Versuchen "WIR" es mal ehrlich.
Vorbemerkung: "WIR" im Sinne von Florian Illies- Relative junge Wohlstandskinder, deren Eltern sich nie als Oberklasse bezeichnen würden. Interessanterweise nennen sich auch die Eltern von Freunden, die nach landläufigem Sinn "reich" sind, Mittelklasse. Ich meine mit "WIR": Kinder der 1/3-Gesellschaft, der 70% des Vermögens, 80% des politischen Einflusses und 90% der sogenannten Architektenhäuser in den sogenannten besseren Vierteln gehören. Nicht, dass das ein Verdienst wäre. Es ist angeboren wie ein Klumpfuss, und das Lebensgefühl ist nicht weniger umweltbedingt als das Reifenaufstechen im Blockviertel.
"WIR" kommen nach Hause, nachdem wir die alten Verpflichtungen in der anderen Stadt eine Woche lang wahrgenommen haben. Irgendwie haben wir es nicht geschafft und auch nicht gewollt, einen Trennungsstrich zu ziehen. Denn wir wollen dorthin zurück, keine Frage. Dort sind noch unsere Freunde, unser Netzwerk, ein Teil von unserem Leben, das wir nicht missen möchten. Es war vielleicht nicht gut, aber wir waren dabei, und eine kurze Zeit war es grandios. Also haben wir uns einen Fuss in der Tür behalten, und die Wohnung nicht verkauft.
Um alle Arbeiten zu schaffen, haben wir das Wochende durchgemacht. So richtig. Mit zwei mal 24 Stunden am Stück, wie früher. Aber die Deadline hat gehalten. Kurz vor der Autobahnausfahrt in die Provinzstadt wären wir beinahe eingeschlafen, aber das Hupen des Lasters hat uns, puh, noch mal Glück gehabt. Unsere Eltern sind längst im Bett, wir schlafen sofort ein.
Am nächsten Morgen gehen wir durchs Haus, öffnen den Kühlschrank und holen und ein Yogurth. Erdbeer-Vanille. Nicht toll, aber sonst ist nichts da. Der Audi A8 von Papa ist auch weg. Wahrscheinlich einkaufen... Wir setzen uns auf die Terasse und sind, wie immer, schockiert von dem Turm, seinen Rundbogenfentern und der Krönung des Ganzen, dem Wasserspeier.
*
Mein Gott. Als Kind fanden wir das noch supercool. Das blendend weisse Haus vom Chefarzt mit seinen aussen liegenden Schornsteinen drei Strassen weiter haben wir damals hässlich gefunden, obwohl der einen berühmten Architekten hatte. "Krematorium". Heute sehen wir die Sache etwas anders und schämen uns ein wenig.
Durch das hohe Gras kommt Sabine, die Katze. Wir widerstehen der Versuchung, ein Photo von ihr zu machen und in einem Blog zu posten. Sie mauzt uns an, springt auf den Schoss und fängt an, an der Jeans rumzuzupfen. Dann merkt sie, dass wir ein neues Laack-Hemd tragen und wetzt daran ihre Krallen.
So sitzen wir also, schauen hinaus auf den Garten, im Rücken das nach unserem Weggang viel zu grosse Haus, und denken nach. Unsere Eltern werden ab Juli sechs Wochen verreisen. Sechs Wochen. Wir mussten uns eine Woche unbezahlten Urlaub von unserem Erstjob nehmen, um den unbezahlten alten Job auf die Reihe zu bekommen. Wir sehen den Katalog für den neuen SLK auf dem Tisch und ertappen uns bei dem Gedanken, dass wir dann ja vielleicht den alten A8 haben könnten. Langsam wird es Zeit für ein neues Auto, und es sieht auf dem Konto nicht so gut aus, als dass wir genug Cash für einen halbwegs anständigen Mittelklasse-Benz hätten.
Ausserdem müssen wir Papa fragen, ob wir an unser gemeinsames Depot randürfen. Wir haben die Miete in der neuen Stadt so satt, die blöde Hausverwaltung mit ihren nervigen Mahnungen, weil unser Arbeitgeber immer erst eine Rechnung von uns will, damit er die Wohnung zahlt, und wir hassen Rechnung schreiben. Wir wollen jetzt einfach eine kaufen, aus, fertig, basta. Wir haben noch nie was gemietet, unsere Eltern auch nicht und deren Eltern ebenfalls nicht. Miete. Oh Gott. Wenn wir das bekommen, was Papa für uns einbezahlt hat, dann müsste es klappen.
Ist ja nur eine Wohnung. Nicht ein Haus wie das hier. Wir werden es nie schaffen, so ein Haus zu finanzieren, wie unsere Eltern. Das wissen wir nach unseren bisherigen Erfahrungen im sogenannten "Berufsleben". Berufsverkümmern wäre treffender. Keine Ahnung, wie die das damals geschafft haben. Unser Vater würde sagen, durch hartes Arbeiten. Er ist jeden Morgen um 7 aus dem Haus, und kam nie vor 7 Uhr Abends heim, stimmt. Wir sind nie vor 10 im Büro, aber meistens um 3 Uhr morgens immer noch drin. Papa ist am Wochenende immer mit uns zum Skilaufen oder Surfen gefahren. In der Garage hängt noch unser Original Peter-Thommen-Sinker, aber das letzte freie Wochenende, so richtig frei, dass man mal genug Zeit zum Surfen hätte, das ist lang her. Jahre.
Irgendwas ist falsch gelaufen. Unsere Eltern sind in Rente, machen sich ein schönes Leben, haben Werte geschaffen - und wir wissen plötzlich, dass wir nie dieses Leben führen werden. Wir werden es nicht schaffen. Die Schweine in Berlin werden unsere Lebensarbeitszeit raufsetzen, die Löhne in unseren tollen Medienberufen werden sinken, wir werden doppelt und dreifach für diese Drecksmobilität draufzahlen, und die verfickten blöden Scheisser aus unserer Schule, die in die Fabrik gegangen sind, als Ingenieure, haben inzwischen eine Frau, ein eigenes Haus, zwei Blagen, und fühlen sich in diesem Dreckskaff hier mit seiner korrupten CSU, seinem mickrigen gesellschaftlichen Leben im Konzertverein-Abo und seinen lahmen Pseudogalerien mit Zahnarztkunst sauwohl.
Einen Moment werden wir uns fragen, ob wir nicht vielleicht neidisch sind. Vielleicht wollen wir ja hier leben, mit diesem Garten, den Rattanmöbeln draussen und den Kirschholzsesseln drinnen, gut versorgt und mit Zielvogaben, die wir einhalten können. Und mal einen faulen Vormittag, wenn man schon 2 Nächte durchgerödelt hat. Verdammt, wir müssten eigentlich schon längst unsere Mails gecheckt haben.
Sabine steht auf und geht ins Haus, auf den Perserteppich. Wir stehen auch auf, und als wir da stehen, sehen wir etwas über die Hecke, die den Garten vom öffentlichen Raum abschneidet. Draussen läuft, ist sie das, doch, draussen geht Rebecca vorbei. Rebecca. Sie hatte einen guten guten Körper, damals, sie hatte ein pinkfarbenes Kleid und einen Badeanzug mit Kirschen drauf, es war in den 80ern, und wir fanden sie damals ganz ok, auch wenn sie mit Leuten Umgang hatte, deren Eltern nur Eigentumswohnungen hatten. Rebecca wohnte eine Strasse weiter. Ihre Eltern haben auch so eine Burg.
Rebecca hat wahnsinnig zugenommen. Boah. Und was für einen Gesichtsausdruck. Total verbittert. Und der knallrote Lippenstift, der da noch was retten soll - total prolo. Hinter ihr geht eine fette männliche Sau, die dazugehört. Sie trotten den Weg entlang. Als sie am schmiedeeisernen Hoftor vorbeigehen, sehen wir ihr gebährfreudiges Brauereipferdbecken, und dass er kurze Hosen trägt, und einen Kinderwagen schiebt. Gott wie hässlich. Hinter ihm kommt ein Kind, überfüttert und mit dem dummbösen Gesichtsausdruck, der ein Core Asset, äh, eine Grundvorraussetzung, würde man hier sagen, für einen hohen Posten in der lokalen JU ist. Sie sind so krank, und trotzdem innerlich kerngesund, die haben nie einen Zweifel gehabt. Die kennen das gar nicht. Wir sind vielleicht arrogant, verdorben, was auch immer - aber nicht so.
Wir schauen uns unseren eigenen Turm an, und dann nochmal Rebecca hinterher. Nein. Echt nicht.
Lieber zwischen drei Wohnorten einen Anruf für einen Auftrag in Syrien bekommen, dort übermüdet die Karre vor den Laster knallen und bis zur Unkenntlichkeit verbrennen, als in der Provinz als fette Sau auf das Verrecken mit 97 in der Geriatrie zu warten, und dann hier in einem bescheuerten Grab mit lächerlichen Kränzen des Konzertvereins die letztze Ruhe zu finden.
Fuck Ruhe. Fuck Provinz. Fuck it. Ja, wir sind schwach geworden. Für einen Moment. Aber jetzt wissen wir wieder, dass wir unseren eigenen Weg gehen müssen. Und die Mails checken. Sofort.
* Es ist nicht das Haus meiner Eltern. Echt nicht.
"WIR" kommen nach Hause, nachdem wir die alten Verpflichtungen in der anderen Stadt eine Woche lang wahrgenommen haben. Irgendwie haben wir es nicht geschafft und auch nicht gewollt, einen Trennungsstrich zu ziehen. Denn wir wollen dorthin zurück, keine Frage. Dort sind noch unsere Freunde, unser Netzwerk, ein Teil von unserem Leben, das wir nicht missen möchten. Es war vielleicht nicht gut, aber wir waren dabei, und eine kurze Zeit war es grandios. Also haben wir uns einen Fuss in der Tür behalten, und die Wohnung nicht verkauft.
Um alle Arbeiten zu schaffen, haben wir das Wochende durchgemacht. So richtig. Mit zwei mal 24 Stunden am Stück, wie früher. Aber die Deadline hat gehalten. Kurz vor der Autobahnausfahrt in die Provinzstadt wären wir beinahe eingeschlafen, aber das Hupen des Lasters hat uns, puh, noch mal Glück gehabt. Unsere Eltern sind längst im Bett, wir schlafen sofort ein.
Am nächsten Morgen gehen wir durchs Haus, öffnen den Kühlschrank und holen und ein Yogurth. Erdbeer-Vanille. Nicht toll, aber sonst ist nichts da. Der Audi A8 von Papa ist auch weg. Wahrscheinlich einkaufen... Wir setzen uns auf die Terasse und sind, wie immer, schockiert von dem Turm, seinen Rundbogenfentern und der Krönung des Ganzen, dem Wasserspeier.
*
Mein Gott. Als Kind fanden wir das noch supercool. Das blendend weisse Haus vom Chefarzt mit seinen aussen liegenden Schornsteinen drei Strassen weiter haben wir damals hässlich gefunden, obwohl der einen berühmten Architekten hatte. "Krematorium". Heute sehen wir die Sache etwas anders und schämen uns ein wenig.
Durch das hohe Gras kommt Sabine, die Katze. Wir widerstehen der Versuchung, ein Photo von ihr zu machen und in einem Blog zu posten. Sie mauzt uns an, springt auf den Schoss und fängt an, an der Jeans rumzuzupfen. Dann merkt sie, dass wir ein neues Laack-Hemd tragen und wetzt daran ihre Krallen.
So sitzen wir also, schauen hinaus auf den Garten, im Rücken das nach unserem Weggang viel zu grosse Haus, und denken nach. Unsere Eltern werden ab Juli sechs Wochen verreisen. Sechs Wochen. Wir mussten uns eine Woche unbezahlten Urlaub von unserem Erstjob nehmen, um den unbezahlten alten Job auf die Reihe zu bekommen. Wir sehen den Katalog für den neuen SLK auf dem Tisch und ertappen uns bei dem Gedanken, dass wir dann ja vielleicht den alten A8 haben könnten. Langsam wird es Zeit für ein neues Auto, und es sieht auf dem Konto nicht so gut aus, als dass wir genug Cash für einen halbwegs anständigen Mittelklasse-Benz hätten.
Ausserdem müssen wir Papa fragen, ob wir an unser gemeinsames Depot randürfen. Wir haben die Miete in der neuen Stadt so satt, die blöde Hausverwaltung mit ihren nervigen Mahnungen, weil unser Arbeitgeber immer erst eine Rechnung von uns will, damit er die Wohnung zahlt, und wir hassen Rechnung schreiben. Wir wollen jetzt einfach eine kaufen, aus, fertig, basta. Wir haben noch nie was gemietet, unsere Eltern auch nicht und deren Eltern ebenfalls nicht. Miete. Oh Gott. Wenn wir das bekommen, was Papa für uns einbezahlt hat, dann müsste es klappen.
Ist ja nur eine Wohnung. Nicht ein Haus wie das hier. Wir werden es nie schaffen, so ein Haus zu finanzieren, wie unsere Eltern. Das wissen wir nach unseren bisherigen Erfahrungen im sogenannten "Berufsleben". Berufsverkümmern wäre treffender. Keine Ahnung, wie die das damals geschafft haben. Unser Vater würde sagen, durch hartes Arbeiten. Er ist jeden Morgen um 7 aus dem Haus, und kam nie vor 7 Uhr Abends heim, stimmt. Wir sind nie vor 10 im Büro, aber meistens um 3 Uhr morgens immer noch drin. Papa ist am Wochenende immer mit uns zum Skilaufen oder Surfen gefahren. In der Garage hängt noch unser Original Peter-Thommen-Sinker, aber das letzte freie Wochenende, so richtig frei, dass man mal genug Zeit zum Surfen hätte, das ist lang her. Jahre.
Irgendwas ist falsch gelaufen. Unsere Eltern sind in Rente, machen sich ein schönes Leben, haben Werte geschaffen - und wir wissen plötzlich, dass wir nie dieses Leben führen werden. Wir werden es nicht schaffen. Die Schweine in Berlin werden unsere Lebensarbeitszeit raufsetzen, die Löhne in unseren tollen Medienberufen werden sinken, wir werden doppelt und dreifach für diese Drecksmobilität draufzahlen, und die verfickten blöden Scheisser aus unserer Schule, die in die Fabrik gegangen sind, als Ingenieure, haben inzwischen eine Frau, ein eigenes Haus, zwei Blagen, und fühlen sich in diesem Dreckskaff hier mit seiner korrupten CSU, seinem mickrigen gesellschaftlichen Leben im Konzertverein-Abo und seinen lahmen Pseudogalerien mit Zahnarztkunst sauwohl.
Einen Moment werden wir uns fragen, ob wir nicht vielleicht neidisch sind. Vielleicht wollen wir ja hier leben, mit diesem Garten, den Rattanmöbeln draussen und den Kirschholzsesseln drinnen, gut versorgt und mit Zielvogaben, die wir einhalten können. Und mal einen faulen Vormittag, wenn man schon 2 Nächte durchgerödelt hat. Verdammt, wir müssten eigentlich schon längst unsere Mails gecheckt haben.
Sabine steht auf und geht ins Haus, auf den Perserteppich. Wir stehen auch auf, und als wir da stehen, sehen wir etwas über die Hecke, die den Garten vom öffentlichen Raum abschneidet. Draussen läuft, ist sie das, doch, draussen geht Rebecca vorbei. Rebecca. Sie hatte einen guten guten Körper, damals, sie hatte ein pinkfarbenes Kleid und einen Badeanzug mit Kirschen drauf, es war in den 80ern, und wir fanden sie damals ganz ok, auch wenn sie mit Leuten Umgang hatte, deren Eltern nur Eigentumswohnungen hatten. Rebecca wohnte eine Strasse weiter. Ihre Eltern haben auch so eine Burg.
Rebecca hat wahnsinnig zugenommen. Boah. Und was für einen Gesichtsausdruck. Total verbittert. Und der knallrote Lippenstift, der da noch was retten soll - total prolo. Hinter ihr geht eine fette männliche Sau, die dazugehört. Sie trotten den Weg entlang. Als sie am schmiedeeisernen Hoftor vorbeigehen, sehen wir ihr gebährfreudiges Brauereipferdbecken, und dass er kurze Hosen trägt, und einen Kinderwagen schiebt. Gott wie hässlich. Hinter ihm kommt ein Kind, überfüttert und mit dem dummbösen Gesichtsausdruck, der ein Core Asset, äh, eine Grundvorraussetzung, würde man hier sagen, für einen hohen Posten in der lokalen JU ist. Sie sind so krank, und trotzdem innerlich kerngesund, die haben nie einen Zweifel gehabt. Die kennen das gar nicht. Wir sind vielleicht arrogant, verdorben, was auch immer - aber nicht so.
Wir schauen uns unseren eigenen Turm an, und dann nochmal Rebecca hinterher. Nein. Echt nicht.
Lieber zwischen drei Wohnorten einen Anruf für einen Auftrag in Syrien bekommen, dort übermüdet die Karre vor den Laster knallen und bis zur Unkenntlichkeit verbrennen, als in der Provinz als fette Sau auf das Verrecken mit 97 in der Geriatrie zu warten, und dann hier in einem bescheuerten Grab mit lächerlichen Kränzen des Konzertvereins die letztze Ruhe zu finden.
Fuck Ruhe. Fuck Provinz. Fuck it. Ja, wir sind schwach geworden. Für einen Moment. Aber jetzt wissen wir wieder, dass wir unseren eigenen Weg gehen müssen. Und die Mails checken. Sofort.
* Es ist nicht das Haus meiner Eltern. Echt nicht.
donalphons, 05:09h
Mittwoch, 9. Juni 2004, 05:09, von donalphons |
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hella,
Mittwoch, 9. Juni 2004, 09:37
Ein wenig sind es die typischen Selbstzweifel dieser "Generation" und der noch jüngeren, die nicht mal in Ruhe feiern können und immer am Handy lauschen, ob sie wirklich in der besten location sind und nicht irgendwo doch noch mehr los ist.
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hella,
Mittwoch, 9. Juni 2004, 11:00
Ist denn der in der Story beschriebene junge Mann ein "Opfer"?
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booldog,
Mittwoch, 9. Juni 2004, 10:02
Was hat denn auch "Reichtum" mit "Klasse" zu tun? ;-)
Wenn ich mir diese Zahnarztvillen-Architektur ansehe, offenbar nichts.
Meine Stiefgroßmutter wohnt direkt neben einem Flick-Grundstück in einer Villengegend, die ein gemeinsamer Bekannter von uns neulich indirekt als Asozialenviertel bezeichnet hat. Und wenn man sich die Charaktere dort ansieht (inklusive meiner Stiefgroßmutter) - Recht hat er!
Für mich ist "Oberklasse" Bildungselite. Und nichts anderes. Punkt.
Wenn ich mir diese Zahnarztvillen-Architektur ansehe, offenbar nichts.
Meine Stiefgroßmutter wohnt direkt neben einem Flick-Grundstück in einer Villengegend, die ein gemeinsamer Bekannter von uns neulich indirekt als Asozialenviertel bezeichnet hat. Und wenn man sich die Charaktere dort ansieht (inklusive meiner Stiefgroßmutter) - Recht hat er!
Für mich ist "Oberklasse" Bildungselite. Und nichts anderes. Punkt.
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che2001,
Mittwoch, 9. Juni 2004, 10:33
Bonzen
Wenn ich das so lese, finde ich, es doch ganz gut getroffen zu haben. Das, was Du da als Mittelschicht bezeichnest, sind für mich schlicht DIE BONZEN.
Wo beginnt denn für Dich die Upper Class? Bei Roll Royce fahrenden Yachtbesitzern mit Marmorvilla?
Ich würde meine eigene Herkunft als Mittelschicht bezeichnen (Mittelklasse gibt es nur bei Autos, soziale Klassengibt es nur zwei), aber das heißt bei mir: Eltern Hausbesitzer eines mehrstöckigen Mietshauses in einem Arbeiterviertel, dort auch gelebt, dann immer zur Miete gewohnt, aufgewachsen mit Türken und Malocherkindern, für die ich was Besseres war, die aber meine soziale Umgebung bildeten. Von daher immer in der Rolle des Helfers in sozialen und intellektuellen Dingen und Desjenigen, der handgreifliche Unterstützung anfordern konnte, wenn von Stärkeren auffe Fresse drohte.
Heute:
Job, der um 8 beginnt und um 16 Uhr aufhört, real 1-2 Überstunden täglich, dann aber wirklich Schluss, selbst bezahltes Sportcoupé, jedes Wochenende frei, zwei sehr schöne Urlaube im Jahr, keine Spießerexistenz mit Eigenheim. Eher das Problem, dass die Szene, der ich selber 17 Jahre angehörte, mich als Verräter oder doch als moralisch zweifelhaft betrachtet, weil ich überhaupt für ein kapitalistisches Unternehmen arbeite. Und ich bin zeitlebens damit konfrontiert gewesen, dass Leute mit dem Hintergrund "Arbeiterfamilie" oder "Migranten" mir einen moralischen Vorwurf daraus gemacht haben, zur Mittelschicht zu gehören.
Diese Selbstzweifel, von denen Du schreibst, kenne ich nicht, aber die Sicht auf die Karriere der eigenen Alten sieht ähnlich aus. Auch die Wahrnehmung der Mitschüler, die Ingenieurskarrieren, meist bei VW, gemacht haben.
Und das sehe ich ganz entspannt.
Wo beginnt denn für Dich die Upper Class? Bei Roll Royce fahrenden Yachtbesitzern mit Marmorvilla?
Ich würde meine eigene Herkunft als Mittelschicht bezeichnen (Mittelklasse gibt es nur bei Autos, soziale Klassengibt es nur zwei), aber das heißt bei mir: Eltern Hausbesitzer eines mehrstöckigen Mietshauses in einem Arbeiterviertel, dort auch gelebt, dann immer zur Miete gewohnt, aufgewachsen mit Türken und Malocherkindern, für die ich was Besseres war, die aber meine soziale Umgebung bildeten. Von daher immer in der Rolle des Helfers in sozialen und intellektuellen Dingen und Desjenigen, der handgreifliche Unterstützung anfordern konnte, wenn von Stärkeren auffe Fresse drohte.
Heute:
Job, der um 8 beginnt und um 16 Uhr aufhört, real 1-2 Überstunden täglich, dann aber wirklich Schluss, selbst bezahltes Sportcoupé, jedes Wochenende frei, zwei sehr schöne Urlaube im Jahr, keine Spießerexistenz mit Eigenheim. Eher das Problem, dass die Szene, der ich selber 17 Jahre angehörte, mich als Verräter oder doch als moralisch zweifelhaft betrachtet, weil ich überhaupt für ein kapitalistisches Unternehmen arbeite. Und ich bin zeitlebens damit konfrontiert gewesen, dass Leute mit dem Hintergrund "Arbeiterfamilie" oder "Migranten" mir einen moralischen Vorwurf daraus gemacht haben, zur Mittelschicht zu gehören.
Diese Selbstzweifel, von denen Du schreibst, kenne ich nicht, aber die Sicht auf die Karriere der eigenen Alten sieht ähnlich aus. Auch die Wahrnehmung der Mitschüler, die Ingenieurskarrieren, meist bei VW, gemacht haben.
Und das sehe ich ganz entspannt.
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che2001,
Mittwoch, 9. Juni 2004, 11:09
Oberklasse
@ booldog: Oberklasse heißt, im Besitz der Produktionsmittel zu sein. Was heißt denn Bildungselite? Ich habe promovierte Sozialhilfeempfänger in meinem Bekanntenkreis, und der größte Teil der Leute aus meinem früheren Dotorandenkolloqium hat keine festen oder hochbezahlten Jobs und wird diese vielleicht nie haben. Und die Dotcomüberflieger brauchen wir hier gar nicht zu erwähnen. Bildungselite ist sozial gesehen in weiten Bereichen eine Randgruppe.
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hella,
Mittwoch, 9. Juni 2004, 11:20
Randgruppe sicher nicht. Immerhin kann man beispielsweise nach den Sinus-Mileus ("Postmaterielle")
http://www.sinus-milieus.de/
mind. 10% der Gesellschaft dazu zählen. In der öffentlichen Wahrnehmung sind sie aber eine Minderheit, da sie in den Medien kaum vorkommen.
http://www.sinus-milieus.de/
mind. 10% der Gesellschaft dazu zählen. In der öffentlichen Wahrnehmung sind sie aber eine Minderheit, da sie in den Medien kaum vorkommen.
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che2001,
Mittwoch, 9. Juni 2004, 11:33
Danke, Hella!
Die Infografik ist sehr schön und erklärt sehr viel, was man von Infografiken nur selten sagen kann. Die aus politischer Überzeugung in freiwilliger Armut lebenden linken Akademiker, die aufgrund der miesen Stellensituation an den Unis langzeitarbeitslosen Wissenschaftler mit Doktortitel, die eigentlich Profs oder wenigstens Assis hatten werden wollen und die aufgrund der Insolvenz ihrer Unternehmen im sozialen Aus gelandeten Mediengestalter, IT-Salesmen und Flashdesigner würde ich trotzdem noch woanders hinordnen. Von der AKTUELLEN Einkommenssituation gehören die teilweise zur Unterschicht. Und daher... Randgruppe.
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hella,
Mittwoch, 9. Juni 2004, 11:59
@che
Sozialstrukturanalyse ist eine Wissenschaft. Man kann das nicht einfach aufs Einkommen reduzieren. Wenn wir an die Bildungselite denken, dann muss man auch sagen, dass es genügend Studien gibt, die zeigen, dass Bildung vom Elternhaus abhängig ist. Bildung erzieht Bildung. Daher ist bei den von dir genannten Beispielen das Einkommen aus eigener Arbeit oft nur ein Teil des verfügbaren Einkommens, das auch aus familiären Transferleistungen (Erbe/Zinsen/Renditen, monitäre und nicht-monitäre Zuwendungen) besteht.
Ein interessanteres Feld erscheint mir die Vermittlung von Lebensumständen in den Medien. Da kommen (soweit ich das ohne Fernseher verfolgen kann) weder NE-Verlierer noch hungerleidende Privatdozenten vor. In weiten Teilen des Programms wird vermittelt, dass Karriere auch ohne Bildung geht - ja sogar Bildung hinderlich ist. Die angesagtesten Locations zu kennen ist wichtiger als die philosophisch-ethischen Grundlagen unserer Gesellschaft zu kennen.
Sozialstrukturanalyse ist eine Wissenschaft. Man kann das nicht einfach aufs Einkommen reduzieren. Wenn wir an die Bildungselite denken, dann muss man auch sagen, dass es genügend Studien gibt, die zeigen, dass Bildung vom Elternhaus abhängig ist. Bildung erzieht Bildung. Daher ist bei den von dir genannten Beispielen das Einkommen aus eigener Arbeit oft nur ein Teil des verfügbaren Einkommens, das auch aus familiären Transferleistungen (Erbe/Zinsen/Renditen, monitäre und nicht-monitäre Zuwendungen) besteht.
Ein interessanteres Feld erscheint mir die Vermittlung von Lebensumständen in den Medien. Da kommen (soweit ich das ohne Fernseher verfolgen kann) weder NE-Verlierer noch hungerleidende Privatdozenten vor. In weiten Teilen des Programms wird vermittelt, dass Karriere auch ohne Bildung geht - ja sogar Bildung hinderlich ist. Die angesagtesten Locations zu kennen ist wichtiger als die philosophisch-ethischen Grundlagen unserer Gesellschaft zu kennen.
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che2001,
Mittwoch, 9. Juni 2004, 12:07
Dekadenz
So gesehen, haben wir eine Panem et Circenses - Welt. In der Therme den Senator zu treffen war wichtiger als die stoische Philosophie zu kennen. Einen griechischen Philosophen konnte man auf dem Sklavenmarkt kaufen. Und ein Adorno würde bei Shows wie Big Brother glatt aus den Latschen kippen - oder feststellen, dass er das habe kommen sehen.
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hella,
Mittwoch, 9. Juni 2004, 12:20
Da braucht man auch keine trendigen Zukunftsforscher für Prognosen: Nach der Hochkulutur der Griechen und Römer kam erstmal tieftse Barbarei. Rom soll im Jahr 546 sogar 40 Tage völlig menschenleer gewesen sein, nachdem die Ostgoten die Stadt in Schutt und Asche legten.
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donalphons,
Mittwoch, 9. Juni 2004, 14:52
2 Anmerkungen
1. Es ist ein fiktionaler Text mit Anleihen aus der Wirklichkeit. Ja, ich kam gestern in Versuchung, Sabine zu knipsen. Nein, mein Vater hat nicht vor, sich einen SLK zu kaufen. Ja, ich habe 2 Nächte durchgearbeitet. Nein, es war keine Qual, sondern ein grosses Vergnögen.
2. Bonzen, Oberklasse, puh: Soweit ich diese Leute kenne, verweisen sie immer auf jemanden, der reicher ist. Ich kenne keinen Besitzer eines mittelständischen Unternehmens, der sich als reich bezeichnen würde. "Reich" als Selbstbezeichnung im Sinne eines explizit erstrebenswerten Zustandes kenne ich eigentlich nur aus der New Economy.
2. Bonzen, Oberklasse, puh: Soweit ich diese Leute kenne, verweisen sie immer auf jemanden, der reicher ist. Ich kenne keinen Besitzer eines mittelständischen Unternehmens, der sich als reich bezeichnen würde. "Reich" als Selbstbezeichnung im Sinne eines explizit erstrebenswerten Zustandes kenne ich eigentlich nur aus der New Economy.
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hella,
Mittwoch, 9. Juni 2004, 15:10
Das unterscheidet OE und NE
OE: Geld ist ein Mittel zum Zweck.
NE: Geld ist ein Mittel zur Zwecklosigkeit.
OE: Geld ist ein Mittel zum Zweck.
NE: Geld ist ein Mittel zur Zwecklosigkeit.
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che2001,
Mittwoch, 9. Juni 2004, 15:23
Auch 2 Anmerkungen
1. Deine Bemerkung ist weitgehend richtig (wobei ich einen Mittelständler im Bekanntenkreis habe, nämlich meinen Chef, der sich als reich bezeichnet, aber mit 6 Mio Euro liquidem Privatvermögen und 70 Mio jährlichem Firmenumsatz kann er das auch), wobei diese Selbstbezeichnung nur selten den Tatsachen entspricht, aber auch da kenne ich Leute. Das Problem ist: Die Großunternehmen gehören keinen Einzelpersonen. Das Großkapital ist anonym, die Aktionäre der Publikumsgesellschaften sind vielfach nicht reicher als die mittelständischen Unternehmer. Wenn Oberschicht sich auf die Großen jenseits der KMUs reduzieren sollte, bliebe der Hochadel übrig plus Leute wie von Pierer und Pischetsrieder plus Leute wie Ulrich Dommermuth, Falk Strascheg und Jost Stollmann. Das wären rein zahlenmäßig dann wirklich nur noch die oberen 10. 000.
2. Da Du niemals bruchlos die eigene Realität verarbeitest und immer ironische Spitzen und komische Drehs eingearbeitet sind, macht es großen Spaß, das zu lesen.
2. Da Du niemals bruchlos die eigene Realität verarbeitest und immer ironische Spitzen und komische Drehs eingearbeitet sind, macht es großen Spaß, das zu lesen.
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franziskript,
Mittwoch, 9. Juni 2004, 17:21
Glück gehabt.
Und ich befürchtete ganz kurz, dass dein Blog zum Katzenblog wird. Danke.
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che2001,
Mittwoch, 9. Juni 2004, 18:24
Nachtrag
Bezeichnen sich eigentlich die reichen Hopfenbauern als reich? Denen tät ich´s zutrauen. Die haben sicher nicht mehr als die OE-KMU´s, aber in dem Millieu ist die Selbstzufriedenheit stärker ausgeprägt und die alte Gutsherrenmentalität noch verbreitet.
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donalphons,
Mittwoch, 9. Juni 2004, 18:33
Die reden nicht über Geld. Nur über die Lieferschwierigkeiten bei den Ferraris. Zufällig wird mein Auto dort gewartet, wo die Pfaffenhofener immer bestellen. Daher das Wissen.
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kaltmamsell,
Donnerstag, 10. Juni 2004, 17:27
che, lassen Sie sich versichern: Wo der Don herkommt, ist die beschriebene Klasse die gesellschaftliche Spitzenschicht. Mehr wird's nicht.
Don, dann bist Du als Nachbar vom Blacky aufgewachsen? Bei dem die Hunde unbehelligt an den Perserteppichen herumkauen durften...
Ich glaube, die Lage der Immigrantenkinder ist gar nicht so anders. "Wir" haben ebenfalls ganz andere Ideale als unsere häuslebauenden Eltern. Lieber noch einen irrational teuren Kurzurlaub als Raten zahlen für Statussymbole.
Don, dann bist Du als Nachbar vom Blacky aufgewachsen? Bei dem die Hunde unbehelligt an den Perserteppichen herumkauen durften...
Ich glaube, die Lage der Immigrantenkinder ist gar nicht so anders. "Wir" haben ebenfalls ganz andere Ideale als unsere häuslebauenden Eltern. Lieber noch einen irrational teuren Kurzurlaub als Raten zahlen für Statussymbole.
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donalphons,
Donnerstag, 10. Juni 2004, 21:13
Nein, wir residieren weiter die Strasse runter, im nächsten kleinen Viertel, gleich beim See. Und Rational - was ist in dieser Stadt schon rational?
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ohuf,
Mittwoch, 9. Juni 2004, 21:24
Schöner Text!
Rundum gelungen, obwohl ich die Selbstzweifel nicht nachvollziehen kann. Liegt wohl daran, dass es bei uns zuhause drei Monate Winter und neun Monate kalt ist.
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che2001,
Freitag, 11. Juni 2004, 10:39
Biografisches
@ Kaltmamsell: Ich weiß, wo der Don herkommt. Die Diskussion um Mittelschicht oder nicht ist Eine, wo es um Ideologie und Selbstverständnis einer Schicht geht, nicht um eine objektive Stellung in der sozialen Herarchie. Und zum Thema Migrantenkinder: Die Türken, mit denen ich aufgewachsen bin, unterscheiden sich wenig von meinen deutschen Ex-Mitschülern. Die Migranten aus der Szene, von denen ich schrieb, sind Flüchtlinge der ersten Generation mit Guerilla-Biografie, und das ist etwas völlig Anderes.
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