Zurück zu den Silberkännchen

Ich mache das ja so mit den englischen Silberkannen: Im Gegensatz zu Rennrädern hole ich sie nicht persönlich ab (bei Rennrädern ist das enorm wichtig, einerseits will ich die Geschichte dazu hören, andererseits ist Radkauf auch Vertrauenssache), sondern lasse sie aus England schicken. Anders geht es nicht, Silberkannen in Deutschland sind vier mal so teuer und auch nicht besser, aber ich kann nicht dauernd nach England fliegen. Ausserdem ging der letzte Versuch gründlichst daneben, und so werte ich das - bis zum Tweed Run kommenden Jahres - erst mal als Zeichen, in Deutschland zu bleiben, die Rodel zu wachsen und die Rennräder langsam einzumotten. Es ist diese Übergangszeit, und die ist nur tauglich für Silberkannen, nicht aber für Rodel und Rennräder.



Dass ich länger keine Silberkanne mehr erworben habe - genau genommen seit der letzten Übergangszeit zwischen Winter und Frühling - liegt gar nicht so sehr an meinem Wollen, sondern am Kurs des Edelmetalls Silber und der steigenden Zuversicht der Bevölkerung in England. Tatsächlich haben dort die vollkommen überzogenen Immobilienpreise inzwischen wieder angezogen, womit für viele Hausbesitzer mit hohen Krediten das Schlimmste vorbei ist: Sie können wieder verkaufen, ohne danach insolvent zu sein. Kredite sind formal wieder Kredite, und nicht mehr das Ende des Wohlstands. Für den Moment.

Die Ursache für diese steigenden Hauspreise ist aber enorm unschön: Über eine Million im Ausland lebende und arbeitende Briten sollen auf die Insel heimgekehrt sein, weil sie im Ausland keine Arbeit mehr finden und nun natürlich Wohnraum brauchen. Wohnraum und Arbeit. Die ehemaligen Expats haben sicher nicht die allerschlechteste Ausbildung, müssen sich wieder integrieren und angesichts des englischen Asozialstaates schnell eine Arbeit finden. Niedrigere Gehälter akzeptieren. Sich reinhängen. Die haben andere Sorgen als meine Silberkannen. Und jene, mit denen sie sich um die Jobs prügeln, werden auch nicht gerade ans Silberputzen denken. Mal wird der eine gewinnen, mal der andere. Die Verlierer brauchen Geld. Weil der englische Staat jetzt auch noch extrem bei den Sozialausgaben spart.

Dass hier übrigens gleich noch mal 500.000 Arbeitsplätze in den nächsten 5 Jahren verloren gehen (und in der Folge, wie man weiss, sicher nochmal 200.000 weitere, die davon abhängen), macht die Lage auch nicht besser. Man muss sich das mal vorstellen: England hat wegen seiner Bankster einen Neuverschuldung von über 10% im Haushalt, und die Regierung reagiert darauf mit Terror gegen ihre Bürger, wehrt sich aber gegen hartes Vorgehen gegen die Bankster. Ein Land im Würgegriff des organisierten Finanzverbrechens, das selbst wiederum von der Verschuldung profitiert. Man muss kein Hellseher sein um zu wissen, dass es die englische Gesellschaft dabei zerreissen wird. Wenn die Unternehmen, wie jetzt geschehen, behaupten, sie könnten die Arbeitslosigkeit und die damit verbundene Umverteilung in diesem weitgehend deindustrialisierten Land abfangen und Stellen schaffen, denken sie vermutlich eher an Hungerlöhne und Manchesterkapitalismus. Und weil die Lage auch so schwierig sein wird, wird der britische Peso auch weiterin schwächeln. Und weil Silber wenig bringt, wenn man hungert, oder einem das Haus versteigert wird - wird man vermutlich weiter versuchen, die se Assets gewinnbringend zu verkaufen. Eine Silberkanne rettet eine vierköpfige Familie schon mal über 2, 3 Wochen hinweg.



Ich weiss, das ist zynisch und alles andere als nett, aber wenn ein Land nicht in der Lage ist, Verbrecher einzusperren oder zu deportieren, wenn Raub nicht nur legalisiert, sondern als Zukunft der Wirtschaft gepriesen und die Freunde der Räuber mit deren Unterstützung an die Macht kommen - dann braucht es sowas vielleicht. Als heilsamen Schock. Um bei der nächsten Wahl, oder beim Aufstand gegen das Räuberregime, dieses Pack wirklich hinwegzufegen.

Vermutlich aber haben sie es schlau genug gemacht, dass die Last nur ganz langsam zu spüren sein wird, immer etwas schlimmer, hier sparen und dort nicht mehr leisten können, dieses nicht mehr tun und jenes bei Ebay einstellen, sachte, behutsam, nie zu viel Leid und immer schön laute Lügen davon, dass alles bald besser wird, wenn man nur die Schulden reduziert und die Banken aufgepäppelt hat. Aber das ist nicht mein Problem. Ich brauche Silberkannen. Und die hauseigenen Vollversager der bayerischen Landesregierung, die man jetzt noch nicht mal verklagen will, weil ein Gefälligkeitsgutachten davon abrät, habe ich nie gewählt.

Donnerstag, 21. Oktober 2010, 01:52, von donalphons | |comment

 
Frage am Rande
Alles sehr einleuchtend, weil bis nach Bayern hinein vortrefflich ausgeleuchtet.
Sorgen bereitet indes die Frage: Gibt es in Ihren Gemächern auch Fußgängerzonen?

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Ja (aber beeilen würde ich mich darauf trotzdem).

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Die können gar nicht gegen die Bankster vorgehen. Wenn die abwandern, kann Cameron das Licht ausschalten. So ist England dann am Ende zum Gefangenen des eigenen Liberalisierungswahns geworden.

Dieser brutale Sparkurs mit dem Ziel, die Neuverschuldung in vier Jahren auf Null zu drücken, ist wohl nur mit einer schweren Herzoperation mit Hammer und Meisel am nicht betäubten Patienten zu vergleichen.

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Neuverschuldung auf Null... dann bleibt immer noch die Schuldenlast bestehen. Man muss das Geld dort holen, wo es ist. Der Glaube, dass man sich lieber weiter berauben lässt, damit die Räuber nett zu einem sind, ist nicht gerade klug.

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Die Zeiten, in denen Politiker klug waren, sind schon länger vorbei.

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Wann waren diese Zeiten?

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Die haben keine Wahl, in England, die muessen sparen...
In Sachen "harter Sparkurs":
Wie oben: die haben keine Wahl, die muessen sparen. Und der deutschen Regierung taete das auch gut. Unter Labour wurden die Sozialleistungen so hochgeschraubt, dass sich jeder bloed vorgekommen ist, der gearbeitet hat. Also haben gewisse Sozialgruppen ein Geschaeft aus dem Kinderkriegen gemacht. Viele Kinder haben hohe, lebenslaengliche Sozialhilfe und Sozialbehausung garantiert. Es gab (und gibt noch) Familien, die viele Kinder haben, denen - vor allem die Londoner - Sozialaemter Luxusvillen (GBP 104000.-- p.a. an Miete allein, das wird sonst nur von Banken fuer Ex-Pat Fuehrungskraefte bezahlt, die sich dann saubloed vorkommen, wenn der Sozialhilfeempfaenger nebendran denselben Lebensstandard hat) angemietet haben. Dann hat man auch noch behauptet, behindert zu sein - meist "self assessed" - damit man auch noch ein Auto vom Staat bezahlt bekam. Also Luxusvilla und Auto vom Staat fuer Sozialhilfeempfaenger. Den nicht arbeitenden Muettern von unehelichen Kindern in den Council Estates wurden noch dazu Kindergaerten bezahlt. Wozu brauchen die eigentlich Kindergaerten, wenn sie sowieso nicht arbeiten? Wenn Sie als Teenager mit 12 ein Kind bekamen, zum Beispiel, bekamen Sie sofort vom Staat eine Wohnung, Kindergarten und Sozialhilfe. Und das lebenslaenglich. Sie mussten nie arbeiten. Wie gesagt, jeder Steuerzahler kam sich bloed vor. Und jetzt ist England so verschuldet, dass die Regierung dringend sparen muss.
Klar, die Banker sollten zur Kasse gebeten werden. Man muss aber auch bedenken, dass die Finanzindustrie der einzige Wirtschaftszweig ist, der in England noch Geld in die Kassen bringt.
Also alles nicht so einfach.

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Das klingt ja wie die noch in den 1970ern gerne erzählte Geschichte vom Wäscheklammern verkaufenden Zigeuner, der seine Kinder von Tür zu Tür ziehen ließ und sie am Ende des Tages mit seinem 450er SEL in die Wagenburg chauffierte. Tut mir Leid, das ähnelt mir dann doch zu sehr der dummdreisten Sozialschmarotzer-Rhetorik aus den sozial erwünschten Kreisen / dem intellektuellen Prekariat.

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Und jetzt ist England so verschuldet

Haha! Was für ein gequirlter Quark!

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Ich nehme an, Sie haben nicht in England gelebt und verfolgen auch die englische Presse nicht.

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ah, die "englische presse"!
weltweit als verlautbarungsorgan der sog. "wahrheit" bekannt und beliebt.

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™!

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"Man muss aber auch bedenken, dass die Finanzindustrie der einzige Wirtschaftszweig ist, der in England noch Geld in die Kassen bringt. "

ähm.... da muss man nicht mal volkswirtschaftlich argumentieren, man sehe sich einfach mal das saldo nach den rettungsaktionen an. das ist fett in den roten zahlen.

next one, please!

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Der Königsweg in den Feudalismus
könnte einfach darin bestehen, dass man Gerichten verbietet, private Verträge für ungültig zu erklären -- etwa mit der Begründung sie seien verfassungs- oder sittenwidrig.
Die Rolle der Gerichte würde sich darauf beschränken, ob die Unterschrift echt ist und ggf. feststzustellen, was genau vertraglich vereinbart wurde, wobei der Buchstabe massgeblich wäre.
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Profitorientierten Privatunternehmen das Recht auf freie Meinungsäußerung zuzugestehen ist auch keine schlechte Idee. Obwohl es natürlich ein Jammer ist, wenn richtige Massnahmen mit falschen Begründungen durchgesetzt werden müssen.

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First in, first out
Es ist alles so offensichtlich. England war das Ursprungsland der industriellen Revolution, das erste Industrieland überhaupt.
Heute ist es das erste Land, das diese Phase hinter sich gelassen hat und in das kommende Zeitalter ökonomischer Stagnation eintritt.
Es wäre nur logisch, wenn auch das Feudalsystem hierhin wieder ein ganz klein wenig früher zurückkehrt als anderswo.
Grosse Hoffnung macht der Umstand, dass die kulturellen Voraussetzungen hier jedenfalls vorhanden wären.
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Die globale Dominanz des häßlichen panamerikanischen Bananerepublikmodells zu brechen, in dem man ihm jetzt auf 500 restaurierten Schlössen den Glanz und die Schönheit eines ultrahochzuveradelnden alteuropäischen Kulturfeudalismus gegenüberstellt, wo die heute noch arbeitslosen schon morgen den Park pflegen, die Pferde striegeln und das Silber putzen -- das ist die grosse Aufgabe, vor der die Erben Wilhelms der Eroberers jetzt stehen. Bis 2066 könnten sie es schaffen.

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nennen wir Deutschland nicht auch schon gerne eine Dienstleistungesgesellschaft?

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Meier liegt natürlich goldrichtig! Middlesbrough war schon industrielle Wüste als in Oberhausen die Stahlkessel noch auf Hochtouren liefen. Und der englische Adel hat sich die Renovierung seiner Landsitze vom National Trust finanzieren lassen (im Gegenzug macht man einmal pro Jahr die Haustüre auf) als die Ostelbier noch in ihren Autohäusern, Rechtsanwaltskanzleien oder von der Scholle getrennt in Marbella saßen. Wir hinken zwanzig Jahre hinterher. Die neofeudale Errettung kann eigentlich nur aus Franken kommen, wenn die Alte (Vorsicht ostelbisches Blut!) keinen Stuss macht.

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Ein Teil des englischen Adels musste seine Landsitze in den 1980ern wegen der Erbschaftssteuern verkaufen. Der National Trust nahm nämlich auch nicht alles geschenkt, geschweige denn, dass er immer die Renovierung finanzieren mochte oder konnte.

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Doch insgesamt hat der englische Adel davon profitiert, dass sein Privatbesitz in Teilen zum nationalen Erbe erklärt wurde. Und darum geht es, Individualinteressen zum Gemeinwohl zu erheben -- alte aristokratische Herrschaftstechnik. Arme Ritter hin oder her.

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Ich bin ganz profanes Mitglied beim National Trust. Und ich finde die Idee dahinter ausgesprochen gut, wenn ich sehe wie viele Freiwillige sich da für den Erhalt und die Zugänglichkeit von Kulturgütern einsetzen.

Die Schenkungen an den 1895 gegründeten National Trust hatten ganz unterschiedliche Gründe. Erbschaftssteuern waren einer, es gab viele, die nach dem Krieg Häuser und nicht zu vergessen auch erhebliche Ländereien an den Trust übergeben haben. Manche hatten schlicht keine Erben. Genau so wie es in den Siebzigern so einige gab, die ihre adlige Herkunft loswerden wollten. Die Liste könnte man fortsetzen.

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