: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Mittwoch, 15. Juni 2005

Finch'han del vino

calda la testa
una gran festa
va preparar....

Oooops, da klingelt es, schon, wer mag das sein? Sollte sie zu früh? Ja bitte...? Oh, ein Leser meines Blogs, nein, du störst gar nicht, sie kommt erst gegen Abend, komm hoch, aber bitte, nein, ich habe Zeit, wirklich, ja, gerne.

Darf ich Dir virtuell einen Tee anbieten? Etwas Konfekt? Bitte... nein wirklich, ich habe Zeit, sie kommt erst gegen 6, aber ich habe schon mal für sie gedeckt, das muss alles ordentlich geplant und ausprobiert werden, denn der Tisch ist klein und das Geschirr ist gross - so sieht das dann aus, biegen muss sich der Tisch, wie man das in Bayern mag - hier in Bayern hält man so gar nichts von den leeren Tischen der nüwäl Küsien, hier gilt der alte Spruch: Wer ko, der ko.



Genauer gesagt, es gilt als Zeichen der Unhöflichkeit, Gäste unter den eigenen Möglichkeiten zu bewirten. Dabei achtet man allerdings in meiner Generation auf eine gewisse Balance; man versucht nicht, wie unsere Mütter das zwischen Kachelöfen und Butzenscheibenimitat betreiben, die anderen durch immer neue, immer prächtigere Gedecke zu beschämen. Da könnte ich Geschichten erzählen, aus dem grossen Probierlweger Rosenthalkrieg Anno 93... schreckliche Zeiten, damals, es ging nur zu Ende, weil die Beteiligten alle irgendwann keinen Platz mehr hatten, sie sind förmlich an ihren Waffen erstickt, und heute ist das ein kalter Krieg, ausgetragen vor den übervollen, extra für 24er Service angeschafften Vitrinen.

Aber es könnte jederzeit wieder losgehen, und erste Anzeichen sind schon da; es wird wohl diesmal auf dem Schlachtfeld des Tafelsilbers ausgetragen. Ja, gut, das ist meine Schuld gewesen, mein Berlinaufenthalt hat die Gewichte in meiner Heimat so verschoben wie die Endeckung des Silberbergs von Potosi zugunsten der Spanier im 16. Jahrhundert. Und das setzt sich gerade endemisch fort; justament gibt es sicher irgendeine Dame der hiesigen Gesellschaft, die ihre verlotterte Tochter in Berlin auf die Flohmärkte scheucht, um mit dem Porcamadonna-Clan gleichzuziehen.

Wie auch immer: Ich finde das lang-wei-lig, die immer gleichen, passenden Strecken Goldrand und Augsburger Faden, klassisch, uniform, fast schon faschistoid, dieser sklavische Zwang, dass alles identisch sein muss. Nebenbei gesagt ist das auch grauenvoll ahistorisch; die vorbürgerlichen Zeiten, denen von den hiesigen Bauern-, Handwerker- und Grattlernachfahren nachgeeifert wird, waren geprägt von einem grossen Durcheinander. Aber für diese Erkenntnis müssten die Spiesser hier sich wirklich mal die Prunkstilleben in der Alten Pinakothek anschauen, und nicht nur am Samstag von Velasquez zu Böcklin rennen, bevor es nach Nymphenburg zum Nippesshoppen geht, oh, schau mal Georg, dieser entzückende Porzellanmops, das wäre doch was für unsere Tochter, oder sollen wir ihr ein paar Serviettenringe mit Blümchen kaufen?

Ich schweife ab, pardon, jedenfalls ist hier alles durcheinander. Ich könnte auch anders, ich habe auch diese riesigen Geschirrsätze, aber ich pfeife drauf, ich nehme die Teller und grossen Platten, die mir mal eine Enkelin eines hiesigen Brauereibesitzers geschenkt hat -nemas des, Herr Porcamadonna, i hob koan Platz mea dofia, do feit scho wos - böhmische Gläser, portugiesische Karaffen - die auch ihre ganz eigene Geschichte haben - eigenes Familiensilber und Berliner Trouvaillen als Besteck gemischt, leichtes für die Vorspeise, schweres für den Hauptgang und Zweizacke zum Aufspiessen der Trauben, gelegt in mexikanische Schalen, dazu ein zarter Art-Deco-Brotkorb, ein englischer Leuchter und schwere Vorlegegabeln von Christofle und das alles auf Leinen aus der Zeit um 1860, und einem Lärchentisch, der 30 Jahre auf einem Balkon stand und davor 60 Jahre in einer Schneiderei... alles hat hier seine Geschichten

So lebt man also in der Provinz. Zumindest bei mir. Es gibt noch ein paar Besonderheiten; ich lege nur das Besteck für den ersten Gang "richtig" hin. Das erleichtert es den Gästen, sich durch das verschiedenartige Besteck zu wühlen. Es gibt nichts widerlicheres als die alten Weiber in der Vorstadt, die extra prächtig decken und sich vor empörter Geilheit gar nicht mehr einkriegen, wenn jemand einen Fehler macht; sei es nun, dass er zum falschen Löffel greift, das Brot mit dem Messer schneidet oder es wagen sollte, jedes Stück, das dort liegt, wirklich zu benutzen. Dann ist das beglückte Getratsche gross, nichts ist schöner als das Runtermachen, und die Dame des Hauses verbreitet, dass der Gast auf der Brennsuppe dahergeschwommen sein muss. Und sie denkt, dass sie ihm in Zukunft vielleicht doch besser silberne Untersetzer unter das Weinglas stellt, man weiss bei solchen Leuten ja nie, ob die nicht alles versauen...

Und das alles von einem dummen Gschleaf, das nicht kapiert, dass seine runden, kurzzinkigen, angeblichen Kuchengabeln eigentlich für Austern gedacht sind. So ist das bei uns in der Provinz. Kein Wunder, wenn man sich hier eigene Sitten erfindet, deren oberster Leitsatz heisst: Anything goes. Solange es nicht von Ikea und Muttern ist (meine Frau Mama ausgeschlossen).

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Real Life 14.06.05 - Auf der Dachterasse

Er ist sehr früh aufgestanden, irgendwo im Norden der Republik, hat das Werkzeug zusammengesucht, in einen Karton gepackt, und ist losgefahren. Stunde um Stunde, in Richtung Süden, bis er dann durch die verwinkelten Strassen der Altstadt beim Wohnheim seiner Tochter ankam. Er hat die überteuerten Parktarife geschluckt, die Kiste ausgepackt, und ist dann hoch zu ihr, wahrscheinlich ohne zu bemerken, dass auf der Dachterasse hoch über ihm ein junger Mann an einem Laptop etwas schreibt. Wenn man zu früh aufsteht, hat man keinen Blick für Details übrig, und die kommenden Aufgaben verleiten auch nicht gerade dazu, genussvoll den Reiz der umgebenden manieristischen Baukunst in sich aufzunehmen.

Er klingelt, und heraus kommt eine typische Elitesse, seine Tochter. Sie hat ihr schnurloses Telefon dabei, und eine Schachtel Zigaretten. Er geht hinein, und als er eine viertel Stunde später wieder herauskommt, redet sie schon etwas länger mit einer Freundin, denn es geht um das Studium und das ewige, nervtötende Lernen. Er hat sich umgezogen, Arbeitskleidung, kurze Hose und offenes Hemd. Und er fragt sie etwas, was sie mit einem ungenauen Deuten in Richtung Wohnungstür quittiert. Er verschwindet, kommt gleich wieder, sie folgt ihm kurz und ist gleich wieder da, um eine zu rauchen und wieder jemanden anzurufen. Inzwischen räumt ihr Vater ihr Bad leer und schichtet den Inhalt, Handtücher, etwas saubere und einen grossen Haufen zusammengeknüllter Wäsche auf die Balustrade. Als er auch noch die Kosmetika bringt, greift sie ein und dirigiert ihn zu einem Ort, wo die Fläschchen sicher stehen.

Er verschwindet, sie telefoniert und raucht etwas. Sie steht gelangweilt an der Balustrade, neigt sich etwas über den Hof, eine dünne, elegant geschwungene Linie, blond und nach den Massstäben der Plastic-Techno-Clips von MTV und Viva sehr gut, idealtypisch aussehend, in weiss, pastellorange und dazwischen solariumsbraun um den Bauchnabel. Sie ist nicht wirklich begeistert über den Ablauf dieses Vormittags, aber vermutlich muss das jetzt einfach sein. Es ist wohl auch mehr als das Bad, denn ihr Vater schleppt Teile der Einrichtung heraus, stellt ab und zu eine Frage, die sie meist mit einem Achselzucken beantwortet. Da drin muss es einige Probleme geben.

Nach zwei Stunden hat sie keine Fluppen mehr und geht, um sich neue zu beschaffen. Ihr Vater kommt kurz darauf heraus, schaut sich um, sieht sie nicht. Auch aus 20 Meter Entfernung ist dem Mann am Laptop auf der Dachterasse klar, dass er innerlich erregt ist. Er hat immer alles bezahlt, die riesige Garderobe, das Pferd, die Friseurtermine und die Unmenge an Kosmetika, die Schuhe, die jetzt auf einem Haufen im Gang liegen, das Telefon und die Fluppen, dieses Luxusstudium und das gesamte Styling, das sie hier braucht, um für die Assessment Center ansprechend zu wirken. Als er sie zur Aufnahmeprüfung gebracht hat, dachte er vielleicht an den glanzvollen Weihnachtsball der Elite-Uni.

Er hat ganz sicher nicht erwartet, dass er nach zwei Stunden Dreckschippen im morastigen, runtergekommenen Wohnloch seiner Tochter auch noch auf diese blöde Kuh warten muss. Wahrscheinlich dämmert es ihm gerade, dass er ein paar grundlegende Fehler in der Erziehung dieses unterernährten Luxusmädchens gemacht hat, aber jetzt ist es zu spät, neu zu beginnen.

Dann sieht er sie die offene Treppe hochkommen, und will wissen, wo sie war. Sie ist von den lauten Tönen sichtlich genervt, und als sie bei ihm ist, hebt ein kurzer, bissiger Streit an, leise und dennoch intensiv, in etwa so, wie sie später mal als angehenden HR-Zicke ihre Untergebenen abkanzeln wird. Er verschwindet wieder in der Wohnung, sie raucht noch eine, bis der Ruf "Jetzt komm endlich!" so laut aus der Wohnung dringt, dass es auch der Mann auf der Dachterasse in der Hektik seines Aufbruchs versteht.

Denn im Westen hat sich vor dem Wohnheim eine imposante, dunkle Wolke aufgebaut; eines dieser barocken Ungetüme, in das auf den Kirchengemälden dieser Region bevorzugt Luzifer, Dämonen, Sünder und Ungläubige gestürzt werden. Der Mann auf der Dachterasse weiss, dass es nur noch wenige Minuten dauern wird, bis dichter, kurzer, apokalyptischer Regen hernierderprasselt, die warme Luft kühlend und reinigend, gut für die Pflanzen, aber schlecht für den Laptop. Und erst, als er mit frischem Tee an seinem Bureau Plat sitzt, die Beine behaglich auf dem kaukasischen Teppich ausgestreckt, überlegt er, wie es jetzt auf den 18 verdreckten Quadratmetern da unten gerade zugehen mag. Vielleicht raucht sie am leicht offenen Fenster und bekommt ein paar Tropfen ab, während er unter dem Waschbecken an einer nicht passenden Zange verzweifelt. Und die richtige Zange ist weit, weit im Norden der Republik.

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