Sehr zu empfehlen: Spiegel extreme fonsen

Fonsen, das: Einen Aufwand treiben, der Aussenstehenden ungerechtfertigt hoch erscheint, um Ziele zu erreichen, die Aussenstehenden gering erscheinen.

Letzte Woche kaufte ich zwei böhmische Stuckspiegel nach langem, langem Verhandeln. Ihr Besitzer schleppt sie nun schon seit einem Jahr auf die Märkte der Region, und seine Preisvorstellungen waren leider mehr als angemessen. Der eine Spiegel ist blind, aber dafür ist der Rahmen komplett. Der andere ist das, was Briten so vornehm als "beyond repair" bezeichnen, obwohl das Glas besser erhalten war. Die Gläser nehme ich hin, denn nach 150 oder mehr Jahren darf sich das Quecksilber hie und da lösen. Die Stuckschäden jedoch waren auf die rüde Behandlung der letzten Jahre zurückzuführen, denn so ein Transport zum Verkauf ist alles andere als schonend. Diesmal war der kleinere Spiegel so ramponiert, dass der Händler ein Einsehen hatte und mir die maroden Wracks für 100 Euro anbot. Und ich war inzwischen so weich vom Gedanken an das, was den Spiegeln noch alles drohen würde, dass ich sie für letztlich 60 Euro kaufte.

Ein Viertel der Stuckaplikationen des ramponierten Rahmens waren verloren. Es hatte nicht nur die schlichteren Stabornamente am äusseren Rand erwischt, sondern alle floralen Eckverzierungen. Immerhin war noch genug da, um das Aussehen eines kompletten Ornaments zu rekonstruieren, und das bringt uns zum Thema das Extreme Fonsen: Denn mit ganz normalem Plastilin und vorsichtigem Druck kann man Negative abformen.



Und die wiederum mit Stuck ausgiessen. Gerade bei kleinen Objekten eine irrwitzige Fieselei, bei der man nicht einfach auf das Austrocknen warten kann, sondern auch noch durch geschicktes Verstreichen der zähen Stuckmasse auf der Rückseite die Biegung des Spiegelrandes nachformen muss. Es geht irgendwie, man kann es nebenbei machen, aber am Ende dauert es sechs Tage, bis man alle Teile beisammen hat, mit denen man den Spiegel bekleben kann - wenn die Formen stimmen.

Man könnte in all der Zeit auch die eigene Karriere planen, für die Haifische einen Auftrag erledigen, kellnern oder sich zum blogbilligen Mietmaul machen, und mit dem verdienten Geld dann ein besser erhaltenes Exemplar kaufen. Aber das würde bedeuten, sich mit Vernachlässigung abzugeben, Zerstörung zu akzeptieren und den einfachen Weg zu gehen, der keinen Blick hat für das Alte und Schadhafte, und eine Mentalität anzunehmen, die sich abfindet, dass sich irgendwas nicht mehr lohnt. Es wäre die einfache Lösung. Und ich hasse einfache Lösungen.

Deshalb. Nur deshalb. Denn eigentlich muss ich inzwischen schon einen Platz suchen, wo der Spiegel noch hinpasst. Aber das schaffe ich auch noch. Und wenn ich ein weiteres Haus kaufen muss.

Samstag, 1. September 2007, 18:14, von donalphons | |comment

 
Mein alter Knorz von Lehrmeister hat stundenlang an der Kopierfräse Karniesse (?) und sonstige Ornamente von alten Schränken nachgefräst. Teilweise war nur die spiegelbildlich andere Seite erhalten, dann hat er sich auch Modelle aus Negativabdrücken gebaut. Ich möchte nicht wissen, was der Stundenlohn bei dieser Arbeit war. ;-) Er hatte es aber auch nicht mit dem einfachen Weg: pädagogisch waren einige seiner Ausbildungsmethoden fragwürdig, menschlich war er zweifellos integer. Es ging darum, daß "der Junge was lernt", es hätte ihm auch egal sein können. Schade, daß der alte Knorz nicht mehr lebt. Zwanzig Jahre später würde ich gerne ein Bier mit ihm trinken gehen. Er würde auf keiner anderen Würdigung außer "alter Knorz" bestehen und falls ich seiner gedenken sollte, dann mit einer Flasche Bier in der Hand und den Worten: "R. , Du warst manchmal ein Schinder, aber so ganz verkehrt eben doch nicht." Irgendwie muß er es geahnt haben........

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Hat er wahrscheinlich.

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Vielleicht ist Fonsen einfach das Stellen der Bewertung vom Kopf auf die Füße.
Die Fußwege sind die Königswege der Grenzgänger.
Wunderbarer Text. Ein Platz findet sich immer.

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Irgenwie habe ich noch ein Zitat aus "Zen oder Kunst ein Motorrad zu warten" im Kopf: Qualität erzeugt Qualität in der Umgebung - unweigerlich.

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Der Tag wird kommen, an dem im Stadtpalast die kritische Masse an Spiegeln erreicht wird. Damit werden die 101 Zimmer sich in ein Spiegelkabinett verwandeln, aus dem es kein entkommen geben gibt. Der Don von Rebellenmarkt wird sich dann auch in die ewige Schleife des Befindlichkeitsbloggen begeben.

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Davor kaufe ich ein Haus, und wenn ich dann über die Dielen fluche, ist es mit der Beschaulichkeit vorbei.

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Nebenbei: Schöner Boden.

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Nach 110, 120 Jahren taugt er.

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