Eine Frage des Stils

Ein Kauf war gut, wenn man auf dem Weg vom Flohmarkt zum Auto angesprochen wird, ob man es nicht verkaufen möchte. Manche erkennen es erst, wenn ein anderer es fortträgt, wenn es befreit ist, von der manchmal skurrilen oder gar bedauerlichen Umgebung, aber dann begreifen sie. Heute ist mir das fünf mal passiert, zweimal in München und dreimal beim photographieren daheim. Ich werde ein Schloss brauchen.

Um Stil zu begreifen, sollte man keinesfalls Berliner Modeblogs anschauen, oder Hochglanzzeitschriften, oder amerikanische Serien. Stil hat ein Zuhause, und es befindet sich ziemlich genau unter den Sonnenschirmen der Bar Venezia inmitten der Altstadt von Mantua, von wo aus die Arkaden ihren Anfang nehmen. Dort setzt man sich hin, bestellt einen Eistee und schaut zu, was da kommt. Es kommt vieles, es kommt oft mit dem Rad, und machmal ist es besser als jede Modenschau.



Das Mysterium besteht darin, dass es nur Alltag und dennoch wie ein inszeniertes Theater, und dass sie nicht so verkleidet sind, sondern es einfach leben. Während man in München jederzeit damit rechnen muss, von einem blankkeputzten Mountainbike plattgewalzt zu werden, geht es hier langsam zu, und die Leute schaffen diesen Stil vollkommen problemlos mit dem alten Hollandrad von Oma. Gerade mit diesen Rädern. Während die meisten Fiat 500, Lancia Aprilia und Alfa Giulias in ihren Bonbonfarben, dem celeste, dem rosso und biancho längst von den Schrottpressen zerdrückt wurden, haben sich viele alte Räder von Bianchi, Legnano und Battaglin in Quietschbunt über die Jahrzehnte gerettet und tragen heute noch dazu bei, dass Italiens Innenstädte ruhig und voller schöner, nicht zu schneller Menschen sind.

Das schmerzt natürlich. Weil man in Deutschland weder diese Ruhe, noch diesen Stil und natürlich auch nicht diese Räder in diesen Farben hat. Omaräder gibt es in Schwarz, Schwarz mit weissen Streifen und Schwarz mit grauen Streifen. Wenn überhaupt. In Deutschland versteht man sich vor allem auf das Wegwerfen. Und würde man nicht ohnehin schon leiden, kommt dann noch ein Herr und stellt einem das hier vor die Nase:



Das ist nicht nett. Das tut weh. Noch schlimmer als das Celeste-Blau, das der Kundige auch als Bugatti-Blau kennt und schätzt, noch schlimmer als all das Leder und das Täschchen hinten ist das Wissen, dass es zu diesen Repliken auch Originale gibt. Man kommt in Versuchung, sich so etwas zu, nun, sagen wir mal borgen, aber ich habe natürlich "Ladri di biciclette" von Vittorio de Sica gesehen, ich kenne das neorealistische Ende und würde dergleichen nicht tun. Die Copilotin hatt dagegen so ein unheilvollen Zucken in der Hand, und am Ende standen wir in Salurn und versuchten, einem Händler ein ähnliches, originales Exemplar abzuschwatzen, das leider nur zur Reparatur dort stand. Die Bemühung ist um so verständlicher, als das radeln mit einem für mich Rennradpiloten ungewöhnten 1-Gang-Rad mit Körberl und quietschendem Sattel neu, aber auch sehr spassig war. Ja, auch ich muss zugeben: Für kleinere Strecken, zum See oder zu den Erdbeeren, wäre so ein himmelblaues Herrenrad mit Chrom ganz wunderbar, man müsste es nur finden und über die Pässe bringen. Denn in Deutschland gibt es solche Räder nicht.

Ausser im Keller eines mittelalten türkischen Herren, der ein Rabeneick Modell 59 von 1952 von seinem Schwiegervater geerbt hat, wo es nun schon Jahrzehnte vor sich hingammelte, und nun endlich raus sollte. Er hatte keinen Platz mehr, also ab damit auf den Flohmarkt.



Es kommt zwar nur aus Bielefeld, aber es ist in diesem wunderbar optimistischen Strand- und Wirtschaftswunderblau, mit weiss und vielen verchromten Details, rostig, aber bis auf den Satten und die Reifen original, mit Heckflossenornamenten am Sportschutzblech und Schnellspannschrauben mit Firmenlogo. Mit grau marmorlierten Bakelitgriffen und einem gigantischen Bosch-Scheinwerfer, der auch noch geht. Mit verchromtem Werkzeugkastendeckel und Schutzblechen, die den Namen verdienen. Dieses Rad stand einen halben Tag am Stand herum, keiner wollte es haben, und als ich es dann für - nun wirklich läppische 40 Euro - gekauft hatte, begannen die Fragen. Woher, was kostet, sie würden mir auch 50. Und so weiter. Was fehlt, sind Weisswandreifen, ein neuer Ledersattel - beides daheim im Fundus - und eine ordentliche Putz- und Poliereinheit, sowie neue Bremsgummis.



Ich stand heute morgen vor dem Flohmarktbesuch auch vor einem Bitter CD, einem dem Ferrari 400 nachempfundenen Sportwagen auf Opelbasis, den mir jemand vermitteln wollte. Vielleicht das letzte hübsche Auto, das jemals mit dem Namen Opel in Verbindung zu bringen war. Er wäre gar nicht teuer gewesen, ich hätte auch ein paar Parkplätze am Tegernsee, aber 20 Liter auf 100 Kilometer ist dann doch etwas zu viel, und brauche ich einen geschlossenen Zweitwagen?

Zumal, wenn ich so ein Rad habe. Detailphotos im Kommentar.

Sonntag, 8. Juni 2008, 17:36, von donalphons | |comment

 
Die Details:
Ein rabe fliegt mir voran:



Der Werkzeugkasten und die Chromhülle:



Sportlenker, Scheinwerfer und Klingel: Alles original.



Die datierte 52er Torpedonabe. Mit Schmiernippel!



Das fünffach verschraubte Kettenblatt, als käme es aus der Steampunkverfilmung:



Die Marke auf dem Schutzblech



Die Bakelitgriffe mit gelabelten Metallabschlussstopfen:



Der Scheinwerfer:

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Wunderschön. Da ist das Putzen Kontemplation. Danach ein wenig an diesem Buch schreiben, das man selber für wertvoll hält und ein Glas von jenem Wein, den man mit der Schönen am Rande eines Feldweges getrunken hat. Zu geschüttelt, zu warm, zu billig und viel zu gut.

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Das Putzen ist vor allem ein angenehmes Kontrastprogramm. Wenn ich so weiter mache, kann ich nachher vielleicht schon durch heulende Menschenmassen radeln - wenn nicht, habe ich ein Problem, aber vielleicht regnet es auch.

Ich hätte am See bleiben sollen. Da ist es einfach ruhig, weil es ruhig ist, und nicht wegen Unterschichtensport, wo sich Bergbalkan mit Meerbalkan prügelt.

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gut, dass keine fahne vorne dran ist und flattert!

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Die Zeit der voranflatternden Fahnen war damals schon 7 Jahre vorbei, und man konnte ja nicht ahnen, was da noch alles kommt.

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was heißt denn hier nur aus Bielefeld?
zugegeben, das ist nicht die toskana, dafür aber die ehemalige europäische metropole des zweiradbaus und damit für fahrbare untersätze ohne gemäkel eine sehr gute adresse.
niemand verlangt, dass man dort urlaub machen soll (geht aber auch, habe ich mir sagen lassen).

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Nun, es gibt italienische Lötkünstler mit klamgvollen Namen und Heimatorten, die nicht schlechter als Maranello klingen. Fast das gleiche Rad habe ich in Italien mal von Legnano aus dem gleichnamigen Ort gesehen. Wilier kommt aus Bassano del Grappa, Olympia aus Piove di Sacco, da ist Bielefeld noch nicht mal als Campo de Biela ansatzweise ausreichend.

Irgendeinen Nachteil muss es ja haben, wenn es keine italienische Klapperkiste, sondern bestes deutsches Ingenieursschwermetall ist.

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na gut: bastert, dürkopp, falter, göricke, gudereit, rabeneick, rixe und stricker klingen tatsächlich nicht nach fernweh... waren und sind aber große marken aus bielefeld.

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Und heute?

Schon komisch, wie schnell und nachhaltig das deutsche Markenrad ausgestorben ist. Der Verkäufer hatte noch drei andere, neuere Pseudo-MTBs rumstehen, und meinte zurecht, dass die nur Glump seien, das meinige jedoch, das sei noch gute Qualität. Und nachdem ich grade den Dynamo und das Vorderrad gemacht habe, kann ich dem - mit ein paar Abstrichen, schliesslich war 52 noch Mangelwirtschaft, man merkt es am Chrom - weitegehend zustimmen. Ich habe nichts gefunden, was nochmal 56 Jahre im Weg stehen würde.

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gudereit und patria.
werden wenigstens noch teilweise in der region gefertigt (die alurahmen kommen selbstredend maschinengeschweißt aus fernost).

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Diese großen Marken
sagen mir bis auf Rabeneick, Rixe und Stricker wenig bis nichts. Hier am Niederrhein fährt alle Welt Gazelle und anderen Holland-Kram.

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mach ich im weitesten sinne ja auch. wobei ein nahezu historisches koga-miyata world traveller jetzt vielleicht nicht gerade direkt het herenfiets is, das noch unter "holland-kram" läuft;-)

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In meinem Fall war es ein ungeliebtes pro Delta. Nichts für Berge und weite Strecken, aber auf 10 Kilometer eine rasante Sache.

Im Prinzip hat das Auto die Räder erledigt. Da gab es eine ganze generation, die das Rad als unter der Würde aufgefasst hat, zumal auf dem Weg in die Arbeit. Spätestens 1965 war es vorbei mit der Herrlichkeit. Ich kenne das schon gar nicht mehr "ohne".

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@Vert: Hat Patria nicht bis heute ganz überwiegend Stahlrahmen im Programm? Aus Mannesmann- und Poppe & Potthoff-Stahl, wenn ich mich jetzt nicht täusche. Meins zumindest ist aus Mannesmann-Stahlrohr.

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ja schon (patria.net sagt so), aber gudereit gibts wohl nur noch in alu und für dieses durchaus passable preis-leistungsverhältnis werden die definitiv nicht in bielefeld handgeschweißt...

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Miele hat auch Fahrräder hergestellt, ob in Bielefeld, weiss ich nicht.

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Es ist ja nicht so, daß hierzulande keine guten Fahrräder gebaut würden. Es gibt sogar welche, die ich ganz wunderschön finde, zum Beispiel die von Weltrad, die neben gediegenen Damenrädern in 5 Wirtschaftswunderfarben auch hübsche hellblaue Herrenrennräder herstellen. Aaaber: Leider erbrechend teuer. Dafür krieg ich in Italien drei. Und spätestens da kommt man dann doch ins Grübeln.

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Kennst Du Brindisi-Räder?

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@Andreaffm: Weltrad kannte ich noch nicht. Ab 1540 Euro? Scheint mir doch noch vertretbar.

Ich glaube, ich hätte damit aber ein Image-Problem, wie auch mit diesen Wanderer-Rädern. ;-)

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Brindisi-Räder kenne ich nicht, und sie scheinen mir auch nicht googelbar zu sein.

Jaa, im Prinzip hätte ich nichts dagegen einzuwenden, 1500 Euro für ein Fahrrad auszugeben. Ich habe deshalb den ausgefüllten Bestellschein noch nicht weggeworfen, den ich nach der Probefahrt hab anfertigen lassen. Die Frage ist: Lohnt sich die Ausgabe? Man muß sich ja nicht in jedem verdammten Lebensbereich dem verquasten Expertentum hingeben.

Italiener kennen übrigens keine Image-Probleme. Die fahren mit Körbchen vornedran und sind immer noch saucool dabei.

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@strappato: wo denn sonst? viele waren es aber nicht, glaube ich, die haben sich relativ schnell um so etwas wie ein kerngeschäft gekümmert (als klar wurde, welches das war)

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Mit einem Miele-Rad bin ich jahrelang ins Gymnasium gefahren.

Nein, es war nicht Erstbesitz.

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berichtigung: ich habe den mund zu voll genommen - die räder müssten anfänglich (ab 1911) in gütersloh produziert worden sein (was jetzt nicht so unglaublich weit entfernt ist...) und erst später dort (~1925-60, länger als ich dachte).
fakt bleibt, dass ich's in der aufzählung vergessen habe; wie wahrscheinlich andere hersteller auch...

das rad existiert natürlich nicht mehr, oder? wäre, glaube ich, jetzt recht gefragt...

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So, ich bin zu 2/3 durch, morgen wird es losgehen (sofern ich nichts über den grauen Kapitalmarkt, und so)

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Das Brindisi-Rad
@Andrea ist aus meiner Sicht absolut Kult. Produktion komplett von Hand, etwa 50 Stück im Monat. Kostet etwa 1000 -1500 Euro, gibt es als Rennrad und als Mountainbike. Gegenüber der Qualität kannst Du jedes Cannondale oder K2 vergessen. Ist allerdings für Selbstabholer, d.h., um es zu kaufen, musst Du nach Brindisi.

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Das Miele-Rad müsste noch existieren. Werde mal nachforschen, wenn ich in der ehemaligen Heimat bin.

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In den 1980er Jahren
Habe ich mir sowas mal aus dem Sperrmüll gezogen. Ein paar Jahre jünger und auch Rabeneick. Das hatte dann schon die Torpedodreigang-Schaltung mit Blech/rotem Lack und Leerlauf. Die Gabel war an den unteren Enden verchromt und das Rücklicht war dieses ovale, rote.

Der Rabe war vom Schutzblech in den Lenkervorbau gewandert. Der Vorbau war dann nicht mehr so rohrartig wie bei deinem und wie heute allgemein üblich, sondern es war ein Schmiedeteil in Form eines stilisierten Rabens.

Ein paar Jahre später wurde das Rad geklaut. Spar bloß nicht am Fahrradschloss!

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Ich werde es eh nur zu kleinen Ausfahrten verwenden, aber nie richtig. Eigentlich, wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich schon 6 Rennräder und 4 Mountainbikes und brauche ganz, ganz sicher kein weiteres Fahrrad. Ich habe es so gekauft, wie ich die Hälfte meiner Räder gekauft habe: Weil sie erschwinglich waren und damit sie nicht irgendwo vergammeln bei Leuten, die nichts davon verstehen. Für mehr als die Ebene taugt es ohne Gangschaltung eh nicht.

Rabeneick hat wirklich schöne Sachen gemacht, insofern ist diese gewaltsame Trennung natürlich unschön. Aber vermutlich steht noch vieles in irgendwelchen Kellern und kommt dann ans Tageslicht. Und für mich ist es ein guter Ersatz zum Altauto, denn ich schraube zwar gerne, fahre aber normalerweise nicht mit dem Wagen. Meine Art, einen Oldtimer zu haben, ohne einen Oldtimer zahlen zu müssen (falls jemand einen Peugeot 403, eine Alfa Giulia, ein altes Cabrio oder ähnliches vor 1978 rumstehen hat und nicht mehr will, kann sich natürlich trotzdem bei mir melden)

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Tolles Rad! Ich suche ja auch schon länger ein neues altes, aber seit es meinen Lieblingsramschflohmarkt nicht mehr gibt, wird es schwierig.

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Bei dem Raben kamen Sie mir irgendwie sofort in den Sinn, ich weiss auch nicht warum.

In München gibt es einen entsprechenden Flohmarkt in Freimann, da sind dann auch zwei alte Türken, die Räder zusammenschrauben, die sie vom Alteisen haben.

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sollte es nur um den raben gehen, helfen auch rohloff-schaltungen fürs erste:
Das Symbol der Firma Rohloff ist ein fliegender Rabe auf gelbem Grund. Das Logo wurde lebendig, als im März 1995 eine aus dem Nest gefallene Rabenkrähe mit dem Namen "Rohloff" in der Firma aufgezogen wurde. Wegen seiner Streiche erlangte der freifliegende Kollege im Stadtteil hohe Popularität. Seitdem ist die Pflege verwaister Rabenkinder fester Bestandteil im Betriebsablauf geworden."
(charmantes detail der firmenpropaganda bei wikipedia.)
die rabenpflege ist im preis der speedhub auch locker schon mit eingerechnet...

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