Der Preis, den wir zahlen

Alice Schwarzer will den Erwerb sexueller Dienstleistungen verbieten, und damit Prostitution unmöglich machen. Ich habe den Eindruck, dass momentan eher die Prostitution und die damit verbundene moralische Ambivalenz dabei ist, Alice Schwarzer in die Tonne zu treten. Alice Schwarzer bettelt geradezu darum, dass man das tut. Für mich steht sie auf einer Stufe mit den Bischöfen Krenn und Mixa und deren nicht minder verquaste Weltsicht.

Das Problem ist dabei übrigens noch nicht mal die Käuflichkeit von Sex, sondern die vermutlich weit verbreitete Erfahrung, dass Sex in unserer Gesellschaft inzwischen nicht mehr zwangsweise etwas mit der einzigen grossen Liebe zu tun haben muss. Es ist heute möglich, und es wird auch so betrieben, Sex opportunistisch zu haben, je nach Neigung, Möglichkeiten und Absprachen. Das schliesst die grosse Liebe nicht aus, aber wer sich einmal mit Singlebörsen beschäftigt, sieht enorm viel an Profilpflege, Chancenoptimierung und Zieldefinition. Das ist alles keine Liebe. Das ist zuerst mal nur die Suche nach Optionen. Das geht über in einen Testbetrieb, durchaus mit hohem Eigeninteresse. Und die 50% Scheidungsquote sagen auch, dass selbst nach der Ehe das Eigeninteresse der bestimmende Faktor war.



Anders gesagt, Berechnung tritt heute offener zu Tage als in früheren Zeiten - einfach, weil sie angesichts der Konkurrenz nötig ist, weil es mehr Möglichkeiten gibt und angesichts der knappen Zeit solche Paarungswünsche effektiv organisiert werden müssen. Vielleicht sind nicht alle käuflich, aber viele passen Ansprüche an, verzichten auf Aspekte zugunsten anderer Vorteile, nicht weil sie schlecht sind, sondern weil die Umstände es erfordern. Und es ist noch nicht mal bitter, wie es bei Faust so schön heisst:

Nur fort, es ist ein großer Jammer!
Ihr sollt in Eures Liebchens Kammer,
Nicht etwa in den Tod.


Auch wenn Frau Schwarzer das genau so gern sehen würde. Man nimmt, was man kriegen kann, und sonderlich viel ist das für viele ohnehin nicht. Unsere Welt ist komplett durchökonomisiert, das Private ist es auch, und damit ist die Käuflichkeit nun mal mehr auf der Tagesordnung, denn die kunstreiche Verführung. Man probiere es aus: 100.000 mehr Jahreseinkommen decken jeden Verfall einer Dekade zu. Schön ist das nicht. Aber verdammenswert auch nicht.



In Meran hingen diese Plakate vor einem scheusslichen Neubau, der für viele die Realität ihres wabenartigen Lebens darstellt: Die eine ist so freigestellt, dass man nur sie und ihre graduelle Nacktheit sieht, und die andere ist im Prunk eines alten Palastes. Es geht gar nicht mehr um Hausfrau oder Prostituierte, im Optimierungszwang sind es Selbstpromotion und Einbettung in die Wünsche der Betrachter, die relevant werden. Und das Bild da rechts, das sagt leider vielleicht auch ein wenig mehr über mich, als ich möchte: Dafür bin ich klar anfällig. Dafür würde ich weit gehen. Nicht zum Dessousgeschäft, aber es greift meine Vorstellungswelt auf.

Reich mir die Hand, mein Leben,
komm auf mein Schloss mit mir...


Don Giovanni besticht Zerlina nicht nur mit dem Leben, sondern auch mit dem Vermögen, und hier nun tritt Schwarzer als Statue des Komturs auf und möchte das verhindern. Denn die Grenzen zwischen bester Präsentation und Kauf, sie sind fliessend und manches Nein zum Tag wird bei Kerzenschein schneller ein Ja, als Nadine Lantzsch critical whiteness sagen kann. Irgendwann werden die Mittel unfair, und Liebe, Zuneigung, Kauf und Missbrauch, man muss sie scheiden. Aber in diesem Bereich gibt es keine Moral so fein, dass sie immer formschön passen würde, ausser bei den Taliban, bei den Gendertröten und was sonst noch lustfeindlich sein mag.: Kranke Hirne haben es da leichter. Für den Hausgebrauch muss man die Grenzen selbst finden. Schön wäre es, wenn ich mir Gunst allenfalls mit Bildung, den Büchern und dem berühmten, gefüllten Omelett am nächsten Morgen erkauft? erarbeitet? hätte.



Wir sind frei, wir dürfen Obsessionen haben und uns unseren Neigungen hingeben, und niemand steht es eigentlich an, darüber zu urteilen. Meine Perversion ist die wohlhabende, gebildete Normalität, die für andere vielleicht spiessig sein mag, aber da muss jeder selbst wissen. Ist man sich über den Sex einig, schadet man keinem und was da passiert, ist absolut privat. Man baut keine Waffen, man bestiehlt nicht Staat und Menschen, man schaut nicht aus wie die meisten Politiker und ist nett, viel netter als Pharmalobby und NSA zusammen. Schwarzer erinnert verteufelt an Abmahnanwälte, die einen wegen einem MP3 ruinieren wollen, an das ganze Geschmeiss, das meint, das recht auf seine Seite ziehen zu müssen, für einen der wenigen bleibenden Freiräume ohne Datenspeicherung.

Wir alle zahlen für unser Treiben einen Preis, und der Preis, den Schwarzer zahlen muss, den sollten wir so hoch wie möglich machen.

Montag, 11. November 2013, 20:15, von donalphons | |comment

 
Die Spaßbremsen sitzen überall...
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http://www.horizont.net/aktuell/marketing/pages/protected/Beschwerden-beim-Werberat-Ashley-Madison-stellt-Plakatkampagne-ein_117851.html

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Die Anzeige ist wirklich irreführend. Ich mein, ich hatte ja nie das Vergnügen, aber ein Freund hatte eine Freundin aus einer türkischen Familie, und die war kein Hascherl.

Eher so italienisch.

Also schon eigensinnig und äh bestimmend und extrem leicht erregbar.

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Starker Text! (Deiner und der von Kitty.)

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Danke!

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am heutigen Buß- und Bettag möchte ich etwas Ernstes einwerfen.

Mann und Frau wollen Sex, wollen Zärtlichkeit, Zuwendung und etwas Romantik auch mal ohne Liebe und Verpflichtung. Ja.

Auch unter uns erwachsenen, ja alternden Menschen glaube ich an das Bedürfnis geliebt zu werden.
Etwas geht bei jedem "Abenteuer" und Abschied verloren. Ein kleines Stückchen Selbst.
Besser ist es schon, eine Frau zu erwählen und ihr treu zu bleiben und ihr dies auch zuzusagen.
Euer nichtkatholischer schad- und Honigbär

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Bei 'Abenteuern' (und auch Abschieden jedweder Art) geht doch nix verloren .
Man gibt und bekommt doch etwas.
Also durchaus im Sinne von "copy&paste" , - und nicht im Sinne von "format C:"
Also meistens jedenfalls.

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@spill ich danke Ihnen für Ihre Ansicht, glaube aber, daß man (frau) etwas von sich, der eigenen Integrität, dem Selbst verletzt oder aufgibt. Beim aktiven Trennen und beim Erleben des Abgelehnt oder Abgelegt werdens.
Und ich glaube bei andren zu sehen, daß die Zeiten des Glückes mit immer neuen Partner kürzer werden, daß die Faszination mit den neuen Partnern immer kürzere Zeit anhält. Nach meinem Erleben geht es den Menschen in stabilen Paaren besser, als den Einzelnen. Und ich sehe hauptsächlich Menschen der Mittelschicht, weniger Menschen in Not oder armut.

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@melursus: so beobachte ich es auch. Ich glaube, der Trick ist, dass aus der Zeit der Faszination (die z.T. auch biochemisch bedingt ist) etwas wird, was für jeden alltagstauglich ist. Viele rennen aber nur noch dem (eben auch: biochemischen) Kick hinterher. Wer dann früher oder später auf Entzug ist, merkt nicht mehr, dass der oder die Partner(in) vielleicht nicht mehr die Synapsen befeuert wie vorher, aber ganz andere Qualitäten hat, die erst später zu Tage treten.
Da muss man sich dann halt auch mal Mühe geben und sich mit sich selbst und seinen eigenen Bedürfnissen und den Eigenschaften und Bedürfnissen des/der Anderen auseinandersetzen, ob diese passen oder nicht. Mit "Eigenschaften" ist halt nicht bloss der aufreizende Hintern gemeint.
Das ist Arbeit und nicht einfach, weil man dazu auch über sich selbst nachdenken muss. Und zur Selbstreflektion sind die Leute ja nicht mal mehr AufeAaarbait für Geld fähig, warum sollten sie es dann privat sein. Wenn doch, pardon, der nächste Fick nur einen Klick weit weg ist.

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Meine Herren, Ihre Bemühungen, um eine gute und zugewandte Verbindung zu Ihren Frauen in allen Ehren. Aber ich erinnere daran, dass Prostitution keine Erfindung des Kapitalismus ist und gerade in den Zeiten der hochgehaltenen Moral geht es dahinter ziemlich unzüchtig zu.
Ich glaube sogar, dass Prostitution in den Zeiten, in den Frauen auf die Frage "Zu mir oder zu dir?" nicht sofort mit einem gezielten Handtaschenschlag antworten, kein so profitables Business ist.
Es sei denn, man bietet in einer alternden Gesellschaft Jugend, frische Schönheit, Naivität oder Specials an.
Allerdings - "ich weiß, was ich bekomme und muss nicht noch die Mühe einer geheuchelten Beziehungsanbahnung über mich ergehen lassen" - das ist ein modernes Argument.

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@Frau Koma, dass es die Nachfrage und das Angebot von Prostitution schon immer gegeben hat, bestreitet nach meinem Eindruck hier keiner. Es ist aber auch so, dass der Gang zur/m Prostitutierten noch nicht den Charakter des mal-eben-Milch-und-Brötchen-holens bekommen hat.

Die Schwelle sinkt aber, Sie sehen das anscheinend wie ich. Und das Argument, welches Sie vorstellen, ist eine wie ich meine zutreffende Beobachtung über die fortschreitende totale Ökonomisierung unserer Welt.

Wenn ich mich dem aber wenigstens ein bisschen entziehen will, muss ich Ursachenforschung betreiben, um dann besser mein Verhalten reflektierne zu können und um erkennen zu können, was da so an mir zerrt und mich beeinflussen will.

Ökonomisches Verhalten ist wie ein giftiger Traubenzucker, es bringt so schnell Ergebnisse und damit die sofortige Belohnung. Und in unserer Gesellschaft die anerkennung. Es macht aber auch vieles von dem kaputt, was den Mensch zur Person macht und ihn vom Tier unterscheidet.

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@greenbowlerhat
Da haben Sie recht. Wir Leben in einer Zeit der Ökonomisierung von menschlichen und Liebes-Beziehungen.
Oder formulieren wir es anders: Die Ökonomisierung gab es schon immer, sie ist nun anders strukturiert. Effizienter, flexibler, maskierter, vermeintlich selbstbestimmter.
Vor 300 Jahren gab es keine Liebesheiraten (außer unter ganz Armen), unser romantisches Ideal ist eine sehr neue Erfindung. Dass es keinen Sex ohne Bindung oder Bezahlung oder Bestrafung gab, wird gern vergessen. Und auch Bindung hatte mit Gut und Geld zu tun. Mit Mitgift, Status, Familiennetzwerken.
Wenn wir uns heute für Partner frei entscheiden können, haben wir das, was Kirche und Familie früher an Kontrolle leisteten, als Kanon verinnerlicht. Maximale Selbstkontrolle bei maximaler Freiheit.
Wir verhalten uns genauso ökonomisch wie unsere Vorfahren, nur handeln wir quick and dirty in einer sauberer und gesünder gewordenen Welt, während es in einer schmutzigen und kranken Welt (und damit meine ich wirklich Krieg, Krankheiten und Gefahren) ein Wert war, sich rein zu halten.

Und ich habe - als Kulturpessimistin - nicht das Gefühl, man könne das Rad zurückdrehen. Warum auch? Das Maß unserer Freuden und Leiden ist immer gleich, egal, was wir tun. Das Setting ändert sich vielleicht, mehr nicht.

Mit Romantik kann man mich nicht entzücken, wohl aber mit Loyalität.

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Die wichtige Frage ist in der Tat die, warum lassen wir es zu, dass alle möglichen Aspekte des Lebens durchökonomisiert und auch durchrechtlicht sind. Wo heute Recht ist, war früher die Moral, das " das tut man nicht", und das eine ist nicht notwendiger gerechter als das andere. Wenn heute alles nach seinem Geld- oder Nutzwerk bemessen wird, fehlen einem langsam schon die Worte, das Gegenteil davon ohne negative Konnotation zu beschreiben: nennt man es müßig, sinnlos, Luxus? Eigentlich ist es ja Freiheit, die verloren gegangen ist, die Freiheit, jegliches eigenes Tun dem Diktat der Nützlichkeit unterstellen zu müssen. In dieser hinsicht war kaum einer jemals komplett frei, aber in diesen Tagen ist ja auch die "Frei"-Zeit keine solche mehr.

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Dass heute alles durchökonomisiert ist, macht es ja nicht besser.
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Da würde ich vor einer Argumentation warnen, wie man sie von den Post-Privatisten kennt: Weil man die Totalüberwachung ja sowieso nicht verhindern kann, stellen wir unser Dasein komplett ins Netz.
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Das sich auch Nichtprostituierte vom Vermögen potentieller Partner bestechen lassen taugt als Argument etwa so viel wie früher mal wie die von Rauchern früher oft geäußerte Behauptung, dass die Emissionen der Chemieindustrie doch viel schädlicher seien als das bissel Nikotin.
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Und wenn seriöse Zeitungen das Problem mit dem Hinweis leugnen, dass Supermarktkassiererinnen "ja auch nicht freiwillig ihren Job machen", dann wird mir einfach schlecht, warum auch immer.

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Entschuldigen Sie, daß ich mich noch mal einmische. Abe das fasziniert mich an den Argumenten der Männer so! Es sei zu leicht geworden, es sei wie Brötchen kaufen...
Ich wage zu behaupten, es gibt nicht mehr Prostitution als vor 100 Jahren, vielleicht sogar weniger.
Könnte es sein, dass der Wegfall der Aura des Verbotenen und Verruchten zu ernüchternd für die Herren ist?

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Wir (Herren) kennen ja nur das, was wir heute kennen. Über das Gefühl von früher können wir zwar weidlich mutmaßen (und nachlesen; ab & an gibt's hier ja so manch' klassischen Buchtipp), aber wissen und gar erleben, vergleichen und beschreiben - dat jeht nu ma nich.

Disclosure: ich bin nicht recht betroffen, da viel zu 'feige', um solche Dienste an mir zu nutzen. Vor vielen Jahren wollte ich mal eine "Tramperin" im Auto mitnehmen; ihre Reaktion war nebulös, bis mich die mitfahrende Freundin lachend aufklärte: das war 'ne Nutte, die wollte nirgendwo hin.

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Was mir bei Diskussionen um Käuflichkeit und Optimierung manchmal fehlt ist folgende Betrachtung: ich sehe keinen physiologischen Grund mit einem Menschen geschlechtlich zu verkehren. Jeder 13-jährige mit minimaler Motorik und Vorstellungsgabe regelt seine Drüsenfunktionen selbst. Bahnbrechende Fortschritte in der Vibrationstechnologie haben Frauen vom Joch der (unzuverlässigen, riskanten) Phallokratie befreit. Wenn also Menschen Sex haben, tun sie das doch aus emotionalen und sozialen Bedürfnissen mindestens genauso wie aus biologischen. Wie kann aber jemand den Sex genießen, wenn er weiß, dass der Gegenüber es nur für Geld tut.

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Danke, dik...

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Diese neue Mode, künftig jegliches Bagatellvergehen (wie z.B. Kiffen) mit PKW-Führerschein bestrafen zu wollen, finde ich bedenklicher. Das geht m.E. schon sehr unangenehm in Richtung Erziehungsdiktatur.

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die kifferei als solche wurde wohl nicht als ausreichender grund für einen f-schein entzug angesehen, es ging in diesen fällen um den mischkonsum alkohol/thc (ohne dabei ein fahrzeug zu führen). so viel genauigkeit muss sein.

das die begründung "wer mischt will sich total abschießen" ausgemachter blödsinn ist dürfte jedem klar sein, der erfahrungen auf diesem gebiet sammeln konnte.

dieses nordslowenien (oblast barzistan) sollte man eindeichen und fluten.

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An Warnungen hat's auch in den guten alten Zeiten nicht gemangelt.

Diese unvernünftige Jugend will einfach nicht hören. Tjaja.

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... und wenn dann noch rauskommt, das im Hintergrund exzessive Rock-und-Roll-Musik lieft...

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Und was soll das für ein Einwand sein, dass Frauen "berechnend handeln", die "auch auf das Vermögen gucken" und "nicht nur auf die Person"?
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Könnte man ihnen ebensogut vorwerfen, dass sie auf Gesicht, Figur, Charakter, Erziehung und sonstige Eigenschaften achten, statt "einfach nur auf die Person an sich".

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bestrickend bestechend.

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"Richtung Erziehungsdiktatur."
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Da hat ein lokaler Richter in einem Fall entschieden. Das ist noch keine Diktatur. Wenn's dabei bleibt...

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