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Samstag, 9. Januar 2010

Warten auf den Schnee

Es ist genug zum Rodeln da, und darunter ist es steifgefroren.



Trotzdem ist hier in den Bergen die Schneehöhe lächerlich (800 Meter) bis bescheiden (1300 Meter). Gar kein Vergleich mit letztem Jahr.



Ein halber Meter Neuschnee wäre eine sinnvolle Ergänzung, mehr aber auch nicht. Ich glaube aber erst daran, wenn ich es sehe.



Wahrscheinlich erwischt es sowieso wieder nur die Norddeutschen und die Zonenaussenrandgebiete. Aber gut, zum Rodeln reicht es auch so. Heute habe ich den alten Rennrodel aus der ehemaligen CSSR nach der Restaurierung eingefahren. Läuft bestens. Aber 10 Zentimeter Schnee wären schon eine feine Sache.

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Danach schämte ich mich

und las statt dessen in M. G. Lewis viktorianischen Horrorschocker "Der Mönch". davor aber hatte ich mich gehen lassen, wie ein Bewohner des Hasenbergls. Das ist mir nicht nur peinlich, sondern in Ermangelung eines Londonaufenthaltes auch Anlass genug, darüber nachzudenken, wie man Ersatzhandlungen am Mobiltelefon verhindert, und warum ausgerechnet so runtergekommene Berufe wie Journalisten so viel Positives über diese Dinger schreiben.

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Donnerstag, 7. Januar 2010

Gestrandet

Es war ja nur ein Billigflug, aber wenn man schon Flüge annulliert, sollte man das wenigsten eine Stunde vorher ins Internet schreiben, und nicht 200 Fluggäste mit 1 Servicekraft zurücklassen, deren Ergebnis dann so lautet, dass die Maschine am Abend voll ist, die am nächsten Morgen gestrichen wird und man allenfalls provisorisch für die darauf folgende Nacht gebucht werden kann - vorbehaltlich, dass der Flug nicht auch noch gestrichen wird. Die Copiloton hat es unter Mühen nach London geschafft, und ich - well, could have been worse, wie die Briten sagen:



Es war so viel Fett gestern abend, das muss wieder weg. Und wenn nicht durch Hungern in London, dann eben durch Bergsteigen und Rodeln. Ausserdem gibt es am Berg auch weniger Bankster.

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Vergleich

Da geht ein zufriedener Mann. Gestern auf 900 Metern über dem Meer:



Heute Mittag dann auf 9000 Metern über dem Kanal:



Wenn ich dort nicht mindestens eine Silberkanne finde, werde ich es voll an diesem Blog rauslassen.

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Dümmste Idee des Jahres

Jemanden fragen, ob man ihm was mitbringen kann, dabei typischerweise an Spezialitäten denken - und dann daran denken, dass man ja nach London fährt.

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Mittwoch, 6. Januar 2010

Und nun die Wettervorhersage für London

Dreimal darf man raten, welcher deutsche Blogger morgen um 10.45 Uhr, falls sein Flug denn überhaupt gehen sollte, an jenem oft geschlossenen Flughafen Gatwick ankommt:



Nicht nur jener Blogger, der sich gerade für die nächsten drei Tage Kulinarisch-ostpreussisch-Uganda eine dicke Fettschicht anisst, zusammen mit dem letzten Brot, das den Namen verdient. Nein, auch jener Blogger, den folgendes Wetter erwartet:

Thursday: Snow will hit London at around noon. Snow up to 2-5cm thick in many places and 10cm in some parts. These will be enormous snowflakes with a high water content, leading to icy conditions. It will be mostly 0C across the country, down to -5C at night. Also snow showers in West Wales and West Cornwall.

Friday: Snow showers will continue over eastern England with several centimetres of snowfall. Temperatures will be around 0C across the country, down to -5C at night.

Saturday: Snow showers will continue over eastern England with several more centimetres of snowfall. It will be around 0C during the day in most places in England and Wales, but strong easterly winds will make it feel much colder, around -8C, and even colder along eastern coasts.

Jener Blogger zudem, der den Rest seines Lebens, wenn es um Urlaub im Januar geht, entweder sagen wird: Berge! Oder auch: Italien. Aber nie wieder: London. Dafür jedoch steht dieser Blogger auch noch um 7 Uhr auf. Am Morgen! Erwarten Sie kein angenehmes publizistischen Umfeld.

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Mittwoch, 6. Januar 2010

Ein Nachmittag in den Bergen

Nur am Alpenrand ist es schön.



Weiter nördlich, gleich am Ende des Sees, beginnen die Wolken.



Der ganze Berg ist leicht, aber ausreichend mit Schnee überzuckert.



Ich bin spät dran, denn die Sonne geht schon unter; es wird ein Wettlauf mit dem letzten Tageslicht.



Über dem Schnee die Eiskristalle aus der bitterkalten Luft.



In der Almhütte wird jetzt schon gekocht, aber ich gehe noch etwas weiter.



Vorne, am Abhang, dann der Einbruch der Nacht über dem wolkenbedeckten See. Ich bin allein, so sieht es sonst niemand.



Auch als Grossbild. Die Abfahrt in der Dunkelheit ist brutal, unter dem dünnen Schnee knallhartes Eis, extrem schnell und tückisch in den Kurven. Ich halte zweimal an, einmal, weil es vor mir einen in der Serpentine mit ausgebrochenem Heck quer stellt und er sich ein paar mal überschlägt, und das zweite Mal, als ein anderer eine Bodenwelle übersieht, schräg aufkommt, nicht mehr lenken kann und in die Botanik fliegt. Es ist nichts passiert, aber trotzdem ist es sehr gefährlich, in der Schönheit des eiserstarrten Berges. Ich hätte schwören können, dass ich Kuhglocken hörte; erst unten sehe ich die SMS aus München, in der mir jemand eine gute Reise wünscht.



Danach ein Bad, und etwas Warmes. Ich mag das. Aber man darf nie vergessen, dass der Berg kein Freund ist, schon gar nicht im Winter.

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Ich schreibe ja auch über Kinder

Deshalb ist auch nichts dagegen einzuwenden, wenn ich als Eheverachter über Ehen schreibe.



Vielleicht versteht man nach der Lektüre in der FAZ auch, warum das bei mir so ist.

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Dienstag, 5. Januar 2010

56, 45 und 25

Zentimeter (exakt) darf das Gepäckstück gross sein, um in die Kabine zu dürfen. Letztes Jahr konnte man bei der gleichen Fluggesellschaft noch normales Gepäck umsonst mitnehmen, aber das ist vorbei. Angesichts des Preises (1,98 Euro vor Gebühren) für den Hin- und Rückflug ist das auch irgendwo verständlich. Allerdings fliege ich ja nur nach London, um etwas mitzubringen. Jeder grosse Koffer beim Hinflug wäre falsch. Erst beim Rückflug macht ein Koffer Sinn - ich weiss auch schon, wo ich mir den beschaffe. Wie auch immer:



Meine normale Reisetasche ist exakt 1 cm zu lang und 2 cm zu breit. Der Koffer würde wiederum passen, aber Versuche mit einer Teekanne ergaben, dass er nicht hoch genug ist. Ausserdem sind die Toleranzen schon ziemlich ausgereizt. Bliebe noch die andere Doktortasche, allerdings wird es dort mit dem Rechner knapp. Und zu allem Elend darf es auch nur 10 Kilo wiegen: 2 Kilo die Tasche, 3 Kilo (ohne Akkus) der Rechner, schon wird es eng. In London (warum zum Teufel habe ich eigentlich keinen Flug nach Nizza gebucht?) soll es maximal 0 Grad warm werden, da gilt es dann, mit wenig auszukommen und viel am Körper zu tragen.

Aber am Ende... es wird sowieso eine der letzten Flugreisen meines Lebens. Nach Israel und dem netten Berliner Service von El Al war ich restlos bedient, wenn das jetzt überall kommt: Dann ist die Fliegerei auch nicht mehr 99 Cent wert, dann mache ich in Zukunft alles mit dem Auto, und was ich nicht mit dem Auto machen kann, mache ich nicht. Einmal noch die Plackerei und den Ärger beim Einchecken, das Elend beim Parkplatzsuchen und Einchecken, der Rest des Jahres wird dann gefahren. Irgendwohin, wo man das Brot nicht mitnehmen muss, und wo es wärmer ist.

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Die Angst vor den 47

Man merke sich "Hypo Alpe Adria", die haben die besten Chancen, für Bayern das zu werden, was Ormond Quay für die SachsenLB wurde.
Unter den 47 Namen von Investoren, die beim Verkauf der Hypo Alpe Adria an due Bayern LBmach diversen Berichten 150 und 175 Millionen verdient haben sollen - wird in den einschlägigen Kreisen auch einer kolportiert, bei dem das besonders überrascht. Handelt es sich doch um einen Namen mit Nähe zur CSU, und dieser Name wiederum ist in der Finanzkrise auch schon mal ganz anders aufgetreten, denn als leiser Profiteur.

Was mich bei der ganzen Sache wundert, ist: Wer den Stoiber erlebt hat, der weiss, dass er ein Zahlenfresser war. Beckstein und Huber übrigens auch, alle drei waren auch bekannt, dass sie bei Petitessen schnell und energisch dazwischen gegangen sind. Man kann denen viel vorwerfen, aber Schluderer waren sie alle drei nicht, im Kleinen nicht und im Grossen auch nicht. Die Geschichte, dass die BayernLB den Privatinvestoren einen günstigen Kredit gibt, um bei der Hypo Alpe Adria mit einer Sperrminorität einzusteigen, um dann diese Sperrminorität 150 Millionen zu teuer zu erwerben, stinkt allein schon zum Himmel. Was aber angesichts der bayerischen Regulierungs- und Prüfungswut noch weniger verständlich ist, ist die vermutete Bewegung von Millionen Richtung der Kärntner Regierungsparteien, 27 für das BZÖ und 13 für die ÖVP. Theoretisch könnte man ja noch von einer abgekarteten Sache zwischen ein paar Leuten bei der BayernLB und den Kärntnern ausgehen, mit Haider und den Investoren als Profiteuren. Wobei die Parteiprofite weit, weit über dem liegen, was in vergleichbaren Fällen - Kohls schwarze Kassen, Waffenschieber, Flick - geflossen ist.

Aber es ist vollkommen unbegreiflich, wie das an den Bayern vorbeigehen konnte. Mehrere hundert Millionen Kredit der BayernLB sind einfach nichts, was Stoiber und Co. egal gewesen wäre. Und angesichts der Geschichte der CSU wäre es auch eine Sensation, wenn sich bei so einem Geschäft andere Parteien gesundstossen würden, und für die CSU würde nichts abfallen. Nur: Was man so hört, klingt durchaus so, als könnte die CSU die Aufklärung vorantreiben, ohne Gefahr zu laufen, dabei selbst ungewöhnlich hohe Zuwendungen der Profiteure in ihrem Keller zu finden. Trotzdem: es sind 47 Namen. Viele aus Österreich, aber nicht nur. Und ich bin mir sicher, dass man sie alle hören wird.

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Sonntag, 3. Januar 2010

Stellen Sie sich vor,

sie wachten auf, und an Ihrem Schreibtisch stünden Ben Bernanke, Barak Obama und die Chefs der grossen Wall Street Banken. Hey, würden Sie sagen, was zum Teufel machen Sie an meinem Schreibtisch?

Nun, würde Bernanke sagen, sehen Sie, im Dezember 2009/Januar 2010 gab es ein Gesetz zur Finanzmarktkontrolle, und darin stand, dass ich als Notenbankchef jederzeit den Banken im Krisenfall bis zu 4000 Milliarden Dollar geben darf. Nun gab es da heute Nacht so ein Problem mit ein paar Derivaten, die etwas zu hoch bewertet waren, und da dachte ich, bevor es riskant wird, gebe ich das den Banken mal, damit sie stabilisiert sind. Und nun brauche ich von Ihnen und jedem anderen Bürger 10.000 Euro, soviel macht das nämlich, aber es ist ok weil Barak und meine Freunde hier das ja im Parlament haben beschliessen lassen. Es ist legal, es hat alles seine Richtigkeit, wir sind auch gleich wieder weg, wenn wir das Geld haben, schlafen Sie ruhig weiter.



Und bitte lesen Sie keinesfalls den Blogeintrag von Don Alphonso in der FAZ, der die Meinung vertritt, dass solche Garantien auch in anderen Ländern de facto gewährt werden, wenn es hart auf hart kommt, und sich über die Folgen dieser zum Fortbestand des Goldenen Zeitalters notwendigen Massnahme ärgert. Das müssen Sie alles gar nicht wissen.

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Sonntag, 3. Januar 2010

Verlieren mit Paranoia

Manchmal ist es gar nicht so schlecht, krank zu sein. Man ist voller Medikamente, man denkt nicht so viel nach, und es ist auch nicht so schlimm, wenn man seine ersten Kapitel einer Frau schickt, die ein paar Nuancen für die aus vielen Frauen zusammengebastelten Hauptfigur ist - und die Änderungswünsche länger als der ganze Text sind. Und dabei war es noch jene, die von allen die Unkomplizierteste ist, und von der nur die wirklich unproblematischen Aspekte übernommen wurden. Ich glaube, ich brauche einen Anwalt oder mehr Tabletten, damit ich mich rausreden kann. Vielleicht ist auch Vitamin-C-Vergiftung ein Ausweg, wenn es erst mal darum geht, die delikateren Szenen zu verschicken.



Seit dem Fall Biller ist es alles nicht mehr so einfach. Es ist praktisch nicht möglich, Figuren komplett zu erfinden, und das trifft besonders bei jenen Situationen zu, die normal und gegenwärtig sind. Gewisse psychische Probleme - nehmen wir nur mal die Komplexe "oversexed and underfucked" oder "Vernunftbeziehung" - sind so typisch und allgemein anzutreffen, dass sich viele in den Figuren erkennen können - am besten aber sicher jene, die mit dem Autor bekannt sind. Bei einer Figur in "Liquide", deren reales Vorbild sich noch wehren konnte, sass ich am Ende eine Woche nochmal am fertigen Manuskript und schrieb es von ihr weiter weg. Wenn ich nicht die Ausrede gehabt hätte, dass die - wenig sympathische - Figur ihr nur nahe zu sein scheint, weil die Figur von sich eine idealisierte Selbstwahrnehmung hat, die ihr ähnelt, hätte ich alles umwerfen müssen.

Jemand hat mir mal erzählt, dass man beim Schreiben viele alte Freunde verliert, weil sie sich schlecht dargestellt sehen, und erst danach wieder neue Groupies gewinnt, mit denen man dann schlafen kann. Ich war ja auf ein paar Buchmessen, habe mich umgeschaut und möchte deshalb unbedingt alle meine alten Bekannten behalten. Nur ist es eben so, dass die Allerweltstheme n, über die ich schreibe, auch die Themen dieser Bekannten sind. Und die Klasse, über die ich schreibe, eben auch unsere gesellschaftliche Schicht ist. Man merkt das beim Schreiben: Es ist nicht möglich, durch eine gewisse Stellung besonders geförderte Problemerfahrungen einfach mit den Strategien zu mischen, die man in anderen Schichten hat.

Um mal ein unverfängliches Thema anzusprechen, um das es nicht geht: Scheidungskinder. Es gibt da so eine nonchalonte "Das packen wir schon"-Haltung von Frauen aus Ostdeutschland, die mir auch aus besteingesäumten Töchtern aus dem Westen vollkommen unbekannt ist. Dort überwiegen eher die Zweifel. Wollte man also ein Buch darüber schreiben - was Gott verhüten möge! - wie sich eine junge Frau als alleinerziehende Mutter durchschlägt, wäre es unmöglich, den inneren Konflikt meiner Bekannten aus dem Westviertel als Anfang zu nehmen, und die zupackende Art aus dem Osten als Problemlösung. Das engt die Räume dramatisch ein, das Schreiben wird wie eine rasend schnelle Schlittenfahrt durch einen Wald, wo man nur noch versucht, den Rodel der Geschichte nur irgendwie von Kollisionen mit den Bäumen der Bekannten wegzuhalten. Aber es ändert nichts am Umstand, dass es nur funktioniert, wenn man in diesem Wald bleibt.

Entsprechend klaustrophobisch erlebe ich gerade mein Tun. Je hübscher, je durchtriebener und zynischer die Szenen werden, desto unmöglicher wird es sein, darüber mit jenen zu sprechen, die sie auf sich beziehen könnten. Der Umstand, dass sie es fairerweise nicht tun können - alles Horizontale ist komplett und klugerweise vollkommen erfunden - ändert ja nichts daran, dass sie es trotzdem tun werden. Das mit der kleinen, leichten Liebesgeschichte mit sanft schwarzem Unterton sagt sich als Verleger leicht, aber er muss ja auch nicht für ein Jahr umziehen und sich neue Bekannte suchen, wenn es in falsche Kehlen kommt.

Das klingt jetzt alles ein wenig hysterisch, aber als Liquide letztendlich erschien, hatte ich enorme Probleme wegen eines einzigen Satzes, in dem ich passend zu einer Szene einem Techno-DJ einen leicht kirchenlästerlichen, aber ansonsten gängigen Namen gegeben hatte. Es gab in meinem weitesten Bekanntenkreis einen jungen Mann, der sich ähnlich nannte und Platten einer anderen Musikrichtung auflegte, und der allen Ernstes erwog, mich allein wegen des Wortes "Techno" anzugehen.

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Freitag, 1. Januar 2010

Ach ja, 2010.

Würde man mich wirklich fragen, was ich vom Jahr 2010 halte, dann würde ich vielleicht, solange es nicht gerade um mein angenehmes Privatleben gehen, seufzen und sagen, dass ich ihm lieber nicht vorgestellt werden möchte. Dummerweise benimmt sich das Jahr schon am ersten Tag recht schlecht, indem ich es gar nicht übersehen kann, und insofern -

ich wünsche es mir, zumindest für mein Leben und das Leben der wohlmeinenden Leserschaft, dass es wie mein Razesa wird. Das muss man nicht kennen, Razesa war eine in den 90er Jahren nicht allzu unbekannte Rahmenschmiede in Spanien, und schweisst dort noch heute, nur gibt es, soweit ich sehe, keinen Importeur mehr. Wie auch immer, das ist es:



Als ich es vor 17 Jahren zusammengebaut habe, gab es weder Internet mit günstigen Gebrauchtangeboten noch Modelle, die im Herbst schon veraltet waren. Campagnolo hatte elend lange Lieferfristen, gute Rennräder verloren auch bei Benutzung kaum an Wert, und wer sich ein derartiges Rad kaufte, hatte vor, es auch noch nach 10 Jahren zu fahren. Insofern waren die hohen Kosten am Anfang durchaus zu verschmerzen. Wäre man allerdings in ein Radgeschäft gegangen, und hätte man sich dort ein Rad nach eigenen Wünschen bauen lassen - es wäre damals, zumindest für mich als Student, zu teuer geworden. Also musste ich "fonsen", wie Holgi das nennt, mit einem hohen Aufwand ein Ziel erreichen, das anderen belanglos erscheint.



Es ist nämlich nicht so, dass man sich einen Rahmen und eine Komponentengruppe kauft, und dann hat man "das Rad". Jede Firma baut bessere und schlechtere Dinge, entscheidend ist, dass man das Optimum für seine eigenen Bedürfnisse findet und zusammenbaut. Campagnolo etwa baute damals die wunderbare Croce d'Aune-Gruppe, ein heldenhafter Versuch, den Schrägparallelogrammwerke der Japaner mit einem pleuelgesteuerten Schaltwerk klassischer Form etwas Besseres entgegenzusetzen. In meinen Augen ist dieses Schaltwerk - 1990 400 Mark teuer - immer noch das beste und gleichzeitig schönste Rennradschaltwerk aller Zeiten. Ich kann das sagen, denn ich habe auch ein Mavic, ein C-Record und ein Super Record, ein Superbe Pro, ein Paul (totaler Schrott übrigens), ich kenne Dura Ace und XTR - es gibt keine bessere Konstruktion, keinen grösseren optischen Genuss als das pleuelgesteuerte Croce d'Aune. Eine Schande, dass sie es nur zwei Jahre gebaut haben.



Von dieser Gruppe bekam ich einige Teile halbwegs günstig, weil ein Kunde nur die Bremsen kaufte. Ich hatte den Umwerfer, die Kurbel und das Innenlager, und wollte einen Rahmen. Dass es der Razesa aus eher günstigem Columbus Cromor wurde, lag an ein paar eher unerfreulichen Erfahrungen mit dem SLX-Rohrsatz des gleichen Hauses: Das ist leichter, aber ziemlich am Rand dessen konstruiert, was mechanisch möglich ist. Ich war einmal dumm mutig genug, mich auf meiner aus SLX gebauten Zeitfahrmaschine mit 100 km/h einen Berg am Gardasee hinunter zu stürzen, und wenn die Strasse dann nicht gut ist, bekommt Rahmenflattern eine sehr ernste Bedeutung - also nahm ich das 0,1 mm dickere Cromor. Man wird auch nicht dümmer jünger. Und mit dem Razesa wollte ich explizit die Kochelbergstrecke runter. Wenn man da einen fetten Arsch einer E-Klasse überholt und schnell wieder reinziehen muss, weil Gegenverkehr kommt, muss der Rahmen stehen. Billig - war er trotzdem nicht. In Berlin, habe ich gesehen, gibt es ein Geschäft, das dieses Rahmen heute gebraucht verkauft, für 100 Mark mehr, als meiner gekostet hat.



Den Umwerfer und das Innenlager habe ich von Campa genommen, aber die Kurbel - die war mir dann doch zu dick auftragend. Ich fand statt dessen die Kurbel, von der ich sagen würde, dass sie nach der Mavic 631, der alten Super Record und den Cooks Kurbeln die Schönste und für meine Zwecke die Beste war: Die Superbe Pro von Suntour. Das Finish ist nicht schlechter als bei Campagnolo, sie ist auch heute noch ein Leichtgewicht und von einer sagenhaften, schlichten Eleganz, die nir veralten wird. Ausserdem konnte man sie mit 52 und 38 Zähnen bestücken. Und das bedeutete, dass man hinten die Ritzel ganz fein bestücken konnte, mit individueller Entfaltung.



Es gibt ja Leute, die behaupten, es gäbe heute Schaltungen mit über 20 Gängen. Wenn man aber nachrechnet, sieht man, dass viele Gänge Doubletten sind. Was wir damals bauten, waren extrem eng gestufte Ritzel mit 12, 13, 14, 15, 16, 19 und 24 Zähnen. Man kann erst auf dem grossen Blatt die fünf kleinen Ritzel durchschalten, geht dann auf das kleine Kettenblatt und fängt wieder beim 12er an. Es ist eine echte 12-Gang-Schaltung, und sie reicht für alle Belange. Natürlich musste man rechnen und Ritzel extra bestellen und zusammenbauen. Aber man konnte über Idioten lachen, die mit ihren Mountainbikes nur 10 echte Gänge hatten, und auch nur dann, wenn sie dauernd den Umwerfer betätigten.



Das bedeutete natürlich auch, dass wir keine fertigen Kasetten an den Naben hatten. Oder handelsübliche Naben. Räder von der Stange hatten damals Konuslager, gekreuzte Speichen und schwarze Felgen. Ich baute mir die Räder selbst, mit Mavicnaben, die auch heute noch besser sind als das meiste, was man von der Stange bekommt. Ich speichte radial ein, ich nahm dünne DD-Speichen und die leichteste, silberne Aerofelge, die auf dem Markt war. Es war am Ende nicht billiger als Räder von der Stange. Aber seitdem musste ich nichts mehr daran ändern.



Ich verbaute einen walzengelagerten Promaxsteuersatz, bei dem man in 100 Jahren vielleicht mal die Laufflächen der Walzenlager wird austauschen müssen, Lenker und Vorbau von Cinelli, die ich in einer Kiste fand, ich war bei den Bremsen nicht doktrinär und griff zu Shimano, denn Sicherheit ging vor. Aber ich feilte und schmirgelte sie in Heimarbeit ab und brachte sie bis in den letzten Winkel auf Campagnologlanz, und ich baute sie mit Campagnolo-Bremsklötzen. Von der Superbe Pro kamen dann auch die Retrofriktionshebel, echte Kunstwerke, die trotzdem perfekt mit den Campagnoloschaltwerken funktionierten. Dazu noch handpolierte Schnellspanner von American Classic, ein Flite-Sattel, eine stilistisch vielleicht nicht perfekte, aber gute Heylight-Sattelstütze, ich kratzte noch auf einer Kettenstrebe den Chrom frei und setzte grüne Farbakzente - und fertig war das 9,2 Kilo leichte Bergrennrad.

Es war ein harter Winter, die Anforderungen waren hoch, ich musste viel nachdenken und werkeln, und ich hatte nicht genug Geld, um mir das einfach so machen zu lassen. Das Razesa ist nicht mein bestes und nicht mein schönstes Rad, und auch nicht das teuerste - ich habe noch ein Rocky Mountain Vertex T.O. aus dem ersten Jahr, bei dem der Rahmen mehr als das ganze Razesa kostete. Auch 2010 wird nicht das beste Jahr unseres Lebens werden. Ich wünschte, ich könnte etwas tun, um von uns allen das Leid zu nehmen, dem wir nicht entgehen werden. Aber ich möchte später an dieses schwierige Jahr zurückdenken können wie an das unter Mangel, Blut, Schweiss und Tränen entstandene Razesa, an die Auffahrt über die Jachenau, an deren Nordhängen noch der Schnee lag, an die Kochelbergstrecke, an die harten Tritte in die Kurbel und die unfassbar schnellen Kurven, und an den Frühling im Tal und sagen: Es war nicht perfekt, es war nicht das Beste, aber dafür hätte ich es nicht besser machen können.

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