: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Mittwoch, 25. Juni 2008

Die Unmöglichkeit des Picnickoffers in Form eines Eierkorbes

Meine Grosstante, die noch in Zeiten des britischen Empire das Leben in einem grösseren Haus kennenlernen musste - schliesslich war Deutschland in den 30er Jahren kein gutes Land für Mädchen, denen man ihre nichtarische Herkunft deutlich ansah - war desöfteren Zeugin, wie man in Grossbritannien Picnic gemacht hat. Im Gegensatz zur heutigen Vorstellung fuhren keine kleinen Roadster über gewundene Strassen, einen Picnickoffer auf dem Gepäckträger, sie hielten nicht irgendwo auf der Wiese an und rollten eine Decke aus. Picnic bedeutete, dass die Hausherrin den Dienstboten Anweisungen gab, und irgendwann ging die eingeladene Gesellschaft in den erweiterten Garten oder angrenzende Latifundien, und dort stand dann das Picnic, ohne dass es jemanden interessiert hätte, in welchen Behältnissen es dorthin gelangt ist. Wenn in "Brideshead revisited" die beiden Helden Charles Ryder und Sebastian Flyte mit einem Auto rausfahren und unter einem Baum die Wachteleier in zu viel Champagner ersäufen, ist es eine aufständische Jugendkultur der 20er Jahre, aber ganz sicher nicht die feine englische Art. Diese Art kümmerte sich nicht um Dinge wie einen Picnickoffer, um die sich das Personal zu kümmern hatte.

Nun hat der Verlauf der allgemeinen Geschichte Westeuropas die Dienstbotenscharen länderübergreifend aussterben lassen, womit ich und andere Kinder aus vermutlich besseren Häusern nun doch gezwungen sind, selbst für den Transport und das Decken der leinenen Tafel zu sorgen. Und obwohl ich Heuschnupfen habe und nicht gern im Gras sitze, wäre es natürlich, wenn Gäste kommen, gar nicht schlecht, ein entsprechendes Körbchen zu besitzen. Nun war ich letzten Sonntag sehr spät auf dem Antikmarkt, und am Eck einer Reihe war vor einem Transporter nur noch ein Objekt nicht verstaut: Ein klassischer Eierkorb aus Bayern, ein zwingendes Weidenschmuckstück für jede Bäuerin in Tracht. Das trug die Zenzi, als die Erzeugerpreise noch keine französischen Luxuswaren ermöglichten:



Nun sind solche Korbformen natürlich universal, und was in Bayern zu Markt und Messe mitgetragen wurde, hat sich in England, sei es nun bei Online Auktionen oder im Antiquitätenhandel ironischerweise als "vintage picnic basket" einen heute beliebten Nutzen erschlichen, der wohl auch meinem Händler nicht ganz klar war, als er einwilligte, den Korb für sechs Euro zu verkaufen. Tatsächlich hat er eine ausreichende Grösse für bis zu vier Teller, Tassen, Untertassen, Gabeln, Messer, einen Tortenheber, ein kleines Silbertablett, eine Menge Kuchen und eine rokoköse Silberkanne englischer Herkunft, die gekonnt verschleiert, dass wir es hier mit einer brutalen Brauchtumsentleibung zu tun haben. Oben müsste man noch eine Decke mit Schottenkaro legen, darin eingewickelt eine Thermoskanne mit Tee tragen, und fertig ist der komplett falsche Eindruck einer erfundenen britischen Tradition mit einem Miesbacher Eierkorb. Aber was bleibt einem übrig, wenn die wahre Tradition nicht ohne ruinöse Beschäftigung von Butler und Maids mit Leben zu erfüllen ist - man baut sich eben eine eigene Tradition, oder beruft sich auf Evelyn Waugh.

Solange man nicht auf Leute trifft, die den Schwindel auffliegen lassen. Nur wenige Stände weiter wurde ich von einer indigenen Dame angesprochen, die den Korb gebührend bewunderte und gleich richtig einordnete: Als Prunkstück der bäuerlichen Tracht nämlich, und ihrer Hoffnung Ausdruck gab, dass meine von ihr angenommene Freundin keines von den Flitscherln wäre, die Polyestertracht nur auf dem Oktoberfest zur MCM-Tasche tragen, sondern eine, die wüsste, was sich gehört.



Recht hat sie natürlich, es ist kein normaler Weidenkorb für den Alltag, dazu ist er zu fein und zu detailreich gefertigt. Ich werde damit leben müssen, in diesem postfeudalen Europa ein Leben aus Spolien vergangener Grösse zusammenzufügen; ein Miesbacher Körberl auf englischer Decke, Familiensilber mit einem Restservice vom Trödel; und selbst die victorianische Kanne gab sich vor 130 Jahren alle Mühe, ein Rokoko nachzuahmen, das es so nie gegeben hat.

Bleibt als Entschuldigung gegenüber den grossen alten Zeiten nur der Verweis auf die schrecklichen Alternativen von Einweggeschirr, Chinaimport und Tupperware. Und Waugh, natürlich.

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Das Müllproblem.

Darüber müssen wir reden. Über das Müllproblem, das sich in internetverschmutzenden Wegwerfblogs des Bayerischen Rundfunks äussert. An der Blogbar.

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