: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Mittwoch, 19. November 2008

Das Capital nach meinem Vater

Bei uns zuhause gab es zwei Formen von Capital: Mein in der 12. Klasse in der damaligen DDR, genauer im Brechthaus erworbenes Kapital von Marx, das sich angesichts des damaligen Zwangsunmtausches anbot und vom mitreisenden, die Grenze zu Ostberlin aber nicht überschreitenden CSU-Wirtschaftslehrer sehr verächtlich und öffentlich abgetan wurde. Der gleiche Mann hatte uns auch ermahnt, jeden Kontakt mit den VoPos zu meiden, das seien alle Mörder und deshalb würde er es nicht wagen können, da rüber zu gehen, weshalb wir es natürlich ausprobierten und die VoPos, die wir rund um den Fernsehturm fanden, mit allerbreitestem Bayerisch nach dem Weg zur Mauer fragten, was höflich, korrekt und ohne sofortige Hinrichtung beantwortet wurde.

Und es gab das Capital nach Gruner+Jahr, das meinem Vater zugeschickt wurde. Eigentlich bekam er alles, was die deutsche Wirtschaftspresse lieferte, und es war in den Zeiten vor dem Internet auch unerlässlich, das alles zu lesen. Allein das Capital ging aus unerklärlichen Gründen nicht an das Büro, sondern zu uns nach Hause. Ich las es in der 12. Klasse mit ähnlicher Langeweile wie des Marxens Kapital, das er wirklich besser in einer knackigen Kurzversion a la Kommunistisches Manifest hätte vorlegen sollen. Den ersten Satz aus dem Manifest kennt jeder. Der erste Satz des Kapitals - wie auch immer, ich hatte unter meinem Wirtschaftslehrer zu leiden, und der einzige Trost meines gedemütigten Schülerherzens war es, diesem angeblichen Verfechter eine "Was gut ist für die Wirtschaft ist gut für uns alle"-Doktrin im Unterricht aus dem Capital vorzulesen, welches Lobbyistenschwein welches dreckige Agreement bei den Schergen der Kohlkamarilla gekauft hat. Das stand alles im Capital. Man muss die Zeitschriften der Gegner lesen, sagte Sarah Wagenknecht mal, und auch, wenn ich sie hochgradig unsympathisch fand: Da hatte sie recht.

Ich verdanke dem Capital so einiges. Mein minimales Wissen von Wirtschaft, als es 1999 ernst wurde, und manche fragten, was ich von der New Economy hielt. Man kann über Capital viel schlechtes sagen, aber das waren nicht die Leute, die als die Lustknaben der New Economy in die Geschichte des deutschen Stricherjournalismus eingingen. Mir ist der reaktionäre Schraubenhersteller, der Gewerkschaftler anbrüllt, immer noch lieber als der pseudoliberale Volldepp, der seinen Mitarbeitern zur Bewältigung der 60-Stundenwoche und Psychostress angeischts einer Krise die Einnahme von Tabletten empfiehlt. Wenn Kapitalisten, dann bitte so, wie sie vom Capital vorgestellt wurden. Wenn Unternehmer, dann Persönlichkeiten, die auf eigene Immobilien für ihre Firma wert legen. Einer der bei Capital beliebten Herren war ein Münchner Unternehmer, in dessen Kantine ich einmal essen durfte. Ein Raum für alle. Alle hatten den gleichen Stuhl, das gleiche Geschirr, die gleiche Schlange, in der sie sich anstellen mussten. Mein Interview hatte etwas länger gedauert, der Mann war damals schon ziemlich gebrechlich, und trotzdem stellte er sich hinten an. Vieles von dem, was er sagte, fand ich schlecht. Aber in der Kantine zeigte er Charakter.

Womit wir bei einem seltenen Gut sind, und damit auch dessen Mangel, und aus diesem Grund müssen wir hier über die Financial Times Deutschland reden, die meines Erachtens moralisch fragwürdigste Wirtschaftspostille Deutschlands zusammen mit dem Manager Magazin (Spiegel-Gruppe) und der WiWo (Holtzbrinck, in unserem Puff kriegt jeder, was er braucht). Nicht nur, dass die FTD sich als Kampfblatt des Neoliberalismus positioniert hat, das haufenweise schmierigen Propagandisten Raum und Einfluss bot. Sie ist auch eine Zeitung von schreiender Inkompetenz. Ich hatte das Missvergnügen, diesen publizistischen Schmutz in der Spätzeit der New Economy lesen zu müssen, dieses Cheerleading von Firmen aus Hype- und Lügendreck, dieses lockere Nichtwissen um journalistische Standards, die Kumpanei auf den Podien und Foren, man machte sich wie das Managermagazin und die WiWo eins mit dem Gegenstand der Berichterstattung. Ich könnte mir tagelang Beschimpfungen für diese Blätter ausdenken, es würde mir nicht langweilig werden.

Die FTD ist vom ersten Tag an - Februar 2000, kurz vor dem Crash der New Economy - ein Verlustbringer. Ich weiss nicht, wieviele Millionen verbrannt wurden; es muss inzwischen ein mittlerer zweistelliger Millionenbetrag sein, wenn man alles zusammenrechnet. Ich kann mir diese Vernichtung von Geld und ihre Fortführung nur erklären, wenn ich die neoliberale Propaganda der FTD mit dem neoliberalen Trendsetting der Bertelsmann-Stiftung und den politischen Zielen der Besitzerfamilie Mohn vergleiche. Wirtschaftlich müsste man das Ding sofort dicht machen, für eine pseudojournalistische PR-Schleuder sind die Verluste nachvollziehbar.

Jetzt kommt es aber noch schlimmer. Die FTD wird, wie alle anderen Medien und Blogkoofmichs auch, die Anzeigenkrise heftig spüren. Gruner+Jahr muss sparen. Aber statt den extrem teuren Fehlschlag endlich zu beerdigen und einzugestehen, dass einem zum Vorbild der Financial Times von den Autoren über die geistige Unabhängigkeit bishin zur Tradition alles fehlt, was einen Wert darstellen könnnte - killt man de facto alle Wirtschaftstitel, darunter auch Capital, macht einen Klumpen unter FTD-Leitung in Hamburg und lässt zentral Inhalte für alle Wirtschaftspublikationen produzieren.

Wenigstens war das Capital, das ich kannte, nicht mehr das Capital, das jetzt in den Hamburger Brei eingematscht wird - ein Brei, der jetzt übrigens 1/5 seiner Redakteure verliert, und 60 Mitarbeiter in die Schattenseite des allein selignmachenden Neoliberalismus entlässt, den zu propagieren sie sich nicht zu schade waren. Wir werden also weiter Jungossis Durchhaltebefehle schmieren sehen, wir werden Dummerchen keine Bilanz lesend erleben, es wird so weiter gehen, man wird immer weiter appeasen und die Krise und deren betroffene Schweine mit Lippenstift so schön wie möglich malen, denn irgendwann muss es wieder aufwärts gehen. Und dann wollen sie wieder dabei sein.

Ich empfehle übrigens Financial Times - FT Alphaville. Weil sie vedammt gut sind, schnell - und sich Gedanken um ihr Tun machen.

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Die chinesische Option.

Ach, herlich! November, Sonne, eine freie Bergstrasse und satte 7 Grad! Da muss man einfach das Verdeck aufmachen und fahren, in den Sonnenuntergang hinein.



Gut, zugegeben, der Sonnenuntergang hinter dem Karwendel ist da oben momentan mit 14.40 Uhr vergleichsweise früh, und die sieben Grad lagen leider unterhalb des Gefrierpunktes. Das Ufer am Achensee ist schon gefroren, und die Sonne ist auch nur ein heller Fleck in grauen Wolken. Aber dafür gibt es daheim dann heissen Tee und eine warme Heizung, die den Namen auch verdient.



Bitterkalt dürfte es dagegen für die amerikanischen Autobauer und ihre deutschen Töchter werden. Gestern Abend war ich in München aus und danach noch kurz bei jemandem, um etwas vorbeizubringen, und da hörte ich eine gar nicht so unspannende Sache:

Dass man in China prüft, General Motors zu kaufen, wenn es in Amerika mittelprächtige Staatsgarantien gibt. Das Spiel kennt man bereits von der Übernahme von Rovermodellen durch die Shanghai Automotive Industry Corporation (SAIC), die jetzt einen Roewe 75 auf Basis des alten Rover 75 baut. SAIC ist gleichzeitig Joint Venture Partner von General Motors in China und bietet dort bislang veralteteVersionen obsoleter Cadillacs und Chevrolets an, deren Produktionsstrassen inzwischen in Shanghai stehen - wie übrigens auch den alten VW Santana und andere VW-Modelle. Denn SAIC ist auch Partner von Volkswagen und eine der Firmen, die den Wachstumskurs in China auf kleines Gedeih und grosses Verderb vorantreiben.

Der Plan sieht nun so aus: Amerika lässt GM pleite gehen, die Chinesen übernehmen die Firma, nutzen sie, um ihre eigene Zulieferindustrie zu päppeln, lassen aber weiterhin mit staatlichen Hilfen auch in den USA bauen. Gleichzeitig bekommen sie Zugriff auf die Technik und Entwicklungen, die sie bislang nicht haben. Eine Zwischenfinanzierung über den chinesischen Staatsfonds wäre kein Problem, und nebenbei hätte man auch einen hübschen Schwung für die Konsolidierung der chinesischen Autobranche. Angesichts der künstlich niedrig gehaltenen Benzinpreise und der vielen alten Dreckschleudern in China wäre sogar der GM-Flottenverbrauch akzeptabel. VW würde dabei vielleicht etwas in die Röhre schauen, und Porsche als Profiteur derer chinesischer Geschäfte natürlich auch.

Ich weiss nicht, ob da wirklich was dran ist, aber wenn man davon ausgeht, dass GM weder von einem Finanzinvestor noch vom Staat wegen zu hoher Kosten gerettet werden kann, ist SAIC, denen mit einer Insolvenz ein grosser Teil des Geschäfts wegbrechen würde, der logische Käufer. Man kann sich schlecht vorstellen, dass die grösste Marke der freien Welt chinesisch wird, aber auch die Briten haben es überlebt, dass Bentleys auf VWs basieren, Rover und MG den Chinesen gehören und Jaguar in der indischen Kronkolonie beherrscht wird. Das gehört dazu, wenn man als Weltmacht abwirtschaftet.

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