: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 31. August 2008

Empfehlung heute etwas länger

Es gibt heute eine etwas seltsam anmutende Tendenz bei vielen, sich von der Familie in Allem loszusagen. Komischerweise auch bei jenen, die im Gegensatz zu mir alles andere als Kinderhasser sind, also antreten, die Fehler vergangener Generationen zugunsten neuer Untaten zu umgehen. Ich finde Familie im Grossen und Ganzen a) undvermeidlich und deshalb b) dazu angetan, das Beste daraus zu machen. Was bedeutet, dass man eben nicht in Bausch und Bogen alles ablehnen sollte, was früher einmal gemacht wurde. Ich gebe zu: In meiner Kindheit hätte es mit Bonanzarädern und Panninibildern auch etwas Cooleres gegeben, als an den M.-Schwestern das perfekte Tischdecken zu üben. "Kleiner Cavalier" genannt zu werden galt unter meinen Altersgenossen absolut nicht als Privileg, und manche von denen haben tatsächlich auch alles vergessen und fressen heute wieder wie - nun.

Heute jedoch verstauben die Fussballeralben im Speicher, und die minderwertigen Bonanzaräder sind als typische Vertreter der frühen Clobalisierung auf den Müll gewandert, wie es üblich war in der Zeit, als ein widerliches Möbelhaus eines Naziunterstützers noch mit der Auffassung "Benutze es und wirf es weg" reüssieren konnte. Familie, das lernen wir daraus, ist erheblich langlebiger als Trends, zäher als Moden und in der ein oder anderen Art auch in uns drin. Familie ist wie Judentum: Man kann sie ablehnen, aber nicht davonlaufen. Und ich denke, dass man sich, so sie nicht allzu schlimm ist und aus zu vielen Politikern, Lobbyisten, rechtsextremen Bloggern, Kurienkardinälen, Werbern und anderen Wendepunkten der menschlichen Entwicklung besteht, damit - arrangieren sollte.

In meinem Fall muss ich halt damit leben, dass ich gefragt werde, wieso ich des Sonntags nicht im Wald Tiere abknalle wie mein Grossvater, und anderes, was den Erwartungshaltungen der Umwelt entspricht. Auf der anderen Seite habe ich das Glück, nebenbei zwei alte Familientätigkeiten am Leben erhalten zu können: Die der Bäcker und Vermieter; zwei Professionen, von denen ich denke, dass sie in meinem Blute sind und die mir wirklich Freude bereiten - unter anderem dann, wenn ich den Subjekten der Vermietung die Objekte meiner Backrohrbemühungen reiche, wie das nun mal üblich ist. Es sind zwei ursprüngliche Professionen, die die Welt immer brauchen wird, denn nie wird sich jeder selbst eine Behausung erbauen, und immer weniger Menschen verstehen sich auf den Umgang mit Gasherd und Backrohr. Man muss nur mal schauen, wie viele Leute heutzutage 2 Euro - 4 Mark! - für ein lumpiges Stück Zwetschgendatschi bezahlen, das selbst gemacht 10 Cent kostet, wenn man den richtigen Baum an der richtigen Strasse kennt. (Die Familengeschichte erzählt nichts von Strauchdieben, aber ich tippe hier auf eine unvollständige Überlieferung)



Ich bin also in der angenehmen Lage, angesichts des Sonnenunterganges auf der Dachterasse mir über den Fortbestand meines Tuns keine Sorgen machen zu müssen. Neben den Massenmärkten, den Verwaltungsgesellschaften und optimierten Immobilien wird es immer welche geben, die es anders wollen. Und nachdem das alles auch in einer pittoresken Altstadt spielt, die hierzulande ein Vorreiter bei der Gentrifizierung ist und mit Denkmalschutz-AFA Preise wie in besseren Münchner Lagen nimmt -

bin ich der Meinung, dass es sowas wie eine Denkmalschutz-AFA auch für historische Handwerker geben sollte. Es gibt Derartiges in Deutschland indirekt beim Thema automobiles Kulturgut, mit dem 30 Jahre alte Dreckschleudern ohne Katalysator im Betrieb billiger als jedes moderne Fahrzeug werden, was ein Heer von Schraubern, Sattlern und Schweissern Auskommen und Kundschaft sichert. Instrumentenbau ist so ein Thema, bei dem ich gerne den Staat helfend sehen möchte. Tendenziell wäre ich auch nicht dagegen, wenn man auf Glotzen aus Fernost 10% Deppensteuer erhöbe, die sich angesichts von 9live und Ähnlichem prima begründen liesse, und das Geld zur Unterstützung von hochwertigen High-End-Produkten im Bereich Audio und Buch verwendete. Es gibt in diesem Land zu viele dumme Gaffer und zu wenige, die sich auf Hören und Lesen verstehen, und wenn Raucher Steuer für ihre Lungenkrankheit zahlen, sollen bitte auch Dauerglotzer die Folgekosten für ihre Verblödung zumindest teilweise selbst tragen. Es kann ja wohl nicht sein, dass der Buchdruck in Deutschland verschwindet und Leute, die Wannen voller Geld und kostenlose Klingeltöne versprechen, Gewinne machen.



Für manche mag das alles wenig liberal klingen, und das ist es wohl auch nicht. Manche werden sagen, dass die Zeiten so sind, und dass man nicht zurück kann in das Mittelalter. Dass man so etwas hinnehmen muss als Randerscheinung eines Fortschritts, höre ich von Zynikern, ein Fortschritt, der immerhin auch Typhus und spanische Grippe ausgerottet hat, damit wir später alle an Altersdemenz verdämmern. Was aber, möchte ich entgegnen, bringt der Liberalismus, wenn er jede Freiheit bringt ausser der, sich für das Gute zu entscheiden? Jeden Dreck gibt es in tausendfacher Ausführung mit unterschiedlichem Branding. Es wird einem so leicht gemacht, anzurufen, anzuklicken und sich betrügen zu lassen, und so schwer, das Gute unter all dem Müll noch zu finden.

Und deshalb habe ich grosse Hochachtung vor denen, die das Gute bewahren und sich bemühen, es dem Vergessen zu entreissen. Über einen davon, den Druckereyblogger, bin ich jetzt auf das Tagebuch eines Bleisetzers gestossen, das leider keine Permalinks hat, weshalb ich hier auch zum Scrollen raten möchte, bis hinab zum Holzkajak. Ich denke, wenn ich so ein Holzboot hätte, und dann auf dem See ein schön gedrucktes Buch lesen könnte, wäre ich sehr, sehr zufrieden, zumal wenn ich wüsste, dass es mit Strafzöllen für Verdummungsleistungen subventioniert wurde. Auch könnte ich mir 2 Stunden Sozialdienst für jede Stunde Mitarbeit bei Zoomer.de als segensreich für unsere Gesellschaft vorstellen, wenn wir schon dabei sind.

Geschrieben, das sei hier noch erwähnt, zur Musik der CD Boccherini Madrid mit der Cellistin Ophelie Gaillard und Sandrine Piau, die ich gerne verlinken würde, aber so gut die Aufnahme ist, so miserabel ist die Website von naive.fr.

... link (13 Kommentare)   ... comment