: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 25. Juli 2011

Absurdes Lügen

Es geht nicht geordnet zu, der Zufall schlägt seltsame Volten, und wäre ich ein Sammler alter Papierbogenschiffe, so wäre das mein Tag gewesen.



Oder nehmen wir an, ich hätte eine neubarocke Wandvertäfelung gebraucht, für einen Wintergarten mit Palmen drauf - wie oft findet man das? Nur heute. Und wie oft braucht man das? Nie. genausowenig wie den Eames-Chair mit Hocker.



Oder seinen neobarocken Vorgänger. Oder alte, schlechte Teppiche. Höchstens alte Arbeitsschuhe könnte man brauchen, für den Morast, in dem der Flohmarkt nach den Regengüssen des Morgens versinkt.



Es ist ein Tag der schrägen Dinge. Ein Muschelhändler aud Thailand ist wieder da, und hat Material für Raritätenkebinette dabei. Der Mann, bei dem ich stets gute Gemälde finde, hat ein gutes, sehr gutes Gemälde dabei, eine Tänzerin von 1760 und mit einem Preis, für den ich der Barchetta bis 1 Million Kilometer neue Motoren kaufen könnte. Andere haben letztlich mehr Glück, aber ich fahre fast ohne Beute wieder heim.



Allerdings kam ich vor dem letzten Regenschauer bei einer Lügnerin vorbei. Vor ihrem Stand war eine Schachtel, darin ein Kronleuchter und eine Aplik. Solche achtlos abgestellten Schachteln sind immer ein gutes Zeichen; echte Kronleuchterhändler hängen sie oben hin und sagen schlimme Zahlen, aber hier unten... Wollen Sie den, fragt die Lügnerin, ich müsste ihn einpacken, aber ich will ihn nicht wieder mitnehmen, ich mache Ihnen einen guten Preis. Alle Teile, lügt sie, sind im Karton. Wir wissen beide, dass noch nie ein Kronleuchter in einem Karton alle Teile hatte, aber der Preis ist lächerlich gering. Ich war, als ich meine Kommode holte, auch mit jemandem, für jemanden bei Ikea und habe gesehen, wie irrwitzig teuer Lampen sein können. Da kann man hier nicht Nein sagen. Selbst wenn man gerade keinen Kronleuchter braucht, selbst wenn es nur Vorratshaltung ist. Und daheim zeigt sich dann, das tatsächlich viele Teile fehlen.



Fairerweise muss ich aber auch sagen, dass ich nicht erwähnte, was in einer Schublade liegt: Jede Menge Kristalle. Manche kaufen vielleicht einen teuren Kronleuchter. Ich kaufe Wracks und, wenn ich sie bekomme, kübelweise Kristalle. Das ist ein langfristiges Geschäft, man braucht Geduld und Zeit, manche Steine schlafen seit Jahren in der Schublade, und dann kommt der passsende Leuchter, und alles ist da: Die grossen Klunker und die kleinen Zapfen.



Man sollte schon ein paar Kronleuchter gesehen haben. Man sollte ein Gefühl für Formen haben, und nicht zu viel Respekt: Schon früher würden Metallkörper je nach Lust und Laune behängt, man muss sich nicht grosse Zwänge auferlegen, solange die Proportionen stimmen. Wenn es erst einmal erstrahlt, schaut ohnehin keiner so genau hin. Ein wenig Draht, ein wenig Seife, etwas Zeit, es gehört nicht viel dazu. Andere spielen gerne Puzzle. Das ist meine Art des Puzzles.



Das kleine Problem ist natürlich, dass die Suche eigentlich einem Darockrahmen galt, der an diesem absurden Tag nicht gefunden wurde. So bleibt die Dame immer noch ungerahmt, und noch ein vorerst sinnloser Leuchter hängt herum. Es ist kein Spiel für Ungeduldige, es dauert Jahre und Jahrzehnte, aber so ist das eben, in den alten Häusern: Wie ein Billyregal, dem immer eine Schraube fehlt, und das immer ein Brett zuviel hat.



Ein paar dekorative Kirchentrümmer gab es auch, und wenn man etwas kreativ ist, wird daraus zwar keine Kirche mehr, aber eine originelle Wandzierde. Dazu Prinzregententorte, damit zumindest irgendwas heil und richtig ist, an einem so absurden Tag, da man sich gerne anlügen lässt und anlügt, dass noch ein Stückerl sein darf, wie auch ein Kronleuchterl.



Weil die Wahrheit grad eben sehr belastend ist, solange man keiner der Volksverhetzer ist oder einer ihrer zigtausend potenziellen Einzeltäter ist.

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