: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Samstag, 14. April 2007

Akulturell

Oder Warum ich froh bin, nicht gefahren zu sein. Rückblickend: Ich habe jetzt einiges zur Re:Publica gelesen und auch gehört. Wie allgemein bekannt war, war ich als Redner eingeladen, habe erst zugesagt, dann - nach durchaus langem Überlegen und nicht wirklich Lob von Organisatorenseite - abgesagt. Nicht wegen Adical, nicht wegen Spreeblick, und auch nur partiell wegen des Blicks auf die Teilnehmerliste, bei dem sich viel von dem findet, was ich als käuflichen Abschaum bezeichnen würde.

Inzwischen weiss ich, dass es die richtige Entscheidung war. Ich habe instinktiv zugesagt, weil ich mit Johnny - den ich dazu beschwatzt hatte - im September 2005 am ZKM den Blogspass meines Lebens hatte. Hey, das war hochgradig kontrovers, da brannte die Luft im Saal, das hat man im ZKM nicht oft gesehen, und ich freue mich darauf, dort im September wieder aufzutreten. Nein, es hat vielen nicht gefallen. Es war damals auch nur Zufall, weil mein Mikro nicht ging und ich aus dem Stegreif loslegen musste, da sagte ich dann sachen, die nicht im Skript waren. Aber es war ganz sicher nicht langweilig, wir waren in den Augen der Informationselite die schrägen Typen von ganz unten, und wir haben den Laden übernommen und denen gezeigt, wie wir unser Ding machen, und manchmal höre ich, dass andere wegen diesem Tag immer noch das Kotzen bekommen, weil wir da waren.

Die Enttäuschung der Veranstaltung - und der Auslöser für meine Anmerkungen - war der Vortrag von Claus Leggewie, den ich als Autor im Bereich Abwehr gegen Rechtsradikalismus kannte. Ich hatte ziemlich hohe Erwartungen, und die wurden von Leggewie in den Boden gerammt. Was für ein abgehobenes Geseier, der Mann hat keine Ahnung von Blogs, will aber damit einen Elitendiskurs mit Einfluss und überhaupt Hierarchien, geht´s noch? Und keiner im Saal hatte die Eier, dem Mann zu sagen, dass er weder Peil noch das Können hat, das umzusetzen. Da stand dieser Typ also rum, bekrochen von ein paar feigen Schülern, und der Rest hielt die Schnauze. Wie gesagt: Gerade bei einem Leggewie hätte ich das Gegenteil erwartet. Ich war höllisch geladen dann begann ich zu sprechen, dann kam Johnny, und danach redete keiner mehr über Leggewie.

In Berlin wäre ich vorne gekommen, zum Thema "Etikette". Was immer ich gesagt hätte, ich hätte es gebrochen, wenn ich am Tag darauf einen Vetreter des Gossengewerbes der Werbung in Bezug auf Blogs hätte sagen hören, dass Werbung eine Kultur sei, die Kultur ermöglicht. Ich kenne diesen Kulturbegriff, er macht uns Historikern immer Probleme, wenn das zu besprechende Phänomen nicht wirklich nett ist. Ohne jede Frage hat die Kultur der italienischen Faschisten die Kultur des Futurismus in der Architektur ermöglicht. Wir reden auch von einer Kultur im Konzentrationslager, wenn wir über die Erfahrungsberichte der Überlebenden reden - wollen wir mal über die Kultur reden, die das ermöglicht hat? Und ist es nicht die Kultur der Werbung, die der Bildzeitung ihre Millionengewinne erlaubt?

Es gibt da zwei Möglichkeiten. Entweder die Kulturdefinition des Historikers, der durch den zeitlichen Abstand Kultur wertneutral auffasst. Dann ist es aber die Aufgabe des Historikers herauszuarbeiten, dass Kultur in ihrer ganzen Spannbreite und Widerprüchlichkeit dargestellt wird. Renaissance ist Brunelleschis Kuppel in Florenz und gleichzeitig der Mord an Savonarola in ihrem Schatten. Reformation ist Rebellion gegen eine korrupte Kirche genauso wie die Unterstützung der Fürsten bei den Massakern während der Bauernaufstände. Kurz: Kultur ist nichts als ein Begriff, der die Gesamtheit einer Epoche umschreibt. Oder aber: Man wertet "Kultur" als positiv. Das ist stets der gefährliche Weg, denn er zwingt dazu, zu beweisen, dass der Weg tatsächlich gut ist. Wovon die Reichsschrifttumskammer ebenso überzeugt war wie Stalin, als er jüdische, "kosmopolitische" Schriftsteller zur Hinrichtung bringen liess - alles weitere steht in seinen Linguistikbriefen. Es kann nicht schaden, die mal zu lesen, danach ist man beim Wort "Kultur" mehr als vorsichtig.

Schaut man sich die Geschichte der Werbung beginnend bei der ersten erhaltenen schriftlichen Aufzeichnung an, kennt man schnell deren Geschwister: Indokrination, Propaganda, Lüge. Nicht umsonst hat Werbung einen beschissenen Ruf und ihre Macher damit. Die Momente, in denen Brecht und Tucholsky sich für Auto- und Politikwerbung hergaben, sind die Tiefpunkte ihrer Karriere. Es gibt Kulturphänomene, die es nie schaffen werden, in ihrer Gesamtheit positiv zur jeweiligen Kultur beizutragenm, und neben Mord, Raub, Unterdrückung Andersdenkender und gezielter Verdummung ist die Werbung als deren Propagierung und Verteidigung stets mit dabei. Wir Historiker freuen uns natürlich immer, wenn wir Reste vom Laster finden, vom Phallus als Werbung der Bordelle in Pompei bishin zu den Hetzschriften der Lutheraner, das macht den Job spannender, auch wenn wir dergleichen in unserer Zeit, da wir die Folgen kennen, ablehnen würden.

Und dann kommt also so ein - tschuldigung für das harte Wort - Werber daher, redet Scheisse von "religiöser Ablehnung von Werbung" und unterstellt seinem Anliegen Kultur.

Und keiner geht auf die Bühne, haut ihm, um Villon zu zitieren, das Maul mit schweren Eisenhämmern ein und weist ihn darauf hin, dass Villons Kultur in unserer Zeit die Kultur der plastischen Chirurgie ermöglicht. Wobei Villon selbst im Puff mit der fetten Margot noch immer unfassbar hoch über dem kulturellen Niveau der Leute steht, die das Brot der Schergen der chinesischen Mörder fressen.

Ich mache mir keine Sorge wegen Adical, der Werber wird das gnadenlos in den Graben fahren. Ich mache mir keine Sorgen wegen den beteiligten Blogs; wenn es nicht klappt, müssen sie wieder umsonst schreiben, oder sie verticken sich an Jamba, egal, es gibt hunderttausende anderer Blogs. Ich mache mir keine Sorgen, dass Werbung hier draussen was bringen würde, denn wer so zynisch ist, die Büttel der chinesischen Mörder zu bewerben, und wer Leser hat, denen das am Arsch vorbeigeht - der wird sich auch nicht für eine Marke begeistern. Zyniker sind nun mal keine guten Käufer, das werden die Werbeschalter schon noch lernen.

Aber ich wüsste schon gern, warum von den Leuten da im Saal keiner widerspricht, wenn sowas über die Bühne geht. Da gibt es mehrere Erklärungen dafür, die ich alle gelten lasse, Desintersse, Höflichkeit, Unwissen, Abstumpfung gegenüber Werberphrasen und akultureller Personen oben und unten, kann alles sein. Man kann das auch Blogkultur nennen. Mit zeitlichem Abstand, als Historiker. Aber die Re:Publica ist jetzt gewesen, und auch wenn eine Anzeige wegen Körperverletzung mit einem stumpfen Gegenstand mal was anderes wäre als die übliche langweilige Abmahnung, reicht es mir, unter dem wunderbaren bayerischen Himmel die Nachrichten aus dem Affenkäfig zu lesen, die im Übrigen auch echte Perlen hervorbringen, um mich dann wieder meinem Villon zuzuwenden:

Herr, alle Tiefen, alle Höhen,
Erröten kenn ich, und erblinden.
Ich hab dem Tod ins Aug gesehen.
Mich selbst nur kann ich nicht ergründen.


Edit: Ansonsten hat sich die Re:Publica schon gelohnt - wegen eines solchen Beitrags.

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Bavarian Open

Der Winterspeck muss runter, sagt sich der Eingeborene. So geht es nicht weiter, aber es ist Bayern, da wo die Sonne idealerweise immer scheint, und weil sie das tut, geht der Bayer auch seinem Lieblingssport nach: Extreme Beergardening, und zu diesem Zweck gibt es mitten in der Stadt auch italienisch anmutende Plätze mit von der Öffentlichkeit unterhaltenen Kastanien, auf dass Schatten sei und ein angenehmes Rauschen, wenn der Wind etwas weht.



Kann sein, dass ich mich bald dazugeselle, zu diesen Kugeloptimierern. Denn ein weiteres körperliches Betätigungsfeld könnte sich bald als überflüssig erweisen. Schuld ist natürlich der Besuch, der auf dem Wochenmarkt unbedint Marmelade kaufen musste. Und wie es der teufel haben will, ging die letzte Kirsch-Hollundermarmelade gerade über den Tisch an eine ältere, gebräunte Dame mit Gepardentop und Ausschnitt, der ein klein wenig gross war. Die Verkäuferin vertröstete den Besuch auf Mittwoch, der aber fährt morgen wieder, und so trat die ältere Dame von der Marmelade zurück und nahm eine andere.

Während dieser reizenden Szene bayerischer Gadtfreundlichkeit entdeckte ich ein paar Gläser mit grünem Inhalt. Das ist bei meiner Marmeladenhändlerin etwas neues, also griff ich zu, und sofort war Öl an meinen Fingern. Bärlauch-Pesto mit Mandeln, Knoblauch, Öl und Pfeffer stand auf dem Etikett. Ich leckte - was man in Bayern tun darf - meine Finger ab, undn Hölle: Da hat jemand verstanden, dass man nicht sparen darf mit dem Gewürz. Die Geschichte geht nun so, dass die Händlerin aus einem kleinen Dorf kommt, wo es wiederum eine Frau gibt, die Bärlauch sammelt und dieses Pesto macht, aber da es sich nicht lohnt, deshalb auf den Wochenmarkt zu gehen, gibt sie es der Marmeladenfrau mit.

Während Sossenzubereitung ansonsten eine Geheimwissenschaft mit vielen Zutaten ist, geht das damit ganz einfach: Zwiebeln und zwei Blätter Gewürzlorbeer und Salbei in Butter ansdünsten, eine Tomate kleinschneiden und köcheln, Trüffeltortellini ins Wasser, 2 Minuten vor dem Ende das Pesto in den Sossentopf und 20 Gramm geraspelten Parmegiano Reggiano drüber, fertig:



Gut, wenn man jetzt die Speichertür zur oberen Wohnung aufmacht, riecht es, als würde dort ein offenes Fass mit eingelegtem Knoblauch stehen. Gut, es war wieder mal fast zu viel. Aber das ist die Gaumenfreude, die man isst und isst und isst, und wenn mehr davon da wäre, könnte man sich leicht bis zur inneren Verblutung durchessen. Weil es nicht schwer ist, weil es so gut zum Sommer passt, und weil das Pesto von einer Könnerin gemacht wurde, deren ganzen Haus so riechen muss, dass jeder in 100 Meter Umkreis immer Hiunger hat.

Ich und der Besuch, wir sind entsetzlich satt.

Kommen wir nun zur Torte.

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Bloggers in Residence

Genauso habe ich mir das vorgestellt. Genau so. Abzüglich meines Asthmaanfalls letzte Nacht, aber hey, die Barchetta grinst schon sehr italienisch Richtung Brenner. Und wenn ich da bin, lese ich Randomnotes, der hat, was andere beim Weg zu den Bannern der Handlanger der chinesischen Mörder vergessen haben.

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