: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Donnerstag, 15. September 2005

2 Jahre nach dem Beginn der Verbannung

Nach langem Stöbern wieder die Mail mit den Details des Jobs gefunden. Heute ist es genau zwei Jahre her. Vor zwei Jahren, am frühen Abend dann, kam der Anruf aus Conneticut mit der Information, dass sie unbedingt jemand brauchen. Nur für kurz, bis sich alles eingerenkt hat. Ob ich das drei Monate lang machen könnte, ab Anfang Januar. Ich sagte ja.

Am Ende wurden eineinhalb Jahre daraus. Eineinhalb Jahre mit zwei Wintern. Ich wusste nicht, was mich erwartete, davor kannte ich eigentlich nur die Kastanienallee mit dem Verlag, unter den Linden von der Arbeit und eine 120-qm-Wohnung in Schöneberg. Auch das kam mir schon alles ziemlich verdreckt und runtergekommen vor. Ich wusste nicht, dass die Castingallee ein Laufsteg war, für meinen Geschmack war es eher ein Drogenstrich. Den entdeckte ich dann erst ein paar Monate später, eher zufällig, gut, der war dann noch etwas schlimmer.

Es hat sich seitdem nichts zum Besseren verändert. Noch immer wollen die Menschen dort hinh, weil es angeblich besser und frei ist. Wie mir die kleine japanische Prinzessin aus dem ersten Stock gestern erzählte, kennt man sogar in Japan diesen Szenebezirk Mitte. Und sie will da auch mal hin. Ich weiss nicht, ob es ihr gefallen wird. Ich weiss nur, dass mir zu Berlin immer erst die Kälte einfällt, die unfreundlichen Menschen, die Verwahllosung und der totale Verlust der Bürgerlichkeit. Ich glaube, das Gerede vom Frust der Deutschen ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass sich die dafür verantwortlich Johurnaille, zuerst Gabor Steingart vom Spiegel, in dieser Stadt arbeitet, umgeben von zweihundet Kilometern in alle Richtungen, wo nichts besser wird. Sie schreiben ein Spiegelbild ihrer eigenen Seele.



Ich habe beim Suchen auch eine alte CF-Karte gefunden, mit hundert Bildern aus dem Winter 2003/4. Alles ist trostlos, leer, bar jeder Urbanität, ungepflegt und ohne jeden Sinn für Schönheit. Manchmal, wenn ein Wintersturm die Adria gepeitscht hat und in einem Ast verfangen, ein grosser Klumpen Müll den ansonsten weissen Strand verunstaltet, mit Zivilisationdreck in schreiend bunten Farben und klebrigem Teer, einem toten Fisch vielleicht und den Insekten - das ist dieser Slum an der Spree. Das ist das Wesen, der Geruch, die Substanz an der Stelle, wo andernorts vielleicht so etwas wie Seele ist.

Ich denke darüber nach, weil hier in Bayern gerade die Schule beginnt, und mir auf dem Weg zum Bäcker so viele Bekannt mit ihren Kindern begegnen, die sicher auch hier später mal lebendig in den Vorstädten begraben sein werden. Ich höre ihre Voreingenommenheit für alle anderen Lebensentwürfe, ihre absurden Ansprüche ans Dasein, ihre Zufriedenheit in der Stagnation der Verhältnisse, und ihrem Wunsch, dass alles andere bitte draussen bleiben muss. Ich sehe das Mädchen vom ersten Stock, die nach drei Tagen jede Strasse der Altstadt kennt und sicher nicht damit klarkommen wird, dass das hier schon alles ist. Sie schaut sich unten gerade auf dem geborgten Thinkpad meine alte Dirt Picture Collection an. Vermutlich wird sie mich nachher fragen, wie man am besten dort hin kommt.

Keine Stadt ist nur böse, verseucht und schlecht. Manches davon ist an anderen Orten kaum denkbar, man kann es trotz des Transitcharakters der Stadt nicht verpflanzen oder mitnehmen, weil es immateriell ist. Es wird hier nie einen Johnny geben, den man anrufen kann und sagen, lass uns eine Bloglesung machen, und danach kramt man sich aus dem Überangebot der Autoren die allerbesten raus. Aber für das alles zahlt man einen hohen Preis, wenn es erst mal Winter wird in Berlin. Vielleicht ist es leichter, wenn man nicht genau hinschaut auf das Elend und die Sinnlosigkeit an den Ufern des trägen Flusses, in den zerborstenen Strassen, unter dem Rattern der Hochbahnen.

Aber da sind 100 Bilder, und bei jedem sage ich Nein. Es war kein Fehler, dort hin zu gehen, aber es war sicher richtig, nicht dort zu bleiben. Und die Berliner Leser sind ja mitgekommen, nach Bayern. Auch eine Art Flucht.

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Rot-Grüne Subversion auf bayerischem Wochenmarkt

Sogar hier ist die amtierende Regierung aller Bemühungen der anderen Seite und ihrer erbärmlichen Büchsenspanner in den Medien zum Trotz auf dem heimlichen Vormarsch.



Schon Lenin und Ho Tschi Min wussten, dass Bauern und Kleinbürger ganz tief drin eigentlich auf ihrer Seite sind ;-)

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Kann sein,

dass da draussen jetzt ein paar Leute drauf warten, dass ich als im Spiegel verlinkter Blogger auch noch was zu Patalongs Artikel sage. Mache ich nicht. Das Thema, der Beitrag ist irrelevant.

Was ich aber sage, Freunde, Johnny, Ix und noch ein paar andere: Alle Blogwelt schreit Trara, wenn jemand von aussen über uns schreibt. Dann ist grosses Bohei. Obwohl wir alle wissen, dass für die das Thema Blogs genauso hingeschluderter Bullshit ist wie alles andere, worüber sie selbst ihren eigenen Bullshit absondern. In solchen Momenten fällt die ganze eigenständige Blogosphäre auf den Macht- und Deutungsanspruch irgendwelcher unrasierter, schlecht angezogener Zeilengeldlutscher rein.

Mal ehrlich: HABEN WIR DAS NÖTIG?

Wir sehen doch auch beim aktuellen Artikel, dass die letztlich nur wiederkäuen. Entweder, sie klauben sich das Zeug aus anderen Blogs zusammen und schnitzen es, wie sie es gerade brauchen und es in den beitrag passt, wie Patalong das macht. Oder sie machen Restmüllverwertung ihrer zwei Dutzend Interviews mit Freunden und überbacken das mit ihrer Social-Software-Grütze, wie der Sixtus das macht. Keiner von denen kam je auf den Gedanken, das, was wir tun, was wir entstehen lassen, als

KULTUR

aufzufassen. Aber genau das ist es. Nicht mehr, nicht weniger. Eine Kultur, die zehntausende jeden Tag aufs neue fesselt, unterhält, erfreut, bewegt. Hey, das ist GROSS. Das alles machen wir selbst, nicht die mit ihrer jahrhundertealten Monopolstellung. Das ist unsere Stunde Null, und sie haben Angst, dass es die erste Minute ihrer letzten Stunde ist. Deshalb gehen sie nicht auf die Kultur. Weil es das ist, was ihnen Angst macht. Eine lebendige Kultur, die sich fundamental von anderen Kulturen, wie etwa dem Journalismus oder der Literatur unterscheidet, wegen einer gewissen Ähnlichkeit aber von beiden Seiten falsch angefasst wird.

Und solange wir denen bei jeder Absonderung nachhecheln und rummosern und es gern anders hätten, fummeln wir an den Details rum. An IHREN Details, nicht an dem, was für uns wichtig ist. Wir geben denen dadurch die Definitionshoheit am Grossen und Ganzen. Sie sind die Karawane, wir sind die bellenden Hunde.

Wölfe werden wir nur dann sein, wenn wir sie nicht mehr ankläffen. Sondern unseren eigenen Weg gehen, und unsere eigenen Themen und Gedanken in unserem ureigenen kulturellen Komplex verwirklichen. Redet doch mal über das Bloggen. Einfach so. Tu ich ja auch. Es gibt keinen Grund, das zu verstecken. Es gibt keinen Grund nicht jeden Morgen zu sagen, dass Bloggen eine grossartige Sache ist. Oder die notwendigen Denkanstösse selbst zu geben, indem man provoziert. Es ist nicht "Wir gegen die", es ist "Machen wir es selbst". Dadurch, und nur dadurch, und durch die Nichtachtung der Schmierbuben und das Nichtrespektieren ihrer Ansprüche, können wir unseren Weg selbst bestimmen.

Die anderen kommen dann schon nachgedackelt. Weil sie keine Karawane sind, sondern nur ein paar verlauste Redaktionspudel. Ich mein, schaut Euch doch mal die Blog-Knalltüten von Zeit, Stern, Tagesspiegel und SZ an. Sie haben nicht die Eier. Sie können es nicht. Sie wissen nichts von unserer Kultur. Wir schon. Weil wir sie jeden Tag, wenn wir die Eingabemaske aufmachen, neu erschaffen.

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