zu verschmerzen. Wäre man allerdings in ein Radgeschäft gegangen, und hätte man sich dort ein Rad nach eigenen Wünschen bauen lassen - es wäre damals, zumindest für mich als Student, zu teuer geworden. Also musste ich "fonsen", wie Holgi das nennt, mit einem hohen Aufwand ein Ziel erreichen, das anderen belanglos erscheint.



Es ist nämlich nicht so, dass man sich einen Rahmen und eine Komponentengruppe kauft, und dann hat man "das Rad". Jede Firma baut bessere und schlechtere Dinge, entscheidend ist, dass man das Optimum für seine eigenen Bedürfnisse findet und zusammenbaut. Campagnolo etwa baute damals die wunderbare Croce d'Aune-Gruppe, ein heldenhafter Versuch, den Schrägparallelogrammwerke der Japaner mit einem pleuelgesteuerten Schaltwerk klassischer Form etwas Besseres entgegenzusetzen. In meinen Augen ist dieses Schaltwerk - 1990 400 Mark teuer - immer noch das beste und gleichzeitig schönste Rennradschaltwerk aller Zeiten. Ich kann das sagen, denn ich habe auch ein Mavic, ein C-Record und ein Super Record, ein Superbe Pro, ein Paul (totaler Schrott übrigens), ich kenne Dura Ace und XTR - es gibt keine bessere Konstruktion, keinen grösseren optischen Genuss als das pleuelgesteuerte Croce d'Aune. Eine Schande, dass sie es nur zwei Jahre gebaut haben.



Von dieser Gruppe bekam ich einige Teile halbwegs günstig, weil ein Kunde nur die Bremsen kaufte. Ich hatte den Umwerfer, die Kurbel und das Innenlager, und wollte einen Rahmen. Dass es der Razesa aus eher günstigem Columbus Cromor wurde, lag an ein paar eher unerfreulichen Erfahrungen mit dem SLX-Rohrsatz des gleichen Hauses: Das ist leichter, aber ziemlich am Rand dessen konstruiert, was mechanisch möglich ist. Ich war einmal dumm mutig genug, mich auf meiner aus SLX gebauten Zeitfahrmaschine mit 100 km/h einen Berg am Gardasee hinunter zu stürzen, und wenn die Strasse dann nicht gut ist, bekommt Rahmenflattern eine sehr ernste Bedeutung - also nahm ich das 0,1 mm dickere Cromor. Man wird auch nicht dümmer jünger. Und mit dem Razesa wollte ich explizit die Kochelbergstrecke runter. Wenn man da einen fetten Arsch einer E-Klasse überholt und schnell wieder reinziehen muss, weil Gegenverkehr kommt, muss der Rahmen stehen. Billig - war er trotzdem nicht. In Berlin, habe ich gesehen, gibt es ein Geschäft, das dieses Rahmen heute gebraucht verkauft, für 100 Mark mehr, als meiner gekostet hat.



Den Umwerfer und das Innenlager habe ich von Campa genommen, aber die Kurbel - die war mir dann doch zu dick auftragend. Ich fand statt dessen die Kurbel, von der ich sagen würde, dass sie nach der Mavic 631, der alten Super Record und den Cooks Kurbeln die Schönste und für meine Zwecke die Beste war: Die Superbe Pro von Suntour. Das Finish ist nicht schlechter als bei Campagnolo, sie ist auch heute noch ein Leichtgewicht und von einer sagenhaften, schlichten Eleganz, die nir veralten wird. Ausserdem konnte man sie mit 52 und 38 Zähnen bestücken. Und das bedeutete, dass man hinten die Ritzel ganz fein bestücken konnte, mit individueller Entfaltung.



Es gibt ja Leute, die behaupten, es gäbe heute Schaltungen mit über 20 Gängen. Wenn man aber nachrechnet, sieht man, dass viele Gänge Doubletten sind. Was wir damals bauten, waren extrem eng gestufte Ritzel mit 12, 13, 14, 15, 16, 19 und 24 Zähnen. Man kann erst auf dem grossen Blatt die fünf kleinen Ritzel durchschalten, geht dann auf das kleine Kettenblatt und fängt wieder beim 12er an. Es ist eine echte 12-Gang-Schaltung, und sie reicht für alle Belange. Natürlich musste man rechnen und Ritzel extra bestellen und zusammenbauen. Aber man konnte über Idioten lachen, die mit ihren Mountainbikes nur 10 echte Gänge hatten, und auch nur dann, wenn sie dauernd den Umwerfer betätigten.



Das bedeutete natürlich auch, dass wir keine fertigen Kasetten an den Naben hatten. Oder handelsübliche Naben. Räder von der Stange hatten damals Konuslager, gekreuzte Speichen und schwarze Felgen. Ich baute mir die Räder selbst, mit Mavicnaben, die auch heute noch besser sind als das meiste, was man von der Stange bekommt. Ich speichte radial ein, ich nahm dünne DD-Speichen und die leichteste, silberne Aerofelge, die auf dem Markt war. Es war am Ende nicht billiger als Räder von der Stange. Aber seitdem musste ich nichts mehr daran ändern.



Ich verbaute einen walzengelagerten Promaxsteuersatz, bei dem man in 100 Jahren vielleicht mal die Laufflächen der Walzenlager wird austauschen müssen, Lenker und Vorbau von Cinelli, die ich in einer Kiste fand, ich war bei den Bremsen nicht doktrinär und griff zu Shimano, denn Sicherheit ging vor. Aber ich feilte und schmirgelte sie in Heimarbeit ab und brachte sie bis in den letzten Winkel auf Campagnologlanz, und ich baute sie mit Campagnolo-Bremsklötzen. Von der Superbe Pro kamen dann auch die Retrofriktionshebel, echte Kunstwerke, die trotzdem perfekt mit den Campagnoloschaltwerken funktionierten. Dazu noch handpolierte Schnellspanner von American Classic, ein Flite-Sattel, eine stilistisch vielleicht nicht perfekte, aber gute Heylight-Sattelstütze, ich kratzte noch auf einer Kettenstrebe den Chrom frei und setzte grüne Farbakzente - und fertig war das 9,2 Kilo leichte Bergrennrad.

Es war ein harter Winter, die Anforderungen waren hoch, ich musste viel nachdenken und werkeln, und ich hatte nicht genug Geld, um mir das einfach so machen zu lassen. Das Razesa ist nicht mein bestes und nicht mein schönstes Rad, und auch nicht das teuerste - ich habe noch ein Rocky Mountain Vertex T.O. aus dem ersten Jahr, bei dem der Rahmen mehr als das ganze Razesa kostete. Auch 2010 wird nicht das beste Jahr unseres Lebens werden. Ich wünschte, ich könnte etwas tun, um von uns allen das Leid zu nehmen, dem wir nicht entgehen werden. Aber ich möchte später an dieses schwierige Jahr zurückdenken können wie an das unter Mangel, Blut, Schweiss und Tränen entstandene Razesa, an die Auffahrt über die Jachenau, an deren Nordhängen noch der Schnee lag, an die Kochelbergstrecke, an die harten Tritte in die Kurbel und die unfassbar schnellen Kurven, und an den Frühling im Tal und sagen: Es war nicht perfekt, es war nicht das Beste, aber dafür hätte ich es nicht besser machen können.

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