: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 11. November 2013

Der Preis, den wir zahlen

Alice Schwarzer will den Erwerb sexueller Dienstleistungen verbieten, und damit Prostitution unmöglich machen. Ich habe den Eindruck, dass momentan eher die Prostitution und die damit verbundene moralische Ambivalenz dabei ist, Alice Schwarzer in die Tonne zu treten. Alice Schwarzer bettelt geradezu darum, dass man das tut. Für mich steht sie auf einer Stufe mit den Bischöfen Krenn und Mixa und deren nicht minder verquaste Weltsicht.

Das Problem ist dabei übrigens noch nicht mal die Käuflichkeit von Sex, sondern die vermutlich weit verbreitete Erfahrung, dass Sex in unserer Gesellschaft inzwischen nicht mehr zwangsweise etwas mit der einzigen grossen Liebe zu tun haben muss. Es ist heute möglich, und es wird auch so betrieben, Sex opportunistisch zu haben, je nach Neigung, Möglichkeiten und Absprachen. Das schliesst die grosse Liebe nicht aus, aber wer sich einmal mit Singlebörsen beschäftigt, sieht enorm viel an Profilpflege, Chancenoptimierung und Zieldefinition. Das ist alles keine Liebe. Das ist zuerst mal nur die Suche nach Optionen. Das geht über in einen Testbetrieb, durchaus mit hohem Eigeninteresse. Und die 50% Scheidungsquote sagen auch, dass selbst nach der Ehe das Eigeninteresse der bestimmende Faktor war.



Anders gesagt, Berechnung tritt heute offener zu Tage als in früheren Zeiten - einfach, weil sie angesichts der Konkurrenz nötig ist, weil es mehr Möglichkeiten gibt und angesichts der knappen Zeit solche Paarungswünsche effektiv organisiert werden müssen. Vielleicht sind nicht alle käuflich, aber viele passen Ansprüche an, verzichten auf Aspekte zugunsten anderer Vorteile, nicht weil sie schlecht sind, sondern weil die Umstände es erfordern. Und es ist noch nicht mal bitter, wie es bei Faust so schön heisst:

Nur fort, es ist ein großer Jammer!
Ihr sollt in Eures Liebchens Kammer,
Nicht etwa in den Tod.


Auch wenn Frau Schwarzer das genau so gern sehen würde. Man nimmt, was man kriegen kann, und sonderlich viel ist das für viele ohnehin nicht. Unsere Welt ist komplett durchökonomisiert, das Private ist es auch, und damit ist die Käuflichkeit nun mal mehr auf der Tagesordnung, denn die kunstreiche Verführung. Man probiere es aus: 100.000 mehr Jahreseinkommen decken jeden Verfall einer Dekade zu. Schön ist das nicht. Aber verdammenswert auch nicht.



In Meran hingen diese Plakate vor einem scheusslichen Neubau, der für viele die Realität ihres wabenartigen Lebens darstellt: Die eine ist so freigestellt, dass man nur sie und ihre graduelle Nacktheit sieht, und die andere ist im Prunk eines alten Palastes. Es geht gar nicht mehr um Hausfrau oder Prostituierte, im Optimierungszwang sind es Selbstpromotion und Einbettung in die Wünsche der Betrachter, die relevant werden. Und das Bild da rechts, das sagt leider vielleicht auch ein wenig mehr über mich, als ich möchte: Dafür bin ich klar anfällig. Dafür würde ich weit gehen. Nicht zum Dessousgeschäft, aber es greift meine Vorstellungswelt auf.

Reich mir die Hand, mein Leben,
komm auf mein Schloss mit mir...


Don Giovanni besticht Zerlina nicht nur mit dem Leben, sondern auch mit dem Vermögen, und hier nun tritt Schwarzer als Statue des Komturs auf und möchte das verhindern. Denn die Grenzen zwischen bester Präsentation und Kauf, sie sind fliessend und manches Nein zum Tag wird bei Kerzenschein schneller ein Ja, als Nadine Lantzsch critical whiteness sagen kann. Irgendwann werden die Mittel unfair, und Liebe, Zuneigung, Kauf und Missbrauch, man muss sie scheiden. Aber in diesem Bereich gibt es keine Moral so fein, dass sie immer formschön passen würde, ausser bei den Taliban, bei den Gendertröten und was sonst noch lustfeindlich sein mag.: Kranke Hirne haben es da leichter. Für den Hausgebrauch muss man die Grenzen selbst finden. Schön wäre es, wenn ich mir Gunst allenfalls mit Bildung, den Büchern und dem berühmten, gefüllten Omelett am nächsten Morgen erkauft? erarbeitet? hätte.



Wir sind frei, wir dürfen Obsessionen haben und uns unseren Neigungen hingeben, und niemand steht es eigentlich an, darüber zu urteilen. Meine Perversion ist die wohlhabende, gebildete Normalität, die für andere vielleicht spiessig sein mag, aber da muss jeder selbst wissen. Ist man sich über den Sex einig, schadet man keinem und was da passiert, ist absolut privat. Man baut keine Waffen, man bestiehlt nicht Staat und Menschen, man schaut nicht aus wie die meisten Politiker und ist nett, viel netter als Pharmalobby und NSA zusammen. Schwarzer erinnert verteufelt an Abmahnanwälte, die einen wegen einem MP3 ruinieren wollen, an das ganze Geschmeiss, das meint, das recht auf seine Seite ziehen zu müssen, für einen der wenigen bleibenden Freiräume ohne Datenspeicherung.

Wir alle zahlen für unser Treiben einen Preis, und der Preis, den Schwarzer zahlen muss, den sollten wir so hoch wie möglich machen.

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