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Montag, 13. Juni 2005
Stell dir vor
du bist hellwach und trotzdem in einem Bild von Spitzweg, beschaulichstes, schlimmstes Biedermeier.
Stell dir vor, du bist gerade durch ein besseres Viertel gefahren, wo sich Bankdirektoren, Hofapotheker und Medizinalräte schon lange nicht mehr um das Unkraut auf den Wegen und die wuchernden Hecken kümmern, wo die Katzen auf der Strasse schlafen und man um sie einen Bogen fährt. Stell dir vor, die Frau da vorne in der Wiese ist eine alte Freundin, und sie erzählt dir, dass sie schon vor 10 Jahren einen alten Freund geheiratet hat, mit dem sie schon in der Schule zusammen war, und immer noch da vorne wohnt. Stell dir vor, die Luft ist mild, ein leichter Wind streichelt über die Gräser, und sie reicht dir zum Abschied zart die Hand.
Das müsste jetzt noch jemand mit Könnerschaft malen, dann würde es auch einen Platz in der alten Pinakothek in München bekommen. Und als Postkarte tausendfach gedruckt werden, und Mädchen, die Evelyn oder Ann-Sophie heissen, würden es sie an ihre männlichen Bekannten verschicken, die versprochen haben, sie nur platonisch zu lieben. Es grüsst Dich von ganzem Herzen, Deine Evelyn, würde dann am Ende stehen.
P.S.: Schöne Grüsse an Deine liebe Mutter.
Stell dir vor, du bist gerade durch ein besseres Viertel gefahren, wo sich Bankdirektoren, Hofapotheker und Medizinalräte schon lange nicht mehr um das Unkraut auf den Wegen und die wuchernden Hecken kümmern, wo die Katzen auf der Strasse schlafen und man um sie einen Bogen fährt. Stell dir vor, die Frau da vorne in der Wiese ist eine alte Freundin, und sie erzählt dir, dass sie schon vor 10 Jahren einen alten Freund geheiratet hat, mit dem sie schon in der Schule zusammen war, und immer noch da vorne wohnt. Stell dir vor, die Luft ist mild, ein leichter Wind streichelt über die Gräser, und sie reicht dir zum Abschied zart die Hand.
Das müsste jetzt noch jemand mit Könnerschaft malen, dann würde es auch einen Platz in der alten Pinakothek in München bekommen. Und als Postkarte tausendfach gedruckt werden, und Mädchen, die Evelyn oder Ann-Sophie heissen, würden es sie an ihre männlichen Bekannten verschicken, die versprochen haben, sie nur platonisch zu lieben. Es grüsst Dich von ganzem Herzen, Deine Evelyn, würde dann am Ende stehen.
P.S.: Schöne Grüsse an Deine liebe Mutter.
donalphons, 21:24h
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Real Life 12.06.05 - Matinée
Gegenüber von deinem Haus, das früher auch der Gesellschaft Jesu gehörte, hat die Vermessenheit, die Prunksucht, der Weltmachtsanspruch dieser ehrenwerten Gesellschaft eine dauerhaften Manifestation hinterlassen; rosa, weiss, innen bunt und hell, ein Bau, gegen den die hiesigen Hochzeitstorte einer Brauereibesitzerstochter schlicht wirkt. Es drückt eine überschäumende Lebensfreude des Rokoko aus, und man würde überhaupt nicht auf die Idee kommen, dass die Bauherren daneben noch solch Zeitvertreib hatten wie Ketzer verfolgen, Andersdenkende ermorden lassen, protofaschistische Strukturen legitimieren und Hasspredigten schreiben. Nein, das würde niemand erwarten, denn kurz ist die Schandtat, schnell vergisst der Spiesser die Stiefel, die ihn lange knechteten, und ewig währt die Kunst - besonders am Sonntag um 12, zwischen Kirchgang und Schweinsbraten.
Und so pilgert die bessere Gesellschaft der kleinen Provinzstadt von Frühjahr bis Herbst unter dem weissblauen Himmel zu dieser Perle der Baukunst, ausgemalt von keinem geringeren als Cosmas Damian Asam, der hier in zwei Monaten den Sieg der auf Maria zentrierten Heilsvorstellung der Gesellschaft an die Decke pinselte. Da oben ächzen, stöhnen und geifern der Jungfrau - daran herrscht hier kein Zweifel! - die Kontinente zu, liefern ihr freiwillig die Schätze aus, die in der Realität fern dieser Provinz mit dem ein oder anderen Vernichtungskrieg, Völkermord oder Versklavung der Dargestellten erreicht wurde. Oben an der Decke, gemalt dürfen sie nochmal jauchzen, auch wenn die zarten Töchter Asiens fett aufgeqollen mit riesigen Glupschaugen und langen Nasen verunstaltet sind, und der wilde Mann Afrikas so obszön grinst, wie er das sonst nur als rassistischen Niggerstatue in den amerikanischen Südstaaten vor 1968 tat.
Darunter treffen sie dann zusammen, die Vertreter des kunstliebenden Publikums. Es kommen die Herrschaften aus den Kirchengemeinden, die den Besuch der Kathedrale genau so legen, dass sie nach Gottesdienstnickerchen und einer viertel Stunde Geratsche über die neuesten Scheidungsskandälchen der Stadt frühzeitig hier eintreffen und die besten Plätze bekommen. Es folgen in loser Reihe diejenigen, die man nur mit Kunst, Weihnachten, Beerdigungen oder Hochzeiten in die Kirchen bekommt, und natürlich mit dem gesellschaftlichen Anlass, den dieser Moment darstellt. Denn hier, bei dieser dreiviertel Stunde in einer Rokoko-Kirche und feinsinniger Orgelmusik vergangener Seaculi, offenbart sich das Wesen dieser besseren Gesellschaft der kleinen Stadt. Hier ist die Welt so, wie sie sein soll: In Ordnung, und dass die eigene Ordnung hier erkauft wird eine Sonderkonjunktur, durch eine Abspaltung dieser greater Munich Area vom desolaten Rest der Republik, das stört sie nicht, solange nur die sponsornde Stadtsparkasse ihnen jeden Sonntag diese Zeit hier unter Asams Deckengemälde garantiert.
Du nimmst Platz unter ihnen, unter ihren selbstzufriedenen Frauen und blöden Bratzn, die später einmal das alles hier auch als gottgegeben betrachten werden, die totsanierte Altstadt, die pittoresken, innen entkernten Häuser, die brummende Wirtschaft, die gesellschaftlichen Verpflichtungen, ihre eigene Heirat, ihre beschissene Ehe und das absurde Haus in der Vorstadt mit den beiden Autos und der Doppelgarage. Sie werden es nicht anders kennen und nicht wissen wollen, dass ihre Sonderstellung in diesem Land mittelfristig durch die brutale Durchsetzung einer regionalen und asozialen Oligarchie erkauft wird. Hier ist niemand, der nicht auch 20 Euro für eine Karte zahlen könnte, aber das hier ist Kulturförderung, und zahlen werden sie, wenn sie ihre grossen Limousinen zu den Sommerkonzerten in andere Städte der Region bringen, zu den grossen Namen, die man für sie ankarrt, und danach werden sie andere privilegierte Vorstadtmenschen treffen und in der Pause darüber reden, dass der Staat ihnen alles nimmt, da ist es ja kein Wunder, wenn man sein Geld in den grauen Kapitalmarkt trägt.
Du lauscht den feinen Klängen der historisch korrekten Orgel, sie haben hier sogar ein Apfelregister, und für ein paar Minuten spült die Musik die kranken Visionen aus deinem Kopf, aber dann siehst irgendwo die Gesichter von Leuten deiner Peer Group, deiner Klasse, deiner Schicht, alte Bekannte, du siehst ihre dreiste Zufriedenheit mit dem Fortbestand des goldenen Zeitalters und das immer gleiche, aufmerksame Lächeln, mit dem sie in Kulturertragungsstarre verharren, wie die gemalten Gestalten oben an der Decke, und danach werden sie zu den Mitgliedern selbsternannten Kulturführerclans der kleinen Stadt gehen, blassen, seltsam verstockten und überzeugt christlichen Blondinen aus alten Familien der Stadt, mit Lippen wie aus Stahl gefräst, echte Jungfrauen und garantiert mangels Neigung treu, Skandälchen ausgeschlossen, deshalb begehrt, und ein wenig über Musik reden, über Heiraten und das Anbringen weiterer zartrosa Fassaden vor dem Nichts ihrer wirtschaftlich erfolgreichen Existenz. Dann werden in noch die Galerie gegenüber schauen, ob da irgendwas an deutscher Moderne ist, was zum Picasso-Druck passen könnte. Oder weiter zum Verkäufer von Hi End Musikgerätschaften, von denen es hier gleich drei gibt. Oder zur Sparkasse, wegen Immobilienangeboten in der bevorzugten westlichen Vorstadt.
Und so löst sie sich auf, in kleine Gruppen der üblichen Kreise, manche fahren heim zum Sonntagsbraten, andere suchen die Gastwirtschaften auf, und du wirst auch angesprochen, niemand muss hier allein bleiben, wenn er den richtigen Namen und die richtige Geschichte hat. Denn diese Woche wird der schwarze Sheriff kommen, der zukünftige Landesvater, und den alten Stadthausbesitzern, einen Pakt anbieten. Also auch dir, du musst da natürlich kommen, denn dein wird sein der Jesuitenpalast nebenan, du bist einer der wenigen, die wieder zurückgekommen sind in die dicken Mauern ihrer Vorfahren, dich wollen sie dem zukünftigen Landesvater präsentieren - und du sagst zu, denn nach dieser Woche hier bist du genau in der richtigen Stimmung, um dem Kerl mal zu sagen, was du von der verfickten Kaputtmacherei der Altstadt durch seine Lederhosen-Musikantenstadl-Traditionsbewahrer und ihren Shopping Malls a la Berlinaise auf der grünen Wiese hältst.
Und so pilgert die bessere Gesellschaft der kleinen Provinzstadt von Frühjahr bis Herbst unter dem weissblauen Himmel zu dieser Perle der Baukunst, ausgemalt von keinem geringeren als Cosmas Damian Asam, der hier in zwei Monaten den Sieg der auf Maria zentrierten Heilsvorstellung der Gesellschaft an die Decke pinselte. Da oben ächzen, stöhnen und geifern der Jungfrau - daran herrscht hier kein Zweifel! - die Kontinente zu, liefern ihr freiwillig die Schätze aus, die in der Realität fern dieser Provinz mit dem ein oder anderen Vernichtungskrieg, Völkermord oder Versklavung der Dargestellten erreicht wurde. Oben an der Decke, gemalt dürfen sie nochmal jauchzen, auch wenn die zarten Töchter Asiens fett aufgeqollen mit riesigen Glupschaugen und langen Nasen verunstaltet sind, und der wilde Mann Afrikas so obszön grinst, wie er das sonst nur als rassistischen Niggerstatue in den amerikanischen Südstaaten vor 1968 tat.
Darunter treffen sie dann zusammen, die Vertreter des kunstliebenden Publikums. Es kommen die Herrschaften aus den Kirchengemeinden, die den Besuch der Kathedrale genau so legen, dass sie nach Gottesdienstnickerchen und einer viertel Stunde Geratsche über die neuesten Scheidungsskandälchen der Stadt frühzeitig hier eintreffen und die besten Plätze bekommen. Es folgen in loser Reihe diejenigen, die man nur mit Kunst, Weihnachten, Beerdigungen oder Hochzeiten in die Kirchen bekommt, und natürlich mit dem gesellschaftlichen Anlass, den dieser Moment darstellt. Denn hier, bei dieser dreiviertel Stunde in einer Rokoko-Kirche und feinsinniger Orgelmusik vergangener Seaculi, offenbart sich das Wesen dieser besseren Gesellschaft der kleinen Stadt. Hier ist die Welt so, wie sie sein soll: In Ordnung, und dass die eigene Ordnung hier erkauft wird eine Sonderkonjunktur, durch eine Abspaltung dieser greater Munich Area vom desolaten Rest der Republik, das stört sie nicht, solange nur die sponsornde Stadtsparkasse ihnen jeden Sonntag diese Zeit hier unter Asams Deckengemälde garantiert.
Du nimmst Platz unter ihnen, unter ihren selbstzufriedenen Frauen und blöden Bratzn, die später einmal das alles hier auch als gottgegeben betrachten werden, die totsanierte Altstadt, die pittoresken, innen entkernten Häuser, die brummende Wirtschaft, die gesellschaftlichen Verpflichtungen, ihre eigene Heirat, ihre beschissene Ehe und das absurde Haus in der Vorstadt mit den beiden Autos und der Doppelgarage. Sie werden es nicht anders kennen und nicht wissen wollen, dass ihre Sonderstellung in diesem Land mittelfristig durch die brutale Durchsetzung einer regionalen und asozialen Oligarchie erkauft wird. Hier ist niemand, der nicht auch 20 Euro für eine Karte zahlen könnte, aber das hier ist Kulturförderung, und zahlen werden sie, wenn sie ihre grossen Limousinen zu den Sommerkonzerten in andere Städte der Region bringen, zu den grossen Namen, die man für sie ankarrt, und danach werden sie andere privilegierte Vorstadtmenschen treffen und in der Pause darüber reden, dass der Staat ihnen alles nimmt, da ist es ja kein Wunder, wenn man sein Geld in den grauen Kapitalmarkt trägt.
Du lauscht den feinen Klängen der historisch korrekten Orgel, sie haben hier sogar ein Apfelregister, und für ein paar Minuten spült die Musik die kranken Visionen aus deinem Kopf, aber dann siehst irgendwo die Gesichter von Leuten deiner Peer Group, deiner Klasse, deiner Schicht, alte Bekannte, du siehst ihre dreiste Zufriedenheit mit dem Fortbestand des goldenen Zeitalters und das immer gleiche, aufmerksame Lächeln, mit dem sie in Kulturertragungsstarre verharren, wie die gemalten Gestalten oben an der Decke, und danach werden sie zu den Mitgliedern selbsternannten Kulturführerclans der kleinen Stadt gehen, blassen, seltsam verstockten und überzeugt christlichen Blondinen aus alten Familien der Stadt, mit Lippen wie aus Stahl gefräst, echte Jungfrauen und garantiert mangels Neigung treu, Skandälchen ausgeschlossen, deshalb begehrt, und ein wenig über Musik reden, über Heiraten und das Anbringen weiterer zartrosa Fassaden vor dem Nichts ihrer wirtschaftlich erfolgreichen Existenz. Dann werden in noch die Galerie gegenüber schauen, ob da irgendwas an deutscher Moderne ist, was zum Picasso-Druck passen könnte. Oder weiter zum Verkäufer von Hi End Musikgerätschaften, von denen es hier gleich drei gibt. Oder zur Sparkasse, wegen Immobilienangeboten in der bevorzugten westlichen Vorstadt.
Und so löst sie sich auf, in kleine Gruppen der üblichen Kreise, manche fahren heim zum Sonntagsbraten, andere suchen die Gastwirtschaften auf, und du wirst auch angesprochen, niemand muss hier allein bleiben, wenn er den richtigen Namen und die richtige Geschichte hat. Denn diese Woche wird der schwarze Sheriff kommen, der zukünftige Landesvater, und den alten Stadthausbesitzern, einen Pakt anbieten. Also auch dir, du musst da natürlich kommen, denn dein wird sein der Jesuitenpalast nebenan, du bist einer der wenigen, die wieder zurückgekommen sind in die dicken Mauern ihrer Vorfahren, dich wollen sie dem zukünftigen Landesvater präsentieren - und du sagst zu, denn nach dieser Woche hier bist du genau in der richtigen Stimmung, um dem Kerl mal zu sagen, was du von der verfickten Kaputtmacherei der Altstadt durch seine Lederhosen-Musikantenstadl-Traditionsbewahrer und ihren Shopping Malls a la Berlinaise auf der grünen Wiese hältst.
donalphons, 20:19h
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