: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 22. Juli 2005

Scheiss des Jahres

Nach der New Economy, ab 2001, tropfelte jedes Jahr ein Bullshit-Thema durch die Medien, intern bei mir als "Scheiss des Jahres" bezeichnet. Also irgendein Sommerloch-Dreck, der was mit Bürgerbeteiligung, menschlichen Kontakten, Technik, Internet, Personalisierung zu tun hatte. Herausragende Beispiele waren:

Multiple Internet Radio Streams (Sollte UKW ablösen)

Personalised Content Refinement (gab´s auch in anderen Bezeichnungen, kommt gerade unter dem Label RSS wieder)

Flash Mobs (tatsächlich gab es sogar ein paar gescheiterte Startup-Typen, die das auch in Deutschland probiert haben)

Bluejacking/snarfing (hat sich ja mittlerweile als Fake erwiesen)

2004 gab es nichts dergleichen, aber dieses Jahr schlägt es um so heftiger ein. Gleich drei Schlagwörter verpesten die einschlägigen Zeitungen, die in zwei Jahren neue Trends haben und sich dann für diese drei Ideen, die nicht gekommen sind, schämen werden:

1. PR-Blogs - human approach 2 customers, jaja.

2. Podcasting - Lustiges neues Wort für eine etwas ältere Geschichte, nämlich etwas aufzuschreiben, in ein in der Regel mieses Mikrophon vorzulesen, zu schneiden, und als MP3 online zu stellen - statt dem Nutzer einfach den Text zum Selberlesen zu geben, und das soll, wenn es nicht gegen das Copyright verstösst, angeblich das Radio der Zukunft sein - na, ich weiss nicht.

3. Der Überbegriff Social Software - warum reden da besonders oft Leute drüber, die ich eher beim Bedienen asozialer Software vermuten würde?

Mediale Wortwegwerfprodukte, Hypes a la Mode, sinnlose Überbegriffe zur Vereinnahmung, Tr-e-nds, und immer auf den human touch achten. Was für die Bild der deutsche Schäferhund ist, der Bridget Bardot den Brustkrebs wegleckt, ist für diesen Hurnaille-Berater-Unternehmer-Quotescheiss-Cocktail die social Software, die mit Traumrenditen im Network die Fickanbahnung nach Ansicht von Flickr-Pics erleichtert und nebenbei noch den Paarungsort vom Werbepartner mit gefälschten Empfehlungen an den Mann bringt, während via RSS die hundert lustigsten MP3-Schmuddelwitze eintrudeln - user generated und kostenpflichtig, natürlich.

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Dramatischer Himmel

zu lahmen Reden alter, tattriger Männer voller bedeutungsloser Schwafeleien, bei denen sie sich ganz toll fühlen.



Kann man das Ganze nicht irgendwie staatsoberenthaupten?

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Mittwoch, 20. Juli 2005

Baut endlich die Spree aus!

Da kommen nämlich bald viele viele stinkende, aufgequollene Kadaver aus der Springerschen Möchtegern-Blogosphäre angeschwommen. Die spannende Frage ist: Werden sie schon tot sein, wenn Springer die Mopo-Welt wegen der dauernden Verlust endlich ersäuft, oder geht das alles zusammen Richtung Fische?

Und am Isarstrand und anderswo wird ein kleiner Blogberater flennen, weil er an der Katastrophe nicht mitverdienen konnte.

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Wie soll das bitte gehen?

Die Merkel sol jetzt ihre ostdeutsche Identität im Osten mehr in den Vordergrund stellen? Ich habe ja so einige Touren in den Osten hinter mir, und zwar genau dort, wo der Osten so richtig hart ist, mit 15 kaputten Betrieben nebeneinander, 50% Einwohnerverlust, und wer jung ist und nicht wegzieht, fährt in denm Wald und macht dort komische Spielchen in selbstgefertigter schwarzbrauner Uniform, bevor es am Abend in die Stadt geht, um jemanden fertig zu machen.

Natürlich sieht die Merkel so hübsch aus wie ein einstürzender Plattenbau in Rostock, natürlich ist sie noch immer nicht in der Lage, ihren Dialekt so abzustellen, als dass nicht ein paar gequält kieksenden Ostrestgeräusche in ihrem Singsang bleiben würde. Aber ich habe da drüben kaum jemand getroffen, der etwas von der Merkel gehalten hat, mit Ausnahme ihrer Parteikollegen, die sogar versprachen, dass die Merkel die Sache mit den Nazis in den Griff kriegen würde, weil dann weniger Ausländer da wären.



Die Merkel ist nichts anderes als ein wenig attraktives PinUp an einer Partei, die im Osten wahlweise als Blockpartei und damit auch nicht anders als die PDSSEDLinke wahrgenommen wird, oder die Gallionsfigur eines Seeräuberschiffs, das ihnen nochmal was weg nimmt, nachdem ihnen laut Bauchgefühl schon so viel weggenommen wurde. Die Merkel ist schon lang keine mehr von denen, ganz im Gegensatz zu den PDS-Zellen. In Wittenberg, in Greifswald, in der Provinz muss man nur mal an die Zeitungsstände schauen: Oben ist ziemlich oft das Neue Deutschland.

Aber die CDU-Blockflöten und andere Pfeifen wollen auf keinen Fall ihren Plan der klaren Botschaften aufgeben, und deshalb werden sie auf das Gesicht von Merkel setzen, egal wie unschön und verzweifelt diese Idee sein muss. Und wenn es dann nicht geklappt hat, müssen sie doch mal anfangen, in die unklaren Details zu gehen - Mehrwertsteuer, Pendlerpauschale, Abschaffung von ABM-Massnahmen. Das sollen die da drüben mal vermitteln gegen eine PDS, die der Osten ist und das will, was dem Bauchgefühl des Ostens entspricht.

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Dienstag, 19. Juli 2005

EM.TV: Kröten statt Kermit schlucken

Oha, angesichts dieser Entscheidung würde ich als EM.TV-Manager ganz schnell die Barschaft irgendwo gut verstecken und schon mal die Rechte an den Unternehmensrand verlagern, denn wenn das Bestand hat, wird es richtig teuer. Auch andere könnten dann Probleme bekommen, wenn Ad Hoc Faälschungen nicht mehr als kleine PR-Panne gewertet werden.

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Real Life 18.07.2005 - Feigling

Vorne erklärt die Nachlassrichterin etwas Komplexes, weiter hinten, zwei Stühle weiter, erheischt er deine Aufmerksamkeit und tippt auf seine Finger, wo, für sein fortgeschrittenes Alter doch etwas heftig, in etwa so viele Ringe stecken wie an einem kolumbianischen Drogenbaron. Du verstehst gar nichts und zuckst mit den Schultern.

Er wiederholt die Geste, tippt gezielt auf einen Ring, und du wunderst dich, ob er dir vielleicht einen schenken will. Was du als gut erzogener Sprössling natürlich ablehnen würdest; mögen sie auch alt und bedeutungsgeladen sein, dein Ding sind diese Klunker nicht. Also schüttelst du begriffstutzig den Kopf... "Und wer war jetzt nochmal die Tochter von der zweiten Frau des Grossvaters mütterlicherseits, und hatte die Kinder?" - schwierig, alles.

Tipptipp auf deiner Schulter, er beugt sich rüber, deutet nochmal auf seinen Ring und dann auf deine Hand, wo nichts dergleichen ist, und fragt direkt: "Noch immer kein Ring?" - Und dann verstehst du, er meint, dass es Zeit ist zu heiraten; zumindest nach seiner Ideologie.

Nein, sagst du und schüttelst energisch den Kopf, echt nicht. Er pustet einmal auf, schaut auf seine Ringe und dreht an ihnen rum, nicht wirklich begeistert, denn es passt nicht zur vorgezeichneten Vita des Oberlandes. Wahrscheinlich würde er dir dann auch einen Ring schenken. Er schaut etwas traurig hoch, lächelt böse und sagt: "Feigling."

Du grinst, obwohl dir nicht danach ist. Lang und Breit. Er verzieht die Mundwinkel. Und mit dieser sauren Note geht für ihn und alle der grosse Oberländer Erbschaftskrieg zu Ende, vorne wird die Aufteilung verkündet. Blut fliesst zusammen, sagt man hier, alles bleibt im Clan, und es bleibt ihm wenigstens die Hoffnung, dass, wenn es einmal bei mir so weit ist, die Reste meines Vermögens dann an seine Nachfahren fallen wird. Wenn noch was übrig sein sollte. Oder seine Nachfahren nicht auch zu feige sind, sich ein Leben lang an ein und die selbe Person zu ketten und Nachkommen zu zeugen, die dann auch seine Ringe tragen werden.



Und dann geht es über die Hügel, vorbei an glücklichen Kühen und den einen oder anderen kreuzkatholischen, unglücklichen Wannabe-Erbschleicher zurück in die heimische Provinz. Es ist eine schöne Gegend hier, das tröstet.

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Dienstag, 19. Juli 2005

Sehr zu empfehlen - Hängt ihn höher!

Es war an einem verregneten Freitag Nachmittag in Berlin - so verregnet, wie Freitag Nachmittage in Berlin nun mal meistens sind. Meine kleine Schwester war gerade dem verspäteten Flugzeug aus München entstiegen und ärgerte sich, dass ihr die terroristische Gefahrenlage zwei Stunden wertvolle Shopping Time gekostet hatte. Wir fuhren zu einem grossen Nachlassgeschäft in Schöneberg, die Stimmung war nicht die Beste, und ich nahm mir vor, sie zu enterben, wenn es das ganze Wochenende so bleiben sollte. Ich bin hart im Nehmen, was Katastrophen angeht, aber Berlin und eine schlecht gelaunte kleine Schwester und Regen und jeden Tag 8 Stunden Shopping und dabei noch Chauffeur und Möbelschlepper und Spedition sein, das kann dem abgebrühtesten Theatinerstrassen Shoppingtoursurvivor die Laune verderben. Und wehe, sie kauft etwas, das ihr dann nachher nicht gefällt - dann versucht sie, es mir anzudrehen und sich im Gegenzug meines Strahlenspiegels zu bemächtigen... (hat sie dann einen Trip später tatsächlich getan)

In Schöneberg angekommen, rauschte sie in den Laden, während ich einen Parkplatz suchte. Das Ganze erwies sich letztlich als Glück, denn sie donnerte an den draussen abgestellten Lockvogelangeboten vorbei - der Trödel mit den 5-Euro-Preisen, der die Schnäppchenjäger anlockt, um ihnen dann drinnen mit mässigen Mingvasen das bayerische Fell über die Münchner Ohren zu ziehen. Mit so etwas hält sich meine kleine Schwester erst gar nicht auf. Ich schon - ich schaue mir aus Prinzip alles an. Kulturhistoriker gehen an einen Befund nun mal anders ran als Architectural Digest Leser.

Und da stand dieser Prunkspiegel, riesig, ein Monster, für sich betrachtet in jeder Hinsicht zu viel: Zu viel Ornament, zu viel Gold, zu viel übermalt, zu viele Schäden im unteren Bereich. Und, beim ersten Anheben, höllisch schwer. 30 Kilo, Vollholz, hinten mit 1 cm dicken Bohlen abgenagelt, und die Nägel erst... quadratische Köpfe, handgeschmiedet. Auch wenn der Spiegel im ersten Moment aussah wie frisch aus einem Bordell für russische Mafiosi, war er doch mindestens 100 Jahre alt. Nicht Rokoko, aber Wiener Barock, sprich 1860 bis 1880. Kein Fabrikspiegel, sondern eine massive Schreinerarbeit. Und eine Spiegelplatte so dick wie Panzerglas.

Rechts oben über meinem Trommelfell hörte ich dann ein Knirschen - die Rädchen des Gierzentrums in meinem Gehirn drehten sich in den roten Bereich. So verdammt gross, so schwer, wo soll der nur hin und wo passt das, er ist ja fast schon geschmacklos und zumindest an der Kippe, und was wird meine kleine Schwester sagen, wenn der Wagen schon nach der ersten Station voll ist und wir nochmal zurück in den Wedding müssen - wie gesagt, der Spiegel ist verdammt gross.

Ich schlos mit mir eine kleine Wette ab - wenn meine kleine Schwester eine bestimmte, gnadenlos überteuerte Vase Modell "Bayernfellabzieher" kaufen würde, dann würde ich den Spiegel nehmen, weil ein Platzerl findet sich ja immer, und für 10 Euro... da ist wirklich nichts verloren. Die Wette mit mir habe ich prompt verloren, aber weil ich nun mal auch mich selbst gern betrüge, kaufte ich ihn im letzten Moment doch noch, und handelte mir zusätzlich 10 Minuten Vorwürfe meiner kleinen Schwester ein - scheusslich, abartig, grässlich, ich hätte keinen Sinn für Qualität und wo soll sie jetzt ihre Käufe hintun - angehört. Draussen gingen Schauer nieder, ich verschloss meinen Geist und ging die Wände meines zu restaurierenden Zimmers durch, wo man dieses Monster von einem Spiegel wohl hängen könnte. So phätt, und der Raum ist so klein...

Heute morgen habe ich ausprobiert, wie er an einer Stelle symmetrisch zur Tür passt. Und was soll ich sagen:



Er hätte fast noch etwas grösser sein dürfen. Ich würde mich heute schwarz wie Merkel ärgern, wenn ich ihn damals nicht gekauft hätte. Im Licht da oben kommt das Gold ganz ordentlich, und die Schäden lasse ich so. Ich mag diese Dinge mit kleinen Macken. Und ich hasse es, wenn Antiquitäten wie neu aussehen.

Ich habe mir früher überlegt, ob ich den Raum überhaupt restaurieren soll. Die erste Idee war, die sieben verschiedenen Tapeten da abzureissen, wo sie lose sind, nur den Fussboden zu schleifen, und dann in den Verfall exquisite Möbel zu stellen. Der Frust begann beim ersten Handgriff in dem Mauerrücksprung zwischen Tür und Spiegel, wo früher ein Ölofen stand. Aus dem Kamin kam braunes Wasser, hinter der Abdeckung war alles verrostet. Das wäre trotzdem kein Problem gewesen, denn der Rücksprung wird später ein natürliches Bücherregal. Die Katastrophe kam im Anschluss: Leider hat man in den 50er Jahren die Wände mit ekelhaftem Heraklit - Platten aus gepresstem und geteerten Stroh - verkleidet und miserabel verputzt. Es kam sowieso Tapete drüber, dafür hat es gereicht. Wo heute die Tapete fehlt, bröckelt der Putz unaufhörlich, und dahinter kommen die schwarzen Fasern zum Vorschein, und entlang der Heraktitplatten enstehen gerade, horizontale Risse - Verfall in seiner hässlichsten Variante. Es gab andererseits keine Möglichkeit, das Heraklit zu entfernen. So sieht das aus der Nähe aus.



Das ist der Fluch und der Segen von alten Häusern: Man hat viele Möglichkeiten, es gibt so gut wie nichts, was man unter Bewahrung der Bausubstanz nicht damit tun könnte. Es ist unendlich viel mehr als das banale Möbelrücken, das Einrichten von modernen Häusern ist. Man kann seine Vorlagen aus Jahrhunderten der Stilgeschichte auswählen und mischen, nichts wirkt darin peinlich oder falsch, sogar so ein riesiger Prunkspiegel geht in einem kleinen Raum. Anything goes, ausser vielleicht gerade Wände, Feng Shui, Ikea, Schlichtheit und Laminatfussböden. Solche Räume brauchen etwas Prunk, um zu leben, wie die fidele Tante in ihrem alten SL-Mercedes ein Glas Sekt braucht, um auf Touren zu kommen. Aber, und das ist das Verhängnis: Man muss sich entscheiden. Eine Variante zu nehmen bedeutet, andere Varianten auszuschliessen.

Mit dem aktuellen Konzept mit Wandbespannung bin ich auf der sicheren Seite. Stoff drauf, festnageln, Stuck an die Decke, Möbel, Perser auf den Boden, Kronleuchter aufmachen und den Spiegel noch mal 7 Zentimeter höher, fertig. Kein Experiment, kein Wagemut, kein bisschen exzentrisch nach den Kriterien, die an derartige Projekte angelegt werden. Just another Hochglanzraum. Der Verfall, die wahre Geschichte dahinter wird ausgeblendet, und erst in 150 oder 200 Jahren, wenn der Stoff zu verschlissen ist, wird irgendjemand dahinterschauen und die Möglichkeit haben, auf die ich diesmal verzichte. Die Tapeten lasse ich für diese Person so. Viel Spass damit, wer immer er auch sein mag.

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Egoquote des Tages

"Journalistenblogger sind publizistische Rollstuhltänzer."

Nicht pc, na und. Getätigt von mir nach Ansicht der Tagesspiegel-Blogs.

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Montag, 18. Juli 2005

Mir ist heut nicht nach Jammertal zumut.

Beim anderen, hochverehrten Don macht sich gerade der Mittdreissigerfrust breit, und die Reaktionen zeigen, dass er beim Bohren in den tieferen Schichten wohl bei manchen auf einen Nerv gestossen ist. Draussen scheint die Sonne, die Vöglein und die Sopranistinnen zwitschern, ich finde mich fraglos teilweise in seiner Beschreibung wieder - nur nicht in den Minusgefühlen.

Diejenigen meiner Mitschüler, die sich noch nicht umgebracht haben, zu Tode kamen oder die Psychiatrie bevölkern - wofür ich übrigens angesichts dieser Stadt vollstes Verständnis habe - haben eine Biographie wie mit dem Lineal einmal senkrecht in das Rückenmark genagelt: Gerade, direkt, ohne Aussetzer und mit dem klaren Ziel vor Augen, irgendwann nach 20 Jahren Siechtum im Spital einsam an einer Maschine zu verrecken und dann in dem Loch begraben zu werden, in dem schon 4 andere, gleich hirnlose Generationen Futter für die Würmer sind. Bis dahin passiert so gut wie nichts aufregendes, sie machen Dienst und Leben nach Vorschrift, die Autos und die Kinder werden grösser und immer mal wieder gehen kaputt, manchmal kriselt die Ehe, sie haben sich nicht mehr zu sagen und Sex schon gleich gar nicht. Aber es verläuft alles in beruhigender Sicherheit, überall ist ein Netz und ein doppelter Boden. Irgendwann zwischen Abitur und Studienabbruch haben sie sich für diesen Weg entschieden, und so hocken sie jetzt rum und sind alle der Meinung, dass man beim Klassentreffen auf die jeweiligen Lebenspartner verzichten könnte - was mir leider das Problem ersparte, eine sie schockierende Auswahl aus meiner Freundin und die beiden damaligen Teilzeitgeliebten für diesen Anlass zu treffen.

Der hochverehrte Don hat Recht - der Weg in diese unterschiedlichen Betten wäre nicht ohne eine sprunghafte, mitunter unzuverlässige und stets zum Wandel bereite Persönlichkeit möglich gewesen. Ich habe auf den bürgerlichen Wertekanon meiner Schicht, der provinziellen besseren Familien verzichtet, weil ich daran ganz einfach erstickt wäre, wie auch an dem akademischen Bullshit von psychopathischen Professoren, die ihre Studenten nur nach Arschkriechertum und der Befähigung zur Differenzierung von Hallstatt D3 und La Tene A1 raussuchen. Niemand kann es da drin verstehen, wenn man ab und zu den Schleudersitz betätigt und sich da rauskatapultiert, aber wie heisst es nicht so schön? Freedom is a road seldem travelled by the multitude. Denen die Brocken vor die Füsse werfen, ihnen sagen: Fuck you, auf der schmalen Planke über den stinkenden Fischen ihrer Meinung und ihrer Zwänge eine Sarabande tanzen, und wenn es dann wieder aufwärts geht, ihnen erzählen, was einem jenseits ihrer zubetonierten Horizonte passiert ist - das ist die Freiheit, die man sich nehmen kann und muss, wenn man die fortitudo dafür hat.

Wenn man sie hat und es nicht tut... ich war heute Mittag im Konzert in der Kirche gegenüber. Ich bin in dem Alter, in dem die Leute nicht mehr in Clubs gehen und statt dessen lieber Konzertabos beantragen, und sich über die laute Musik der Kids beschweren, und feuchte Augen kriegen, wenn mal wieder Miami Vice oder Denver in der Glotze kommt. Und so treffe ich sie dann eben manchmal nach dem Konzert, so auch heute. Ein alter Schulfreund, bessere Familie, 8 Jahre nicht gesehen. Er hat mich mit 3 Sätzen über diese Zeit informiert - aufgestiegen, neues Haus gekauft, zweites Kind, das war´s, und das bei einem Menschen, bei dem ich immer dachte, dass er irgendwann Schriftsteller sein wird. Der konnte schreiben, ich nicht. Dann war ich dran. Die Gattin wartete daheim mit dem Essen, weshalb er mich nach einer halben Stunde unterbrach - und ich war noch nicht mal beim Umstand angekommen, dass ich inzwischen Literat bin. Was ist denn das bitte für ein Leben, von dem man 8 Jahre in drei Sätzen berichten kann? Ich war in den letzten 8 Jahren Journalist, Berater, Verräter, Schriftsteller, Lehrbeauftragter, Apparatschik, PR-Mensch und Investorensucher in 5 Städten in drei Ländern und noch vieles andere, und immer, wenn mich jemand gefragt hätte, was ich in zwei Jahren mache, hätte ich todsicher eine falsche Antwort gegeben. Das Leben hat mir jedes Mal ein paar Überraschungen serviert, manche waren gut, andere wirklich schlecht, ich hatte mit Betrügern, Versagern, Idioten und Spinnern zu tun wie auch mit einer ganzen Reihe wirklich grossartiger Leute, manche haben mich gehasst und andere wären ein gutes Thema für ein Sexblog, und im Ergebnis habe ich zumindest eines dadurch erworben: Die Fähigkeit, immer eine gute Geschichte erzählen zu können.

Natürlich sind die heutigen Tage keine allzu guten Zeiten für solche Menschen; Stichworte Altersvorsorge, finanzielle Sicherheit, Arbeitsplatz. Und ob es besser wird, wage ich zu bezweifeln, denn für die drohende Spiesserjunta mit ihren hässlichen Strebern, Leistungsfaschisten und elitären Sozialdarwinisten repräsentieren Menschen wie ich genau die Welt, die sie hassen. Für mich, für uns, für die Peer Group, aus der sich ziemlich viele Blogger und Leser rekrutieren, werden die keinen Finger rühren. Und damit werden sie ein getreuliches Abbild der Kultur des Landes sein, eine Unkultur, die uns die Wege verbaut, weil sie genug Arschhinhalter für den Hirnfick ihrer Staatsförderkunstmafia haben: Klagenfurt, Deutschlandradio, Bayern2, Schirrmacher-FAZ, Ostelbiersalon-Zeit und ihre TAZ-Nachwuchsbrut - immer das gleiche. Hey, zum Teufel mit denen, die werden so alt wie dir Dummheit, aber lieber am Strassengraben verhungern, als vor denen und ihren Bastarden und Cretins auf den Knien rutschend zu leben.

Es kann gut sein, dass es andere gibt, die besser sind, dass man hier und da bei seinem eigenen Weg was klauen muss, sei es literarisch oder finanziell, dass man zum Hochstapeln oder zum Dolchen gezwungen ist, beruflich oder zwischenmenschlich. Das ist mitunter nicht schön und nicht moralisch, in den Spiesservororten sorgt sie Sozialkontrolle schon dafür, dass das entweder nicht oder nur im ganz grossen Stil passiert - und niemand darüber redet. Was der Grund dafür ist, dass sie keine Geschichten haben.



Wir sind die anderen. Mit vielen Irrwegen und verpassten Chancen, aber auch mit vielen Geschichten, Erlebnissen und Leben. Wir zahlen dafür den Preis einer Sicherheit, einer Kontinuität, einer Beständigkeit im Sinne der totalitären Mehrheitsmonopole derjenigen, die keine Geschichte und Geschichten haben. Deshalb sind wir hier - weil wir die Geschichten haben, die denen fehlen. Wen will ich: Don Dahlmann oder Florian Illies? Catull oder Cicero? Cellini oder Calvin? Grimmelshausen oder Canisius? Le Sage oder Mazarin?

Also, man gehe, falls einen der Blues erwischt, nach Berlin Mitte, suche sich eine dieser abgesicherten Kotzfressen - und

man hau dem ganzen Lumpenpack
das Maul mit einer guten Geschichte kurz und klein.

Ich kann verstehen, dass man selbst dabei manchmal Selbstzweifel hat, oft ganz unten ist - aber dann geht es wieder nach oben, es ist nie das Gleiche, und immer etwas anderes als der graue Limbo der Vorstadtclons mit ihren Aktiendepots und den jährlichen 10% Rendite auf 0 Lebensfreude und Bedeutung, ohne je die Ausschüttung des unermesslichen Füllhorns zu erleben, die nur den Freien vergönnt ist, die es sehen, empfinden und erzählen können. Der Preis, den wir dafür zahlen, zahle ich - und den Text hier können sie behalten, der ist das Trinkgeld.

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Sonntag, 17. Juli 2005

Objekt der Begierde: Soooolche Erker, Mann...

Irgendwann werde ich fertig sein mit unserem Monstrum. Dann ist es Zeit, das Imperium des Clans wieder in alte Grösse zurückzuführen, nachdem von den früher mal vier Altstadthäusern nur noch zwei - Stadtpalast und Hinterhaus - im Familienbesitz sind, und der Rest zugunsten von Vorortscheusslichkeiten verkauft wurde. Es dreht mir jedesmal den Magen um, wenn ich sehe, was die verkauft haben, auch, wenn ich noch gar nicht gelebt habe, als das passierte. Wie auch immer - irgendwann, in nicht allzu langer Zeit vielleicht, wird das Haus in der Mitte zu verkaufen sein.



Man muss es sich restauriert vorstellen können. Natürlich nicht totsaniert, sondern behutsam erneuert, was unvermeidlich ist. Das Dach, die Fenster, die charakteristischen grünen Holzteile auf jeden Fall so lassen. Nur den Rost weg, das Dach ausbessern, streichen, den Putz sichern. Es hat im Verhältnis zu seiner Grösse den grössten Erker der Stadt, und schon als Kind hätte ich das gern gehabt.

Es ist sehr klein, 100 Quadratmeter, die ideale Beschäftigung für einen Sommer. Und durch die alten Scheiben hat es sicher ein wunderbares Licht in allen Räumen.

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Nachtarbeit

Im ersten Tageslicht, nach langen Wochen, war der Raum, der in wenigen Wochen meine Bibliothek sein wird, heute morgen dann zum ersten Mal fast leer.



Nicht ganz, denn: Ein Filmteam war der Meinung, dass der Raum ganz vorzüglich für einen Kurzfilm über das Leben von jungen deutschen Arbeitslosen taugen würde, und das, nachdem der Raum 30 Jahre leer und voller Gerümpel gestanden hatte. Und sie wollten ihn genau so, mit zerissenen Tapeten, 60er-Jahre-Fussboden, 50er Jahre Tische (einen wollen sie übrigens auch gleich haben, wenn möglich, so coooool), und der Resopalküche.



Es kann schon stimmen, Ingo Niermann hat in Minusvisionen einen ähnlichen Raum im Besitz von Unternehmern ohne Geld beschrieben. Damit enden aber auch schon die Gemeinsamkeiten; wenn sie morgen fertig sind, wird die Decke abgezogen, verspachtelt, und dann kommt auch schon am Montag der Stuck an die Decke. Und spätestens von da an würde es sich nicht mehr als Kulisse eignen.

Hoffen wir mal, dass die junge Regisseurin das Material wirklich im Kasten hat und nicht nachdrehen muss. Falls sie in drei Wochen auf die Idee kommt, doch nochmal einen Take zu brauchen, müssen die Charaktere irgendwie schlüssig erklären, warumn sie dann plötzlich auf Seidenteppichen auf Louis-Seize-Möbeln sitzen, und ihre Töpfe in chinesischen, hochglanzpolierten Lackschränken aufbewahren, die im Licht des Kronleuchters schimmern.

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Samstag, 16. Juli 2005

So sieht es aus,

wenn der Himmel gerade eine kleine Strafaktion gegen Wettstetten mit Sturm, Blitz und Platzregen gegen Wettstetten durchführt und man selbst auf der Dachterasse ist, und sich vorstellt, wie das da gerade wohl ist - vielleicht gibt´s auch ein paar taubeneigrosse Hagelkörner...



und an uns geht das alles vorbei... aber ein gewisser Minister aus Wettstetten hat inzwischen ganz andere Probleme. Bei Pisa ist er ja vielleicht in der Champions League, aber wenn es dann um tatsächlich um Fussball geht, können seine Beamten wohl doch nicht so gut rechnen - da sind sie wohl dem Kaiser Franz verfallen, oder es gab auch ein paar Buchungsfehler, und Millionenverluste dank der einzigartigen Wirtschaftskompetenz des Freistaates und seines Ministerpräsidenten, der das alles früher ganz toll fand - diesen Sumpf, den jetzt der Rechnungshof durchsucht. Bayern eben.

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Real Life 15.07.2005 - Vita brevis

Falls jemand ein Buch plant mit dem Titel - "Es geht auch ohne Tiger, Doppeldecker und Gurkhadolch - so leben schlechtere Söhne besserer Häuser im postkolonialen Zeitalter stilvoll & vorzeitig ab" - da hättest du heute beinahe einen interessanten Beitrag gehabt. Oder nicht du, sondern dein Leichenbeschauer: Adulter Mann in hellbrauner Hose und gestreiften Hemd mit Button-Down-Kragen, aufgefunden auf einem damastbezogenen Bett mit einem Bild - impressionistische Meeresansicht im Stil Claude Monets - in der linken und einem roten, spitzen Schraubenzieher in der rechten Hand. Gestorben an einer inneren Blutung nach dem offensichtlich vergeblichen Versuch, mit dem dafür untauglichen Schraubenzieher die das Gemälde im Rahmen fixierenden Nägel zu ziehen, wobei er einen Nagel in Richtung seines Bauchnabels gedrückt hat und unter Durchstossung von Lunge, Leber, Milz und Darm (?, in Bio warst du immer schlecht) abgerutscht ist. Fremdverschulden ist auszuschliessen, auf dem Plattenspieler drehte sich noch die Etüde Nr. 2 für Waldhorn und Streicher von Cherubini, Sie wissen schon, eines dieser Stücke, die von der Jagdmusik inspiriert waren, die man im Barock spielte, wenn man das Wild ausgeweidet hat - an sowas hat Modeste nicht gedacht, btw.

Ironie am Rande: Der Händler, bei dem du das Bild erstanden hast, lieferte dir eine harte Verhandlung, die mit seinen Worten gipfelte: "Geld, was ist schon Geld, hier geht es um Kunst, daran erfreut man sich ein Leben lang." "Ars longa, sed vita brevis", hättest du antworten sollen.

Du hast ein Loch im Bauch. Es tut weh. Du blutest. Hm, ein klein wenig, gut, ok, eigentlich fast gar nicht, aber zumindest fühlt es sich so an. Und du brauchst ein frisches Hemd ohne Loch. Und eine Zange, oder doch endlich mal einen Butler.

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Donnerstag, 14. Juli 2005

In aller Freundschaft gegen den Wind

ging die bayerische Staatsregierung lange mit dem Boss der Bavaria Film. Der, ein idealtypischer Vertreter bayerischer Medienpolitik unter dem Medienstaatsobermacher und Staatskanzleichef Erwin Huber, zog alles mögliche für die geheiligte Kuh und Tschiev Fiutscha Wöaking Plaiss Tschäneräitoa und Medienstandort München - neudeutsch auch Mediencluster Munich Area - an Land. Offensichtlich auch eine grosse Menge an Schleichwerbeverträgen bei einer ganzen Reihe von öffentlich-rechtlichen Sendungen, wie die SZ berichtet. Tatort, wie passend, gegen den Wind, In aller Freundschaft - so heissen die Serien, bei denen jetzt die Freundschaft endet. Und deshalb san die, die wo früha scho Hund gwesen sind, plötzlich ohne Job.

Jaja, so ist das im schönen Bayernland, wo man knallhart die Konsequenzen zieht und niemanden politisch oder mit Druck auf Staatsanwälte oder Polizei deckt - wenn er den Machthabern nach langen Jahren der dicksten Freundschaft gefährlich werden kann.

Was dem Stoiber sein Versagen bei den Hypo-Immobilien und der Landesbank-Finanzierung für Kirch, wird dem Huber wohl seine Bavaria - allerdings kaum zur Patrone Bavaria, die ihn aus dem Amt ballert. Statt dessen wird man uns diese Leute mitsamt den von ihnen betriebenen Stil als Wirtschaftskompetenzlinge vorführen. Besonders in den bayerischen Medien, und garantiert ohne Zahlungen für Schleichwerbung. Weil, Hund sans scho.

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Wie kann es unter so einem Himmel

solche Parteien geben? Die allen Ernstes einen Mann aus Wettstetten zum Schulminister und Hohlmeierersatz machen?



Nördlich von diesem schönen Abendhimmel wird es noch schlimmer, als es 15 Meter weiter unten ohnehin schon ist. Nördlich kommen Käffer, die beweisen, dass der Bayer als ein solcher so intelligent und schriftbefähigt ist, wie nun mal Leute sind, die es mit dem Stift allenfalls auf ein Kreuz alle 4-5 Jahre bringen, und das auch noch an der immer gleichen Stelle machen. Ich bin überzeugt, dass die CSU an der 5%-Hürde scheitern würde, wenn ihre Wähler "Ich stimme für die CSU" auf den Zettel schreiben müssten - meist würde man dort "Mia san de Mearan" oder "Des bleibt ois wias is" finden.

Das Kernland dieses geistigen Einbahnstrassenbajuwarentums ist der Ort Wettstetten, gelegen im ohnehin schon ultraschwarzen Bistumslandkreis Eichstätt. Und ich sage Euch: Wettstetten hat die Website, die es verdient. Wettstetten ist Fett triefender Speckgürtel der selbstzufriedensten Sorte, mit riesigen Arealen an toskanagelben Turmwalmdachburgen und Kachelöfen und Butzenscheibenimitat und Jodlerbalkonen, zu deren Gunsten man die ortstypischen Bautraditionen des Jura auf den Müll gekippt hat. Wettstetten ist die Hölle, Wettstetten ist neureich, und die Sozialkontrolle arbeitet effektiv wie in Nordkorea. Das ist Wettstetten. Dort gibt es den Krieger- und Soldatenverein Wettstetten-Echenzell e.V., und zwar nicht als Satire, sondern wirklich, mit Fahnenweihe, und weil das noch nicht reicht, eine Reservisten-Kammeradschaft und zwei Schützenvereine. Und vermutlich einen Schrank voller Schiessprügel in jedem zweiten Haus.

Und wenn man dann auf der Dachterasse sitzt und Wettstetten kennt und dann im Radio einen Bewohner dieses Ortes hört, der hierzulande nun mal Minister für Unterricht ist, und der redet davon, dass Bayern beim Pisa-Test "in der Champions League" mitspiele, weil was anderes der Bayer als ein solcher nicht kapiert - Champions League macht neben Beer und Laptop 50% seines englischen Aktivwortschatzes aus - dann fasst man es nicht. Das kann nicht sein.

Und in Wettstetten grinsen sie sich in den Zirbelholzstuben und vor dem Rauhputz und der Bildtapete und dem Schwämmchenorange einen ab. Die Welt ist nicht gerecht.

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