... newer stories
Sonntag, 10. August 2008
Vom Aussterben
Man kann es natürlich auch ignorieren. Wie die Kuh im Viehtransport, die nichts begreift, wie der Dinosaurier, der den Kometeneinschlag unter "weit weg in Mexiko" abheftete, oder wie der Hummer, der wohl eine Weile im Kochtopf gar nicht merkt, dass es zu warm wird. Es sind auch weniger die 22 Millionen Dollar grossen Dinge, die andernorts vom Ende einer Ära künden, sondern das Verschwinden ganz banaler Dinge, an denen doch so viel hängt. Man kann es übersehen. Aber wenn man es sich vergegenwärtigt, ist es ein Schock und eine sehr traurige Erkenntnis über diese meine Welt.
Dabei fing alles genauso gut an, wie diese Zeit des Zwetschgendatschis immer angeht: Mein Lieferant hatte an seinem Südhang gezielt die besten Exemplare gepflückt und aufgehoben, bis ich mal wieder zu spät eintrudelte. Der Teig ging langsam wie ein CSU-Politiker nach der Anklage wegen Kinderpornographie, das Fleisch der Zwetschgen löste sich akzeptabel von den Kernen, und bald war die Küche erfüllt von diesem ganz spezifischen Geruch der Süsse, die aufgeschnittene Früchte in der Wärme eines vorheizenden Ofens verbreiten. Jetzt nur noch den Teig auf dem Backpapier auswoigeln -
welches Backpapier. Da ist keines. Wenn die Mitbewohner gern Tarte essen und die Gäste auch und die Eltern genauso, dann geht sowas schnell zur Neige. Zu schnell. Wie jetzt. Aber es war erst sechs Uhr, der Supermarkt um die Ecke hatte noch bis acht offen, also ging ich schnell Backpapier besorgen. Dachte ich. Da war nach längerem Suchen auch so eine Ecke mit Mülltüten, Alufolie und Gefrierbeuteln. Sonst nichts. Kein Backpapier. Nicht aufs Maul gefallen, fragte ich nach. Und musste mir sagen lassen, dass sie es mangels Nachfrage vor ein paar Wochen aus dem Programm genommen haben. Vielleicht wieder im Winter. Ich suchte einen Drogeriemarkt auf, der Backpapier vorrätig hatte, aber da dachte ich mir -
in diesem Supermarkt decken rund 3000 Altstadtbewohner ihren täglichen Bedarf vor allem an Lebensmitteln. Sie haben Zilliarden Versionen Chips und Trillionen Dosen und Kühlregale kulinarisch frigider Art so lang wie von den Franziskanerinnen bis zu meinem Jesuitenhochbunker. Und in dieser Altstadt ist die Gentrifizierung abgeschlossen, die Preise liegen auf dem Niveau normaler Münchner Wohnviertel. Hier wohnen diejenigen, die angeblich die Zielgruppe für besseres Essen, Kochkurse und gehobenen Lebensstil sind. An diesen Leute orientiert sich das Weinangebot, die nagelneue Brottheke und die Bioeier - was da halt so Bio ist. Und diese grosse Menge kaufkräftiger Leute braucht kein Backpapier.
Was im Umkehrschluss bedeutet, dass sie auch nicht backen. Dass sie lieber 1,95 Euro für ein Stück Zwetschgendatschi bezahlen, das in zwanzigfacher Ausführung in weitaus besserer Qualität auf meinem Backblech entsteht. Dass sie ihren Ofen vermutlich nicht nutzen, weil sie eine Microwelle haben.
Nun ist Backpapier per se schon eine eher fragwürdige Angelegenheit für Faulpelze, denen das Einbuttern und Putzen von Formen zu viel Aufwand ist.Ich kann von mir nicht behaupten, auch nur ansatzweise an die Koch- und EssKünste der Familie anknüpfen zu können; die alte Clanküche Anno 1860 ist inzwischen meine Bibliothek, die Speisekammer dagegen die Küche. Ich esse zu spät mit zu wenigen Gängen und ziemlich durcheinander. Es sieht vielleicht nicht so aus, aber weil ich Single bin, stellt mein Haushalt einen klaren Niedergang im Vergleich zur organisierten Küchentätigkeit für Mehrpersonenhaushalte dar, die ich theoretisch beherrschen würde, aber nicht praktiziere. Ich verkörpere die höchst flexible Auslegung der Tradition -
aber wie es mir nun erscheint, in einem Umfeld, das diese Traditionen zu teilen aufgehört hat, und zwar derartig konsequent, dass es sich nicht mehr lohnt, dafür die nötigsten Utensilien zu verkaufen. Das ist hart. Vielleicht sollte ich mich jetzt einfach am Zwetschgendatschi totfressen, denn was will ich in so einer Welt.
Dabei fing alles genauso gut an, wie diese Zeit des Zwetschgendatschis immer angeht: Mein Lieferant hatte an seinem Südhang gezielt die besten Exemplare gepflückt und aufgehoben, bis ich mal wieder zu spät eintrudelte. Der Teig ging langsam wie ein CSU-Politiker nach der Anklage wegen Kinderpornographie, das Fleisch der Zwetschgen löste sich akzeptabel von den Kernen, und bald war die Küche erfüllt von diesem ganz spezifischen Geruch der Süsse, die aufgeschnittene Früchte in der Wärme eines vorheizenden Ofens verbreiten. Jetzt nur noch den Teig auf dem Backpapier auswoigeln -
welches Backpapier. Da ist keines. Wenn die Mitbewohner gern Tarte essen und die Gäste auch und die Eltern genauso, dann geht sowas schnell zur Neige. Zu schnell. Wie jetzt. Aber es war erst sechs Uhr, der Supermarkt um die Ecke hatte noch bis acht offen, also ging ich schnell Backpapier besorgen. Dachte ich. Da war nach längerem Suchen auch so eine Ecke mit Mülltüten, Alufolie und Gefrierbeuteln. Sonst nichts. Kein Backpapier. Nicht aufs Maul gefallen, fragte ich nach. Und musste mir sagen lassen, dass sie es mangels Nachfrage vor ein paar Wochen aus dem Programm genommen haben. Vielleicht wieder im Winter. Ich suchte einen Drogeriemarkt auf, der Backpapier vorrätig hatte, aber da dachte ich mir -
in diesem Supermarkt decken rund 3000 Altstadtbewohner ihren täglichen Bedarf vor allem an Lebensmitteln. Sie haben Zilliarden Versionen Chips und Trillionen Dosen und Kühlregale kulinarisch frigider Art so lang wie von den Franziskanerinnen bis zu meinem Jesuitenhochbunker. Und in dieser Altstadt ist die Gentrifizierung abgeschlossen, die Preise liegen auf dem Niveau normaler Münchner Wohnviertel. Hier wohnen diejenigen, die angeblich die Zielgruppe für besseres Essen, Kochkurse und gehobenen Lebensstil sind. An diesen Leute orientiert sich das Weinangebot, die nagelneue Brottheke und die Bioeier - was da halt so Bio ist. Und diese grosse Menge kaufkräftiger Leute braucht kein Backpapier.
Was im Umkehrschluss bedeutet, dass sie auch nicht backen. Dass sie lieber 1,95 Euro für ein Stück Zwetschgendatschi bezahlen, das in zwanzigfacher Ausführung in weitaus besserer Qualität auf meinem Backblech entsteht. Dass sie ihren Ofen vermutlich nicht nutzen, weil sie eine Microwelle haben.
Nun ist Backpapier per se schon eine eher fragwürdige Angelegenheit für Faulpelze, denen das Einbuttern und Putzen von Formen zu viel Aufwand ist.Ich kann von mir nicht behaupten, auch nur ansatzweise an die Koch- und EssKünste der Familie anknüpfen zu können; die alte Clanküche Anno 1860 ist inzwischen meine Bibliothek, die Speisekammer dagegen die Küche. Ich esse zu spät mit zu wenigen Gängen und ziemlich durcheinander. Es sieht vielleicht nicht so aus, aber weil ich Single bin, stellt mein Haushalt einen klaren Niedergang im Vergleich zur organisierten Küchentätigkeit für Mehrpersonenhaushalte dar, die ich theoretisch beherrschen würde, aber nicht praktiziere. Ich verkörpere die höchst flexible Auslegung der Tradition -
aber wie es mir nun erscheint, in einem Umfeld, das diese Traditionen zu teilen aufgehört hat, und zwar derartig konsequent, dass es sich nicht mehr lohnt, dafür die nötigsten Utensilien zu verkaufen. Das ist hart. Vielleicht sollte ich mich jetzt einfach am Zwetschgendatschi totfressen, denn was will ich in so einer Welt.
donalphons, 01:46h
... link (33 Kommentare) ... comment
Empfehlung heute - Ich war mal
auf eine Vernissage in Mitte eingeladen, die sich teuer gab und in Wirklichkeit auch nur so versifft war wie die, die Itha im alten Westen der alten Reichshauptstadt besuchte.
donalphons, 21:13h
... link (0 Kommentare) ... comment
... older stories