: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Dienstag, 25. September 2007

Von der Dauer des Streichens

Ein Tor in Berlin streichen ist eine mittelmässig lange Sache: Man nimmt Farbe und Pinsel, schleift ein paar hundert Schmierereien ab, kassiert ein paar anerkennende Blicke von Jungvandalen, die sich über die neue Fläche für ihr Gekrakel freuen, beginnt zu streichen und weist den beköterten Proll darauf hin, dass er die frische Hundescheisse, die gerade in die Einfahrt gelegt wurde, bitte entfernen soll. Man bekommt ein paar Tritte von dessen Freunden, kein Umstehender kümmert sich um einen, wie es ihnen schon egal war, dass man das Tor streicht, und ist nach 20 Minuten fertig und kann zwei Wochen in der Reha ausspannen.

In der Provinz ist das ganz anders. In der Provinz wird man mit dem Abschleifen vom Führer der koreanischen Reisegruppe gebeten, mal einen Moment aufzuhören und aus der Tür zu verschwinden, weil seine Schäfchen gerne ein ungestörtes Bild des Stadtpalastes machen wollen - dass ihr Bus davor steht, stört sie nicht. Bis man mit dem Schleifen fertig ist, hat man mit der Hälfte der Mieter die letzten Neuigkeiten ausgetauscht und Verabredungen für die heute zu machende Kürbistarte getroffen, und zudem ein Emailproblem gelöst. Beim anschliessenden Streichen kommen mehrere Nachbarn vorbei und geben der Überzeugung Ausdruck, dass es ein schönes Portal ist, und die alte Frau T. erinnert einen an den zugrunde liegenden Erwerb des Tores und an den Opa, der ein fescher Mann war und dem man glücklicherweise nachzukommen scheint, weshalb sie wissen möchte, ob es denn nun endlich mal mit der Hochzeit geklappt hat. In der Frage schenken sich die katholisch erzreaktionäre T. und Herr M. nichts, der aus einem arabischen Land kommt undes einfach nicht für angemessen hält, dass der Streichende immer noch nicht verheiratet ist, spätestens nächstes Jahr sollte es aber wirklich klappen. Kaum ist er weg, gilt es, noch eine sehr feine High-End-Box eines französischen Herstellers zu begutachten, und danach wird noch eine ältere Dame vorstellig, die den letzten Spross des Clans preist und wissen möchte, ob er immer noch mit den Schiessprügel Viecher abknallt, wofür der Clan ja eine gewisse Berühmtheit hatte. Im Herbst, so erzählt sie, habe die Grossmutter des Streichenden immer über den Dregghammel ihres Gatten geschimpft, dessen Beute die hinteren Sitze des Autos vollgeblutet hatte, trotzdem, es gab auch sehr gute Zeiten und es war so lustig mit denen, so war das damals, wie sieht es eigentlich mit den eigenen Heitratsplänen aus, und langsam wird es dunkel über der Stadt, so dunkel, wie das Tor eigentlich hätte werden sollen, das aber erst halb gestrichen ist.

Erfreulicherweise belassen es die beiden Elitessen von gegenüber am Zigarettenautomat bei dem kurzen, bösen Blick auf den Knienden. Es liegt eher wenig daran, dass ihm ihre Exzesse mit den 28 leeren Flaschen Bier auf dem Tisch dank bei StudiVZ hochgeladener Bilder hinreichend bekannt sind, sondern eher in ihrer Ablehnung gegenüber jeder Form von niederer Tätigkeit, deren Verachtung sie sicher in einen Sachbearbeiterposten oder sogar den der Rumsteherin bei der OMD in Düsseldorf treiben wird, wo sich dergleichen trifft und bastardischen Nachwuchs zusammenfickt, als wäre es die rurale Genpoolerweiterung hinter dem Klo des Lentinger Jurafestes.

Kurz danach steht ein älteres Paar mit jüngerer Tochter vor einem und will höflich, aber bestimmt wissen, wo denn bitte das Studentenwohnheim ist und wo man sich da anmelden kann. Der Mann mit dem Pinsel richtet sich auf und erteilt ihnen eine kurze Einführung in die Eigenheiten des hiesigen, überlaufenen Immobilienmarktes und verweist auf den Umstand, dass sie um diese Uhrzeit ohnehin zu spät dran sind, um noch was zu reissen, und die Vermietungsanzeigen werden erst übermorgen im lokalen Schmarrnblatt zu finden sein, da sollen sie mal besser schauen, die älteren Herrschaften haben es hier zwar mit Immobilien, aber nicht mit dem Internet. In eine WG jedenfalls, das wird schnell klar, wollen die Eltern ihre Tochter nicht stecken, uninah soll es sein und auf Maklerprovisionen sind sie ebenso nicht erpicht, und so steht dann die Frage im Raum, ob der Mann mit dem Pinsel vielleicht etwas wüsste.

Der Mann mit dem Pinsel könnte jetzt natürlich ein Angebot machen: Verbringung des Nachwuchses in die Gästewohnung für die ersten zwei Wochen und solange Restaurierung des bislang unfertigen Lofts im Hinterhaus, aber einerseits, man sieht es ja, kommt man zu nichts hier in der Stadt, und andererseits -

ist der Mann mit dem Pinsel müde. Müde vom depperten Gschau seiner Tochter, müde von der Genervtheit der Mama, die es gewohnt ist, dass ihr Wille durch den Befehl des Gatten umgesetzt wird, müde von diesem Anspruch, dass es hier zu laufen hat wie oben in NRW, müde vom bagatellmässigen Umgang und überhaupt, zu müde, um jetzt zu erklären, dass er hier nicht der kleine Hilfsarbeiter ist, der für einen Fuffi Trinkgeld alte Frauen beschwatzt, doch was von ihren Imperien rauszurücken. So bedauert er, dass hier nichts möglich sein dürfte; der eigene Stadtpalast sei voll und die Frau B. hat zwar zwei Häuser weiter die Strasse runter, aber sie will nicht mehr vermieten, seitdem es mal Ärger gab, wie gesagt: Mittwoch das schwarzbraune Käseblatt, bitteschön, viel Glück, und dann im letzten Licht des Tages die letzten Pinselstriche, aufräumen, auf das Bett setzen, umfallen und die ganze Nacht von blonden Elitessen träumen, die verlangen, dass man jetzt sofort das neu gefliesste Bad in einem neuen, sanften Braunton umfliesst, und man beim Beschaffen der Kacheln ein Rennen mit den Disziplinen Skatebord, Rennrad, Laufen und Reiten bestreiten muss, letzteres auf dem Pferd Püppi, das der früheren Mitbewohnerin der Liebsten gehörte und damals tragend wurde, und deshalb nicht geschlachtet werden musste. Diese Mitbewohnerin übrigens, die ihrem Gaul die Wahl zwischen Bolzenschuss und Mutterschaft liess, studierte auch BWL.

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Samstag, 22. September 2007

Spätsaison

Stonehenge und all die anderen Kreisgrabenanlagen zur Bestimmung kosmischer Ereignisse sind doch nur nötig gewesen, weil man an diesen Orten keine festen Bezigspunkte hatte; bei mir auf der Dachterasse dagegen sieht es ganz anders aus.



Zwischen dem 21-23. September geht die Sonne exakt auf der Linie meiner nördlichen Dachterassenkante unter, genau am unteren Ende des Kamins des Mesmerhauses der Kirche gegenüber, und es wird Zeit nochmal die letzten Gelegenheiten draussen zu nutzen, bis es - viel zu früh - zu kalt wird. Und zu geniessen, was man zusammen auswoigelte.



- Du hast ein Nudelholz?
Klar, du nicht?
Äh, nein.
Und wie machst du es dann?
Mit leeren Weinflaschen.

Man lernt nie aus.

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Donnerstag, 20. September 2007

Unternehmergeschaft

Früher, bei Dotcomtod, gab es oft Entrepreneure, die mich anwinselten, ich solle bitteschön doch selber erst mal gründen, bevor ich andere mit Dreck bewerfe. Ich sah diese kläglichen Gestalten, lachte und sagte: Niemals!

Nun, die Zeiten ändern sich, und heute habe ich eine Gründung in die Wege geleitet. Ich mein, wenn ich mir hier schon nebenbei zu der Schreiberei noch den ganzen Ärger mit alten Mauern, undichten Rohren und ausfallendem WLAN antue, kann ich das genauso gut als Firma machen. Zumal man geradezu dazu gezwungen ist, wenn man Midijobs anbieten will.

So. Ich geh Zigarren kaufen, und schaue mir nachher mal die neue S-Klasse an. Und Ihr dürft Kommerzienrat zu mir sagen ;-)

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Dienstag, 18. September 2007

Eigentlich

Bei Pommersfelden bin ich dann runter von der Autobahn. Die 180 Kilometer davor hatte ich eine halbe Stunde zwischen mir und die Regenfront gelegt, die meine Frankreichpläne beendete, und den angedachten Tag im Taunus mit Schauern über Frankfurt frühzeitig verhinderte. Kurz hinter Würzburg war das Schlimmste vorbei, und ich öffnete das Verdeck. In Pommersfelden schlenderte ich noch einmal durch den Schlosshof, vorbei an der Bastion, auf der die Gäste, von Kastanien geschützt, nichts von der nahen Dunkelheit ahnten, die sonnenüberflutete Allee hinunter bis zum Cafe, sammelte am Wegesrand ein paar Kastanien auf und nahm einige Stück Kuchen mit. Der Herbst und ich, wir trafen uns wieder genau im Schlosshof, jeder an einer Pforte.



Ich zog mich warm an, legte den Schal um und nahm die schwere Halcyon-Brille aus dem Handschuhfach. Die Gäste auf der Bastion, zwei Paare, die vermutlich keine Sorgen ausser ein paar hunderttausend Verlust ihrer Fonds und das Halten ihres Gewichts auch jenseits der 60 kannten, sahen missmutig zu mir hinunter; sie ahnten wohl, dass meine Kleidung das baldige Ende der Zeit unter den Bäumen verhiess. Ich wendete, fuhr Richtung Süden genau unter dem silbrigen Wolkenstreifen, der das dunkle Grau des Regens vom Blau des letzten Roadstertages in Bayern trennte. Ich blieb auf der Landstrasse, kurvte um Nürnberg herum Richtung Jura, gewann wieder meinen Vorsprung vor der Wolkenwand, und erreichte genau zum richtigen Zeitpunkt über die kleine Serpentinenstrasse am Fuss der Felsen die Anhöhe über dem Tal.



Eigentlich wollte ich etwas schreiben über das Glück, jung zu sein und offen fahren zu können, das Land zu durchfahren ohne Eile und Hast, mit 2, 3000 Umdrehungen und selten schneller als 80 oder 90 Kilometer in der Stunde, was ohnehin schon zu schnell ist für die Regionen, in denen ich mich bewege. Es war kein grandioser Sommer, aber eine grandiose Zeit in Italien, es nahmen sehr viele nette Menschen neben mir Platz, manche kamen auch mit in die Gästewohnung und andere auf grosse Fahrt, ich war hier und immer weg, wenn ich wollte. Es war so gut, wie es eben ging.

Unten im Tal rasen sie den Kindinger Berg hinauf, es summt ungeduldig und aggresiv, wie Autobahnen es nun mal sind, Betonschneisen der Eile und Zeitlosigkeit, da unten ahnt man auch nichts vom Blick, der keine 10 Minuten weiter zu finden ist und der mehr geben kann als die sinnlos vergeudeten Stunden hinter dem Lenkrad, dem Fuss auf dem Pedal und der Finger immer auf der Hupe, könnte ja sein, dass sich einer mit 120 in den Weg stellt, der muss weg, und zwar sofort. Ich gehe hinunter zur Streuobstwiese, die schon lange nicht mehr bewirtschaftet wird, und hole ein paar rote, kleine Äpfel für die nächste Tarte Tatin, die in den Nächten des Herbsts draussen schnell auskühlt und so das Warten verkürzt, bis man endlich die Form stürzen und servieren kann. Denen, die dann hier sind, im Herzen des Landes.

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Donnerstag, 13. September 2007

Ach, Sommer

Jetzt. Am letzten Tag der grossen Besuchsaison, nach zwei Wochen voller Wolken, Regen und Kälte. Man könnte es einen versöhnlichen Abschied nennen, als wollte die Provinz nochmal beweisen, dass sie es kann. Dass es nur ein Versehen war, ein Ausrutscher, und die Verheissung des goldenen Septembers seine unfassbar blaue Berechtigung hat.



Man kann viel tun, um gegen das diesjährige Debakel anzukämpfen. Gestern Abend, die noch leicht warme Tarte Tatin, auf der der Karamel erstarrte; eine Bibliothek, Tee zu jeder Zeit und auch angenehme Stunden im Bad, mit etwas zu lesen und heisser Zitrone, aber das alles, all der Prunk und die Grösse des Stadtpalastes, ist schal und nichtig, wenn einen dann am Morgen alle Kraft und Herrlichkeit aufweckt, und einen herrlichen Tag verspricht.



Am Rande: Der Unterschied zwischen Parvenü und Bourgeoisie, oder auch gut Bürgerlich, wird ganz gut beschrieben durch das, wie man auf kurzfristige Veränderungen im Leben reagiert. Der Parvenü, der mal aus seiner Krisenregion herauskommt und zu Werbezwecken das Dienstbotengebäude eines Herrenhauses bewohnen darf, ist beeindruckt - der Bürger würde selber für das Haupthaus zahlen, weil es da ist, wie bei ihm daheim. Man will dort sein, nicht irgendwo absteigen. Zum Glück jedoch kennt der Bürger bisweilen andere Bürger, die es als Freude betrachten, ihn zu beherbergen. Für den Weg dorthin nimmt er einen älteren, offenen Wagen, den er im Familienfundus vergefunden hat; sich dafür einen Opel geben zu lassen, und den dann toll zu finden, überlässt er dem White Trash, der auch in Containern haust, solange jemand zahlt, für Suff, Awareness und Arschkriechereien.

Es nötig haben, liebe Leser, kommt von Not. Und das ist auch eine Frage der Haltung und Einstellung.

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Donnerstag, 13. September 2007

Das gute Leben

Die Briten nennen das "Casual Array". Ich lasse das Beteck einfach draussen liegen, denn ansonsten müsste ich dauernd Schubladen auf- und zumachen, sortieren, zusammensuchen - so ist es einfacher.



Das hier ist die bayerische Antwort auf Sacher, die echte Prinzregententorte, hier gewissermassen in ihrem natürlichen Lebensraum. Von Aussterben, wie andernorts behauptet, keine Spur.



Zudem war heute der erste Tag seit langem, der wieder Stunden auf der Dachterasse erlaubt hat. Und natürlich auch das Bild mit den nach Osten fliehenden Wolken. Morgen wird es schön.



Ob das alles nicht zu viel wird, fragt meine Mutter, der natürlich berichtet wurde, dass ich mich mit gleich mehreren Fremden in der kleinen Stadt blicken lasse. Das Kochen, Abwaschen, reden, dass immer jemand da ist.



Nein, eigentlich nicht. Nicht im Mindesten. Es ist das gute Leben.

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Dienstag, 11. September 2007

Die Sorgenfreien

Was ist schon eine Kreditkrise, das Skalvenhändlertum der Medien, die Gier der Aufsteiger und der Hass der Besitzlosen, die Schlagwortseuche des Prekariats - das alles dringt momentan einfach nicht durch.



Es ist ein seltsames Gefühl zu wissen, dass ich am Freitag in Karlsruhe sein werde, um über die Kunstfigur zu sprechen, die gerade sehr real ist. Vor anderen Leuten, die als Realpersonen Dinge behaupten, die mir sogar als Kunstfigur zu dreist wären.

Dann Frankreich. Frankreich!

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Montag, 10. September 2007

Aus dem Leben eines Kochs

10 Uhr:



16 Uhr:



23 Uhr:



Kleinigkeiten dazwischen werden nicht extra dargestellt

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Freitag, 7. September 2007

A la mode

Die grosse Zeit der Einrichtungszeitschriften, der Meinungspostillen, der Teeimporteure und der Tortenbäcker hat beegonnen.



Und heute morgen, bevor es hinausging in die Kälte, trank ich die erste Zitrone der Saison, die eigentlich keine ist, sondern lediglich das Ende einer anderen Saison, in der einige späte Gartenempfänge nie stattgefunden haben werden.

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Freitag, 31. August 2007

Frühstücken in Zeiten der Katerstimmung

Drunten im Fluss schwimmen die Kadaver vorbei. Ab und zu platzt leise blubbernd eine Blase, man muss schon genau hinhören, aber doch, die erste Generation der Zweinulligen kommt in die Verwesungsphase, ohne dass sie es direkt verkünden wollten. Entlassung ist in dieser Szene ein neues Wort, und das Aussprechen von "Refinanzierung" kann zu tödlichen Erstickungsanfällen führen. In der blauen Tiefe schimmern bunt die abgesoffenen Vermarktungsmodelle. Es passiert was, unten am Fluss.



Aber ich habe keine Zeit, mir das genauer anzuschauen. Ich sitze oben in der Stadt beim Frühstück und mache mir Gedanken über das, was ich demnächst in Karlsruhe (auch hier)erzählen werde, über das Glück zu können, und nicht zu müssen, bis man nicht mehr kann. Das ist der ganze Unterschied. Den muss man erst mal verstehen lernen, wenn man hier draussen seinen Spass haben will.

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