: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 11. Juni 2004

Dressed to kill

Mit ein bisschen Pech konnte man hier Radiomoderatoren und zweitklassige Tempo-Redakteure treffen. Das war zu der Zeit - Herr Praschl wird sich erinnern - als junge Männer in ihrer Freizeit bewusst Anzüge trugen. Wer sich Byblos und Comme de Garcon bei Holys nicht leisten konnte, musste mit seinem mickrigen 5000-Mark-Dispo hierher. Zu Annas.



Annas hatte mehrere Dependancen; zu ihrer Hochzeit unter anderem in der Leopoldstrasse, in der Herzogstrasse, beim Salvatorplatz und hier, gleich hinter dem Marienplatz. Die Auswahl war gut, die Preise moderat. Annas bot Kompromiss-Kleidung: Teuer genug, um am Tag zu wirken, aber auch billig genug, um auf einer Seehaus-Party getragen zu werden.

Dann kam Techno.

Auf der Basis von High Energy - so nannte man damals die Musik von Frankie goes to Hollywood - wurde eine neue Plastikmusik erfrickelt. Das ging eine Weile gut, es war ledersohlenkompatibel und lief im Parkcafe auf den Plattentellern von DJ Speedy. Aber so gegen 1992 wurde diese laute Musik immer mehr ein Massenphänomen, und die Kids hatten keine Lust mehr, sich von den türstehenden Grandls als der Provinzdreck auf dem Weg an die nächste Strassenbegrenzung behandeln zu lassen, der sie im Kern waren. Für dieses Volk eröffenete schlichtweg "Das Zelt", wo es keine Leute mehr gab, die den Türsteher kannten, sondern nur noch eine VIP-Lounge, bei der man zusätzlich zahlen musste.

Das Jungvolk wanderte ab, zog sich auch anders an, kam in Jeans rein und gab das Geld statt für Bogy´s lieber für Getränke aus, die nicht billiger, aber schlechter als im Parkcafe waren. Die Fashion Victims starben aus, Anzüge und Budapester wurden im Nachtleben uncool, es begann die Phase der Baseball-Käppis und Stüssi-T-Shirts, der Ziegenbärte und der, ja, es war so, Radlerhosen, die die teuren Catsuits von Dolce und Gabbana ersetzten. Sogar im BaBaLu, das sich als letzte Oase meines Umfelds halten konnte.

Für Annas wurde die Luft dünn. Die BWLer bekamen ihr Zeug billiger auch bei Konen, die verlässlich Gaultier 3 Jahre später kopierten. Es gab keinen männlichen Nachwuchs mehr. Wer es sich wirklich leisten konnte, ging und geht zu Harry´s, der damals mit Kiton und Kenzo eher einen steifen Ruf hatte. Annas ging pleite. Der zentrale Laden steht leer. Nur im Hof hängt noch die Leuchtreklame, für den Inbegriff einer Zeit, die die Grundlage für die New Economy bildete. Anything goes eben. War ein Irrtum.

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Unschuld

Gebrauchskunst aus der neuen Galerie nebenan, in der Provinz: Eine Seifendose. Das ideale Geschenk für alle, die sich nicht verantwortlich fühlen, für das dicke Ende, das wir gerade erleben.



Kaum ein Fragebogen der Blogosphäre ist so erfolgreich wie der über die Kindheit. Unschuld ist wieder ein Core Asset für den modernen Menschen. Es gab zu viel Verantwortlichkeiten, am Ende auch Schulden, da ist Unschuld wirklich was Erstrebenswertwes. Unschuld schützt vor Strafe, und wenn nicht, dann kann man sich wenigstens selbst bemitleiden.

Diese Seifendose ist infantil, und deshalb werden meine Bekannten sie lieben. Ricarda Junges nächstes Buch wird "Unschuld" heissen. Sehr clever. Oder vielleicht auch nur unschuldig. Wer kann das schon sagen.

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