: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Mittwoch, 8. Juni 2005

Neues Headerbild

nach einer Kopie von einem gewissen Rubens aus meiner heimatlichen Provinz - irgendwie konnte ich dieses Berliner Mitte-Consultant-Ambiente nicht mehr ertragen.

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Real Life 24.05.05 - Concours Berlin-Paris

Wettbewerbsbeitrag. Du bist beim dritten Miri dieser Stadt, in der Gneisenaustrasse. Während die Läden der anderen beiden Miris eher Höhlen sind, Gänge und Kuppeln tief im Inneren der Erde, ist dieser Miri eher eine Art Grotte; ebenerdig, grosse Öffnungen, aber auch voll und von aussen nicht im Mindesten als das feine Geschäft zu erkennen, das es tatsächlich ist. Hier hat deine kleine Schwester ihren ersten Kronleuchter gekauft, und es zieht sie natürlich zurück zum Ort der Plünderung

Du sitzt im hinteren Raum auf einem der alten Clubmöbel, erzählst Herrn Miri bei einem Glas Tee von deiner bevorstehenden Abreise nach München, und ihr beide lauscht den Tapsern vorne im Laden, dem Klimpern von Glas und dem Knarzen alter Schränke, die gerade von deiner kleinen Schwester durchwühlt werden. So klingt Habgier, lächelst du in dich hinein, der du jenseits von solchen Begehrlichkeiten bist, denn du hast schon so viel gekauft, dass du ihr gerne den Vortritt lässt. Etwas lebensüberdrüssig schweift dein Blick über Jugendstilknorpel und Barockintarsien, deine einzige echte Empfindung ist gerade die Süsse des libanesischen Tees, warm und dick in deinem Mund, du hebst das Glas wieder zum Mund, beglückt vom satten Rot der Flüssigkeit, und als das Glas auf einer Linie mit der Scheuerleiste ganz hinten im Raum ist, siehst du, dass da im Hintergrund die Sacre Ceour ist, diese Kirche auf dem Montmatre, keine Frage.

Künstlergruppe Nabis oder knapp später, Bonnard nicht unähnlich, 1900 oder 1910, französischer Expressionismus, rattert es in deinem Kopf, aber auch ganz frühe Anflüge von Kubismus, die Strasse in Gold, die enge Gasse mit den verschachtelten Häusern in tiefem Braun, und auf der Strasse fährt eine Kutsche durch das Häusergewirr, in Richtung der Kirche, die sich hoch oben gelblich-weiss in den Himmel reckt, der im Gold einer Ikone glänzt, und dieses Gold war es auch, was dir aus der dunklen Ecke des Ladens heraus ins Auge gestochen ist. Es ist nicht gross, 25 mal 40 Zentimeter vielleicht, aber du bist überwältigt von diesem -- Öldruck? Du stehst auf, gehst hin und hebst es hoch. Kein Öldruck. Echt.

Du kennst diese Strasse, das war jetzt vor 15 Jahren, als deine Liebste Abitur gemacht hatte. Damals seid ihr zwei Wochen nach Paris gefahren. Zwei Wochen voller Katastrophen, als habe sich die Stadt gegen euch verschworen; die Deutsche Bank hatte in ganz Paris nur einen einzigen Geldautomaten, und der ging nicht. Das erste Hotel, das der Reiseführer als hübsche, saubere Pension beschrieben hatte, war die Mutter aller Kakerlaken, das zweite und dritte hatten immer nur kurz etwas frei, und erst nach 6 Tagen des ständigen Umziehens, der Flucht von einem Stadtteil zum nächsten, habt ihr dann in einem ehemaligen Bordell am Montmatre, das unverkennbar viel von seinem alten, verlotterten Charme durch ein paar notdürftige Restaurierungen behalten hatte, einen Ort der Ruhe gefunden. Zumindest so lange, bis die Freudenmädchen unten auf der Strasse wieder zu streiten anfingen. Dann drangen unübersetzbare, wüste Worte hoch zu euch in den schmalen, hohen Raum mit seiner roten Blümchentapete, dem roten Teppichboden und der glutäugigen Spanierin, die seit den alten Lotterzeiten ihren Platz an der Wand, aus einem Plasitk-Barockrahmen heraus, behalten hatte. Wenn du nach einer der Nächte der frisch Verliebten, die den professionellen Vorgängerinnen zeigen wollen wie das wirklich mit dem Ficken und Schreien geht, wenn du am Mittag dann auf den Balkon getreten bist, und von den Damen unten vor dem Haus die Strasse hochgeschaut hast, dann war da oben Sacre Ceour, und wenn sie nachkam, deinen Hals berührte, war der Himmel und die Welt golden, bis sie dir dann ins Ohr flüsterte, dass sie jetzt Lust auf - Schokolade habe, und du jetzt bitte runter gehen möchtest, vorbei an den diversen Fleischangeboten und ohne Französischkenntnisse etwas kaufen solltest, was sie dann nach ihrem Bad in der alten Gusseisenwanne wieder zu Kräften kommen liesse. Und nicht auf den Flohmarkt sträunen, Liebster...

Wo der Mensch in der Kutsche wohl hin will? Hinauf zur Kirche, die eines der abartigsten Bauwerke eines antisemitischen, faschistoiden Katholizismus ist, geweiht der Niederringung der Revolutionen dieser Stadt? Oder doch zu einem Freudenmädchen, die diese Religion und ihre verlogenen Werte verhöhnte? Einfach nur Flanieren?

Ahhhh, sagt Herr Miri, haben Sie was gefunden? Er schaut sich das Bild kurz an und erzählt, dass es von der Auflösung bei einem englischen Diplomaten kommt und jetzt schon seit zehn Jahren in einem der hinteren Zimmer war, er hat es erst letzte Woche wiedergefunden und vorgeräumt. Der Vorbesitzer muss es gemocht haben, denn es ist superb erhalten, und irgendwann in den 70er Jahren, erklärt ein Stempel auf der Rückseite, bekam es einen schlichten, schwarzen Rahmen in "Herran near Mabini, Ermita, Manila". Wahrscheinlich hat es der Vorbesitzer in Paris gekauft, und dann sein ganzes Leben mitgenommen, von Stadt zu Stadt, vom philipinischen Dschungel in die Asphaltwüste Berlins, vielleicht in Erinnerung an seine Jugend in der Stadt der Liebe, an seine tollen Stunden als junger Botschaftsangehöriger nach dem zweiten Weltkrieg, bis er dann in Her Majesties Service hier in Berlin starb und seine Erben damit nichts anzufangen wussten.

Nett, sagst du abschätzig, legst es wieder hin, um deine eigene Gier nicht zu deutlich zu machen, du sagst Hm und naja, mäklest am ramponierten Rahmen, und Herr Miri meint, nachdem ihr euch schon so lange kennt - Soundsoviel Euro. Na? Gut, sagst du, und steckst es schnell in eine Tüte, bevor es deine Schwester entdeckt.

Zwei Wochen später wird ein Galerist in München Glupschaugen bekommen, aber das ist eine andere Geschichte, die keine Rolle mehr spielt, denn all das Gold im Himmel über Paris hängt jetzt an deinem Bett und wird dort noch lange hängen, bis du verfault bist und dein Leben vergessen wird (Don Alphonso, kurzzeitiger Modeliterat und Mitglied der "Blogger-Gruppe", aktiv im 1. Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts), und das Bild weiterwandert zu jemandem, der hoffentlich auch eine gute Geschichte dazu erzählen kann. Ars longa, vita brevis.

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