: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 29. Juni 2008

Real Life 28.06.08 - Art at Auction 78/79, Seite 212

Hier, bitte. Fast identisch. Sehen Sie?
Ja. Ein guter Preis. Aber bei Auktionen gibt es immer Irre, die jeden Preis zahlen, das hat nichts zu sagen.
Und Sie sind wirklich einverstanden, trotzdem?
Junger Mann, ich habe es nicht nötig, den Inhalt meiner Garage zu Neumeister zu tragen. Hier ist eine Quittung, nur damit mein Sohn nicht später mal auf dumme Gedanken kommt und sie wiederhaben will. Das ist so einer, der es immer erst versteht, wenn es zu spät ist.
Ja.
Und vergessen Sie das Geschirr nicht. Bekommen Sie das alles überhaupt in Ihr Auto?



Ich denke schon. Einen auf den Beifahrersitz, einen auf den Gepäckträger. Sie wollen Sie wirklich nicht behalten?
Wenn Sie sie nicht nehmen, bekommt sie irgendein Händler, ein Neureicher oder ein Verbrecher wie der P.. Sie haben Sinn dafür.
Ich hoffe doch.
Jetzt sage ich Ihnen mal was. Sie sind bei diesen Leuten, die sie rumfahren, vollkommen fehl am Platz. Sie sollten Ihr Leben nicht mit diesen Kriminellen zubringen, das verdirbt nur den Charakter. Und kriminell sind sie alle, heute zeigen sie sich an, morgen arbeiten sie schon wieder zusammen, und die Anleger und die Helfer bleiben auf der Strecke. Sie sind doch keiner von denen, oder?
Nein, eigentlich bin ich Kulturhistoriker. Und eigentlich habe ich schon ein paar mal gekündigt, aber sie lassen mich nicht gehen. Einer muss am Ende fahren. Sie haben keinen anderen, und ich bin da jemandem verpflichtet. Dafür mache ich morgen eine Benefizlesung, das gleicht alles wieder aus.
Fahren Sie vorsichtig, und wenn sie sie restaurieren, machen Sie es nicht zu perfekt. Nur Amerikaner, die keine Ahnung haben, wollen keine Patina.
Keine Sorge, mein ganzer Stadtpalast wird nur von Patina zusammengehalten.
Quietschend schliesst sich hinter dir das Tor, so breit wie eine dreispurige Autobahn, und du wirst das nächste Mal etwas Fett mitbringen. Es sind diese Kleinigkeiten, von denen aus der Zerfall Metastasen bildet, aber man kann früh etwas dagegen tun.



Es gibt frische Kirschmarmelade in der Provinz auf der Dachterasse, dazu Kirweikipferl und Tee, aus dem Jubiläumsgeschirr von Zeh Scherzer, 1930 hergestellt und seitdem nie benutzt, und einen Himmel mit Wolken in Form der Rocaillen, die sich auch auf den roten Chinalackstühlen wiederfinden, die wohl doch englisch und um 1730 sind, aber das spielt jetzt keine Rolle, denn du musst noch einen aktuellen Text umschreiben.



Denn wie dir beim Abholen der Kirschmarmelade berichtet wurde, kommt auch Herr Dr. K., und seine Tochter ist überraschend aus der Schweiz eingetroffen, blendend soll sie aussehen und das Drama der elterlichen Scheidung überwunden haben - und da würde sich so manches im öffentlichen Vortrag nicht ziemen, sonst gibt es nur noch mehr Ärger, als ohnehin durch gewisse persönliche, man könnte sagen Konstellationen, unvermeidlich sein wird.

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Die 3-Millionen-Euro-Frage

Den Reichen die Pflicht zum Schönen. Andernfalls verdienen sie zu sterben.
Muriel Barbery, zitiert bei Anke
Und die Armen, haben die eine Pflicht zum Hässlichen? Einen Fluch zum Umschönen? Ein unausweichliches Schicksal, das sie dazu verdammt, grantig, zynisch und runtergekommen zu sein?

Vielleicht muss ich hier eine kleine Ankdote erzählen, über das, was sozial ist. Mein momentaner Aufenthaltsort ist, soweit man sich das irgendwie vorstellen kann, der komplette Gegenentwurf zu den schlechteren Vierteln Berlins und anderen sozialen Brennpunkten. Würde ich jetzt am Schnittpunkt zwischen diesen beiden Welten sitzen, im 103 an der Kastanienallee, würde ich in einer Stunde dreimal gefragt werden, ob ich nicht mit einem kleinen Betrag helfen möchte, der tatsächlichen oder auch nur erfundenen Not eines mich Ansprechenden zu mindern - sei es, weil er mir eine Geschichte erzählt, ansonsten randaliert, Musik macht oder sonstwie eine Umverteilung zu seinen Gunsten beabsichtigt. Und ich kann an dieser Stelle aus Erfahrung sagen, dass es selbst für jemanden wie mich durchaus ins Geld geht, diesen Wünschen nach sozialen Diensten längerfristig zu entsprechen, denn mittlerweile gehören Forderungen von 3 Euro für einen Döner, eine Fahrkarte oder was auch immer fast schon zum guten Ton.



Am Tegernsee wurde mein soziales Gewissen innerhalb von einem ganzen Monat nur dreimal angesprochen. Durchwegs von Leuten, die durch in einem Masse reich sind, dass ich sie hier trotz meines Abscheus vor diesem Wort nur als Elite bezeichnen kann. Die Sorte, die einem in fünf Minuten ein Termin bei wem auch immer verschaffen kann, eine Vietel Stunde vor dem ausverkauften Konzert noch Karten bekommt und bei der Durchsetzung ihrer Ziele vermutlich ähnlich impertinent sein könnten, wie der verrückte Schreier vom Helmholtzplatz. Diese Herrschaften sehen mich auf der Terrasse am Computer sitzen, verwechseln meine Jagd nach Informationen und Fahrten zu Versammlugen nach München mit "Freizeit" - schliesslich binde ich es hier keinem auf die Nase, dass ich beruflich über so etwas Unansprechbares wie Geld rede - und finden, dass ich ruhig ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft werden könnte. Ich fürchte in der Folge, ich werde im Herbst helfen, einige wohltätige Konzerte zu organisieren, der Landesbund für Vogelschutz will mich trotz Heuschnupfen, und jemand ist auch schon am überlegen, wie man mit meiner Schreibe helfen kann, das schöne Tegernseer Tal vor dem Investorenzugriff zu retten.



Das passiert übrigens nicht über die schnelle Anquatschnummer, sowas wird vorbereitet, erklärt, nahegebracht, mit guten, ja sogar besten Gründen vermittelt. Für die Ansprechenden wäre es vermutlich nicht das geringste Problem, einen Scheck rauszuschreiben und sich die gewünschte Leistung irgendwo zu kaufen, aber sie alle sind der Meinung, dass auch bei anderen die Daseinsbeschränkung auf nur rumhocken, den Kühen beim Grasen zuschauen und Torte essen absolut nicht geht. Sie alle denken, dass man gefälligst seinen Arsch zu bewegen hat, um diese Welt schöner und besser zu machen, angefangen bei dem gefährdeten Gut Kaltenbrunn bis zur Hilfe für bedürftige Mütter im Norden des Landes. Und ich lasse mich auch breitschlagen, damit ich wegen Überlastung den allerbesten Grund habe, den hier extrem stark verwurzelten Trachtenvereinen bedauernd absagen zu können, deren Schriftführerin mich beim Anmelden im Ort schnellstens - a so a gschtandns Mannsbuid, woins ned amoi a Drachd brobian - für den Almabtrieb der Krachledernen schanghaien wollte.



Es geht hier nicht gerade sozialistisch zu. Der Tegernsee ist ein grosser Brocken sozialer Ungleichheit in Deutschland, sogar die Wasserleichen werden in aller Regel als "gepflegt" und "mit Schmuck" in den Polizeibericht genommen, und all das wird glücklicherweise vom Grossraum München mit einer Stossstange gegen den Rest des Landes versehen. Ich erlebe hier Dinge, die ich nicht ins Blog schreiben würde, damit sich das nicht ändert, und dennoch: Ich halte das hier für notwendig. Weil es für die Angst habenden Mittelschicht sowas wie ein Gegenentwurf ist. Man kann die Häuser an der Mangfall spiessig und kitschig finden, aber als ich eines dieser Bilder gemacht habe, hat mich ein touristisches Ehepaar darauf angesprochen, wie schön das ist, und wie gern man hier leben würde. Es gibt eine Form des Reichtums, von der ich mir wünsche, dass er für die Mittelschicht ein Anreiz ist, der Angst nicht nachzugeben und zu versuchen, den Wohlstand auszubauen. Wohlstand funktioniert nicht mit Tütenfrass, Kleidern aus chinesischer Ausbeuterfrabrikation und Anrufen bei 9live, Wohlstand schafft und erhält sozialversichterte Arbeitsplätze in diesem Land, und lässt es nicht auf das Niveau der digitalgepennerten Minijobtwitterverarschten herabsinken. Ich hasse es, der CSU recht geben zu müssen, aber neben dem Arnutsproblem in Deutschland gibt es auch ein Problem im Umgang mit Wohlstand, eine "Oben/Unten"-Debatte, die niemandem was bringt, weil sie die Realitäten negiert.



Diese verlogene Debatte funktioniert über Archetypen, angefangen in der Glotze und endend bei den Blogs. Der böse Reiche, das sind die Zumwinkels und die Pooths, und das Spreeblickumfeld johlt, wenn dann ein Sascha Lobo bei einer Rentendebatte einen anderen wegen seiner teuren Uhr anpfeift. Der gleiche Lobo beschreibt bei Twitter, wie er kurz vor knapp ein paar tausend Euro Steuerminderung durch ein Fahrtenbuch zusammenbaut, und bietet zusammen mit Vorzeigerebell Johnny Haeusler für sein PR-Projekt für die CeBit einen Minijob mit allen wenig erfreulichen sozialen Folgen an. Und keiner frägt ihn, warum er und seine Kumpels das "Angebot" nicht selber wahrnehmen, und wie er dann diesen Job für sich selbst gegenüber der CeBit abrechnet. Faktor 2? Faktor 3? Wieviel verdient man, wenn man andere als Minijobber laufen lässt? Oder nehmen wir mal eine, beim Berliner Prekariat verhasste teure Uhr: Kann gut sein, dass sie ein paar tausend Euro kostet. Aber daran verdient ein Händler, ein Fabrikant, ein Uhrenmechaniker, es erhält einen werthaltiger Teil unserer Kultur, es ist gut, dass es so ist, und weitaus besser, als Plastikdreck aus Fernost, der dort unter übelsten Bedingungen produziert wird jedes Jahr im Müll landet. Teuer ist nicht zwingend asozial, genausowenig wie billig gut für alle ist: Die allseits bekannten Junkanbieter sind Durchlauferhitzer des Elends, angefangen bei Raubbau an der Natur über unwürdige Arbeits- und Produktionsbedingungen bis zu den Tricks, mit denen sich solche Firmen der Steuerpflicht entziehen.



Ich habe weniger Angst vor den real existierenden Reichen als vor den populistischen Heuchlern mit den einfachen Lösungen, die gerne deren Platz einnehmen wollen, um genauso beschissene Jobs anzubieten, mir ist der stille Solarinvestor lieber als der sozialgetünchte Blogstricher, dem es nach Erreichen von 2000 PIs nur noch um die Werbung geht; ich bin für eine sinnvolle Umverteilung, deren Ergebnis nicht jedes Jahr eine modische Furnierimitateinrichtung aus der Ukraine ist. Ich gebe gerne, weil mich der Anblick von Elend krank macht, aber es macht mir mehr Spass zu sehen, wenn sich Leute Gedanken machen, wie man etwas an den Zuständen ändern kann. Almosen sind kein Weg, Verschwendung auch nicht, und schon gar nicht an der Stelle, wo das eine in das andere übergeht. Armut ist nicht sozial, also muss es der Wohlstand und der Reichtum sein. Dieses Land braucht Wohlstand, viel Wohlstand auf allen Ebenen, und eine Menge Hirn, Verständnis von Zusammenhägen und Engagement.

Reichtum bedeutet Verantwortung, am Tegernsee wohnen und den Rest abtun ist genauso falsch wie ein gefälschtes Fahrtenbuch und Freunde, die sowas komisch finden, und vielleicht ist das Grundübel dieses Landes gar nicht so sehr die soziale Kluft, sondern die beschissene Verantwortungslosigkeit, die Leckmichmentalität, die kichernde Akzeptanz dieses Verhaltens von der CSU Hintertupfing bis in die Souterrains von Mitte, unabängig von Herkunft und sozialem Status.

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