Ein viertel Jahrhundert später

Als ich nach meinem Abitur die Reise nach Amerika auch noch hinter mich gebracht und begriffen hatte, dass dieses Land absolut nichts für mich ist, brachte ich aus San Francisco einen schweren Jet Lag mit. Es war Sommer. Und ich wachte jeden Tag noch vor Sonnenaufgang auf. Ich laborierte wochenlang daran herum, und weil ich ohnehin nichts anderes zu tun hatte und der Studienbeginn noch fern war, schwang ich mich jeden morgen auf das Rennrad und fuhr eine Tour mit 60 Kilometern ins Altmühltal Mit allem Drum und Dran dauerte das zwischen 2 und 2,5 Stunden. Dann gab es Frühstück. Im Herbst blieb ich sogar ein paar Mal unter zwei Stunden, was ziemlich schnell war. Heute, 24 Jahre und nicht ganz so viele Kilo mehr am Körper später, war ich am Einstieg zu meiner alten Strecke auf Aussentermin.



Und dachte mir so: Probieren wir es. Schliesslich ist auch die Technik weiter, das alte KTM wog 10,5 Kilo, das Votec 7,7, das sollte helfen. Das Wetter war perfekt, es war überraschend wenig los, und die Strecke war so wie früher: Wellig und abwechslungsreich, noch nicht durch Ortsumgehungen verschandelt, die Dörfer sind etwas gewachsen und es sind mehr Marterl in den Kurven, aber es ist immer noch die gleiche schöne Strecke über Seitenstrassen und Jurahöhen hinunter ins Altmühltal.

Aber schon an den ersten Steigungen... früher war es wie Achterbahnfahren, mit Karacho den Berg hinunter und die nächste Kuppe im Stehen genommen. Nach einer Weile weiss man genau, wie schnell man sein muss, damit man wieder nach oben fliegen kann. Heute bin ich dank des Untersatzes sicher noch schneller, aber es reicht nicht mehr die Hügel hinauf. Die Hälfte geht immer, aber zur Spitze hin, wenn die Steigung lang ist, krieche ich dann. An keiner Stelle unter 10 km/h, aber es ist nicht mehr der rasante Ritt über Berg und Tal, sondern eher von Berg zur Qual. Und das geht auch auf die Zeit und die Muskeln.



Immerhin sind am Hinterrad zwei grosse Ritzel, die ich an keiner Stelle bemühen musste, auch nicht am langen, elend langen Anstieg hoch auf die letzte Jurakuppe. Ein paar Minuten später musste ich dann aber die Bremsen bemühen. Statt des üblichen Schmatzen kam ein Knirschen, statt der Bremsleistung ziemlich wenig Entschleunigung. Shimano hat die Bremsschuhe so konstruiert, dass Plastikschrauben auf der Innenseite der Schuhe ab einer gewissen Abnutzung der Bremsbeläge an der Felge aufsitzen. Das bremst dann eher bescheiden, und wenn man in das Schambachtal hinuntersaust... nicht die 18% vom letzten Mal, aber 15% sind auch nicht ohne, und man merkt das erst, wenn man richtig hart bremst. Ich würde mir wünschen, die Erfinder dieser Konstruktion, die wie ein Abendessen mit Lobo*, Niggemeier und Turi gefallen kann, auch mal diese Erfahrung machen würden - unten kommt abrupt eine Vorfahrtsstrasse, und das Gefälle bleibt bis zu diesem Punkt erhalten. An dem Punkt zückte ich dann ein Messer und schnitt die Plastikschrauben ab. Kann sein, dass die Beläge nicht mehr rausgehen, aber das ist mir egal: Das Zeug bleibt nicht an meinem Rad. Die Modolobremsen am KTM waren auch eher zur Optik verbaut, aber damals war alles noch schlechter, und man wusste, dass man auf Selbstmordgeräten sass. Heute hat man das angeblich beste System der Welt, und rauscht knirschend mit Tempo 40 in die Kreuzung. Da kommen so schnell wie möglich Campagnolobremsen dran.



Ach ja, Kipfenberg. Der Weg von Schambach nach Kipfenberg führt an den Restaurants meiner Kindheit vorbei, aber dort halten würde nun nicht nur den Schnitt, sondern auch die Figur versauen. Also weiter, immer weiter, wieder die Juraanhöhen hinauf, durch verwinkelte Dörfer und dann hinunter ins Donautal. 3 Stunden, sagt die Uhr. Das ist ein 20er-Schnitt mit allen Zwischenstops, früher haben Bremsen funktioniert und ich hatte kein Blog zu bebildern, aber: Das ist nicht gut. Noch weniger gut ist mein doch ziemlich erschöpfter Zustand. Gut gehalten, sagen manche, wenn sie mich nach langer Zeit wieder sehen. Nicht wirklich, muss ich sagen.

Und dass andere in meinem Alter vermutlich nicht mal mehr zum Bäcker radeln könnten, ist auch kein Trost. Das muss besser werden.

*dass ich mal im direkten Vergleich zwischen "Blogger" und CSU-Ministerin nicht letztere für komplette 100% der bescheuerten Aussagen, kindischen Faseleien und debilen Albernheiten zum Thema Internet verantwortlich sehen würde, hätte ich auch nicht gedacht, aber das hat man davon, wenn führende Gestalten der Szene zum falschen Zeitpunkt mit dem falschen Pleitier den falschen Werbevermarkter gründen.

Sonntag, 1. August 2010, 01:43, von donalphons | |comment

 
"unten kommt abrupt eine Vorfahrtsstrasse"
Von Attenzell nach Schambach, oder?

Apropos 15%: Kurz hinter Kipfenberg, die Straße von Kemathen nach Irlahüll.
Auch nicht schlecht!

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Richtig.

Ich traue dem Rad noch nicht so ganz über dem weg, deshalb bleibe ich immer relativ in Heimatnähe.

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Respekt Herr Alphons!
Ein 20er Schnitt würde ich nichtmal auf der Strecke Mantova-Peschiera schaffen. Wahrscheinlich nicht mal eine Strecke von 60km!
Da würde mir auch keine Ihrer Rennmaschinen helfen!

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Racen...
Lieber Don Alphonso! Ich mache mir auch gerade Gedanken, wann ich mich heute auf meinen Bianchi Racer setze, und den Asphalt zum Glühen bringe... Vor dem mittäglichen Grillen bei meinen Eltern ist es zu knapp und nur hier im Olympiapark möglich (4x vollgas um den Park inkl. 3x über den Olympiaberg = 24km, ca. 50 Min.) - danach hat man ggf. ein Bier getrunken und Gegrilltes gegessen, das war letztes mal kontraproduktiv, aber die Strecken da draussen sind natürlich toll. Wenn Du in der ebenen Stadt (mal) mit 45km/h dahindonnerst, oder den Berg runter mit über 70km/h, dann ist das wirklich so lustig, wie auf der Rennstrecke... :-)

Also irgendwann müssen wir mal gemeinsam attackieren - ich übe fleißig!!!

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Don Ferrando, danke, aber gerade auf dem Weg sind hinter Valeggio auch ein paar fiese Steigungen, die mich auch ausser Tritt brächten.

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mawu, ichg übe auch, aber die nächsten Tage sitze ich hausbedingt noch in der Provinz. Was ich an München nie mochte, waren die 10 Kilometer, bis man überhaupt erst mal aus der Stadt draussen ist, da isgt das Olympiagelände wirklich ein Segen für das Training.

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Don Alphonso, mitten aus der Stadt raus ist natürlich Mist. Heute Früh bin ich knapp 50km von Vaterstetten aus mit einem Schnitt von 27,5km/h gefahren - beim letzten Endmoränenwall dachte ich dann aber, ich kippe vom Rad. Und ja, natürlich habe ich die kleinste Übersetzung gewählt... Genauso, wie die Gruppe natürlich von Campagnolo - what else??? Hatte schon das Bavaria Italia Super meines Vaters aus den 70ern...

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Das ist anständig, nicht unmsonst heisst eine beliebte Radlerseite (neben Zillionen von Herzeigeseiten mit Carbon) "Quäldich.de". Eiegntlich sollte man es nicht soweit treiben, dass man am Ende ächzend vom Radl fällt, sondern beschwingt in den Biergarten geht, aber den Fehler mache ich auch immer (die letzte Höhe geht auch noch im Stehen...)

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"Und dass andere in meinem Alter vermutlich nicht mal mehr zum Bäcker radeln könnten, ist auch kein Trost. Das muss besser werden."

Dran bleiben. In hiesigen Breiten tritt der Täve Schur noch kräftig in die Pedale. Mit knapp 80 fährt der ebenso lange Strecken.

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Den Motivationshappen vergessen.

250 Meter mit 30 Meter Höhenunterschied. Die Steile Wand von Meerane. 1960.

http://www.youtube.com/watch?v=dNj3hyi2cec&feature=related

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