: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 11. September 2005

Real Life 11.09.05 - offene Denkmäler

(Seitdem ich Berlin in Ruhe lasse und nur noch über Bayern herziehe, findet sich kein Preusse mehr, der dagegen interveniert. Selektive Wahrnehmung ist wohl das mindeste, was ich Lesern aus dem Norden der Republik da unterstellen muss. Deshalb wenigstens einmal ein netter Text über meine Heimat)

Es ist nicht ganz uneigennützig. Offen sind vor allem Häuser, die gerade saniert und als Wohnungen verkauft werden. Davon gibt es in der Stadt einige; vom späten Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert, vom niedrigen Bauernhaus bis zum Bürgerhaus. Aber anschauen kostet nichts, so schnell kommt man dann nicht mehr hinein, also kommen die besseren Leuten mitsamt Kindern und quälen sich alte, verschachtelte Treppen hoch, hinein in die kleinen Kammern der alten, bald wieder in neuem Glanz erstrahlenden Gebäude.

Mitunter fragt jemand nach Preisen und Kosten. Wenn man so ein altes Gebäude macht, sind die Kosten hoch, aber die Preise machen es rentabel. Schliesslich ist die Altstadt die kommende Wohnlage, sagt eine Frau in einem halbfertigen Bad, und du gibst ihr Recht. Sie hat die Wohnung schon jetzt für ihre Tochter gekauft, die mit Laptop und Digicam den Auftrieb in ihrem neuen Zuhause dokumentiert. Sie ist stolz auf die 50 Quadratmeter Altstadt. Du beglückwünscht sie, lobst die Wohnung, und sie sagt, dass nun leider schon alles weg ist, die Dachwohnung wurde heute morgen verkauft. Du lässt vorsichtig einfliessen, dass Du schon über 40 Zimmer in der Altstadt hast, sprich, einen der wenigen Stadtpaläste in Familienbesitz, und sie sagt, dass du ja dann Millionär bist, was so nicht stimmt. Schliesslich kann man von einem Stadtpalast nicht abbeissen, und verkaufen käme nie in Frage.



Während unten die Massen über die Balkone pilgern, verschweigst du Mutter und Tochter all die Schattenseiten: Die maroden Leitungen, den Arbeitsaufwand, das alles am Laufen zu halten, den Ärger mit der Elektrik, und was es bedeutet, wenn man eine Wohnung gestrichen hat und am nächsten Tag die gesamte Farbe abgeblättert ist, weil die Grundierung auf Leimbasis war. Und du sagst ihnen auch nichts über die kommenden Frustrationen, wenn sie über diese schmalen Treppen nur die Hälfte der Möbel nach oben bekommen. Du erzählst ihnen, wie das ist, wenn man endlich alles beisammen hat. Und dann fällt Frau Mama auch ein, wer du bist - der junge Porcamadonna mit dem Buch - und du gehst in dem Wissen weiter, dass sie sicher nichts dagegen hätte, wenn ihre Tochter mal auf die Idee käme, dich zu heiraten. Weil so ein Hausbesitzer, der ist schon was.

Draussen drängeln sich schon wieder die nächsten Clans, alle sauber angezogen und ziemlich komplett, und es ist mehr als nur Neugier, as sie hierher treibt. Sie wollen sehen, was man aus diesen alten Häusern machen kann, die lange Jahre vor sich hin rotteten und jetzt wieder in grün für Handwerkerhäuser, rosa für die bessere Gesellschaft und gelb-weiss für Adel und Kirche wiedererstehen. Sie sehen den Glanz der alten Epochen, sie erleben den Stolz der Besitzer, und die Begeisterung, aus alten Kaluppen wieder Schmuckstücke für dieses altbayerische Schatzkästchen zu machen. Die Bauherren, die du triffst, haben noch so viel Leid und Mühe vor sich, du sprichst ihnen Mut zu, und einer, der im Trachtenanzug an der Tür seines Hauses die Besucher empfängt, hat wirklich bei allen politischen und weltanschaulichen Differenzen deinen Respekt verdient:



Denn eigentlich ist so ein spätgotischer Dachstuhl rettungslos verloren. Hier rächt sich die Klassengesellschaft der Mittelalters: Wann immer Baumaterialien in die Stadt kamen, mussten sie zuerst den Vertretern des Herrscherhauses, dann den Kircheninstitutionen, den Adligen, danach den Bürgern und erst zum Schluss den Bauern und Handwerkern angeboten werden. Das heisst, dass das beste Material nur in die Paläste und Kirchen kam; dein Dachstuhl des Jahres 1600 etwa ist heute noch ohne jeden Schaden. Der Dachstuhl hier im Bauernhaus ist dagegen eigentlich ein Fall für den Bauschutt. Nicht mal der Denkmalschutz hätte den Abriss verhindern können.

Aber der neue Besitzer und Architekt hat das nicht eingesehen. Nur die wirklich unrettbaren Teile wurden nachgesägt und ersetzt, der Rest blieb erhalten. Der Mann kämpft um jedes Detail der Geschichte, die Farbschichten werden gesichert und alte Türen wieder eingebaut. Es ist einer dieser Fälle, bei dem sich viele nicht vorstellen können, warum sich jemand das alles antut, den Staub, die Dokumantation, die Debatten mit den Ämtern um jedes Detail. Aber es ist für ihn und auch für dich, der du fast sein Nachbar bist, ein Stück Heimat, das es zu erhalten gilt. Es ist nicht die falsche Jodlertradition dieses Landes, es ist nicht die historische Bedeutung des Palastes, es ist einfach nur der zähe Wille eines Menschen in der Provinz, die ganz normale Geschichte normaler Menschen nicht vor die Hunde gehen zu lassen. Wenn Tradition und Konservativismus immer so wäre - würdest du die dazugehörige Partei wählen.

Ist es aber nicht. Und die Partei lässt jeden dahergelaufenen Bauinvestor die Häuser entkernen, was im Prinzip nichts anderes als ein Abriss hinter einer Restfassade ist. Bleibt nur das Zusammenhalten derer, die um jeden Balken kämpfen. Aber davon gibt es zum Glück noch viele in dieser Stadt. Und dadurch Preise, mit denen das Ganze kein Verlustgeschäft wird. Bayern halt. tradition und Geschäftssinn sind nichts Schlechtes.

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Zensur? Gibt es nicht.

Nur eine "zero access policy". Von wegen First Amandment, uns so. Es hat schon was, wenn ein Nachrichtensender erst mal klagen muss, um frei über eine Katastrophe im eigenen Land berichten zu dürfen. He, Ihr NECONABLOs, sagt doch mal was zu diesem Musterbeispiel freiheitlicher US-Politik.

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