Die Enge
Bei alten Leuten kommt es manchmal vor, dass sie keine Lust mehr haben, ins Bett zu gehen. Statt dessen gewöhnen sie sich so an das Sofa, dass sie erst den Mittagsschlaf und später auch die Nachtruhe dorthin verlegen. In meiner Heimatstadt starb vor zwei Jahren die Frau eines Notars, der seinen meist älteren Kundinnen der Altstadt geholfen hat, Geld anstelle von Immobilien zu vererben, indem er die Häuser kaufte. Blöderweise starb er selbst, bevor der mit dem Entwickeln der Immobilien anfangen konnte. Wohl um die 500 Zimmer dürfte seine Frau besessen haben, aber die letzten Jahre ihres Lebens brachte sie in einem einzigen Zimmer zu. Nicht, weil sie nicht anders konnte. Sie hatte sich eben gut zwischen Fernseher und Sofa perfekt eingerichtet. Die Immobilien ihres Mannes rotteten derweilen vor sich hin.
Als sie dann gestorben ist, wurden die Häuser verkauft. Jemand, der mit der Verwaltung betraut war, und mein Interesse an alten Dingen kennt, zeigte mir das grosse Haus der alten Frau und das Zimmer, das ihr Kosmos geworden war: Nicht klein, nicht zuvollgestopft und auch gar nicht sentimental. Einfach ein Zimmer mit alten, aber gepflegten Möbeln, unauffällig und normal. Und eine ganze Welt auf 20 Quadratmetern. Ein paar Wochen später kamen die Ausräumer und warfen alles aus dem Fenster in den Container. Der Kosmos implodierte.
Und ich, der ich mich gerade bereit mache, mich für den Winter einzurollen, der ich Wasser in Heizungen nachfülle und Vorräte anlege bei jenen Händlern, die im Winter nicht auf die Antik- und Wochenmärkte kommen, der ich üppige Kerzenhalter kaufeund Bücher - ich habe ein wenig Angst vor den näherrückenden Wänden und dem Umstand, dass ich so oft auf dem Sofa einschlafe, bevor ich es dann doch noch ins Bett schaffe. Mein Kosmos wird enger, daran ändert auch seine Ausgestaltung nichts, mein Leben wird kleiner, beschützter, auch einfacher - Fragen wie "fahre ich vielleicht doch mal nach Berlin" spielen bei Schnee keine Rolle mehr - aber auch begrenzter und mit dem Grauschleier der Nebeltage überzogen.
Bleibt mir also nur dieses kleine Loch des Internets durch die Wände, zum Schauen, wie es woanders ist, in den engen Räumen anderer Menschen, für das Plaudern und Vergessen der Bleiplatten vor den Fenstern. Aber auch das geht vorüber, ab Januar ist hier Vollbetrieb und Dauerarbeit, draussen stehen schon Mieter und möchten gestern eingezogen sein; es mag kalt werden, aber der Druck ist da, die 10 neuen Zimmer nicht so verkommen zu lassen, wie die 500 Zimmer der alten Frau. Vermutlich schlafe ich dann auch wieder in meinem breiten Bett unter Spiegeln und Gemälden absonderlicher Frauen, und verlerne angenehm das Denken.
Als sie dann gestorben ist, wurden die Häuser verkauft. Jemand, der mit der Verwaltung betraut war, und mein Interesse an alten Dingen kennt, zeigte mir das grosse Haus der alten Frau und das Zimmer, das ihr Kosmos geworden war: Nicht klein, nicht zuvollgestopft und auch gar nicht sentimental. Einfach ein Zimmer mit alten, aber gepflegten Möbeln, unauffällig und normal. Und eine ganze Welt auf 20 Quadratmetern. Ein paar Wochen später kamen die Ausräumer und warfen alles aus dem Fenster in den Container. Der Kosmos implodierte.
Und ich, der ich mich gerade bereit mache, mich für den Winter einzurollen, der ich Wasser in Heizungen nachfülle und Vorräte anlege bei jenen Händlern, die im Winter nicht auf die Antik- und Wochenmärkte kommen, der ich üppige Kerzenhalter kaufeund Bücher - ich habe ein wenig Angst vor den näherrückenden Wänden und dem Umstand, dass ich so oft auf dem Sofa einschlafe, bevor ich es dann doch noch ins Bett schaffe. Mein Kosmos wird enger, daran ändert auch seine Ausgestaltung nichts, mein Leben wird kleiner, beschützter, auch einfacher - Fragen wie "fahre ich vielleicht doch mal nach Berlin" spielen bei Schnee keine Rolle mehr - aber auch begrenzter und mit dem Grauschleier der Nebeltage überzogen.
Bleibt mir also nur dieses kleine Loch des Internets durch die Wände, zum Schauen, wie es woanders ist, in den engen Räumen anderer Menschen, für das Plaudern und Vergessen der Bleiplatten vor den Fenstern. Aber auch das geht vorüber, ab Januar ist hier Vollbetrieb und Dauerarbeit, draussen stehen schon Mieter und möchten gestern eingezogen sein; es mag kalt werden, aber der Druck ist da, die 10 neuen Zimmer nicht so verkommen zu lassen, wie die 500 Zimmer der alten Frau. Vermutlich schlafe ich dann auch wieder in meinem breiten Bett unter Spiegeln und Gemälden absonderlicher Frauen, und verlerne angenehm das Denken.
donalphons, 01:42h
Montag, 25. Oktober 2010, 01:42, von donalphons |
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hansmeier555,
Montag, 25. Oktober 2010, 19:38
Vier Wochen in einer alten Villa am Schwarzen Meer.
Ohne Internetanschluss.
Oder drei Wochen per Fahrrad durch die Karpaten.
Ohne Internetanschluss.
Oder drei Wochen per Fahrrad durch die Karpaten.
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betablogg,
Montag, 25. Oktober 2010, 20:07
Alles Unheil dieser Welt kommt daher, daß die Menschen nicht still in ihrer Kammer sitzen können.
Blaise Pascal
Blaise Pascal
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scarlatti,
Dienstag, 26. Oktober 2010, 00:04
Sich lang (und oft) hinstrecken
Au weia! Das letzte BIld! Das Bild mit der feinen Wasserspiegelung, das Bild mit der Wehranlage, der Ziegelmauer und den Rundbögen! Das müsste doch der Graben sein, an dem meinereiner das erste mal Schlittschuhe angeschraubt bekam und drauflosgeschubst wurde.
Ingolstadt! Dieser Graben lag meiner Erinnerung nach neben dem Hallenbad. Wie hieß dieser vermaledeite, zugefrorene Graben bloß nochmal? Tillygraben?
Dieser Nachweihnachts Sonntagnachmittag, das war genau das Gegenteil von Einrollen. Sich unfreiwillig lang hinstrecken kann wohl gemeinhin als das Gegenteil von "sich einrollen" gelten? Oder? Also: Hinfallen, Anhauen, Anrumpeln, Aufstehen, Frieren, seine (neuen) blauen Flecke zählen, Zähne klappern (Arxxx auf Eis wird noch kälter) also besser wieder aufzustehen, um den kläglichen Tanzschritt nochmals hinzulegen. Dieser Ingolstädter Januar-Sonntagnachmittag, das war der längste, kälteste, meines Lebens.
Ingolstadt! Dieser Graben lag meiner Erinnerung nach neben dem Hallenbad. Wie hieß dieser vermaledeite, zugefrorene Graben bloß nochmal? Tillygraben?
Dieser Nachweihnachts Sonntagnachmittag, das war genau das Gegenteil von Einrollen. Sich unfreiwillig lang hinstrecken kann wohl gemeinhin als das Gegenteil von "sich einrollen" gelten? Oder? Also: Hinfallen, Anhauen, Anrumpeln, Aufstehen, Frieren, seine (neuen) blauen Flecke zählen, Zähne klappern (Arxxx auf Eis wird noch kälter) also besser wieder aufzustehen, um den kläglichen Tanzschritt nochmals hinzulegen. Dieser Ingolstädter Januar-Sonntagnachmittag, das war der längste, kälteste, meines Lebens.
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damals,
Dienstag, 26. Oktober 2010, 02:38
Schlafen Sie tatsächlich unter Spiegeln? Das ist ja der Gipfel der Dekadenz, das gibts ja nur in Barockschlössern oder im Bordell ...
Ansonsten mal wieder ein schöner Text mit schönen Bildern - da lob ich mir doch dies "kleine Loch des Internets", das auch für mich den einzigen verstohlenen Blick aus der Enge in die Welt bedeutet.
Ansonsten mal wieder ein schöner Text mit schönen Bildern - da lob ich mir doch dies "kleine Loch des Internets", das auch für mich den einzigen verstohlenen Blick aus der Enge in die Welt bedeutet.
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donalphons,
Dienstag, 26. Oktober 2010, 03:12
Ich hatte noch ein halbes Dutzend Spiegel übrig, als die Wohnung fertig war, und die hängen rechts vom Bett - damit man, wenn man aufwacht und nach rechts schaut, den Buchpr0n sieht, der an der linken Wand bis zur Decke reicht.
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sprachgitter,
Dienstag, 26. Oktober 2010, 14:02
Bücher
Welche kaufen Sie denn grade als Wintervorrat?
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jochen hoff,
Dienstag, 26. Oktober 2010, 11:28
Mit dem Alter verkürzt man die Linien auf das was man noch verteidigen kann, oder zu verteidigen bereit ist.
Aber schön, dass du das kleine Loch in deinen Mauern erwähnt hast. Das Internet in dem du die wie in einem riesigen und sich stets erneuernden Gedächtnispalast auf eine unendliche Reise gehen kannst.
Etwas über das der Alterssitz der alten Dame nicht verfügte und die meisten Kammern der armen Alten auch nicht verfügen werden. Nein auch die Bücher haben die meisten nicht. Oft fehlt ihnen gar die passende Brille um zu lesen.
Aber schön, dass du das kleine Loch in deinen Mauern erwähnt hast. Das Internet in dem du die wie in einem riesigen und sich stets erneuernden Gedächtnispalast auf eine unendliche Reise gehen kannst.
Etwas über das der Alterssitz der alten Dame nicht verfügte und die meisten Kammern der armen Alten auch nicht verfügen werden. Nein auch die Bücher haben die meisten nicht. Oft fehlt ihnen gar die passende Brille um zu lesen.
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donalphons,
Dienstag, 26. Oktober 2010, 11:39
Die Dame hatte Zeitung, und das hat den Menschen einfach ausgereicht. Damals war die Welt auch noch weiter weg, und sie hatte wohl auch keinen Bedarf, sie näher kommen zu lassen.
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scarlatti,
Dienstag, 26. Oktober 2010, 15:12
Brünette Künette
Genau Künettegraben! Danke für die Wiederbeatmung.
Mir deuchte bisher, Künette sei sicher so eine Hofschranze oder die Geliebte eines Herzogs, vielleicht noch Gspusl des Eichstätter Bischofs. Wie weit gefehlt! Wo eine Künette (Keilgraben) ist, ist auch ein Glacis, wie mir Wikipedia orakelt.
Was Wikipedia vergisst, aber auch immer wieder vergisst: geh nicht in einen Künettegraben an einem Januarnachmittag niemals nicht, nicht in Ingolstadt, und schon gar nicht auf Kufen!
Meine Kids würden heute nach genau 12 Minuten anrufen. nach 20 Minuten anrufen und flennen und nach 30 Minuten per Sammel SMS -an die komplette Versandschaft- die sofortige Reportation von diesem Unort einklagen.
Mir deuchte bisher, Künette sei sicher so eine Hofschranze oder die Geliebte eines Herzogs, vielleicht noch Gspusl des Eichstätter Bischofs. Wie weit gefehlt! Wo eine Künette (Keilgraben) ist, ist auch ein Glacis, wie mir Wikipedia orakelt.
Was Wikipedia vergisst, aber auch immer wieder vergisst: geh nicht in einen Künettegraben an einem Januarnachmittag niemals nicht, nicht in Ingolstadt, und schon gar nicht auf Kufen!
Meine Kids würden heute nach genau 12 Minuten anrufen. nach 20 Minuten anrufen und flennen und nach 30 Minuten per Sammel SMS -an die komplette Versandschaft- die sofortige Reportation von diesem Unort einklagen.
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donalphons,
Dienstag, 26. Oktober 2010, 17:23
Ich weiss schon, warum ich in dieser Welt keine Kinder haben will.
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jeeves,
Dienstag, 26. Oktober 2010, 16:56
Gerade mal 40 und schon lamentieren? Was müsste ich da jammern, ich könnte Ihr Vater sein, leider nur alters- aber nicht stammbaummäßig.
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Nur das kleine Loch Internet? Und was ist mit den zig Fahrten, auch letztlich noch, nach Italien, in die Schweiz und - mutig - sogar nach Frankfurt?
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Nur das kleine Loch Internet? Und was ist mit den zig Fahrten, auch letztlich noch, nach Italien, in die Schweiz und - mutig - sogar nach Frankfurt?
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