Transalp 2013/1,5 - von Hall nach Mühlbachl

Nachträglich kann ich sagen, dass die einzige Stelle, wo wir geschoben haben, der Ortskern von Hall war. Steil, Kopfsteinpflaster und ausserdem auch nicht radtauglich - und obendrein waren wir auf der Suche nach etwas, das den Schlaf versüssen würde. Wir suchten und fanden Marillenknödel.







Über die Eigenheiten der Tiroler Hotelzimmerdekoration möchte ich mich hier übrigens nicht weiter auslassen, und statt dessen sagen, dass ich vermutlich auch auf einem Bachbett lang und gut geschlafen hätte. Am Abend davor habe ich noch ein paar kleine Reparaturen gemacht, Schrauben nachgezogen und alles überprüft, denn heute wurde dann alles weitaus weniger lustig als gestern: Der Patscher Sattel und der Brenner sind nicht gerade Pässe, die zum Scherzen mit Nachlässigen aufgelegt sind. Früher empfand man diese Stecken als gefährlich und dankte seinem Herrgott, wenn man sie überstanden hatte; wir Radler mögen Atheisten sein und kein Kerzerl mehr anzünden, aber auch wir sollten das Schicksal nicht herausfordern.







Nur - warum fahre ich dann überhaupt diese Strecke? In Ampass pflegt sogar mein Auto schon zu keuchen, der Anstieg dort ist steil wie mein Osterberg daheim und vier mal so lang, und die Kirche oben drauf kündet vom Elend der Fuhrknechte, die von hier aus das Salz und Silber über die Berge transportierten. Da schiebe ich, habe ich mir vorher gesagt, aber geschoben habe ich dann doch nicht. Das Elend ist: Man verausgabt sich auf den ersten 10 Kilometern und dann wird der Rest eine Qual. Ampas, Aldans, Lans, Heiligwasser, das sind die Orte, entlang derer man sich vom Inntal auf halber Höhe des Patscher Kofels ins Wipptal schleppt. Und es ist wirklich steil, kraftraubend und nicht wirklich ein Vergnügen. Um ehrlich zu sein: Von Hall bis zur Ellbögenstrecke war der Tiefpunkt dieser Fahrt. Steile Rampen, nicht enden wollende Anstiege, langsames Keuchen und die Erkenntnis, dass 12 Kilo Gepäck mehr schon einen Unterschied machen.







Ungefähr 2 Zähne hinten. Ich fahre immer einen Gang weniger dick als sonst. Oder anders gesagt, einer fehlt mir nach oben hin. 30 vorne 27 hinten war ohne Gepäck gut, jetzt wäre 30/30 nett. Oder 32. Oder ein Pedelec, oder der Alpenbus. Daheim steht eine halbfertige Kiste mit 22/32, das wäre fein. Aber irgendwann bin auch ich oben und dann kommt die Ellbögenstrecke und damit die Erklärung, warum man das macht. Schon mit dem Auto ist die Strecke ein Traum, aber mit dem Rad - man kann überall anhalten und schauen - ist es noch schöner. Drüben im Stubaital grüsst der Gletscher herüber, und ganz tief unter uns sind die Autobahn und die Europabrücke. Die ist sehr hoch, aner wir sind schon sehr viel höher. Es ist noch nicht mal Mittag, aber in der Ferne sieht man schon den Brenner.







Es erwachen die Lebensgeister, wir werden überholt und schiessen hinterher, fahren Löcher zu und bleiben dran; gut, eigentlich nur eine Serpentine, aber immerhin, es läuft, und wir sind gut unterwegs. Man wird schnell übermütig und vergisst, was für eine jämmerliche Figur man vor 10 Kilometern noch abgegeben hat. Und die Strecke ist mehr so wie Wellenreiten; es geht nie so lang und so steil hoch, dass man nicht auch noch ein wenig Schwung mitnehmen könnte. Um ehrlich zu sein, hatte ich befürchtet, dass dieser Teil der Fahrt eine Schinderei wird. Aber in Wirklichkeit war der Wechsel von Abfahrten, Kurven, Ausblicken und kurzen Rampen viel zu schnell zu Ende. Dafür konnte ich wenigstens anhalten und ein Bild machen, das mit dem Auto aufgrund der Stelle über dem Abrund nicht möglich ist:







Pfons bzw. Mühlbachl heissen diese Orte, sie sind versteckt unterhalb von Matrei und werden von der Autobahn aus sowieso vollkommen übersehen. In Mühlbachl quert die östlich glegene Ellbögenstrecke den Fluss und vereint sich leider, leider mit der normalen und viel befahrenen Brennerstrecke. Davor aber ist noch die überaus prächtige Pfarrkirche von Pfons, die Zeugnis vom alten Reichtum dieser Region ablegt, als jeder Seidendamast, jedes Zuckerwerk und jedes Gemälde, das den Brenner passierte, an der Kirche vorbeigekarrt wurde.







Wir haben Glück, denn kaum betreten wir die Kirche, beginnt der Chor auch schon seine Probe und zeigt die famose Akustik des Raumes: So in der Art muss das auch für die Menschen des Rokoko gewesen sein, wenn sie hier nach den Strapazen den Gottesdienst besuchten. Wobei es damals ja auch noch Wölfe und Bären und Wegelagerer und Zollstationen und die Pest und Schneebretter und die Inquisition gab, und der Weg auch keine asphaltierte Strasse war. Da kann man schon mal niedersinken und hochschauen und sich wünschen, man würde auch so leben wie die an der Decke.







In Wirklichkeit war es wohl eher so tödlich, wie es am Eingang gezeigt wird; der Friedhof bei der Kirche ist gross und den brauchte man auch so, denn viele haben den Weg hier hoch nicht überlebt. Wir bekommen davon auf dem Rad, wenn wir uns schinden, allenfalls einen Hauch einer Ahnung, wie das damals gewesen sein muss. Die Alpen sind mörderisch, aber bis hierher habe ich überlebt, und ruhen dürfen nur die Toten. Sie bleiben zurück. Wir machen uns auf zum Brenner und nach Italien.

Samstag, 31. August 2013, 16:47, von donalphons | |comment

 
Sehr schön. Besonders, wenn man das alles nun auch sehen darf, ohne Strapazen auf sich nehmen zu müssen.

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Ich dramatisiere, so schlimm war das rückblickend gar nicht. Ich konnte am Abend immer noch laufen! Auf zwei Beinen,

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Rückblickend
ist es ja nie schlimm, wie Dein Begleiter in seinem Blog ganz richtig vermerkt hat: Da guckt man sich dann andere Berge an und denkt, ach, da hätte man doch auch noch hochfahren können.

Aber Ampass-Ansteig, also Osterberg x 4, plus Gepäck, das klingt jetzt auch nicht gerade nach Aufwärmtraining oder Spazierfahrt. Da wäre ich trotz MTB-Kurbel mit dem 23er-Ritzel hinten womöglich nicht ganz ausgekommen.

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22/32, so oder so ähnlich, das ist mein Traum.
Vielleicht können Sie irgendwann später dieses Vehikulum einmal vorstellen?

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Ich bekomme es die Tage fertig, vorne eine XTR-Kurbel und hinten ein XTR-Schaltwerk, zusammen mit Ultagra 3x9 Hebeln. Auch wieder Columbus Nemo, ein altes Viner Pro Team Nemo.

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Naja, wenn man bedenkt; Der Jaufenpass ist schon ein ziemlicher Brocken und dann gibt es noch 43 höhere Pässe in den Alpen... also ganz ehrlich, ich war einfach froh, wenn ich oben war. Weiter habe ich gar nicht gedacht. Aber es ist schon erstaunlich, was so alles geht, wenn man muss.

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Warum muss man? Kann man nicht das Tal runter nach Bozen fahren und dann nach Meran abbiegen? Macht das so eine Tour so viel weniger ruhmreich?

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Die Frage stellt man sich so zwischen 1100 und 1300 Höhenmetern, wenn es einerseits schlecht läuft und andererseits kein Weg mehr zurück führt.

Allerdings sprechen einige Gründe dagegen:

- Der Verkehr ist mörderisch
- Die Strecke ist landschaftlich nicht reizvoll
- Durch Brixen und besonders Bozen mit dem Rad ist kein sonderlicher Spass.
- Man hätte sich ganz umsonst hier hoch gequält.
- Ausserdem habe ich das ja genau deshalb gemacht: Weil ich dachte, den Jaufenpass schaffe ich NIE!

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Sie waren sich nicht sicher ?
Ah , jetzt verstehe ich diese Friedhofsbesichtigung besser.
Wenn Sie den Pass überleben würden , - war es eine ganz normale Besichtigung von Kulturgut.
Hätte Sie jedoch der Jaufenpass 'geholt' und Sie wären dort kläglich verendet , - so würde ihre Vita mit einer legendären 'Vorahnung' abschließen. ;-)

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Ich bin mir in den Bergen nie über gar nichts sicher. man muss halt seine Grenzen kennen. Wenn ich es nicht ausgehalten hätte, wäre ich umgedreht, aber solange es ging, bin ich schonend gefahren. Am Ende vielleicht sogar zu schonend. Ich glaube, eine viertel oder halbe Stunde schneller wäre schon möglich gewesen, aber ich wollte ja auch nicht als halbe Leiche nach Meran reinkriechen.

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So eine Tour lehrt einen auch was für das Leben: ist der Berg noch so steil, man bezwingt ihn mit Beharrlichkeit und einem klaren Ziel, auch wenn es manchmal mehr Kraft und Zeit kostet, als man vorher glaubte.
Ist beim Radeln so, und ist im Beruf oft auch so. Komisch halt, dass viele das beim ersteren verstehen, beim zweiten aber nicht oder nicht wollen.

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Ich habe da nur ganz wenig Radler gesehen, fürchte ich. Ob die ganzen Frettchen und Ratten wirklich Pässe radeln? ich weiss nicht.

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Wahrscheinlich ist das für manche Leser hier völlig banal, aber: Nach meiner egozentrischen, vorurteilsbehafteten, völlig subjektiven Wahrnehmung gibt es einen Zusammenhang zwischen Erfolg im Leben - wie immer der auch individuell definiert sein mag - und Sport mit "irgendwas mit Fahrrad", hilfsweise was mit Laufen. Rennradfahrer, Triathlethen, Eisenmänner, Langläufer, Marathonis. Manchmal Rudern. Selten Mannschaftssportarten.
Die "wir nennen es Arbeit" und "irgendwas mit Medien/irgendwasmitInternet/irgendwasbeiGoogleFacebookGroupon/schnellreichmitwenigArbeit"-Typen finden Sie da eher selten.

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@ greenbowlerhat: Geht es noch ein bisschen klischeehafter?

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"Erfolg ... und Sport"

Zum Bleistiel in China (das ist ein ganz ganz andres Land) fährt keiner freiwillig Rennrad. Wir haben Sorgen!

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@arboretum: Es ist das, was ich seit gut 15 wechselvollen Berufsjahren eben wahrnehme.
Ihre Wahrnehmungen dürfen gerne ganz anders sein, und amüsieren Sie sich doch mit jenen. Die meinigen müssen Sie nicht interessieren.

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Da Sie sie hier zum Besten geben, müssen Sie auch damit rechnen, dass man Ihnen darauf etwas entgegnet. Sich etwas aufs Radeln einzubilden und dann nicht einmal das kleinste bisschen Widerspruch auszuhalten, ist schon ziemlich schlapp.

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@fritz_

Nein, wil fahlen Lennlad, geehltel flitz_ Xiansheng.

[Hihihi]

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Gǎnjī, qǐngqiú, möge die rote Laterne in Ihrem Fahrradschuppen nie ausgehen.

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arboretum, aber schauen Sie sich doch nur mal die Bilderbuchkarriere von Scharpi an (Präsident BDR, Ehemann von angeadelter Scheidungsanwältin, Ex-SPD-Vositzender und K-Kandidat)! Ist doch Beweis genug für die Überlegenheit dieser Gattung, oder nicht?

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Allerdings ist der Arme auch schwer gestürzt!

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@ sephor: Stimmt. :-)

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