Verlieren mit Paranoia

Manchmal ist es gar nicht so schlecht, krank zu sein. Man ist voller Medikamente, man denkt nicht so viel nach, und es ist auch nicht so schlimm, wenn man seine ersten Kapitel einer Frau schickt, die ein paar Nuancen für die aus vielen Frauen zusammengebastelten Hauptfigur ist - und die Änderungswünsche länger als der ganze Text sind. Und dabei war es noch jene, die von allen die Unkomplizierteste ist, und von der nur die wirklich unproblematischen Aspekte übernommen wurden. Ich glaube, ich brauche einen Anwalt oder mehr Tabletten, damit ich mich rausreden kann. Vielleicht ist auch Vitamin-C-Vergiftung ein Ausweg, wenn es erst mal darum geht, die delikateren Szenen zu verschicken.



Seit dem Fall Biller ist es alles nicht mehr so einfach. Es ist praktisch nicht möglich, Figuren komplett zu erfinden, und das trifft besonders bei jenen Situationen zu, die normal und gegenwärtig sind. Gewisse psychische Probleme - nehmen wir nur mal die Komplexe "oversexed and underfucked" oder "Vernunftbeziehung" - sind so typisch und allgemein anzutreffen, dass sich viele in den Figuren erkennen können - am besten aber sicher jene, die mit dem Autor bekannt sind. Bei einer Figur in "Liquide", deren reales Vorbild sich noch wehren konnte, sass ich am Ende eine Woche nochmal am fertigen Manuskript und schrieb es von ihr weiter weg. Wenn ich nicht die Ausrede gehabt hätte, dass die - wenig sympathische - Figur ihr nur nahe zu sein scheint, weil die Figur von sich eine idealisierte Selbstwahrnehmung hat, die ihr ähnelt, hätte ich alles umwerfen müssen.

Jemand hat mir mal erzählt, dass man beim Schreiben viele alte Freunde verliert, weil sie sich schlecht dargestellt sehen, und erst danach wieder neue Groupies gewinnt, mit denen man dann schlafen kann. Ich war ja auf ein paar Buchmessen, habe mich umgeschaut und möchte deshalb unbedingt alle meine alten Bekannten behalten. Nur ist es eben so, dass die Allerweltstheme n, über die ich schreibe, auch die Themen dieser Bekannten sind. Und die Klasse, über die ich schreibe, eben auch unsere gesellschaftliche Schicht ist. Man merkt das beim Schreiben: Es ist nicht möglich, durch eine gewisse Stellung besonders geförderte Problemerfahrungen einfach mit den Strategien zu mischen, die man in anderen Schichten hat.

Um mal ein unverfängliches Thema anzusprechen, um das es nicht geht: Scheidungskinder. Es gibt da so eine nonchalonte "Das packen wir schon"-Haltung von Frauen aus Ostdeutschland, die mir auch aus besteingesäumten Töchtern aus dem Westen vollkommen unbekannt ist. Dort überwiegen eher die Zweifel. Wollte man also ein Buch darüber schreiben - was Gott verhüten möge! - wie sich eine junge Frau als alleinerziehende Mutter durchschlägt, wäre es unmöglich, den inneren Konflikt meiner Bekannten aus dem Westviertel als Anfang zu nehmen, und die zupackende Art aus dem Osten als Problemlösung. Das engt die Räume dramatisch ein, das Schreiben wird wie eine rasend schnelle Schlittenfahrt durch einen Wald, wo man nur noch versucht, den Rodel der Geschichte nur irgendwie von Kollisionen mit den Bäumen der Bekannten wegzuhalten. Aber es ändert nichts am Umstand, dass es nur funktioniert, wenn man in diesem Wald bleibt.

Entsprechend klaustrophobisch erlebe ich gerade mein Tun. Je hübscher, je durchtriebener und zynischer die Szenen werden, desto unmöglicher wird es sein, darüber mit jenen zu sprechen, die sie auf sich beziehen könnten. Der Umstand, dass sie es fairerweise nicht tun können - alles Horizontale ist komplett und klugerweise vollkommen erfunden - ändert ja nichts daran, dass sie es trotzdem tun werden. Das mit der kleinen, leichten Liebesgeschichte mit sanft schwarzem Unterton sagt sich als Verleger leicht, aber er muss ja auch nicht für ein Jahr umziehen und sich neue Bekannte suchen, wenn es in falsche Kehlen kommt.

Das klingt jetzt alles ein wenig hysterisch, aber als Liquide letztendlich erschien, hatte ich enorme Probleme wegen eines einzigen Satzes, in dem ich passend zu einer Szene einem Techno-DJ einen leicht kirchenlästerlichen, aber ansonsten gängigen Namen gegeben hatte. Es gab in meinem weitesten Bekanntenkreis einen jungen Mann, der sich ähnlich nannte und Platten einer anderen Musikrichtung auflegte, und der allen Ernstes erwog, mich allein wegen des Wortes "Techno" anzugehen.

Sonntag, 3. Januar 2010, 00:31, von donalphons | |comment

 
Das ist aber eine gute Methode, die Blogleser neugierig auf das Buch zu machen (natürlich nur, wenn nicht am Ende alle spannenden Stellen aus Mangel an Tabletten und Vitamin C rausgestrichen wurden!)

Aber langsam verstehe ich, warum manche Autoren ein Dutzend Pseudonyme besaßen.

... link  

 
Das Buch wird langweilig, dumm und eigentlich nur geschrieben, weil ich 1 gute Szene nicht wegwerfen will. Vielleicht will ich auch gar keinen Verlag und es für mich selbst behalten, vielleicht ist es einfach zu schlecht. Ich muss nicht, und eigentlich will ich auch gar nicht. Das schreibt ein anderer.

... link  

 
Das schreibt ein anderer.
Wie wäre es mit einem Psydonym?
- Don Bertoldi ?
- Don Cesare ?
- Don ... ?

;-)

... link  


... comment
 
Geht das nicht jedem Autor so, der irgendetwas "über das Leben" schreibt? Thomas Mann war ja dann auch nicht mehr in Lübeck.

Man könnte ja Fantasy oder Science Fiction machen, da ist das Risiko geringer. Gibt auch einen Markt dafür.

... link  

 
Blöderweise wollte ich aber eigentlich nur eine Szene, einen Blohtext über Liebe und Beziehung in Zeiten von zu viel Arbeit und zu viel Druck schreiben, der dann immer länger wurde. Ich weiss nicht, aber in der Sache hängt bei extrem vielen Leuten gerade etwas schief.

... link  

 
Und vielleicht Don, würde ich mich gerade hier, jetzt, in diesem Moment in diesem Stück wieder erkennen. Die Wahrscheinlichkeit ist ganz groß.

Aber ich habe aber an z.B. Nick Hornby keine rechtlichen Ansprüche gestellt, obwohl er genauso bescheuert wie ich einem Fußballverein hinterher gerannt ist. Hey, das ist doch meine Story! Ganz im Gegenteil, ich verehre ihn dafür, dass er es so ausgedrückt hat, wie ich niemals dazu in der Lage sein werde.

Natürlich hat jeder sein eigenes, für sich einzigartiges Leben. Aber irgendwo ähnelt sich das immer mit anderen Leben. Wenn jeder dafür ein Copyright auf seine Befindlichkeiten beanspruchen würde, dann sollten wir uns schon mal aus rein juristischen Gründen nicht mehr über das Leben unterhalten.

Über was unterhalten wir uns dann? Fußball geht ja mit Ihnen nicht.

... link  

 
Nur mal ein konkretes Beispiel: Eine Figur ist sehr gefallsüchtig und hat sich, eitel wie sie ist, ein Zimmer als Kleiderschrank eingerichtet. Sowas kenne ich in der Realität öfters. Die gleiche Figur ist extrem überarbeitet - das passt bei allen. Die gleiche Figur findet bis zum Exzess aber Gründe, warum das gut und richtig so ist - auch das ist in allen realen Fällen so. Und alle realen Fälle werden es lesen und sagen: Das bin ich. Wenn diese Figur aber 200 Seiten etwas sehr unfeines macht, was aus dieser Veranlagung heraus erklärbar ist - werden sie dann sagen: Damit meint er jemand anderes?

Vermutlich nicht.

... link  

 
Wenn dabei große Literatur herauskommt, kann man es sich ruhig mit allen verscheißen. Da hat man im Zweifel alles richtig gemacht, niemanden gemeint, alle getroffen. (Und der Vorwurf eines begehbaren Kleiderschrankes alleine ist ja an sich nicht satisfaktionsfähig.)

Wenn Sie allerdings von Ihrem Text nicht überzeugt sind, dann würde ich ihn erst einmal liegen lassen.

... link  

 
DJ
Daß jemand, der richtige Musik auflegt, nichts mit Techno zu tun haben will, kann ich sehr gut verstehen!

Aber glaubt er wirklich, daß das Techon-Publikum das Buch liest? Und daß es nicht die literarische Gestalt von der Realität unterscheiden kann? Aber vielleicht ist die Wirklichkeits-Ferne dieser Leute wirklich so groß ...

GvH

... link  

 
Nach meiner Erfahrung neigen DJs bisweilen ja zu etwas ausgefallenen Namen; da kann es dann schon mal zu gewissen Ähnlichkeiten usw. kommen. (Mein Favorit: "Teeniedisko mit DJ Mindfuck")

... link  

 
Seitdem kenne ich für diese Gattung nur noch einen Namen: "DJ eitle eingebildete Diva ohne Manieren".

... link  

 
Bei den Plattenauflegern gibt es auch solche und solche. Und da gibt es auch welche, die sich über die Zeit verändert haben. Ich kenn aber auch ein paar wenige, die einen gewissen guten Namen haben und so geblieben sind, wie sie Mal waren. Mit Musikern eben so. Sind aber nicht immer die besten. Ein Glücksfall, wenn alles zusammen kommt: Guter Künstler und netter Kerl. Ist nicht immer so, gibts aber tatsächlich, das entscheidet aber nicht über die Qualität ihres Schaffens. Wie in jeder Kunst.

... link  

 
Nun ja, bei mir stimmt es ja, wenn es stimmt, was andere sagen: Schlechter, unmoralischer Schreiber.

... link  

 
"Diesääär Don Alphonso, das ist ein schläächter, unmoralischer Schreibäär, das ist keine Literatuuur!"

... link  

 
romanvorlage
verstehe ich jetzt nicht. schreib doch einfach so wie hier (die kleinen fehlerchen macht dann schon der verlagslektor weg) und kümmere sich nicht um bekannte! pfft, wäre ja wohl noch schöner. außerdem: niemals (= NIE-MALS!) zeigt man das unveröffentlichte werk seinen engsten freund(inn)en zur begutachtung vor. das macht nur komplett sinnfreie verwirrungen.

es ist klar, dass man immer aus eigener anschauung heraus schreibt. wer damit ein problem hat, sollte sich eben nicht mit einem autor anfreunden. (gegen die protagonistin in dem roman "pepsi im waschsalon" meiner damaligen kommilitonin edda helmke - http://www.amazon.de/Pepsi-im-Waschsalon-Edda-Helmke/dp/3890291295/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books&qid=1262553313&sr=1-1 - habe ich mich ja auch nicht gewehrt... und die hat ganz, ganz, ganz ehrlich überhaupt gar nichts mit mir gemein!)

... link  

 
Ich wüsste da ein paar gute Anwälte...

... link  

 
Eigentlich gilt doch jeder Autor, der genau hinschaut, als Unsympath. Was nicht verwundert, denn das Beobachten und Weiterspinnen macht einen natürlich angreifbar seitens des Bekannten-, Freundes- und Liebschaftenkreises. Das ging schon Thomas Mann so und das geht heute noch Rainald Goetz so, wenn er - wie in "Rave" - die Technoleichen zitiert. Es gibt nur wenige Möglichkeiten, diesem Schicksal auszuweichen. Genannt sei hier Daniel Kehlmann, der es sich diesbezüglich einfach machte, in dem er bereits Verstorbene, nämlich Gauß und Humboldt, satirisch verzerrte. Wer über das Leben schreibt, so wie es ist, mit all seinen Chancen, Wendungen, Gefahren, Problemen, kleinen Schweinereien undsoweiter - und wer es gut macht - der wird immer wieder angefeindet werden. Sei es drum. So entsteht Literatur.

... link  

 
... also ob die "Buddenbrooks", der "Zauberberg" u. der "Doktor Faustus" heute problemlos erscheinen koennten, kann man sicher bezweifeln, weil es in diesen Buechern wohl nur wenige Figuren geben duerfte, die nicht aus dem wirklichen Leben entliehen sind; einige waren mit dieser Verwertung ja gar nicht einverstanden.

Im Mephisto-Urteil gibt es wohl eine Bestimmung, derzufolge die voellige (groteske, absurde, satirische ...) Ueberzeichnung der kopierten Person statthaft ist, wobei ich aber nicht weiss, was man nach dem Biller-Urteil u. dem Verfahren gegen Alban Nicolai Herbst davon zu halten hat. Wuerde es gern wissen. Vielleicht kennt sich ja jemand besser aus.

G. Schoenbauer

... link  

 
Ganz ehrlich? Der Biller-Fall ist ein bißchen ein anderer. Ich hab die geschwärzte Variante gelesen, ich brauchte trotzdem nur zwei Minuten, um anhand der Angaben die Realnamen herauszufinden. Geschwärzt waren dann Dinge wie genaue Ortsangaben, Straßennamen, Details über das Kind der Figur. Also alles das, was man wirklich nicht von sich veröffentlicht haben will und was man als halbwegs denkender Mensch auch von anderen nicht preisgibt, Kunst hin oder her. Insofern kann ich die Klage der Dame wirklich verstehen und Geheule über die Freiheit der Kunst halte ich für einigermaßen unangemessen.
Zu dem Buch des Herrn Herbst kann ich nichts sagen, aber das darf ja nun wieder veröffentlicht werden.

... link  

 
Ich sag mal: Nur weil es dann vielleicht vor Gericht doch nicht durchkommt, bedeutet nicht, dass es angesichts des Billerfalles nicht doch probiert wird. Das würde ja auch schon reichen.

... link  

 
@andrea,
vielen Dank fuer diese Infos zum Biller-Buch. Wollte es eigentlich fuer mich behalten, aber habe in den letzten Jahren nebenher und als voelliger Laie in diesem Metier immer wieder an einem Krimi geschrieben. Inzwischen ist daraus ein massiges, dabei durchaus lesbares und in sich stimmiges Konvolut von ueber 1000 Seiten geworden, auch eine Ende abzusehen, und ein Literaturagent kuemmert sich momentan um die Verlagsgeschichten. Die mit Abstand duemmste Figur des Buches, die zudem voellig ueberzeichnet wird, ist der amerikanische Praesident, der sich stets der vom letzten Amtsinhaber ueberlieferten Sentenzen bedient. Das ist natuerlich reiner Zufall, aber man kann ja nie wissen, jedenfalls hat mich auf diesem Hintergrund diese rechtliche Frage interessiert.
Gruss, G. Schoenbauer

... link  


... comment
 
Sollte sich kein Verlag finden kann ich Print-on-demand über BOD.de nur empfehlen !
Wir haben da auch schon ein paar Bücher darüber verlegt. Mann muss halt nicht grossartig investieren ....

... link  

 
Nur Mut, Don.

... link  

 
Verlag ist kein Problem. BOD wäre mir persönlich ein Ausweis des Scheiterns. Danke für den Zuspruch, ich schaffe das schon.

... link  

 
Zur Buchvorstellung reserviere ich hiermit schon mal den Büchertisch !!!

... link  


... comment