: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Donnerstag, 30. Oktober 2008

Zwei Tage im Herbst IV

Und wenn man schon daran geht, die Welt zu konservieren, sollte man auch ein paar besonders typische Exemplare in typische Gegend einsetzen und ausstellen. Das pensionierte Studiendirektorehepaar, das mit rotkarierten Hemden um den Haidersee am Reschenpass nordicwalkt. Wenn ich im Berg bin, muss ich immer an mich halten, solche Leute nicht zu beleidigen. Nordic Walker passen hier nicht rein, die sind zu hektisch und marschgeil, die SA unter den Wanderern, die sich nicht mal dafür entschuldigen, wenn sie anderen ihre Stöcke reinrammen. Aber obwohl sie nicht passen, sind sie ein gutes Beispiel für das Ende der klassischen Demographie, für Altershektik und den von ihnen mitverantworteten Niedergang des Kapitalmarkts.

Früher starben die Männer mit 67 am Herzinfarkt, die Frauen sassen im Cafe, pflegten ihre Hypochondrie und setzten die Rendite ihrer Bundesschatzbriefe in Torte um. Heute walken sie nordic, schieben ihr welkes Fleisch in Saunen, die teurer sind als der Eintritt in einen FKK-Club, und reden über die Stars der Private Equity Szene, wie man früher allenfalls über Turn und Taxis geredet hat. Die Krise, die mich in diese Alpentäler bringt, ist eine von jungen Versagern in London, Frankfurt, Dublin und New York produzierte Katastrophe, aber bezahlt haben sie alte Herrschaften, die es sich leisten können. Die Erben, denen man nicht nimmt. Die Abgesicherten, die Profiteure des letzten echten Aufschwungs bis in die 70er Jahre. Der typische Spekulant ist kein junger Schleimbatzen, er ist alt, sehr alt und immer im Glauben, er sei klüger als der Markt, auch wenn er nur auf das reinfällt, worauf alle reinfallen.



Vielleicht muss er dann auch sein historisches Cabrio verkaufen, mit dem er zum Stilfser Joch hochkriecht. Oder auch nicht, denn vier Kurven später bin ich wieder vorbei, und er steht mit offener Motorhaube da. Ein Phänomen, das ich als Bentley-Brescia-Paradox bezeichnen möchte. Ich fahre ja jedes Jahr zur Mille Miglia, und das vorletzte mal war da so ein grosser Bentley Le Mans 4,5 Litre, der es auf den tausend Meilen nach Rom und wieder zurück exakt bis zum Ortsschild von Brescia schaffte, grob geschätzt 5 Kilometer, bevor er mit offener Motorhaube im Strassengraben stand, einige Leute mit Taschenlampe um ihn herum und ohne jedes Lebenszeichen.

Ich würde hier am Stilfser Joch aber keinen Mercedes und keinen Bentley haben wollen. Die Strasse wurde im 19. Jahrhundert geplant, entsprechend eng und steil sind auch die Kurven, und wer einen kleinen Roadster hat, ist klar im Vorteil. Ich sehe in den Serpentinen mit einem Blick, ob etwas kommt, und kann schnell wieder Gas geben. Ich fahre offen. Es ist Mitte Oktober, ich fahre nicht langsam, ich bin über 2000 Meter hoch und auf dem Ortler liegt Schnee, aber ich fahre offen und es ist fast schon zu warm für meinen Feraud-Pullover. Meine Lederjacke habe ich schon am Reschenpass ausgezogen, und meine Pekarihandschuhe gegen die weissbraunen Sommerhandschuhe getauscht, die ich in Brescia gekauft habe. 2000 Meter Höhe, noch 750 Meter und 17 Kehren noch bis zur Passhöhe. Es ist Herbst, es ist heiss, und ich bin schnell unterwegs, ich habe einen Termin im Tal auf der anderen Seite, in Müstair, aber darum geht es nicht.



Es geht nur um die Strasse, die Kurven und die Strecke, die manche als "the best driving road in the world" bezeichnen. 48 Kehren in den Himmel, hinauf in das Eis, immer an der Kulisse des Ortlermassivs vorbei, und die Strasse ist ziemlich frei. Es gibt keine realistische Geschwindigkeitsbegrenzung, und wer vor mir ist, lässt mich vorbei. Ich bin schneller, der Wagen wurde für solche Strecken gebaut, und ein Teil dessen, was neben mir in der braunen Ledertasche ist, habe ich mir mit Fahren verdient. Aber kein Fahren ist wie das hier.

Sollte man jemals dieses Museum der guten alten Zeit vor dem Crash machen, sollte man auch ein Exponat mit mir einplanen. Der schlechtere Sohn aus besserem Hause, mit Rolex und Roadster, der über das Stilfser Joch in die Schweiz fährt, und darüber alles vergisst, es zählt nur noch die nächste Kurve und die Beschleunigung, das Hochdrehen des Motors, das Quietschen der Reifen auf dem schlechten Asphalt und weiter oben dann auch das Knirschen auf dem harschen Schnee, der sich im Schatten der Begrenzung gehalten hat, die Arbeit am Lenkrad, die Luft. Die Sonne. Das Gefühl, weit weg von allem zu sein. 48 Kehren entfernt von allen Ängsten ausser der einen, die mich rechtzeitig bremsen lässt. Ich mag es, wenn ich mit Klischee und Vorurteil verschmelze wie der Mozarella im Ofen mit geriebenem Scamorza und Tomate.



Ich weiss nicht, ob das Stilfser Joch wirklich die beste Strasse der Welt ist. Es ist von oben, von 2750 Meter über dem Meer, aber sicher die schönste, die atemberaubend schönste Strasse der Welt. Sie ist ein wenig wie S., bei der ich immer dachte, die ist zu gut und zu schön und zu stark, es wird mich umbringen, wenn ich mit ihr ins Bett gehe, und als es dann soweit war, war es einfach nur gut. Grandios.

Hätte S. nicht vor 9 Jahren einen Idioten geheiratet, zwei Kinder bekommen und ein Haus in Kösching gebaut, würde ich sie jetzt vielleicht anrufen und sagen, dass ich... aber ganz ehrlich, ich habe nichts gegen Kösching und Mütter mit zwei Kindern und einem Mann im mittleren Management muss es auch geben , aber sie würde es nicht verstehen. Sie war grossartig und letztlich dumm, sie hätte so viel tun können, und nun bin ich hier oben, ganz oben zwischen Meran, Bormio und Müstair, und denke an sie und an den Abgrund Köschung, an das, was sie war und was sie nie geworden ist, an den Ausblick und den Moment, an die Strasse mit ihren geilen Kurven und überhaupt nicht mehr daran, warum ich eigentlich hier bin.



Ich bleibe hier oben ziemlich lang, und wäre auf der anderen Seite nicht die Grenze, Graubünden, der Umbrailpass und im Tal unten Müstair, ich würde gleich noch mal runter. Und wieder rauf. Einfach so, für den Tag, für das Leben und genau heute, weil es noch geht. Wer weiss schon, was sein wird, wenn sie nächstes Jahr hier oben die Wintersperre aufheben, und die Schweiz vielleicht der letzte europäische Währungsraum ist, der den Namen noch verdient.

Teil 3.
Teil 5

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Empfehlung heute - Am Haken

Die Dummen sterben nie auf, auf beiden Seiten der Bilanz der Krise. Vor einem Monat hat jemand ein äusserst ungünstiges Geschäft gemacht, weil er schlauer als der Markt sein wollte und das KGV einer Aktie attraktiv fand. Das KGV von 2007, wohlgemerkt. Wie sich dann sehr schnell herausstellte, gibt es 2008 nur Verluste, keine Dividende und auch kein KGV. Statt dessen Massnahmen zu Kapitalerhöhung, die de facto einer Verwässerung der Aktien von 25% entsprechen. Für mich ist das insofern blöd, weil ich vorher gewarnt hatte. Aber was ist so ein Risikoanalyst schon gegen einen tollen Beitrag in einer süddeutschen zeitung, deren Deppen noch nicht mal das KGV korrekt berechnen können.

Heute also ein längeres Gespräch mit jemandem, der in den letzten 18 Monaten ein Drittel seines Vermögens verloren hätte, würde er jetzt aussteigen. Er ist ein wenig klamm und liquidiert gerade Assets, um das System seiner selbstgestrickten Vermögensverwaltung am Leben zu erhalten (braucht jemand gerade einen grösseren Bestand brasilianischer Staatsanleihen, die leicht getragene Investorenmode der Sommersaison 2007?). Auf den Fall angesprochen meinte er, dass er in diese Firma sofort einsteigen würde, wenn er Geld hätte, denn schliesslich sei jetzt das Schlimmste vorbei und gerade habe die Aktie wieder 8% gewonnen.

Manche Leute sind unverbesserlich. Von diesen Leuten leben Börsen und grauer Kapitalmarkt, Hedgefonds und Derivateschweisser. Sie glauben immer, klüger als der Markt zu sein. Manche von denen sitzen auch in der Regierung der UdSSA und wundern sich jetzt, dass beim geretteten Versicherungskonzern 90 Milliarden Steuergelder ganz schnell und überraschend verschwunden sind. Die New York Times hat die Suche nach diesen Unsummen sehr intensiv und umfassend begleitet.

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