: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Donnerstag, 19. Juni 2008

Verschiedene Schicksale vereint

Ein toller Abend für mich, mit nicht bezahlter Streicharbeit am eigenen Haus, aber ehrlich und mit diesem Sonnenuntergang. Als ob der Himmel eine Rocaille zeichnen wollte.



Ein ausgesprochen unerfreulicher Abend dagegen für die von LG beauftragten Schleichwerber und Spammer von unruly media, die vielleicht vorher hätten überlegen sollen, wem sie ihr lausiges 50-Dollar-Angebot unterbreiten. Die haben die falsche Adresse aus dem Impressum der Blogbar gekratzt.

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Verrecken in der Heimat

Und als die Kundin vor mir kundgetan hatte, dass ihr diese Stadt hier gefällt und sie das gerade erst entdeckt hat, weil sie ja aus Dachau kommt, mithin eine Fremde ist, da erhob meine Rosinenfladenverkäuferin die Stimme und sagte anerkennd:
Jo varegg. Aus Dachau! (Zu hochdeutsch: Ja verrecke! Aus Dachau!

Ich sagte nichts dazu, denn sie meinte es durchaus anerkennden. So wie der Hund, der Bazi, der Hodalump auch im Kontext mit "vareggd" eine positive Bestätigung sein kann. Und dene vereggdn Rosinaflodn, will sagen, den vorzüglichen Rosinenfladen tut das natürlich keinen Abbruch.



Dann entschwinden die Regenwolken, das Wetter wird schön, so schön, wie es nur eben sein kann, wenn sich die Sonne nach langen, trüben Tagen wieder Bahn bricht. Es gilt, die Dachterrasse zu besteigen, den Damast aus dem Schubladen zu holen und etwas Alfred Kerr zu lesen, bevor die Arbeit an den Fenstern ruft. Und was lese ich da, von einem, der es wissen muss?

"die Kaltblüter-Brutalität mancher Berliner Dirne" - über die besseren Töchter der Stadt
"deutsche Zeitungsesel" - was würde Kerr erst zu Spiegel Online sagen?
"die Spreestadt - auch sie ein deutscher Irrtum" - dem habe ich aus Voritalien nur nickend beizupflichten.

Seltsam. Ich habe Kerr gelesen, als ich zum Aufbau ging, um mich in das Blatt einzufühlen, und habe mich an ihm schnell wundgelesen. Ich mochte seinen Stil nicht besonders, zu expressionistisch, zu sehr dem Jugendstil und dem Schwämen verhaftet, und all die Ausrufezeichen. Jetzt, 10 Jahre später, gefällt er mir besser, so gut sogar, dass ich ihn als leichte Lektüre auf der D achterasse haben kann. Aber

"Ins Gesicht spucken. Öffentlich. Jeder der will. Ins Gesicht spucken. Öffentlich. Jeder der will."

Das ist wirklich gross. Kerr schreibt sehr knapp, könnte sogar twittern, und es hätte die Qualität, die dem dortselbst dokumentierten Clusterfucking der Hasimausibärlies abgeht.

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Zeitenwandel

Ich war Profi. Die üblichen Beschränkungen von 30 km/h im Werksgelände galten für mich explizit nicht, und draussen ging es nur darum, rechtzeitig anzukommen. Ich war nicht Profi genug, es normal zu finden, einen Sport Quattro mit 160 durch die Feldwege auf dem hinteren Parkplatz zu prügeln, dafür waren die 0 - 3- 7 - 17- 39 - 57 - 78 - 99 - 124 -Sprünge der lahmen Digitalanzeige viel zu aufregend. Ein Auto, das zu schnell war für den noch lahmen Bordcomputer. Damals einer der letzten seiner Art, eine verfluchte Drecksau von Auto, ein fauchendes Monster mit einem elenden Turboloch, das man vor dem Scheitelpunkt der Kurve trat, damit es aus ihr rausexplodierte. Einmal platzte bei sowas mit dem Nachfolger der Reifen. Einbaufehler, kann passieren. Da lagen Motorteile auf dem Beifahrersitz, ich nahm den nächsten und fuhr weiter. Mit 270 Richtung Nizza, mit 60 über die Eisenbahnwagons, und manchmal einfach nur zum Tank leer fahren. Ich habe damals jede Raserei gemacht, die man erlebt haben kann, wochenlang, jeden Tag, ohne Nachdenken. Und erst, als einer vor mir mit 250 von der Autobahn abflog, begann ich zu begreifen, dass es jetzt reicht. Ich kann immer noch rasen, aber ich tue es nur noch seltenst, um mich meiner Fähigkeiten zu versichern. Das ist wie mit dem Consulting: Man verlernt es nicht. Man kann sich davon lossagen, aber es bleibt immer ein Rest übrig.

Und dieser Rest ist erstaunt über zwei Dinge der letzten Tage. Die Firma, in deren Auftrag ich das Rasen gelernt habe, bei der es selbst in den Pausen kein anderes Thema als die Geschwindigkeit gab, unter den Bildern an der Wand, die nichts ausser Raser, aufgeblasene Motoren und breite Reifen zeigten, diese Firma, die es mit dem Rasen vom Opaautohersteller zur Premiummarke geschafft hat und die damit angab, für Raser die sichersten Autos zu bauen - diese Firma hat gerade eines der bekanntesten Rennen der Welt gewonnen. Mit einem Fahrzeug, das langsamer war als die Konkurrenz, aber auch sparsamer im Verbrauch, und durch weniger Tankstopps gewann. Früher wäre das ganz verschämt irgendwo unten erwähnt worden. Aber die Siegeszeitung, die dem lokalen Schmarrnblatt beigelegt war, stellte genau diese Sache ganz gross raus. Sparsamkeit schlägt Endgeschwindigkeit.



Heute war meine absolute Lieblingszeitschrift im Briefkasten. Die bekannteste deutsche Marke für Raser wirbt darin seit jeher für ihre spritschluckenden Monster mit Hochgeschwindigkeitsbildern und dynamischen Aufnahmen, den Lesern PS-Monster aufschwatzend, die sie in aller Regel nur noch mit elektronischen Hilfen kontrollieren können - oder auch nicht. Diese Firma wirbt jetzt nicht mehr als Überflieger, sondern als Familienkonzern, mit einem Bild des allerersten Wagens, der 35 PS hatte und kaum Benzin brauchte.

Und draussen im Seeviertel ward der Z. gesehen, der seinen massigen Körper sonst nur mit dem schwersten deutschen Kabrio zu den Immobiliengeschäften bewegt, auf dem Fahrrad in Richtung Stadtmitte, nachdem er schon desöfteren über den Benzinpreis geschimpft hat. Schimpfen tun sie alle, aber jetzt lassen sie Taten folgen.

Es scheint, als würde die Zeit der Geschwindigkeit zu Ende gehen, alles wird langsamer, eine Epoche kommt zu einem jähen, aber nicht ganz überraschenden Ende. Ich habe eine neue Mieterin, die an Konzeptautos mitentwickelt - und sie ist ausgewiesene Elektroingenieurin. Der Profi in mir hat das eigentümliche Verlangen, jetzt noch einmal beim nächsten Spiel der Nazierfreuendenmannschaft in den Wagen zu klettern und es nochmal richtig krachen zu lassen wie früher, solange es geht, ein paar Kilometer, einfach, weil es jetzt noch möglich und bezahlbar ist, burnig rubber, so unverantwortlich und dumm es auch sein mag.

Aber statt dessen nehme ich ihn auf dem Rad mit zum Erdbeerfeld, und nachher streichen wir die Fenster, denn das ist der Raum, der auch bei totaler Entschleunigung erhalten bleibt. Und es muss noch nicht mal schlecht sein. Im Gegenteil, es steht zu befürchten, dass man dergleichen Rasergeschichten in 40 Jahren nicht mehr wird hören wollen, wenn man täglich mit deren Folgen konfrontiert sein wird.

Nachtrag: Auch an Hamburg geht diese Seinsfrage nicht folgenlos vorbei.

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