: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Donnerstag, 23. Oktober 2008

Empfehlung heute - Leichte Geschäfte

Wer wissen will, wie Ratingagenturen die Krise mitverursacht haben, sollte sich diesen Beitrag bei Big Picture anschauen, inclusive dieses Chats zweier Standard & Poor´s-Mitarbeiter:

Rahul Dilip Shah: btw: that deal is ridiculous

Shannon Mooney: I know right ... model def does not capture half of the risk

Rahul Dilip Shah: we should not be rating it

Shannon Mooney: we rate every deal

Shannon Mooney: it could be structured by cows and we would rate it


Und jetzt alle: Zieh Dich aus, kleine Maus, mach Dich nackich...

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Das stinksaure Lüngerl des Don Alphonso

Die Männer und viele Frauen meiner Familie kennen zwei Arten des körperlichen Befindens: Kerngesund und tot. Entsprechend überflüssig ist der Berufsstand der Ärzte, und ein in diesem Stammsitz oft kolportierter Spruch lautet auch: Bevor ich zum Arzt gehe, sterbe ich lieber. Tante Babl zum Beispiel starb vorzeitig an einer vollkommen banalen Grippe, weil sie auch im Winter Holz hackte und keinen Quacksalber sehen wollte. Ich mag Menschen mit Prinzipien. Und ich war infolgedessen das letzte Mal bei meinem Hausarzt, als ich ein Attest für eine Profitauchschein gebraucht habe. Wir haben einen Arzt im Clan, und der hat sich mittlerweile damit abgefunden, dass ihm alle die Bude einrennen - ausser seiner Familie. Es is wias is, pflegte meine ärztehassende und auf Hausmittel schwörende Grossmutter zu sagen, und sie hatte natürlich wie immer recht, selbst wenn ihre Tochter - meine Frau Mama - aus der Art geschlagen ist, die uns nun schon seit Jahrtausenden erfolgreich jeden Quacksalber meiden lässt. Gestern jedenfalls wurde ich aufgefordert, gefälligst meinen Job unter anderen Workaholics zu verlassen, weil sie das Pfeifen in meiner Lunge nicht mehr ertrugen. Und heute hatte ich einen von meiner Mutter erzwungenen Termin beim Arzt des familiären Misstrauens.



Ich hasse es, krank geschrieben zu werden. Meine Laune ist entsetzlich. Und weil ich miserabel drauf bin, werde ich jetzt einigen Leuten, die ich ohnehin für nicht gesellschaftsfähig halte, Web2.0-Idioten, Internetcretins, Netzunwesen, all den Arschgefickten Nullhirnern da draussen etwas sagen, was ich eigentlich schon seit Tagen loswerden wollte: Mit sowas wie Euch über Bücher zu reden, wäre wie mit der dreckigen Wildsau über Kölnisch Wasser zu parlieren. Mein Grossvater hat die Viecher einfach abgeknallt, ich bin ziviliserter und sage einfach: Wer mit 25 weniger als 1000 Bücher hat und sie nicht liebt, soll seine stinkende Fresse halten.

Es ist nämlich so mit dem Buchgeschäft: Die Buchkäufer sind in diesem Land im Gegensatz zu den Netzdeppen in der Minderheit. Ein Blick zu Rivva.de reicht um zu erkennen, dass sich struktureller Analphabetismus und das Füllen eines Blogs keinesfalls ausschliessen muss, von Foren, StudiVZ und Spiegel Online ganz zu schweigen. Selbst Berliner Prekariatsanhängern und BWL-Studenten, die sich RSS-Junkies schimpfen, sind offenkundig in der Lage, die Eingabenmaske eines Blogs mit ihren Visionen von E-Readern zu füllen. Und warum? Weil sie offenkundig nicht viel mit Büchern zu tun haben, wie viele andere, die sich mit hohem Suchtrisiko im Netz rumtreiben. Weil sie ausserhalb des Marktes stehen. Sie können die Freigabe von "Buchinhalten" propagieren, weil sie keine Kunden sind. Sie sind allenfalls Büchernutzer, sie müssen für ihre Schmalspurscheine in eine Bibliothek und hätten gern in jedem Buch eine Suchmaske, um die Sache abzukürzen. Man kann sie freundlich als erzwungenermassen bildungsangenäherte Schichten bezeichnen, wenn man nicht lieber zu Begriffen wie geistiges Subproletariat greift.

Sie verstehen nicht, dass der abendliche Pornodownload etwas anderes ist, als das Konzept Lesen. Angebote für diese Leute wären längst auf dem Markt, haben keinen Erfolg: Gestern bin ich an meiner alten Wohnung in München vorbeigekommen. Schräg gegenüber ist einer der deutschen Marktführer für E-Bücher. Er ist dort nun schon seit 9 Jahren. Immer noch die gleichen vier Zimmer. Immer noch das gleiche Programm für Leute, die man ohnehin nicht in einem Buchladen treffen würde. Immer noch Hinweise auf Kostenvorteile, die nicht angenommen werden. 1999 haben ein paar Business Angels in die Butze ein paar Millionen gesteckt, die sie längst abgeschrieben haben. Was dagegen wirklich bei denen gekauft wird, die zu faul sind, ein Buch in die Hand zu nehmen, sind Hörbücher. Und was ebenfalls gut ankommt, sind Downloads von Büchern zum Thema Software, die man in Massen bei Torrent-Netzwerken findet. Ob das aber gelesen wird, ist nochmal eine andere Frage.

Eine Frage, die vielleicht die Verlage von BWL-Literatur und für andere, selten genutzte Fachliteratur betrifft. Bei BWL arbeiten die Professoren, die das stupide Büffeln schätzen und das Buch als Vorgabe ihrer Lerninahlte betrachten. Es gibt ein paar Disziplinen, die für diese Art der Wissensaufbereitung anfällig sind; eine Art, die im Kern seit der mittelalterlichen Wissenstradition unverändert ist. Was dem Quacksalber des 18. Jahrhunderts seine Vier-Säfte-Lehre war, ist dem Staatsjuristen sein bräunlicher Carl Schmitt und Neoliberalala seine hysterische Ayn Rand. Glücklicherweise gibt es auch noch Denkschulen, die offen sind, und Fächer, die nach übergreifenden Ansätzen verlangen. Man könnte sich in meinem Fach natürlich mit Schlagworten versehene Fachbücher zum Thema Kutrolf runterladen, und Fundorte und Datierungen anzeigen. Aber ohne die Geschichte des Weins in Mitteleuropa, ohne Warenströme, ohne Darstellungen in der bildenden Kunst und Erwähnungen in der Literatur wäre das alles sinnlos. Wissen ist nie eine gerade Linie, es entsteht durch Überschneidungen, Vergleiche, Antithesen und Unschärfen. Wissen entseht nicht durch Download, sondern durch das willkürliche Greifen in das Bücherregal, und nichts regt dazu so sehr an, wie eine Bibliothek.

Es überrascht mich nicht, dass solche E-Book-Thesen gern in Blogs vertreten werden. Blogs, die für sich eine gewisse Leitbildfunktion in Anspruch nehmen, sie immer schnell dabei sind, den neuesten Hype auszurufen und nur eine Zukunft, aber absolut keine Vergangenheit, keine Geschichte kennen. Blogs, bei denen ich mir wirklich Mühe geben muss, nicht dauernd an das HJ-Lied zu denken, das ähnlich dummdreist eine beschissene neue Zeit ausruft. Blogs, deren Raushaugeschwindigkeit so hoch ist, dass ich deren Autoren jede Fähigkeit zum Erfassen längerer Texte in Abrede stellen möchten. Wer so sein Blog zuklatscht, hat einfach keine Zeit, sich freiwillig dauerhaft auf Bücher einzulassen. Und das ist auch der Grund, warum ich es ablehne, solche Leute als Diskussionspartner zu akzeptieren: Sie reden die Scheisse der Ahnungslosen über einen Markt, an dem sie nicht teilnehmen. Es sind Gruschler auf der Resterampe des Geistes, für die 20% Rabatt wichtiger sind als der Inhalt, und die von ihren 367 Gigabyte ungehörter Musik auf der Festplatte darauf schliessen, wie toll sie lesen könnten, wenn sie alle Bücher auf ihrem Reader hätten. Dabei hätten sie längst anfangen können: Gutenberg.de ist voll mit readertauglicher Literatur.

Ich bin Marktteilnehmer. Ich kaufe und lese pro Jahr zwischen 120 und 200 Bücher. Ich habe die Zeit, weil ich keine Glotze habe. Ich bin das, was man als "bibliophil" bezeichnet. Für den Buchmarkt bin ich ein Schwergewicht. 20% der Deutschen kaufen 80% der Bücher - und wenn jemand über das Wohl und Wehe der Verlage entscheidet, dann sind es diese 20%. Es sind nicht die modernsten Menschen, sie sind nicht frei von Dünkeln, aber sie sind eine Elite, die ihren Status materiell durch den Griff ins Regal und immateriell durch Wissen begründen kann. Es sind Menschen, denen es nicht reicht, die drei wichtigsten Titel bei Amazon zu kennen, oder das immer gleiche Spezialwissen aufzufrischen. Man kann diese Menschen seltsam finden, wenn sie wie ein Penner aussehen und Bücher für ein par zigtausend Euro ersteigern. Man muss nicht verstehen, warum sich manche durch das Kirchenlatein des 18. Jahrhunderts quälen. Rudimentäres Wissen, oder gar Abchecken geht auch mit einem execitive Summary. Aber nicht bei dieser Gruppe, die den Markt der Bücher trägt.

Manche werden sagen, gut, der Don ist selbst Buchschreiber, der muss das sagen. Stimmt - in gewisser Weise. Auch meine Bücher entstanden am Computer. Es ist gut, auf dem Rechner zu schreiben, weil jeder Text ergraut, wenn man ihn auf dem Bildschirm liest. Er wirkt fad, belanglos, einfältig. Der Text verliert nach einer Nacht jeden Zauber, allen Esprit, der Geist scheint verschwunden. Die Auseinandersetzung mit einem Text am Rechner zwingt mich, ihn immer und immer wieder zu überarbeiten, ich bin nie zufrieden, bis ich ihn dann gedruckt in Händen halte. Er liest sich auf Papier immer besser. Ich kenne die Abbruchraten beim Lesen der Bücher nicht, die als Faksimile online stehen, aber am Sonntag fand ich eines dieser E-Bücher, dessen abseitiges Thema mich wirklich anspricht: Ich konnte es nicht lesen.

Vielleicht auch, weil Lesen etwas anderes als sonstiges Digitalentertainment ist: Die krächzende Musik und die Pixel bei Youtube kann man nebenbei rieseln lassen, die Flickr-Accounts klickt man durch und ist gleich wieder weg. Das Lesen langer Texte jedoch verlangt nach einer anderen Aufnahmebereitschaft, und wer diese Konzentration nicht mitbringt, wird mit keinem Text, egal in welcher Form, wirklich glücklich. In meinen Augen sind E-Reader ein Gadget für Vollidioten, die schon jetzt vor lauter Netzhampelei mit Büchern nicht mehr klarkommen und ein neues Stück Technik brauchen, wie die Knipsdeppen, die sich jedes Jahr eine neue Digicam kaufen und glauben, mit 2 Megapixel und dreimal mehr Zoom würde Motivauswahl und Bildauffassung besser.

Es ist nicht die Haptik, die das Buch rettet - es ist der Idiot mit dem E-Reader und kubikmeterweise minderwertiger Gebrauchstaxte, der einen Markt verlässt, in dem auf ihn, pardon, aber das kommt von Herzen, geschissen wird. Er ist der Müllmann der Geistesgeschichte; man schenke ihm ein paar Wichsvideos für sein Gadget, damit er das Maul halte und nicht störe, wenn sich ernsthafte Menschen mit relevanten Themen beschäftigen.

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