: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 16. Juni 2008

Real Life 15.6.08 - Fallende Feste

Schon seit Jahren hatte der Efeu den Balkon der Familie H. zerstört. Vor wenigen Wochen wurden dann die betroffenen Holzplanken ausgetauscht, der Efeu abgerissen und bei der Lasur gepfuscht, denn die neuen Planken waren viel dunkler als ihre Vorgänger. Nachdem das fehlende Grün Frau H. aber ohnehin befremdete und man wegen sowas auch als Millionärin keinen Gärtner anrufen muss - kostst ja alles nur Geld -, stieg sie auf die Leuter, zog die Kletterrosen hoch zum Balkon, rutschte aus und landete mittelunsanft in einem Buschwindröschenbeet; meistenteils jedenfalls; ein Fuss schlug jedoch auf dem neu angelegten Holzboden der Terrasserweiterung auf, mit der Folge einer schweren Stauchung, Verdacht auf Bruch des Mittelfussknochens und Überweisung in eine Klinik an einen idyllischen, oberbayerischen See, wo ihr Mann solange die Geschäfte aus dem Hotel erledigt und ansonsten alles tut, um die Unpässlichkeit wie eine normale Kur wirken zu lassen.

Da gibt es nur ein Problem: Das Gartenfest war lang geplant und entsprechend vorbereitet; die Zelte waren angemietet und die Torten fest bestellt, eine Absage wäre unerfreulich gewesen, und als dann die Schwiegertochter in der Hoffnung auf das Ausbleiben des Ernstfalles und eine empörte Zurückweisung durch Frau H. meinte, sie könnte das ja auch übernehmen, musste sie - den von Susi verbreiteten Gerüchten zufolge - wenig erbaut erfahren, dass Frau H. die Initiative uneingeschränkt begrüsste, schliesslich musste die Eingeheiratete auch mal endlich lernen, wie man sowas macht. Und nun stehen draussen die Zelte in einem infernalischen Hagelschauer, ein paar zurückgelassene Gläser glänzen im nassen Gras, und auf den 20 Matern von den Zelten zu den trockenen Innenräumen sind alle - um es vorsichtig zu sagen - feucht geworden. Und die Schwiegertochter, die nicht erwartete, plötzlich all diese Leute im Haus zu haben, ist vor lauter Unorganisiertheit am Rande des Nervenzusammenbruchs.

Du stehst mit Susi ziemlich am Rand des Debakels, aus dem gerne jeder verschwinden würde, aber keiner natürlich nach einer Stunde einfach so gehen kann, also nässt und dampft man sich was vor und isst Kuchen im Stehen. Oder begeht einen Fauxpas.

Monika! Monika! zischt es neben dir, es ist der Herr, der an Sylvester die dumme Idee hatte, bei dir daheim Kerzen - und Krabbensalatplastikverpackung - am Gasherd anzuzünden, und die Gerufene versteht gar nicht, was sie getan hat und fragt etwas verwundert Ja? Und alle schauen sie an. Was nicht weiter verwundert, denn sie ist völlig frei und einsam in einer Isolation, die man nicht als splendid bezeichnen kann. Monolithisch steht sie auf dem grossen Seidenteppich, den sie zu überqueren gedachte; vermutlich weil er so schön frei war und alle anderen Gäste natürlich wissen, dass man sich mit schmutziggrasenen Schuhen keineswegs darüber bewegen sollte.

Monika ist neu hier, flüstert Susi. Denn der junge Herr, der gerade einen Anlass bekommt, sich in ein paar Wochen bei Frau H. zu entschuldigen, der junge Herr, dem nach Weihnachten die blonde Freundin mit Hilfe von Mama und Papa ausgezogen ist, hat jetzt wieder eine Partnerin - noch jünger, schon wieder aus der Firma, einen Import aus Norddeutschland, Assistentin in irgendeiner Abteilung der grossen Frabrik und jetzt auch Copilotin in einem weissen Werkswagen sowie Anlass zur allgemeinen Verwunderung, wie man, wenn man schon so angezogen ist, auch noch triefend über den Seidenteppich zum Klo laufen kann.

Monika ist von bewundernswerter Einfalt, sie versteht gar nicht, was los ist zuckt die Achseln und marschiert sicherheitshalber einfach mal weiter dunkle Flecken auf den hellen Feldern des Paradiesteppichs hinterlassend, einen rautenförmigen Abdruck vorne und ein kleines Löchlein dahinter bei jedem Schritt, womöglich denkt sie sogar, man bewundere ihre tief ausgeschnittene Toilette, die das Tattoo auf dem Schulterblatt ganz natürlich sehen lässt. Oder die Tasche "a la russe" mit dem auffälligen Namen in Goldbuchstaben. Für ihren Freund ist die versauende Überschreitung von Frau H.´s Heiligtum vielleicht noch etwas unangenehmer als der Moment, da die Eltern seiner Ex mit den Möbelpackern kamen - da haben es direkt nur wenige miterlebt, aber das hier sieht jeder. Da, wo Monika herkommt, haben sie Stroh auf dem Boden, gibt Susi den Tratsch der kommenden Wochen vor. Wie gefällt sie dir eigentlich so?

Die unfreiwillige Gastgeberin kommt vorbei, entschuldigt sich überflüssigerweise für das Wetter und entbindet dich von der Pflicht, etwas halbwegs Geistreiches über Nichtigkeiten so zu sagen, dass es bei Susi als Kompliment für sie selbst ankommt. Draussen ist es kalt, die Scheiben sind beschlagen, man reicht Tee für die Wärme und Sekt zum Betäuben, und als dir später Monika vorgestellt wird, lässt du vorsichtig durchblicken, was es mit dem Teppich so auf sich hat, was sie mit einem "Weia und ich bin drübergelatscht" erwidert, verlegen an ihrem Tattoo rumreibt und dir bald erählt, wo sie sonst noch die Natur ihrer Oberflächen mit welchen Mitteln modifiziert hat.

Ihr Freund bekommt das auf einem Ohr mit und weiss nicht, ob er froh sein soll, dass nur du, der bekanntermassen weltgewanderte, über die bayerischen Landesgrenzen hinausgekommene Exzentriker mit den komischen Marotten und diversen asiatisch wirkenden Bekannten das alles erfährt, oder befürchten muss, dass es von ihr demnächst auch Leuten unterbreitet wird, die seiner gesellschaftlichen Stellung schaden können. Du hättest ihn beuhigen können, Susi hat alles gehört und Stress mit ihrem Freund, womit alles, wirklich alles zu spät ist, in dieser entzückenden, gastfreundlichen Provinzstadt, wo man auch noch posthum Gartenfeste feiern würde.

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