: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Mittwoch, 1. Oktober 2008

Ausgerechnet Gerolfing

Wer jetzt nicht zu Seehofer überläuft, geht mit Beckstein unter.

Ich fahre jetzt nach München, aber wie man so hört, orientiert sich die Staatspartei a.D. an meinen Vorhersagen, und es haben schon jetzt nur sehr wenige Lust gehabt, mit Beckstein unterzugehen. Meine Heimatstadt wird sich demnächst im Glanze des Ministerpräsidenten Seehofers sonnen. (Bis so ein paar Gschichten mit einem Vertrieb eines gewissen Skandalunternehmers die Runde machen, aber das ist wann anders zu erzählen)

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Das Decamerone und die russische Lösung

Historische Wirtschaftskatastrophen haben einen Vorteil beim Beschwichtigen der Gegenwart: Sie geschahen, weil die Verursacher kaum begriffen, was sie da taten. Sie spielten nach Regeln von Märkten, die sie und die anderen Teilnehmer, ob nun freiwillig oder unfreiwillig, nicht zu verstehen in der Lage waren, und die trotz aller entsetzlichen Folgen so wenig in ihrem gesamten Ausmass erkannt wurden, dass eine präzise Analyse bis heute allein schon mangels schlüssiger Quellen kaum möglich ist. Dazu kommt, dass viele Katastrophen so tiefgreifend waren, dass die betroffenen andere Probleme hatten, als den VWLern schlüssiges Datenmaterial zu liefern. Wir wissen definitiv vom Zusammenbruch des Geldsystems in den römischen Provinzen des IV. Jahrhunderts, weil die Barbaren, die keinen Markt mehr für ihr erplündertes Geld haben, es in Gürtelschnallen und Fibeln umarbeiten - was es aber für einen Romanen bedeutet hat, plötzlich in den Ruinen seiner Städte bestenfalls Tauschhandel betreiben zu können, wissen wir nicht. Es war scheisse, soviel ist klar, und es war nicht begrenzt wie beispielsweise die Tulpomanie des XVII. Jahrhunderts, die sich stets anbietet, wenn man nach einer eher folgenlosen Blasenwirtschaft und ihrem Platzen in einem prosperierenden Land sucht.

Bei den historischen Vergleichsdebakeln also herrscht so eine Art Beliebigkeit, jeder sucht sich das heraus, was ihm passt; der eine nimmt den Aufstand der Ciompi und der andere die Folgen der Jacquerie, ein Dritter behilft sich bei der Hungersnot von 1814 und ich persönlich tendiere zum Vergleich mit den Staatsbankrotten des absolutistischen Frankreichs, die auf andere abzuwälzen einer der Gründe für die expotierten Kabinettskriege der Zeit war, was uns wiederum Voltaires im Elend des siebenjährigen Krieges spielenden Candide bescherte. Aber angesichts der aktuellen Krise ist das alles - wertlos. Und weil ich kein VWLer bin und auch ansonsten von Wirtschaft keine Ahnung habe, abgesehen davon aber ziemlich früh auf die Probleme und ihre Folgen hingewiesen habe, bitte ich meine Zukunftseinschätzungen mit Vorsicht zu geniessen.



Unser spezifisches Problem in dieser Krise ist neben der extremen Komplexität und der folgenden Unvorhersehbarkeit der Glaube, dass alles möglich ist. Gestern Abend zum Beispiel knallte die Aktie von Google in wenigen Minuten bei enormen Umsätzen um bis zu 20% nach unten, ohne dass es irgend eine Nachricht gegeben hätte. Ein Fehler der Software, wie sich dann herausstellte, nichts weiter, aber trotzdem brach Verkaufspanik aus. Weil es im Momment möglich erscheint. Das aber ist nur eine Fussnote gegen das eigentliche Problem, das sich längst von den Subprimekrediten gelöst hat und sich nun durch das System zu den lebenswichtigen Einrichtungen frisst: Das Misstrauen der Banken in das eigene Geschäftsmodell. Wäre die Wirtschaft ein Körper, dann hätten wir gerade durch das mit Irrsinnszinsen de facto beendete Interbankengeschäft so eine Art Herzstillstand. Und warten jetzt auf den Hirntod.

Das Interbankengeschäft, dessen Probleme beinahe den Kollaps der Hypo Real Estate und damit indirekt auch das Ende der Pfandleihen und damit wiederum der Kreditwürdigkeit des Staates ausradiert hätten, dieses Interbankengeschäft ist langwilig und mechanisch und theoretisch narrensicher - im Grunde ist das Rumreichen von Krediten untereinander so simpel, dass niemand sich vor wenigen Monaten wirklich darüber Sorgen gemacht hätte. Jetzt geht alles sehr, sehr schnell. Und wer gestern noch kaufen konnte, steht heute schon ohne Kredit da. Es gehört zum zentralen Lebenstrieb der Banken zu wissen, wie schlimm es wirklich ist. Due Diligence, Risikobewertung und Scoring sind deren täglich Brot. Was ich nirgendwo so brutal lese, ist: Banken, die sich selbst nichts mehr leihen, sind kein Systemfehler mehr, sondern die Zerstörung des Systems. Sie sind wie ein teures Heizkraftwerk, das mit extremen Abgasen im Winter kalt macht.

Meines Erachtens kam und kommt es so weit, weil die verfickten Arschlöcher an der Wall Street und in Washington und vielen profitierenden Ländern die Party der Blase weiterfeiern wollen. Statt die ganze kritische Scheisse zum Abkühlen Anfang 2007 in eine milde Rezession zu schicken, den Laden zu konsolidieren, die Schwachen zu killen und den Guten die Märkte zu öffnen, hat man versucht, das System so heiss wie möglich zu fahren. Eine Rezession ist absolut nichts schlimmes, sie gehört dazu, sie ist die Voraussetzung für eine Neujustierung des Marktes. Statt dessen werden Schulden gemacht, um Versager durchzufüttern, Aktionäre zu belohnen, überflüssige Firmen zu bewahren und den Konsum anzuregen, dessen Übertreibung erst die Schulden produzierte, die nie mehr zurückgezahlt werden können und die eine neue Masslosigkeit kreierten. Eine Masslosigkeit, an deren Ende ein bigottes, fastschweizerisches Gebilde namens Irland nicht mal den Anstand hat, für seinen finanziellen Selbstmord mit Totalabsicherung aller giftigen Assets seiner miserablen Banken vor die Tür des Euroraums zu gehen, um beim Hirnrausblasen mit dem Dreieinhalbfachen des Bruttoinlandsprodukts nicht die Gemeinschaftswährung zu beschädigen. Europa hätte gute Chancen, besser als die USA und England durchzukommen, und dann schreiben die Sprosse der Kartoffelpestgeschädigten einen Blankoscheck gegen die gesamte Union raus, einzulösen von jedem Verbrecher, der eine Bad Bank den Bach runtergehen lassen will.



Momentan ist sich jeder selbst der nächste, es herrscht absoluter Egoismus vom Abräumen der Banken über das Ausscheiden bei den Hedge Fonds bis zum Warten auf das Ende der Investmentbanken. Die Schulden sind so gigantisch, dass sie nur mit dem Ausscheiden von Mitspielern, sprich deren Pleite aufgelöst werden können, inclusive Vermögensverluste für Anleger, Rentenkassen, Immobilienbesitzer - einfach alles. Wir sind bereits mitten drin im Melt Down des Systems und der Assetwerte oder was man dafür gehalten hat. So gesehen ist es idiotisch, anderthalb erfolglos vergeudete Jahre nach dem Beginn der Krise nochmal 700 Milliarden neue Schulden zu machen, um das Geld in einem Multibillionenloch verschwinden zu sehen. Es würde nichts an den Überbewertungen ändern, die bei den Aktienkursen beginnen, sich über VCs und Private Equity fortsetzen und im Giftmüll der Derivate ihren Höhepunkt finden. Wenn man diese Giftladungen gegenrechnet, bleibt nichts übrig ausser dem amerikanischen Staatsbankrott, in der Folge dem Bankrott der Schwellenländer und eine Rezession, die auch in Europa jeder nördlich der Mangfall brutal spüren wird.

Ich glaube aber eher an eine politische Lösung. Wenn man schon verstaatlichen, übernehmen und Leerverkäufe verbieten muss, dann gleich ganz und komplett. So ähnlich, wie es die Russen letzte Woche gemacht haben: Wenn die Märkte für die Staaten gefährlich werden, müssen sie eben wie jedes kaputtte Atomkraftwerk runtergefahren werden. Danach kann man die Löcher reparieren, die verschmorten Bauteile austauschen, die Verluste so gegenrechnen, dass für alle genug bleibt, die Versager bestrafen und in ein Lager einweisen, hochriskante Praktiken verbieten, staatliche Grundfunktionen wie Rente, Gesundheit, Transport, Energie und Nahrung eigenverantwortlich fahren und dann das restliche System langsam wieder hochfahren - und die Verantwortlichen knallhart kontrollieren.

Alles andere - Bilanzierungstricks, Rumschieben, Geldnachschmeissen, Sicherheiten garantieren, die man nicht halten kann, die Mischung aus Panik und Euphorie ver bipolar Gestörten in den wirtschaftlichen Befehlsständen - verlängert nur den Absturz in eine marktradikale Lösung des Niedergangs, die man sich nicht wünschen darf, solange da draussen die Berlusconis, Straches und diverse Rattenfänger frei rumlaufen. Ich persönlich bin hochgradig pessimistisch, dass man politisch weiter rumdoktorn und retten und sich erpressen lassen wird, statt das Problem umfassend zu lösen.

Also, was wird langfristig sein? Ich glaube: Man wird die erste Option des Niedergangs so lange geschehen lassen, bis man zur zweiten Option des radikalen Staatseingriffs praktizieren muss, um überhaupt noch irgendetwas zu retten. Wir stehen dieser Krise nicht mit Wissen und Erfahrung gegenüber, sondern mit der Fassungslosigkeit der Florentiner des Jahren 1349, deren glückliches Leben von der Pest hinweggefegt wird, gegen die man zu spät zu schlechte Mittel ergreift. Viele werden krepieren, nur wenige werden auf ein Landgut gehen und Geschichten erzählen. Ich fürchte, dass unsere Geschichte bereits geschrieben steht im ersten Kapitel des Decamerone, und ich hoffe, dass die folgenden 10 Tage von meinen Freunden handeln.

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