: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Dienstag, 24. Juni 2008

Die 3-Euro-Frage

machen sie mal ein experiment und leben sie von drei euro/tag. ohne mutters vorratskammer.
Eine schwierige Frage in einem Kommentar. Allerdings mache ich mit einem Kilo Erdbeeren (selbstgepflückt 1,50), einem einem halben Kilo Zucker (0,25), 100 Gramm Butter (0,20), 200 Gramm Mehl, 0,2 Liter Milch (0,30) und 10 Eiern von meinem Lieferanten (1,50 Euro) genug Pfannkuchen für drei Tage. Ein Tomaten-Champignon-Kartoffelgratin für 2 Tage geht auch für 4 Euro. Ansonsten trinke ich Tee - kostet so gut wie nichts, wenn man Cay nimmt. Die Frage ist hart zu beantworten, aber die Haushälterin, bei der ich das Kochen gelernt habe, hat mir nicht nur das Reiben des Käses gelernt, sondern auch preisbewusst arbeiten. Ich sage nicht: Billigst einkaufen. 3 Euro ist hart, verdammt hart, aber ich will nicht ausschliessen, dass es geht. Spass ist es natürlich nicht. Man muss einfallsreich sein.



Die Frage ist in gewisser Weise hypothetisch, und auch die Antworten können der Sache nicht gerecht werden. Es ist ein wenig wie die Frage, die man früher Verweigerern stellte: Was würdest Du tun, wenn ein Russe Deine Freundin vergewaltigte, und Du hättest ein Gewehr in der Hand. Der Russe, wie wir wissen, kam nicht, und ich habe eine - relative - Sicherheit, dass ich die Frage nicht im Ernstfall werde beantworten müssen. Ich sage es mal so: Ich würde vermutlich alles daran setzen, das zu ändern. Das fängt beim Thema "Beschaffung aus der Natur" an, und ich meine das nicht ironisch, sondern vollkommen ernst. Schliesslich kommen die besten Zwetschgen auch in diesem Blog nicht vom Markt, sondern von einem Baum auf einer aufgelassenen Streuobstwiese. Und im Herbst würde ich vermutlich Unmengen Äpfel bunkern, soweit das irgendwie möglich ist. Einfach, um Geld zu sparen und dann in noch schlechteren Zeiten mehr zu haben.

In dieser Frage, die sicher auch geprägt ist durch das Hartz-IV-Unrecht in Deutschland, wäre der nächste Schritt die Verbesserung der Einnahmen. Ich halte in gewissen Grenzen Schwarzarbeit für eine legitime Antwort auf dieses System, das nicht hilft, sondern abdriften lässt.

- Kleiner Exkurs an dieser Stelle: Eine Bekannte meinte partout Schauspielerin werden zu wollen, ging auf eine private Schule, bekam eine Krise, schmiss hin, ohne sich abzumelden und stand nach einem Jahr vor einem massiven Schuldenberg, den zu sanieren sich die Eltern weigerten - oder erst gar nicht gefragt wurden. Das habe ich dann gemacht, aber das Kernproblem war gar nicht das Geld, sondern das Wiedereingliedern in ein normales Leben, das nicht geprägt ist von der Suche nach finanzieller Rettung. Mama hat es nie erfahren, und ihr Kühlschrank ist wieder offen. Exkurs Ende.

Und wenn es nur Putzen bei einer Freundin ist. Und wenn es nur 20 Euro pro Woche sind. Ist auch schon was. Und nein, ich finde nicht, das Putzen schändet. Ebenso wenig wie Schneeräumen, Fenster streichen, und andere Dinge, die ich auch tue. Nicht, weil ich es mir nicht leisten könnte, einen Handwerker zu rufen, sondern weil ich den Eindruck habe, dass es mich sauber erdet, in den nächsten Wochen alle 73 Stufen im Komplex zu fegen, zu reinigen, zu verspachteln und neu zu streichen. Ich glaube nach altes sozialistischer Manier an die Bewusstseinsstiftung durch Arbeit jenseits von Powerpoint und hohen Stundensätzen. Und ich denke, dass Leute, die 3 Euro am Tag und kein soziales Netz haben, mehr Geld und ein soziales Netz brauchen. Wenn Schwarzarbeit der Weg dazu ist: Für die Gesellschaft ist es allemal besser.

Ich weiss sehr wohl, dass es mit dem "Du brauchst Geld geh arbeiten" allein nicht getan ist, und die Probleme sehr vielschichtig sind. Aber ich habe auf Ausgrabungen in Zusammenarbeit mit den von Arbeitsamt vermittelten Hilfskräften - sagen wir es ehrlich, die Alkoholiker vom Kaff - gesehen, dass eine Tätigkeit Chancen eröffnet. Ich bin in der Hinsicht ein Bekehrter, denn die Vorstellung, dass ein Alkoholkranker auch nur in die Nähe meines Planums kommt, war mir zu Beginn ein Graus. Und ich bin ganz sicher keiner gewesen, der von sich erwartet hätte, mit "so jemandem" zu kooperieren; noch dazu, wenn es Ende Februar ist und die Grabung im Schneestrurm stattfindet und die Tolaranz ungefähr auf Null sein sollte - aber es ging. Es ging sogar sehr gut.



Generell noch was zum Konsum: Antiquitätenkauf ist absolut nicht teuer. Ganz im Gegenteil. Ich persönlich finde Ikea, Roller, XXLvollgeilramsch extrem teuer, ich würde dort nie, nie, nie einkaufen. In der Provinz gibt es einen Caritasladen, der sein Angebot aus Entrümpelungen bezieht. In Rosenheim ist es eine wunderbare Töpferei beheimatet, die in Altbayern viele Kunden hat - unter anderem auch meine Familie. Ich habe bei der Caritas ein ganzes Service von Vogt gefunden und gekauft, das jemand nicht mehr haben wollte, und für einen Preis, der kaum über dem liegt, was Einweggeschirr kostet (trotzdem kann ich Vogt mit bestem Gewissen zu den marktüblichen Preisen empfehlen). Natürlich ist diese Art des Kaufens nicht so einfach, es erweitert und beschränkt gleichermassen, es passt eben genau nicht zu der Konsumkultur, die alles jetzt sofort in tausend Variationen anbietet.

Das Thema ist zu ernst, als dass man darüber Rechnungen begleichen sollte, aber - das wird jetzt etwas prekär, man darf nicht verallgemeinern - ich sehe im weiteren Umfeld der Bloggerei natürlich auch Fälle, für die das Internet zu einem falschen Fluchtweg wird. Das treibt mich gerade etwas um, weil ich einen Artikel zum Thema Kunstfiguren schreiben muss, und die literarische Fiktion abgrenzen möchte von kaschiertem Not und Elend oder Borderlinern. (Um das Problem dieser Realitätsverzerung mal zu verdeutlichen: Es gibt da jemanden, der angeblich wahnsinnig viele Projekte in Berlin macht und im privaten Gesprächen im vollsten Brustton der Überzeugung behauptet hat, ich wäre ein ganz armer Schlucker und würde das alles nur erfinden - bis ich an den Tegernsee gezogen bin) Da hängen dann Leute am Bildschirm und finden ein Fenster, das man auch aus dem übelsten Loch heraus mit einer Fluchtvision füllen kann, statt sich um die reale Verbesserung ihrer Lage zu kümmern. Das betrifft auch die Schattenseite des digitalen Lumpenpacks loboistischer Prägung, die Ritalinsociety, die Projektversprechungsmaschinierie, die partiell auch immer wieder im 3-Euro-Fragenraum kampieren muss. Ich frage mich manchmal, ob die es überhaupt anders wollten. Ob ihnen die selbsterfindung und der Druck durch Elend nicht sowas wie einen perversen Kick gibt.

OK. Es kann natürlich auch sein, dass jemand mit diesen 3 Euro mitten in Berlin sitzt, nirgendwo ist ein Kartoffelacker, die Menschen aussenrum sind komplett scheisse und das Putzgewerbe ist in der Hand von Weissrussen. Ich würde weggehen. Ziemlich genau dorthin, wo ich herkomme, und das Arbeitsamt nicht weiss, wo es die Leute herbekommen soll. Vielleicht hat man am Ende nicht dafür studiert, oder die Ausbildung passt nicht, aber ich bin lieber am Band, statt von drei Euro am Tag zu leben. Und in Sachen Band weiss ich, wovon ich rede.

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Empfehlung heute - Diesmal nur für eine Leserin

Die aktuelle Sommerhutmode ist da!

(Warum sollte man immer an alle denken?)

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Als Amerika noch grossartig war

Die beste aller möglichen Welten der frühen 50er Jahre waren die Vereinigten Staaten von AMerika. Nicht perfekt, keine Frage, aber wo sonst hätte man leben wollen - im kriegszerstörten Europa jenseits von Südfrankreich? Im Ostblock? In den Kolonien? In den südamerikanischen Diktaturen?

Irgendwann in den 60er Jahren hat Europa dann die USA überflügelt, in den 70ern setzte Japan zum Überholmanöver an, und inzwischen heisst die Konkurrenz der ehemals mächtigsten Nation der Erde China, und man ist vom Wohlwollen unerfreulicher Staatsfonds abhängig. Ein Souvenir aus den besseren Zeiten, als die Autos grösser wurden und das Jet Age die Propellermaschinen ablöste, habe ich gestern noch zum englischen Rechaud erworben. Und siehe, die amerikanischen 50er passen zu den italienischen 90ern.

(Ja doch: Etwas bayerisches habe ich auch noch gekauft)

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