: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Dienstag, 17. Juni 2008

United States of Dystopia

Nehmen wir mal an, jemand hätte uns im Jahr 2000 erzählt, dass in acht Jahren die Vereinigten Staaten schon seit einem Jahr in einer global wirkenden, jedoch selbst verschuldeten Finanzkrise stecken. Dass die Unsummen, mit denen man das korrigieren könnte, in zwei vollkommen sinnlosen und nicht gewinnbaren Kriegen und einer Reihe von lokalen Konflikten verbraten wurden. Dass dieses Land immer mehr verbraucht hat, an Benzin, Rohstoffen und Nahrung, dass ein grosser Teil der Bevölkerung krank vom Wohlstand ist, und gleichzeitig jede Form von Infrastruktur vor die Hunde geht. Dass dieses Land unter seinen Bürgern extreme Armut kennt, und noch schlimmere Armut unter denen, die dort leben, aber keine Bürger sind. Dass dieses Land von einer Clique durchgeknallter Idioten regiert wird, Scharfmachern, präfaschistoider Überwachungsspinnern und Think Tanks, die von Leuten aus dem nach europäischen Massstäben rechtsextremen Spektrum bezahlt werden. Dass die Staatsverschuldung jederzeit eine globale Wirtschaftskrise auslösen kann, während das Land und seine Produkte kaum mehr zur ersten Welt gezählt werden können. Dass die Schlüsselindustrie der Autoproduktion am Ende ist. Dass nach einer gigantischen Katastrophe in einer Millionenstadt auch nach Jahren grosse Teile dieses Ortes aussehen, als wäre die Flut erst vor drei Wochen gewesen.

Und nehmen wir weiter an, man hätte uns gesagt, dass dieses Regime auf allen Feldern der Aussenpolitik in der Defensive ist - teilweise gegenüber antidemokatischen und im Kern radikalmuslimischen oder postkommunistischen Diktaturen wie Saudi-Arabien und China, die auf der anderen Seite mit ihren Investitionen den sozioökonomischen Moloch von Amerika am Laufen halten. Dass dieses Land bewiesen hat, wie unfähig es ist, auch nur kleine Territorien wie den Kern von Bagdad zu besetzen, wie egal ihm das Thema "Nationbuilding" ist. Dass inzwischen auch die Israelis selbst mit der Hamas reden, weil klar ist, dass von den Versagern in Washington keine Initiativen mehr kommen. Dass Russland und China ungestört auf dem globalen Vormarsch sind, weil die USA für einen freien Rücken in Sachen Afghanistan und Irak jede andere Schweinerei tolerieren. Dass sie einen Staat wie Pakistan unterstützen, der zumindest indirekt an der Konzeption des internationalen Terrorismus beteiligt ist.

Und hätten wir und damals erzählen lassen, dass die Notenbank zugunsten einiger Hasardeure auf den Finanzmärkten das Land zusätzlich in eine Inflation treibt, die ganze Schichten real verarmen lässt. Dass das Land seine Soldaten ermächtigt, die Menschenrechte global mit Füssen zu treten. Dass diese Supermacht auf allen Ebenen so unglaublich ignorant ist, so unfähig, die notwendigen Veränderungen überhaupt erst zu begreifen. Dass das Land nach menschlichem Ermessen auf allen Ebenen bankrott ist, egal ob wirtschaftlich, in seiner Militärdoktrin, sozial oder politisch.

Dass dieser Leader zu einem Moloch geworden ist, bei dem man sich fragt, ob er der Lösung der Probleme dieses Planeten nur im Weg steht, oder nicht auch zentraler Teil des Problems ist.

Hätte das jemand 2000 geglaubt, und hätte jemand daran geglaubt, dass 8 Jahre, immerhin eine lange Zeit, ausreichen, dass man sich an diesen Zustand irgendwie gewöhnt hat?

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Empfehlung heute - Ohne Liebesgrüsse aus Ostbayern

Ich möchte mich an dieser Stelle vollumfänglich hinter die Meinung des Rationalstürmers zu einer Führungsperson der SPD stellen.

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Dienstag, 17. Juni 2008

Die Rettung des Raben Teil 2

Eigentlich wollte ich nur restaurieren, was unbedingt restauriert werden musste. Am Ende habe ich das Rabeneick dann bis zur letzten Schraube im Dynamo zerlegt, gereinigt, repariert, gefettet und wieder zusammengeschraubt. Was jetzt noch fehlen würde, wäre eine neue Verchromung der Kurbelgarnitur, die damals, 1952, angesichts der Materialknappheit mit einem Überzug versehen wurde, der heute wie dünner Lack abblättert, und darunter rostet. Aber so ist das nun mal bei alten Dingen, die Zeit legt gnadenlos die Qualität offen, und sonst gibt es wenig zu klagen.



Neueren Datums sind jetzt lediglich der Sattel und der Zug und die Klötze der vorderen Bremsanlage. Die alten Reifen wurden gegen die eher originalen Weisswandreifen von Schwalbe ausgetauscht. Ansonsten habe ich sogar den alten Originalschlauch aus rotem Gunnmi wieder verbaut. Die Bremsanlage vorne ist jetzt nicht mehr ganz stilecht; schliesslich war Aussenhülle früher grau und die Bremsklotzhalterung aus Aluminium, aber da geht die Sicherheit vor. Zumal ich mit der Rücktrittbremse absolut nicht klarkomme.

Ein paar Probleme habe ich bei den bislang gefahrenen 70 Kilometern auch gemerkt:

Die Griffe sind gnadenlos hart, zu klein und ergonomisch äusserst ungünstig. Nach zwei Stunden zieht es in den Handgelenken. Handschuhe sind zu empfehlen.

Für die Ebene ist der einzige Gang sehr gut geeignet, das Anfahren ist schnell möglich, und mit den schmaleren Reifen ist das Treten nicht schwer. Steigungen von mehr als 5 Prozent machen aber auf längere Sicht keinen Spass. Brücken und Dämme gehen. Es ist ein Rad für das Donautal, aber nicht für die Steigungen am Tegernsee.

Auch mit allen Tricks bleibt die Bremsleistung inferior, so dass man auch Ausweichen als defensive Taktik im Blick behalten sollte. Würde nur die Lenkung schnell reagieren! Das Problem ist der flache Lenkwinkel; man kann ziemlich viel - für Rennradfahrer - ungewöhnliche Dinge tun, bis sich das Rabeneick dazu bequemt, eine schnelle Kurve zu fahren. Es ist weitaus sportlicher als das gängige Oparad, aber mit 1,2 Meter Radstand nicht wirklich das, was man spritzig nennt. Aber zum Ärgern normaler Mountainbikefahrer reicht es auf Feldwegen allemal aus.

Und: Man wird oft angesprochen. Das entschädigt dafür, dass es sich lenkt, bremst und anfühlt wie ein Rad, das über 55 Jahre auf dem Buckel hat. Zum Erdbeeren pflücken ist es jedenfalls ausreichend, und ich fand keinen Grund, warum das in weiteren 55 Jahren anders sein sollte. Denn nichts ist an diesem Rad aus Plastik, es ist Schwermetall, reparierbar, und wartet jetzt nur noch auf den Einsatz des Lackstiftes für die letzten Rostflecken.

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Empfehlung heute - Zum alten Heim

kehrt Käthe Feinstrick in einer feinen Erzählung zurück.

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Montag, 16. Juni 2008

Real Life 15.6.08 - Fallende Feste

Schon seit Jahren hatte der Efeu den Balkon der Familie H. zerstört. Vor wenigen Wochen wurden dann die betroffenen Holzplanken ausgetauscht, der Efeu abgerissen und bei der Lasur gepfuscht, denn die neuen Planken waren viel dunkler als ihre Vorgänger. Nachdem das fehlende Grün Frau H. aber ohnehin befremdete und man wegen sowas auch als Millionärin keinen Gärtner anrufen muss - kostst ja alles nur Geld -, stieg sie auf die Leuter, zog die Kletterrosen hoch zum Balkon, rutschte aus und landete mittelunsanft in einem Buschwindröschenbeet; meistenteils jedenfalls; ein Fuss schlug jedoch auf dem neu angelegten Holzboden der Terrasserweiterung auf, mit der Folge einer schweren Stauchung, Verdacht auf Bruch des Mittelfussknochens und Überweisung in eine Klinik an einen idyllischen, oberbayerischen See, wo ihr Mann solange die Geschäfte aus dem Hotel erledigt und ansonsten alles tut, um die Unpässlichkeit wie eine normale Kur wirken zu lassen.

Da gibt es nur ein Problem: Das Gartenfest war lang geplant und entsprechend vorbereitet; die Zelte waren angemietet und die Torten fest bestellt, eine Absage wäre unerfreulich gewesen, und als dann die Schwiegertochter in der Hoffnung auf das Ausbleiben des Ernstfalles und eine empörte Zurückweisung durch Frau H. meinte, sie könnte das ja auch übernehmen, musste sie - den von Susi verbreiteten Gerüchten zufolge - wenig erbaut erfahren, dass Frau H. die Initiative uneingeschränkt begrüsste, schliesslich musste die Eingeheiratete auch mal endlich lernen, wie man sowas macht. Und nun stehen draussen die Zelte in einem infernalischen Hagelschauer, ein paar zurückgelassene Gläser glänzen im nassen Gras, und auf den 20 Matern von den Zelten zu den trockenen Innenräumen sind alle - um es vorsichtig zu sagen - feucht geworden. Und die Schwiegertochter, die nicht erwartete, plötzlich all diese Leute im Haus zu haben, ist vor lauter Unorganisiertheit am Rande des Nervenzusammenbruchs.

Du stehst mit Susi ziemlich am Rand des Debakels, aus dem gerne jeder verschwinden würde, aber keiner natürlich nach einer Stunde einfach so gehen kann, also nässt und dampft man sich was vor und isst Kuchen im Stehen. Oder begeht einen Fauxpas.

Monika! Monika! zischt es neben dir, es ist der Herr, der an Sylvester die dumme Idee hatte, bei dir daheim Kerzen - und Krabbensalatplastikverpackung - am Gasherd anzuzünden, und die Gerufene versteht gar nicht, was sie getan hat und fragt etwas verwundert Ja? Und alle schauen sie an. Was nicht weiter verwundert, denn sie ist völlig frei und einsam in einer Isolation, die man nicht als splendid bezeichnen kann. Monolithisch steht sie auf dem grossen Seidenteppich, den sie zu überqueren gedachte; vermutlich weil er so schön frei war und alle anderen Gäste natürlich wissen, dass man sich mit schmutziggrasenen Schuhen keineswegs darüber bewegen sollte.

Monika ist neu hier, flüstert Susi. Denn der junge Herr, der gerade einen Anlass bekommt, sich in ein paar Wochen bei Frau H. zu entschuldigen, der junge Herr, dem nach Weihnachten die blonde Freundin mit Hilfe von Mama und Papa ausgezogen ist, hat jetzt wieder eine Partnerin - noch jünger, schon wieder aus der Firma, einen Import aus Norddeutschland, Assistentin in irgendeiner Abteilung der grossen Frabrik und jetzt auch Copilotin in einem weissen Werkswagen sowie Anlass zur allgemeinen Verwunderung, wie man, wenn man schon so angezogen ist, auch noch triefend über den Seidenteppich zum Klo laufen kann.

Monika ist von bewundernswerter Einfalt, sie versteht gar nicht, was los ist zuckt die Achseln und marschiert sicherheitshalber einfach mal weiter dunkle Flecken auf den hellen Feldern des Paradiesteppichs hinterlassend, einen rautenförmigen Abdruck vorne und ein kleines Löchlein dahinter bei jedem Schritt, womöglich denkt sie sogar, man bewundere ihre tief ausgeschnittene Toilette, die das Tattoo auf dem Schulterblatt ganz natürlich sehen lässt. Oder die Tasche "a la russe" mit dem auffälligen Namen in Goldbuchstaben. Für ihren Freund ist die versauende Überschreitung von Frau H.´s Heiligtum vielleicht noch etwas unangenehmer als der Moment, da die Eltern seiner Ex mit den Möbelpackern kamen - da haben es direkt nur wenige miterlebt, aber das hier sieht jeder. Da, wo Monika herkommt, haben sie Stroh auf dem Boden, gibt Susi den Tratsch der kommenden Wochen vor. Wie gefällt sie dir eigentlich so?

Die unfreiwillige Gastgeberin kommt vorbei, entschuldigt sich überflüssigerweise für das Wetter und entbindet dich von der Pflicht, etwas halbwegs Geistreiches über Nichtigkeiten so zu sagen, dass es bei Susi als Kompliment für sie selbst ankommt. Draussen ist es kalt, die Scheiben sind beschlagen, man reicht Tee für die Wärme und Sekt zum Betäuben, und als dir später Monika vorgestellt wird, lässt du vorsichtig durchblicken, was es mit dem Teppich so auf sich hat, was sie mit einem "Weia und ich bin drübergelatscht" erwidert, verlegen an ihrem Tattoo rumreibt und dir bald erählt, wo sie sonst noch die Natur ihrer Oberflächen mit welchen Mitteln modifiziert hat.

Ihr Freund bekommt das auf einem Ohr mit und weiss nicht, ob er froh sein soll, dass nur du, der bekanntermassen weltgewanderte, über die bayerischen Landesgrenzen hinausgekommene Exzentriker mit den komischen Marotten und diversen asiatisch wirkenden Bekannten das alles erfährt, oder befürchten muss, dass es von ihr demnächst auch Leuten unterbreitet wird, die seiner gesellschaftlichen Stellung schaden können. Du hättest ihn beuhigen können, Susi hat alles gehört und Stress mit ihrem Freund, womit alles, wirklich alles zu spät ist, in dieser entzückenden, gastfreundlichen Provinzstadt, wo man auch noch posthum Gartenfeste feiern würde.

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Sonntag, 15. Juni 2008

Empfehlung heute - Es muss keinen Schöpfer geben

Es muss keiner gemacht oder geplant haben, behaupten manche; ich aber sage: So ein Abendhimmel wäre auch nur ein unvollkommener Ausgleich für all das Elend, das sich darunter abspielt, von den Zwangshochzeiten über die Hexenverbrennungen bis zu den guten Katholiken, die wegen Ehrenfragen Frauen wegsperren.



Dafür gibt es mit Supernature.at ein feines Blog, und es ist zu hoffen, dass es im katholischen Irak Europas trotz aller Bedrängnisse - ich sag nur Taliban St. Pölten - noch lange atheistisch berichten kann.

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Nachrichten aus einer schönen Welt

Ich brauche immer ungefähr das Gleiche auf dem Wochenmarkt. Und ich könnte nicht sagen, dass seit den letzten Jahren etwas spürbar teurer geworden ist - mit einer kleinen Ausnahme, weil ein strategisches Angebot weggefallen ist. Mein Käsehändler hat mir das so erklärt: Der Käse kommt aus Betriebe und Genossenschaften, die ihre Milch selbst produzieren und schon immer einen ordentlichen Preis kalkuliert haben. Die Gemüsehändler in der Region bauen fast alles selbst an, und die Folge ist nicht uninteressant: Die Lücke zwischen den Preisen auf dem Wochenmarkt und den Preisen in den Supermärkten schliesst sich langsam. Und das bei gleichbleibendem Abstand der Qualität und den Produktionsbedingungen.


Mittelgrosses Bild hier, riesiges Bild hier.

Das Trompetenkonzert mit barockem Easy Listening vom Pfeifturm gibt es für Spätkommer wie mich dann auch kostenlos dazu. Und noch etwas ist anders: Wenn ich keinen Markt habe, ziehe ich immer das Gleiche aus der Gemüsetheke, einfach, weil ich gar keine Lust habe, mich mit dem dort angebotenen Zeug auseinanderzusetzen. Ich hasse es, Plastikverpackungen durschschauen zu müssen, um die typischen Schimmelpilze oder geplatzten Häute zu finden. Ich kaufe nie mehr als nötig, und schon gar nichts, von dem ich glaube, dass ich es nicht mag.

Aber auf dem Wochenmarkt sind Auberginen, Spargel, Mangold und Gurken dann doch so schön und ausgefallen in Farbe und Form, dass ich sie doch mal kaufe, obwohl ich sie nicht mag. Und dann natürlich überlege, was man damit machen kann; bald verträgliche Rezepte finde und am Ende Dinge in meiner Küche habe, die ich früher verabscheut habe. Das geht nicht bis zu Karotten, Blaukraut und Linsen, aber Auberginen habe ich früher wirklich gehasst. Heute gehen sie so schnell in die Pfanne, dass sie dem Bild verloren gingen.

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Samstag, 14. Juni 2008

Angst

Vor ein paar Wochen wurde ein Autor, der über lange Zeit keine ausreichenden Antworten auf seine Fragen - einen grösseren Wirtschaftsskandal betreffend - erhielt, dann doch eingeladen. Der Chef des Unternehmens wolle ihm Rede und Antwort stehen, alle Fragen könnten angesprochen werden, man habe nichts zu verbergen.

Als er dann eintraf, wurde es in das Besprechungszimmer geführt, und dort sass nicht der Chef und auch kein Vertreter, sondern nicht unbekannter Medienanwalt und legte ihm dar, was er für seinen Mandanten alles tun würde, wenn er auf der Beantwortung der Frage bestehen würde, weiter seine Zweifel äusserte, und welche Streitwerte man ansetzen wollte - Prozesskostenrisiken im Millionenbereich wären die Folgen gewesen, Ausgang ungewiss, über diverse Instanzen und dann natürlich auch noch ein ganz bestimmtes Gericht für die ersten Instanzen.

Der Journalist liess sich nicht einschüchtern, und der Anwalt tat dann doch nichts - ausser vermutlich seine Kosten für diese Form der in Deutschland legalen, umgangssprachlich würde man sagen - Erpressung beim Unternehmer einreichen. Eine schöne Geschichte, aber trotzdem würde ich gern ein anderes Ende lesen, in dem es um Verkehrsunfälle und ein sehr langsames, schmerzvolles Verenden ginge, was ja auch manchmal am Schluss von solchen Karrieren steht. Es gibt auch Tage, da verstehe ich den Terroristen antreibenden inneren Kohlhaas, und weitaus mehr Tage, da fühle ich in meinem Innersten, warum es ein Recht auf Widerstand gibt.



Es gibt ein Ungleichgewicht der Angst in diesem Land. Man muss überlegen, wie man die Angst dorthin zurückträgt, wo sie herkommt. Die Angst ist auf der Seite der Wehrlosen, sie ist nicht auf der Seite der Korrupten und derer, die Wanzen verstecken, Angst ist ein Instrument, gegen das es keine gesetzlichen Regelungen gibt, und die Frage, die sich mir stellt, ist eigentlich ganz einfach: Wie bleibt man legal, und produziert trotzdem Angst auf der anderen Seite, und zwar so, dass eine Abwehr mit Typen wie dem oben genannten schwer wird? Kann es sowas wie weissen Angstismus, Terror-ismus geben? Was kann das Individuum gegen das System und seine Organisationen tun, wenn der Staat sich nicht mehr dem Bürger, sondern dem halbverstaatlichten Beziehungskomplex mit seinen Lobbyisten, Vertretern und Verwaltern verpflichtet fühlt?

Natürlich ist Terrorismus in seiner klassischen Form keine Lösung. Die 68er Idee, den Staat zum Umkippen in seine faschistisch-totalitären Strukturen zu bringen, kann man sich in Zeiten des "Heimatschutzes" und der Überwachungsermächtigung und der davon profitierenden Konzerne weitgehend sparen. Die Hools, die vor meinem Fenster gerade pöbeln, sind sicher keine revolutionäre Basis, und das Prinzip der Gewalt zieht nur Leute an, mit denen nichts zu erreichen ist.

Vielleicht liegt die Lösung in der intensiven Aufklärung, in der Untersuchung nach stark wirkenden, tatsächlich aber schwachen und verletzlichen Punkten im System. Man mus lernen, was Angst ist, wie sie entsteht und wie sie wirkt. Jeder hat Angst. Dieser Staat braucht mehr davon, insofern bin ich auch den Iren für ihre Ablehnung der EU erst mal dankbar. Blöde Entscheidung, aber die Angst ist da, wo sie hingehört. Die Antwort kann nicht sein, die Iren rauszuschmeissen, die Antwort muss sein, dem System noch mehr Gegenangst zu machen.

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Der Nachwuchs der Kinderlosen

Es gibt Anzeigen für gebrauchte Roadster, die weh tun. Die gehen in etwa so: "Muss mich leider wegen Nachwuchs von meinem geliebten Zweisitzer trennen. Abzugeben nur in gute Hände."

Ein Drama steckt in diesen Worten, das man desöfteren aus den besseren Wohngegenden des Landes kennt -all die Erwartungen der Jugend und ihre Erfüllung, gegen einen Ernst des Alters, Kombiverseucht und windelndurchnässt, natürlich in deren Augen auch schön, aber in 30 Jahren, wenn der Roadster dann als Oldtimer vorbeifährt, wird es ihnen immer noch einen Stich versetzen, denn da geht er hin, der Traum, die gute, alte Zeit, als man nur an sich denken musste, nicht an die Altersversicherung und die Hypothek, und der nachwuchs wird raunzen, wieso der alte Depp diese Aufreisserkiste verkauft hat. Jede dieser Anzeigen ist eine traurige Geschichte der Trennung von Blech, das irgendwie auch Leben ist.

Aber - man darf nicht übersehen, jede dieser individuell traurigen Geschichten endet mit einer guten neuen Geschichte.



Denn in 30 Jahren wird es eben nicht nur die Jammernden gegen, sondern auch die, die den einen Gegenstand der Kümmernis haben, und den anderen zu vermeiden wussten. Heute begann so eine schöne, neue Geschichte. Und es ist besser, viel besser, als Mädchen zur Abtreibung oder zum Traualtar zu begleiten.

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Freitag, 13. Juni 2008

Das Nachleben des Lasters

Von ihm gelangte eine Sammlung alter Pfeifen aus edelhölzern und Zigarrenzubehör in die Auktion - ohne Limit. Von ihr, eine Nummer danach, zwei zusammengehörende Paar Schlangenlederschuhe, eine passende Handtasche sowie zwei weitere Taschen - ebenfalls ohne Limit.



Und ich frage mich, welches der beiden alten Laster heute den höheren Preis finden wird. Pfeifen und Schlangenleder sind out, man kokst und kauft zehn Paar Schuhe im Jahr, für die Kindersklaven in Ostasien schuften. Schwein sein, ohne so auszusehen, moralisch verkommen, ohne mondän zu wirken, geräuschlos über Globalisierungsleichen steigen.

Ich fand das Nebeneinander dieser altmodischen Verfehlungen reizend, aber für mich wäre es nichts. Darunter jedoch war, ebenfalls ohne Limit, ein Degen des späten 18. Jahrhunderts, ebenfalls ohne Limit. Noch so eine schlechte Angewohnheit, Leute zu löchern. Allerdings eine, die nicht aus der Mode kommt. Da werde ich wohl mitbieten.

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Mauscheln können sie, in Marl

Einen durch einen späteren Geschäftspartner und Freund in der Jury mitausgezeichneten Werber als jetzt Laudator hinstellen, das können sie. Den ebenfalls ausgezeichneten Niggemeier als Tranparenzvortäuscher haben sie auch.

Einen feigen Spammer für diesen Umstand, der zeitlich passend zur Preisverleihung aus seinem Loch kriecht, haben sie auch.

Ansonsten meinen sie, die Kompetenz zu haben, einen Online Award auszuschreiben. Versucht es in Zukunft mal mit einem Preis für gekaufte PR, Rektalkriechertum oder ganz einfach Freundesbegünstigung, möglicherweise hat Marl da mehr Kompetenz als beim Thema Internet.

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Mittwoch, 11. Juni 2008

Im Angesicht mit der Bürokratie

Gestern war ich auf einem Podium mit einem Vertreter des hessischen Kultusministeriums und einen Datenschützer des Regierungspräsidiums, in Sachen Datenschutz, Schule und Medienkompetenz.

Um mit dem positiven Aspekten anzufangen: Ich bin mir sicher, würde es ein Gesetz zur Datensicherheit geben, das hohe Haftstrafen für all die Abzocker, Missbraucher und Schluderer da draussen vorschriebe, dann wären das die Leute, die kangsam und beständig wie der Zorn Gottes das Pack dahin brächte, wo es hingehört. Gott verzeiht, die Bürokratie nie.

Aber es gibt keine entsprechenden Gesetze. Es gibt nur Papiere, Tagungen, Schriftsätze, und selbst bei StudiVZ, wo es wohl öfters nah dran war, nicht mal Geldstrafen. Diese Leute arbeiten nachhalting und sauber in ihren Möglichkeiten. Möglichkeiten, die eine Politik definiert, die nichts begreift, die zu dumm ist zu verstehen, welche Nasen ihnen das Unternehmertum jeden Tag dreht, und das mit Hilfe von Medienkonzernen und angeheuerten Kreativen, deren einzige Sorge die Klickrate auf Werbung ist -

aber nicht ein Staat, der sich so knallhart für die Interessen und Rechte seiner Bürger einstzt, wie das ansonsten selbstverständlich ist. Gäbe es einmal einen Fall, in dem ein Datenschützer eine Klitsche mit hohen Bussgeldern ausknipst und offenlegt, warum das gerechtfertigt ist, wäre das vielleicht anders. So aber wird man beständig damit leben müssen, dass die schlechten Nachrichten zum Missbrauch stets die Nutzer betreffen.

Ich bin nach diesem Abend, offen gesagt, ziemlich ernüchtert und ratlos. Aber später schreibe ich mal, wie man problemlos an die geheimen Partybilder diverser Typen aus der Datenveruncherungsszene kommt. Anders geht es nicht.

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Ein Abendstunde

Immobilienkrise?



Benzinpreis?



Niedergang der Volksparteien?



Das hektische Rumhampeln der Elitesse von gegenüber, die noch lange ihren dicken Ordner durhwühlen wird und erkennbar Angst hat vor dem, was am nächsten Tag kommt?



Und wenn schon. Dazwischen ist immer noch ein sauberer Abgrund und eine hohe Fassade, das kommt alles nicht hier hoch. Danach Gewitter, Blitze, Sturmwinde. Man kann sich nicht alles aussuchen, aber solange ich mir die Dachterrasse aussuchen kann, ist eigentlich alles in Ordnung.

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Empfehlung heute - Ausnahmsweise die FAZ.

Aber mit einem wirklich feinen Beitrag über Ferien in China.

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Dienstag, 10. Juni 2008

StudiVZ wollte nicht kommen

Wie ich den Laden und deren Nervosität aber kenne, werden sie sicher jemanden vorbeischicken, wenn ich morgen Abend in Frankfurt an der Freiherr-von-Stein-Schule das eine oder andere zu ihnen, zum Datenschutz, Virtualität, selbstkonstruktion und dem Umgang mit sozialen Netzen zu sagen habe.

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Die Erdbeeren der besseren Gesellschaft

Man kann natürlich den Quark - oder wie in diesem Fall, österreichischen Topfen, was aber das gleiche ich - einfach mit Zucker, geschmolzener Butter und Erdbeeren vermischen. Es ist gut so, geschmacklich ist daran nichts auszusetzen, zumal, wenn die Erdbeeren gerade selbst frisch gepflückt wurden.

In Familien jedoch, die eine gewisse Tradition mitbringen, lernen es die Kinder anders. Erdbeerquark ist ja so ziemlich eine der ersten Dinge, die man einem Balg beibringen kann, sobald es ein Messer zu führen in der Lage ist und dabei nicht den Hamster zu Filet verarbeitet. Frau M. jedenfalls, damals das letzte Exemplar der "jungen Witwe", das man aus den Gesellschaftsromanen vergangener Zeiten kennt, hatte eine hohe Rente und zwei wohlgeratene Töchter, B. und V., und klar umrissene Vorstellungen davon, wie das Leben zu sein hat. Es war dort schon bei Kindergeburtstagen unmöglich, einfach zu den Plätzen zu stürmen: Der Herr geleiten die Dame zum Stuhl und schiebt ihr denselben hin. Neben dieser alten Ansichten kamen aber auch neumodische Überzeugungen zum Thema Gleichberechtigung zum Tragen, weshalb ich mich auch irgendwann in Frau M.s Küche einfand und lernte, wie man Erdbeerquark richtig macht.



Grossbild hier, Mittelbild hier

Man wirft nicht einfach alle Erdbeeren in eine Plastikschüssel und schüttet den Quark drüber. Man nimmt den Quark aus dem Kühlschrank, wartet eine halbe Stunde, schneidet die Erdbeeren, zuckert sie mit 4 Teelöffeln, lässt sie Saft ziehen, schmilzt am Herd 40 Gramm Butter, mischt dann Quark und Butter und füllt das über die Erdbeeren in eine Terrine, bis auf 2 Beeren, idealerweise eine hellere und eine dunklere. Die schneidet man in feine Scheiben, legt sie auf den fertigen Quark oben drauf, stellt das Ganze in für 20 Minuten in den Kühlschrank und serviert es. Dann sieht es nämlich auch nach was aus.

Dazwischen hat man noch viel Zeit, die Sache mit dem Einschenken einzustudieren. Hätte ich Kinder, würde ich es vermutlich nicht so machen, aber ganz offen: Es hat mir sicher nicht geschadet, und für so einen Quark erschienen mir die Mühen des richtigen Einschlagens der Flasche in die Serviette gering. Und B. und V. waren ohnehin Mädchen, die man gerne bediente.

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Real Life 9.6.08 - Blau

Und Rot. Rot sind die Dächer und die Erdbeeren. Blau ist der Himmel, blau ist das Fahrrad, und blau ist auch Iris. Dunkelblau von aussen dank eines Kostüms, und standhaubitzenblau von innen wegen dem Sekt. Sekt und Erdbeeren hatten schon bei "Brideshead revisited" ernste Folgen, und du weisst weder, wie du sie in diesem Zustand die enge, steile Treppe hinunterbekommst, und wie du den Zustand später, so es ohne Knochenbrüche gelingt, ihren Eltern erklärst.



Ganz einfach, sagt Iris. Die Tarte ist zu dunkel gewesen und ungeniessbar, es waren zu wenig Erdbeeren und den Sekt habe ich in Erwartung besagter Tarte getrunken, die ich nicht essen konnte, und deshalb.

Das wäre aber gelogen, stellst du fest. Nicht die Tarte ist verbrannt, sondern es bremste das Verlangen die Information, dass die darin befindlichen Auberginen vorher in Öl geschwenkt wurden. Auberginen in Öl sind nur eine Zutat, es folgen Lauchzwiebeln, zwei Eier, Parmesan, Zucchini und Egerlinge, das alles ist ein italienisches Rezept, aber mit Auberginen für Iris ungeniessbar.

Iris ignoriert deine Erläuterung, denn sie war ja dabei und weiss, dass sie nicht tapfer war und das Essen verweigert hat. Statt dessen nimmt sie noch eine wirkungslose Erdbeere ins Visier der Gabel und sticht prompt daneben. Es wäre jetzt eine gute Gelegenheit zu fragen, was das eigentlich für ein Jungfrauenbereiter ist, den sie da mitgebracht hat, und woher man ihn bekommt, man weiss ja nie, wozu man ihn brauchen kann, aber das wäre etwas unschicklich.

Erinnerst du dich noch an die F.s?

Natürlich. Marmorflur, Doppeltür, Gemälde der alten Fabrik, offener Kamin aus Naturstein, Freitreppe und Steinwayflügel in der Halle und der Sohn, der an seinem 18. Geburtstag, gerade vor einer Woche aus der Psychiatrischen entlassen, mit der Zigarette im Mund höhnisch grinsend bar jeder Pianistenkunst irgendetwas in die Tasten haute, was trotzdem gut klang. Genie, Wunderkind, ideale Eltern, reich, gebildet, global daheim, perfekt, zu perfekt, Desaster, goldene Jugend in Theorie und eine Praxis zum Verrücktwerden.

Weisst du noch, wie wir alle eingeladen waren, als wir die Grundschule hinter uns hatten? Frau F. hat für uns das Beste von den Reisen ihres Mannes serviert, und wir sassen am langen Tisch vor dem Panoramafenster zum Garten. Rückblickend müssten wir Frau F. dankbar sein, sie hat damals die Tür zu neuen kulinarischen Welten aufgestossen, aber als Herr F. erzählt hat, was diese kleinen, schwarzen Kugeln aus Persien sind -

bist du aufs Klo und hast gekotzt. Ich weiss, Iris. Schon damals warst du Gegenstand unvergesslicher Abende.

Gar nichts weisst du. Ich habe mir damals geschworen, nie wieder etwas zu essen, was mir eklig vorkommt. Nie. Schlazige Auberginen, allein die Vorstellung. Hicks.

Ich komme leider gerade vom See und bin schon wieder auf dem Sprung nach Frankfurt und dann wieder München und dann die Vorbesichtigung in Fürth. Ich habe wenig daheim, allenfalls könnte ich Dir noch Gnocchi mit frischen Kräutern machen. Mit Butter, ohne Öl.

In die Küche mit dir, Bursche! Die langzinkige Silbergabel spiesst gleich drei Erdbeeren auf, und Iris schafft das Kunststück, sie zusammen ohne Verluste und ein rotes Desaster auf ihrem blauen Kostüm in den Mund zu verbringen.



Neben ihr steht das unfertige Rabeneick und hofft, dass du es morgen fertig machst. Draussen verfällt der Tag in tiefes Blau wie all die Erinnerungen an eine Zeit, deren unausgesprochene Schrecken und unwiederbringlicher Überfluss gleichermassen durch den Abstand der Jahre matt und glanzlos werden, aber immer noch so deutlich fortdauern, dass ihr es zwar sicher besser machen könntet, aber es keinesfalls tun werdet. Aussterben ist gar nicht so schlecht, relativ gesehen.

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