: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 3. November 2008

Feueradern

Das sieht nur ein paar Minuten so aus, während sich der Stau von Rottach bis zur Autobahn erstreckt.



Hielte man an, würde man ein paar Plätze im Stau verlieren, also fahren sie weiter, und so bin ich allein am See. Die Menschen sind seltsam: Als gäbe es nichts wichtigeres, als in die Dunkelheit und in die grosse Stadt mit der schlechten Luft zu kommen.

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Updike am See

Als ich noch nicht so viele Bücher und sowas wie eine Ordnung in der Bibliothek hatte, gab es ein einfaches Prinzip der Sortierung: Fachbereiche bei Fachbüchern, und Belletristik nach der Nationalität der Autoren. Jedes System hat bekanntlich seine Lücken und Fehler, der Katalog "Ornamennta Ecclesiae" stand in der Buchmalerei, und der Lemberger Joseph Roth fand sich unter den deutschen Autoren jüdischer Abstammung wieder, wobei ich expressis verbis keine Ecke für österreichische Literatur hatte. Im rechten Bücherschrank oben standen die Amerikaner, viele Amerikaner, unter anderem Poe, Twain, Bierce und die gesamte schwarze Serie von Hammett, Woolrich und Chandler. Auch ohne diese eigentlich unamerikanischen Literaturumtriebe - man denke nur an die Verwendung des Namens Marlowe bei Chandler in Anspielung auf den englischen Dramatiker Christopher Marlowe - übertrafen die US-Amerikaner problemlos die Südamerikaner, wie auch die Italiener, Spanier ohnehin und Russen auch, wobei russische Literatur, nun, also. Wie auch immer, mein Bücherschrank sollte eine gerechte Globalisierung bekommen, meinen Steinbeclk hatte ich schon, und so kaufte ich Amado, Ribeiro, Fuentes und Márquez. Für die Vermehrung der amerikanischen Literatur sorgte dann die Bemusterungsunsitte deutscher Verlage in der Hoffnung auf Rezensionen, der ich einen Haufen angelesener Langeweiler wie D. B. C. Pierre und Siri Hustvedt verundanke; traurige Versuche, die es nach Capote und Maraini nicht mehr gebraucht hätte. Dennoch habe ich heute einen selbstgekauften Amerikaner auf meine bevorzugte Lesebank am See mitgenommen.



Die Erzählungen von John Updike könnten in dieser Welt am See kaum fremdartiger sein. Ich habe mitten im Buch mit der Geschichte "Mein Vater am Rande der Schande" begonnen, bei der man davon ausgehen kann, dass sie autobiographische Züge hat. Ein Sohn, der das Tun und Lassen seines Vaters in den Jahren der grossen Depression betrachtet, den Abstieg der Familie vom provinziellen Bürgertum eines Handelsvertreters vor dem 1929er Crash zum Existenzminimum eines prekären Lehrerdaseins, das durch gelegentliche Griffe in die Schulkasse aufgebessert wird. Keine Geschichte, die in Zeiten wie heute besonders angenehm zu lesen wäre, vor denen der Boom für Wenige schon zu viel Armut und Angst bei den Vielen erzeugt hat, und deren Krise das Problem nochmal verschärfen wird. Als ich Berlin verliess, habe ich noch zu vergleichsweise günstigen BaWAG-Zeiten eine unschöne Überraschung nachgeschickt bekommen; was solche Versorgungsräuber 2008 unter den weniger Glücklichen und schlechter Abgesicherten anrichten werden, mag schon diesen Winter ein unschönes Thema für wirkungslose Leitartikel werden. Die Welt hat viele Sorgen, win paar mehr fallen da nicht auf, wenn der Banker um seine Boni weint und der Kaufstricher der Wirtschaftspresse vor der Einstellung seiner lachsfarbenen Lobbygosse sein Anliegen wortreich mit Verweis auf Leistung, die sich lohnen müsse, unterstützt.



Was Updike erzählt, ist dreierlei: Die Menschen finden sich mit dem Abstieg ab. Sie haben im Abstieg durch den Druck überhaupt keine Chance, sich gegen das System der Krise zu wehren. Und es hilft ihnen keiner, denn sie spielen keine Rolle. Updike schreibt über 20 verlorene Jahre im Leben von Menschen, die für die Katastrophe nicht verantwortlich sind, und dennoch die ganze Härte zu spüren bekommen, bis sie sich notgedrungen, unter Ängsten und Einschnitten arrangieren. Updike beschreibt diese Ambivalenz von Angst und Zuneigung sehr treffend in der Rückschau, und es hilft zu verstehen, warum sich Menschen in Krisen derartig passiv verhalten.

Es gibt in der New York Times einen brillianten und gleichzeitig irrwitzigen Beitrag über die neue Krise, und wie sich die Absicherung von amikanischen Lehrerpensionen über unfähige Berater und skrupellose Banker in Dublin bei einer ehemals und jetzt de facto wieder deutschen Bank zu einer Krise der Bildung in Amerika führt, oder warum diese Finanzkrise die Fahrkartenpreise in New York anheben wird. CDOs waren und sind zwar hochgefährlich, aber ein riesiges Geschäft, dessen Abwicklung einer scheinbar sicheren Welt den Boden unter den Füssen wegzieht. Allen, die von Absicherung und den Kapitalmarkt faseln und Schulen und andere Staatsaufgaben privatwirtschaftlich beteiben wollen, sollte man den Text auf Marmor ausdrucken und um die Ohren hauen. Gleichsam denen, die Lafontaine noch immer pauschal als Demagogen abtun.



Ach, Gewalt. Richtig, das gilt als unfein, wie das Verhaften von Bankmanagern. Das darf man nicht verlangen. Nun, in den USA ist es schon so weit, dass sehr viele Rentner nächstes Jahr sehr wenig Rente bekommen werden, weil ihre Pensionsfonds massive Verluste verspekuliert haben - das wird 2009 ein grosses Thema. Das bedeutet, dass sie sich keine gute medizinische Versorgung leisten können. Und nicht alle, aber im Durchschnitt doch kränker und früher tot sein werden. Wer einen Renter umbringt, der noch eine Woche zu leben hätte, ist ein Mörder. Wer sich grosszügig Boni auszahlt und damit für die Verluste kassiert, deren Folgen andere ausbaden müssne, gilt als Leistungsträger, den man halten muss. Sie können das: Manche wählen ja immer noch FDP und CDU. Manche finden es immer noch niederschreibenswert, wenn sich eine Koalition gegen die Erfüllungsgehilfen der Banker in Hessen findet. Die gleichen, die unfähig sind, Geschichten wie die New York Times zu schreiben; Geschichten, die auch sehr viel über unser Land erzählen, die man hier aber nicht hören will. Man soll sich bittschön mit den Folgen abfinden. In saure Äpfel beissen, und nicht in Kehlen.

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