: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Samstag, 25. Oktober 2008

Zwei Tage im Herbst II

So von uns aus gesehen hatten die Leute im hohen Mittelalter, die Stams gestiftet haben, damals einen anderen Zeithorizont. Erlebnishorizont sowieso. Für die war der Tod und das danach noch der Hauptakt, nicht nur Deckel zu und Schluss. Ich war mal auf der Beerdigung von einem Ex-Kollegen. Grosses Tier in der New Economy. Einer von der Sorte, die immer auffallen wollten. Skilehrer-Haider-Typ, ja. Kennt man. Der kam auch aus Österreich und hatte diese schneidige Art, ging über Leichen und sagte seinen Leuten, wenn sie es nicht packen, sollen sie Tabletten fressen. Die Macher, die um 2 vom Golfen in die Arbeit kommt und behauptet, auf einer Besprechung gewesen zu sein. Dem hat einer die Verantwortung für ein paar Dutzend Leute übertragen, und er hat alle beschissen. Ausgenutzt, ausgepresst, gefeuert, zurückgelassen. So einer. Der starb im Winter, als ich in Berlin war, es wurde nie ganz bekannt woran, es ging ziemlich schnell, und ich bin extra nach München, um zu sehen, dass er wirklich tot ist. Der wurde am Nordfriedhof begraben, die Aussegnung war in einem sagenhaft hässlichen pseudobyzantinischen Rundbau, die Musik kam von der CD, und das Grab war klein, hässlich und unscheinbar. Irgendwo weit hinten, wo sicher kaum einer kommt. Ich muss heute nachdenken, damit mir überhaupt noch sein Name einfällt. Ich mein, ich hatte allen Grund, dem den Tod zu wünschen, aber die Beerdigung war so mickrig, da wird so einer dann echt egal. Da hat Stift Stams als Grabmal irgendwelcher Tiroler Herzöge schon mehr Niveau.



Da unten in der Kirche liegt auch Bianca Maria Sforza, die zweite Frau von Kaiser Maximilian I. Zu den Sforza könnte man viel sagen. Die waren im 14. Jahrhundert noch Subproleten, Strauchdiebe, dann Söldnerführer und am Ende Gewaltherrscher über Mailand, so eine Art Berlusconi des späten Mittelalters. Reich, mächtig, aber nicht gesellschaftsfähig. Obwohl die italienische Renaissance voller Mörder war, hatten die noch einen extra miesen Ruf, selbst unter Verbrecherkollegen. Der Ruf der Sforza war noch übler als der von George Bush, und der Übelste namens Ludovico Sforza war der Onkel von Bianca, und liess ihren Vater und Bruder meucheln.

Ludovico wollte als Herzog von Mailand anerkannt werden, und um beim deutschen Kaiser Maximilian Einfluss zu bekommen, stattete er Bianca mit einer immensen Mitgift aus, die Maximilian nicht ablehnen konnte: 400.000 Gulden in Cash und 40.000 Gulden in Assets. Bianca war praktisch das Incentive und zugleich Risikokomponente beim Package Deal, denn Maximilian beschwerte sich bald über ihre Dummheit. Das Ende der Geschichte war, dass er sich mit einer anderen vergnügte und seine Frau mitsamt Begleitung verpfändete, wenn er mal wieder Schulden hatte. Zum Glück gab es damals noch keine Margin Calls, die ihn zum Nachschiessen verpflichtet hätten. Als Bianca dann wie eine übedrehte Managergattin an Magersucht 1510 starb, wurde sie nicht in Innsbruck, sondern in der zweitrangigen Grablege Stams bestattet. Kostengünstig, versteht sich. Maximilian starb neun Jahre später in einem bankrotten Land zu Füssen eines enormen Schuldenbergs, so eine Art Greenspan seiner Epoche. Der barocke Prunk über dem Grab seiner ungeliebten Cashcow und die Reliquien sind barocke Zutaten.



Ja, ich weiss, es ist nicht nett, das so zu erzählen, aber das war damals so und ist heute auch nicht recht viel anders. Ich mein, die hatten damals noch keine Rechner und nicht die Instrumente, aber schon damals wusste jeder, dass es so nicht auf Dauer gehen würde. Trotzdem haben sie es gemacht, nahmen zu viele Schulden auf, hatten enorme Hebel, mussten Assets an die Fugger und Welser zu Schleuderpreisen verkaufen, und am Ende zahlte es der Steuerzahler. Das ist immer so.

Der einzige Unterschied zu heute ist, dass die Schweiz damals keine sicheren Banken hatten, und die Untertanen nicht einfach mal dort Konten aufmachen konnten. Ich stehe da in dieser Kirche vor all dem Prunk wie aus dem Traum einer Hedgefondsmanagerexgattin, und obwohl ich mir blöd vorkomme, in die Schweiz zu fahren, wird mir klar: Das ist wirklich das einzige, was sich geändert hat. Ich habe diese Möglichkeit. Und damit ich sie nicht zu sehr habe, begrenzen meine Herrscher die Mitnahme von Geld auf 10.000 Euro. Mein Auto, der Reschenpass und 10.000 Euro ist der Fortschritt von 500 Jahren ansonsten gleichbleibender Finanz- und Beherrschungsgeschichte. Die Ösis verlangen für ihre Strassen sogar wieder Maut.

Es wird Zeit, dass ich weiterkomme. Es ist einer der Tage, da tut mir Nachdenken nicht gut. Ich setze mich wieder in den Roadster und mache das Radio an. Meine Rolex sagt mir, dass ich noch zweieinhalb Stunden habe, bis sie in Müstair wieder aufmachen. Die Wiener Börse macht dagegen den klammen Maximilian und zu: Sie stellt den Handel ein, weil die Banken wegen ihrer Verstrickung in Ungarn kippen. Ein blöder Ö3-Moderator befragt einen blöden Wealth Manager, was man tun kann. Der meint, man solle bald wieder einsteigen. Kein Wort über Flucht in Fremdwährungen, als ich von der Autobahn runterfahre und Richtung Meran und St. Moritz abbiege.



Gleich dahinter beginnt der Landecker Tunnel, der Empfang bricht ab. Kein Gestammel über kapitalbasierte Rente, Lebensversicherung und Derivate mehr. Ich frage mich, was eigentlich passieren würde, wenn wirklich einer sagen würde: Ja, wir sind am Ende. Ja, das wird ganz schlimm. Am besten, man geht in eine klassische Fluchtanlage. Dahin, wo russische Oligarchen, kroatische Mafiosi, deutsche Mittelständler und amerikanische Kunstsammler oder die sich so nennen gehen. Vermutlich würden sie den Sender abschalten und die Grenzen dicht machen.

Vor ein, zwei Wochen, gleich nach der Lehman-Pleite, haben sie in Deutschland entlang der Grenze massenhaft Leute rausgezogen, aber nicht verraten, wieviel sie dabei an Geld mit unklarer Herkunft, so heisst das heute, gefunden haben. man will ja keinen auf Gedanken bringen. Ich lege die Missa Solemnis ein und rausche durch die schwarze Röhre, Richtung Süden, und auf dem Beifahrersitz liegt die braune Aktentasche. Das Geld ist sicher, sagt die Bundeskanzlerdastellerin. In der Schweiz, sage ich.



Benedictus qui venit, grölt der Chor gegen die Tunnelwand in das Dröhnen des Motors.

Teil 1.
Teil 3

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Perverses zum Frühstück

we have seen the near collapse of the world's banking system.
Gerald Beeson, Citadel COO

For the banks, it is cheaper to give away houses than to knock them down.
Andrew Clark, Guardian, über Detroit

I say "agreement" here, but in fact the banks had little alternative, since Gyurcsány made it plain to them that if they did not agree then legislation would be introduced to enforce the government package.
Hungary Economy Watch, über die Abwicklung der Kredite in Schweizer Franken


Besonders der letzte Beitrag ist wichtig für alle, die entweder in Bayern oder Österreich wohnen, und/oder auf die eine oder andere Art Schweizer Franken haben - er erklärt, warum in den nächsten Tagen und Wochen ein paar Volkswirtschaften Abermilliarden in Schweizer Franken investieren werden, um den Risiko ihrer eigenen Währungen und der Kredite in Fremdwährung zu entgehen. Kredite von Banken, die vor allem aus Österreich oder Bayern kommen, und die einen guten Teil des Risikos und der Verluste tragen werden (Kann das mal jemand dem Seehofer sagen? Betroffen ist vor allem die BayernLB, die über ihre Töchter Hypo Alpe Adria und MKB Bank von den Ungarn gezwungen wird). Der zweite Beitrag liest sich nachgerade pervers, wenn man in einer total von der Autoindustrie abhängigen Stadt lebt, deren Problem immer noch die Beschaffung von Arbeitnehmern ist, und deren Immobilienpreise seit Jahren keine andere Richtung als nach oben kennen. Der erste Beitrag ist dann auch eine gute Erklärung, warum Frankfurt demnächst billiger sein wird, und zwar nicht nur wegen der Nachbarschaft zu hessisch MoTown Rüsselsheim.



Kann es sein, dass die Rückabwicklung der Globalisierung all jene besonders straft, die sich ihrer Instrumente allzu bereitwillig bedient haben?

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