Scheiss des Jahres

Nach der New Economy, ab 2001, tropfelte jedes Jahr ein Bullshit-Thema durch die Medien, intern bei mir als "Scheiss des Jahres" bezeichnet. Also irgendein Sommerloch-Dreck, der was mit Bürgerbeteiligung, menschlichen Kontakten, Technik, Internet, Personalisierung zu tun hatte. Herausragende Beispiele waren:

Multiple Internet Radio Streams (Sollte UKW ablösen)

Personalised Content Refinement (gab´s auch in anderen Bezeichnungen, kommt gerade unter dem Label RSS wieder)

Flash Mobs (tatsächlich gab es sogar ein paar gescheiterte Startup-Typen, die das auch in Deutschland probiert haben)

Bluejacking/snarfing (hat sich ja mittlerweile als Fake erwiesen)

2004 gab es nichts dergleichen, aber dieses Jahr schlägt es um so heftiger ein. Gleich drei Schlagwörter verpesten die einschlägigen Zeitungen, die in zwei Jahren neue Trends haben und sich dann für diese drei Ideen, die nicht gekommen sind, schämen werden:

1. PR-Blogs - human approach 2 customers, jaja.

2. Podcasting - Lustiges neues Wort für eine etwas ältere Geschichte, nämlich etwas aufzuschreiben, in ein in der Regel mieses Mikrophon vorzulesen, zu schneiden, und als MP3 online zu stellen - statt dem Nutzer einfach den Text zum Selberlesen zu geben, und das soll, wenn es nicht gegen das Copyright verstösst, angeblich das Radio der Zukunft sein - na, ich weiss nicht.

3. Der Überbegriff Social Software - warum reden da besonders oft Leute drüber, die ich eher beim Bedienen asozialer Software vermuten würde?

Mediale Wortwegwerfprodukte, Hypes a la Mode, sinnlose Überbegriffe zur Vereinnahmung, Tr-e-nds, und immer auf den human touch achten. Was für die Bild der deutsche Schäferhund ist, der Bridget Bardot den Brustkrebs wegleckt, ist für diesen Hurnaille-Berater-Unternehmer-Quotescheiss-Cocktail die social Software, die mit Traumrenditen im Network die Fickanbahnung nach Ansicht von Flickr-Pics erleichtert und nebenbei noch den Paarungsort vom Werbepartner mit gefälschten Empfehlungen an den Mann bringt, während via RSS die hundert lustigsten MP3-Schmuddelwitze eintrudeln - user generated und kostenpflichtig, natürlich.

Freitag, 22. Juli 2005, 00:37, von donalphons | |comment

 
podcasting
Full Ack

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Das werden viele wohl etwas anders sehen :-)

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Früher haben wir algerische Frauenfilme mit portugisischen Untertiteln uns angesehen. Heute hört die aufgeklärte Jugend seltsame podcasts.

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Ich mach's mal einfach für die Podcaster:

Podcaster sind doof.

Aber weil's so nach iPod klingt, jubeln die ganzen Fanboys.

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@strappato: JAAA, und wir haben in Kairo japanische Actionfilme mit pakistanischen Untertiteln gesehen, weil die ägyptische Zensur aus der arabischen Fassung zu viel herausschneidet. iPod: Tut´s nicht auch der gute alte Walkman?
@Don: So etwas gab es schon vor 2001. Ich erinnere mich daran, was man mir 1993 beim NDR über HDTV erzählte. Demzufolge dürfte es heute keinen einzigen analogen Fernseher und keine Betacam mehr geben.

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Gut gemachte, professionelle Podcasts...
... sind doch was feines, finde ich. Nennen wir es Radiokonserve zum Mitnehmen, wenn der Name "Podcast" zu marktschreierisch klingt. Stream abonnieren, iPod einstecken und morgens im Auto das per Audio aufholen, was man am Tag vorher verpasst hat. Zum Beispiel, was für lohnenswerte Filme gerade im Kino laufen.
Ich kann da nichts schlimmes dran erkennen. Schrott gibt's überall, na und? Man beschränke sich auf die Rosinen und gut.

My 2c.

Jav.

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Wenn die Podcasts denn wenigstens geschnitten wären könnte man sich das ja anhören. Aber ehh.... öh.. genau, also bla, weil bla.. eh. öh.

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Du hast es selbst gesagt: marktschreierisch. Früher hat man mal Sendungen per Kassettenrekorder aufgezeichnet. Funktionierte auch. Wenn heutzutage andere Technik zum Einsatz kommt, ist das eigentlich nicht spektakulärer, als die Tatsache, dass Autos heute digital gesteuerte Einspritzer und keine Vergaser mehr haben. Niemand würde deshalb "autofahren" durch irgendein Mode-Buzzword ersetzen. Aber "Podcasting" wird zu etwas sensationell Neuem und einem Supertrend erklärt. Man könnte auch einfach "Mitschnitt" sagen, und schon entfällt der faule Zauber.

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Es geht ja nicht darum,
podcasts per se als Sch***e zu deklarieren, werter javigator. Was nervt, ist der Hype. Dieses nerdige Nischenphänomen zur Zukunft des Radios hochzujazzen, sorry, das ist doch Bullshit. Die Mikrowelle ist ja auch nicht die Zukunft des Gasherds geworden.

@che: Stimmt, HDTV. Wie ich höre, beflügelt dieses Kürzel (das sich in meinen Ohren immer nach ner HIV-Variante anhörte) neuerdings wieder die Phantasie der Bewegtbildbranche. Denn die teuren Zusatzprogramme alleine erweisen sich bisher ja nicht als die Super-Zugnummer für digitales Fernsehen...

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Man sollte...
...vielleicht noch mal kurz klarstellen, was denn im Allgemeinen als "Podcast" gemeint ist. Im Prinzip geht es um Audio-Abos. Automatisch bezogene (durch die Zusammenführung von Technologien wie MP3 etc. und RSS) Audioaufnahmen, Tonschnippsel, Radiosendungen, zum Hören wann man will und nicht dann, wenn der Producer/Sender das will. In diesem Sinne (Unabhängigkeit von Radioplanern und vom Mainstream-Radio, welches gerade im privaten Sektor meiner Meinung nach immer unerträglicher wird) kann ich schon gut verstehen, dass einige das als Zukunft des Radios sehen und es entsprechend promoten. Das sind die Leute, die die Schnauze voll haben von zentralistisch gesteuerten Programmen, von der Musikindustrie platzierten und fabrizierten Playlists.
Aber das sind ja nicht alle, sogar eher wenige. Ich persönlich finde ja, dass der Hype mehr durch die Leute fabriziert wird, die Podcasts gar nicht so toll finden. Meiner Meinung nach wird hier mehr gemeckert als gejubelt.
Und weil der Mensch, der diese Art von Audio-Abo populär gemacht hat, dass ganze cvlever "Podcast" genannt hat (und das natürlich in der iPod-freundlichen Presse sehr gut ankam), hat sich nunmal dieser Begriff festgesetzt. Die meisten Menschen "googlen" ja auch nur noch, statt "zu suchmaschinen" - griffige, gut klingende Begriffe setzen sich eben fest. Ich finde den Anti-Hype gegen Podcasts genau so übertrieben, wie Podcasting als Hype hinzustellen. Lassen wir einfach mal die Kirche im Dorf.

Jav.

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Podcasts haben ihre Berechtigung - auf einem sehr kleinen Markt. Denn, lieber Don, vergiss bitte nicht Gehörlose. Die freuen sich auch über vorgelesene Artikel auf Internet-Seiten.

Ansonsten teile ich Deine Skepsis. Podcasts sind waaaaaahnsinnig cool und werden deshalb in einem Jahr vermutlich verschwunden sein.
Ich übrigens höre in der Straßenbahn immer Hörbücher, runtergeladen auf mein Handy. Auch eine Art Podcast - aber doch etwas ganz anderes.

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Gehörlose
hehe... kann ich mir richtig gut vorstellen, wie sich gerade die Gehörlosen über Podcasts freuen...

'tschuldigung, konnte nicht widerstehen.

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nicht relevant in bezug auf den beitrag, trotzdem:

don alphonso erwähnung auf sueddeutsche.de

http://www.sueddeutsche.de/,trt2m1/muenchen/artikel/264/57207/

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By the way: Kürzlich schaute ich im Fernsehen den Presseclub. Da wurde die Frage gestreift, wieso über das "Warum" der neoliberalen Sparpolitik und mögliche Alternativen in den Medien nicht diskutiert würde, und da sagte doch jemand, die Einzigen, die öffentlich und frei zugänglich fürs Publikum über so etwas noch diskutieren würden, wären die Veteranen der Dotcomtod-Community.
Danke!

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Lustigerweise wird die SZ bald selbst mit dem Bloggen anfangen, dann hat sich das mit dem Bloggerdissen :-)

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Ich will sofort den Computerclub mit Wolfgang Rudolph und Wolfgang Back zurückhaben!!! Da war "Hype" noch funkelnde Äuglein und weihnachts-ergriffene Zitterstimme beim Vorstellen von Schrittmotor-Steuerungen, dem frühen Linux, Videodat oder "Lallus".

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Ja, WDR-Computerclub. Ich mach schon mal den Lötkolben heiss.

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Löten kann man auch ohne Patt und Patterchon vom Computerclub. Nur, was macht man damit, nachdem man alles zusammengelötet hat?

Richtig spannend ist das nicht mehr. In Zeiten von ATMEL AVR RISCs hat man für unter 10 Euro auf zwei Quadratzentimetern mehr Rechenleistung als zur Blütezeit des Computerclubs in einem Heimcomputer steckte. Mehr Logik als man früher auf einem Eurokarten-TTL-Grab unterbringen konnte. Um dann doch nur drei LEDs blinken zu lassen.

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Dazu sind die modernen Bausteine so hitzeempfindlich, dass man immer in der Gefahr schwebt, einige Euros in Rauch aufzulösen.

Wir haben vor ein paar Wochen die Elektronik-Werkstatt meines Schwiegervaters ausgeräumt. Der ist vor 15 Jahren gestorben. Ein Jammer. Analoge Messgeräte kiloweise. Heute nur noch Schrottwert.

In der c't gibt es immer wieder das ein oder andere "Selbstlöt-Projekt". Aktuell ein Klangcomputer.

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Ah, ich suche ein hübsches (!) Multimeter aus den 60ern mit großer Analoganzeige und im schwarzen Gehäuse. Bevor Sie sowas ähnliches VERSCHROTTEN sollten, sagen Sie mir lieber Bescheid.

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Und falls er das alles, wie es manchmal passiert, in einem falsch genutzten Biedermeier-Sekretät aufbewahrt hat, bitte ich um eine Mail.

Der Vater einer Freundin ist Künstler, und sie hat ihren Sekretär aus seinem Atelier gerettet, wo er das Terpentin verstaute - das Ding riecht bis heute komisch.

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@kid
Die sind alle in Kartons verschwunden und zwischengelagert. Wenn die Endlagerung auf dem Dachboden ansteht, denke ich an sie. Aber: So wie ich das gesehen habe, sind Multimeter aus den 60er Jahren eher selten. Es gab für alles ein eigenes Gerät. Was ich schon auf den Dachboden gebracht habe: Ein Ohmmeter in der Grösse eines heutigen PC-Barebones mit einer riesigen Analoganzeige. Aber in Alugehäuse. - und 5 verschiedene W48-Bakalit-Telefone.

@Don.
Biedermeier in einem 60er Jahre Bungalow passt wohl nicht so. Aber wir konnten einen netten kleinen 60er Jahre Wohnzimmerschrank in Palisander retten. Sehr apartes Design, das an Bauhaus erinnert.

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Palisander ist sehr schön, und heute sehr selten - leider. Überhaupt waren die 60er und frühen 70er die letzten Jahre, in denen es noch regelmässig richtige Holzmöbel gab - danach kam die Elchspest und die Pressspan-Cholera.

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War damals schon selten. Ich weiss noch, wie stolz meine Schwiegermutter auf den Schrank war: "Den hat Fabrikdirektor .... auch". Dazu gehört übrigens auch ein Beistellschränkchen, das fast eine Kopie des Schrankes im Masstab 1:4 ist. Vielleicht sollte ich mal ein Foto machen und in mein blog stellen.

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@kid37:
Wenn meine Nachmieterin den Keller nicht komplett entrümpelt hat, besteht ne Chance, dass das alte russische Analog-Multimeter noch da ist. Ob es definitiv 60er ist, weiß ich nicht zu datieren. Weiß nicht, wann ich wieder in meinen alten Wohnort komme, aber ich hatte es irgendwann mal vor, meine dortigen Hinterlassenschaften nochmal zu sichten...

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Lustigerweise sitze ich gerade bei meinen Eltern an einem ehemaligen Schreibtisch und vor dem Buchschrank eines provinziellen Brauereibesitzer aus den 60er Jahren, eine Massanfertigung eines entfernten Teils meiner Familie. Es war wohl damals das Ziel vieler Leute, die Möbel vom Direktor zu haben.

1992 übergab der Brauereidirektor dann die Geschäfte an seinen Sohn, und bei seinem Abschied, wo mein Clan aus alter Verbundenheit auch anwesend war, erzählte er mir, dass sein Büro jetzt aufgelöst würde, und ob ich nicht vielleicht, weil ich doch von diesem Clan bin und ein Herz für alte Dinge habe, sie würden mir das sogar vorbei bringen ... das Ding ist der reinste Panzer, Messingschlösser, 3 Zentimeter Vollholz, Lederbespannung auf der Platte, und es strahlt förmlich den totalitären Charme aus, der die Mitarbeiter so gleichschaltete, dass sie auch so einen wollten.

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Mal wieder der Sixtus
Ich möchte nicht versäumen, an dieser Stelle auf einen Beitrag von Mario Sixtus hinzuweisen, der sich vom Obigen offensichtlich angesprochen fühlte, ohne dass er vor der Flinte war - wenn ich jemanden gezielt attackiere, dann schreibe ich dazu, wen ich damit meine und linke seinen Text auch, schliesslich haben die Leser ein Recht auf andere Meinungen.

Ich schon. Soweit bin ich durchaus der Meinung, dass Blogs dem sozialen Austausch dienen sollten und dadurch, wenn man partout will, eine "sozial besonders wirksame Software" sind, wobei "sozial" bitte wertneutral zu sehen ist - ich gehöre nicht zu denen, die Kommunikation per se gut finden, da muss man nur mal eine New Economy Ad Hoc, ein Weinschlauchblog oder Brand1 lesen. Durchgehend Scheisse finde ich allerdings Nichtkommunikation aus Feigheit, wenn es schon mal die Möglichkeit gäbe, das Ganze in der Öffentlichkeit real zu debattieren. Wir verstehen uns, gell?

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Was war das Thema der letzten brand1? Kommunikation - zuhören statt zutexten.

Satire oder nicht?

Zu Sixtus: Dieses "Power to the poeple"-Geschwätz erinnert mich an meine kiffenden Kommilitonen, die in den Semesterferien nach Bali düsten. Der Wunsch nach der Macht des Volkes ist so alt wie die Idee der Revolution. Ich habe letztens mal wieder Bruce Sterlings "The Hacker Crackdown" gelesen. Da wird man auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Übrigens feiert die EFF ihr 15-jähriges.

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Die Brand1 schreibt grundsätzlich nur über Dinge, von denen die keine Ahnung haben - man muss mal die alten Nummern rauskramen, als sie noch über Dooyoo und die Kunst des Geldverbrennens schrieben.

Ich will nicht bestreiten, dass es eine Änderung im Mediennutzungsverhalten gibt - nur tendiert jeder Kulturhistoriker, der sein Arebeitslosengeld II wert ist, zu der Auffassung, dass der Mensch an sich eine faule, schmutzige, dumme und obendrein auch noch arrogante Bestie ohne geistiges Entwicklungspotential ist, was sich spielend belegen lässt, wenn man Machiavellis Kapitel über die Volksherrschaften liest. Natürlich tut bloggen den Medien weh, natürlich verlieren sie da was und woanders entstehen neue Informationssysteme, aber die sind immer nur so toll und gut wie die Menschen dahinter abzüglich der Sozialkontrolle des Netzes und der Selbstzensur.

Wenn es also heisst: "The next big Thing will be You!" dann möchte ich zurückfragen: "So wenig soll ein grosses Ding sein?"

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Infantilitätszusatzbloggen bei Sixtus
(das schreib ich jetzt einfach mal, ihn kann es nicht stören, weil er das Blog hier nach eigener Aussage sowieso nicht liest):

Besagter Brand1- und anderer Autor legt in einem Zusatz zu seinem Beitrag Wert auf die Information, dass sein Text mit meinem nichts zu tun hat, und sich auch keinesfalls auf ihn bezieht, sondern nur auf die "Geisteshaltung". Und ich lerne daraus, dass man mit Bloggen zumindest die Sozialstufe des Sandkastens - bäh ich schau deine Burg gar nicht an und jetzt halte ich mir die Ohren zu bäbäbä - erreichen kann. Prima. Das werde ich fürderhin berücksichtigen, selbst wenn er das nicht liest.

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