: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 3. Januar 2010

Verlieren mit Paranoia

Manchmal ist es gar nicht so schlecht, krank zu sein. Man ist voller Medikamente, man denkt nicht so viel nach, und es ist auch nicht so schlimm, wenn man seine ersten Kapitel einer Frau schickt, die ein paar Nuancen für die aus vielen Frauen zusammengebastelten Hauptfigur ist - und die Änderungswünsche länger als der ganze Text sind. Und dabei war es noch jene, die von allen die Unkomplizierteste ist, und von der nur die wirklich unproblematischen Aspekte übernommen wurden. Ich glaube, ich brauche einen Anwalt oder mehr Tabletten, damit ich mich rausreden kann. Vielleicht ist auch Vitamin-C-Vergiftung ein Ausweg, wenn es erst mal darum geht, die delikateren Szenen zu verschicken.



Seit dem Fall Biller ist es alles nicht mehr so einfach. Es ist praktisch nicht möglich, Figuren komplett zu erfinden, und das trifft besonders bei jenen Situationen zu, die normal und gegenwärtig sind. Gewisse psychische Probleme - nehmen wir nur mal die Komplexe "oversexed and underfucked" oder "Vernunftbeziehung" - sind so typisch und allgemein anzutreffen, dass sich viele in den Figuren erkennen können - am besten aber sicher jene, die mit dem Autor bekannt sind. Bei einer Figur in "Liquide", deren reales Vorbild sich noch wehren konnte, sass ich am Ende eine Woche nochmal am fertigen Manuskript und schrieb es von ihr weiter weg. Wenn ich nicht die Ausrede gehabt hätte, dass die - wenig sympathische - Figur ihr nur nahe zu sein scheint, weil die Figur von sich eine idealisierte Selbstwahrnehmung hat, die ihr ähnelt, hätte ich alles umwerfen müssen.

Jemand hat mir mal erzählt, dass man beim Schreiben viele alte Freunde verliert, weil sie sich schlecht dargestellt sehen, und erst danach wieder neue Groupies gewinnt, mit denen man dann schlafen kann. Ich war ja auf ein paar Buchmessen, habe mich umgeschaut und möchte deshalb unbedingt alle meine alten Bekannten behalten. Nur ist es eben so, dass die Allerweltstheme n, über die ich schreibe, auch die Themen dieser Bekannten sind. Und die Klasse, über die ich schreibe, eben auch unsere gesellschaftliche Schicht ist. Man merkt das beim Schreiben: Es ist nicht möglich, durch eine gewisse Stellung besonders geförderte Problemerfahrungen einfach mit den Strategien zu mischen, die man in anderen Schichten hat.

Um mal ein unverfängliches Thema anzusprechen, um das es nicht geht: Scheidungskinder. Es gibt da so eine nonchalonte "Das packen wir schon"-Haltung von Frauen aus Ostdeutschland, die mir auch aus besteingesäumten Töchtern aus dem Westen vollkommen unbekannt ist. Dort überwiegen eher die Zweifel. Wollte man also ein Buch darüber schreiben - was Gott verhüten möge! - wie sich eine junge Frau als alleinerziehende Mutter durchschlägt, wäre es unmöglich, den inneren Konflikt meiner Bekannten aus dem Westviertel als Anfang zu nehmen, und die zupackende Art aus dem Osten als Problemlösung. Das engt die Räume dramatisch ein, das Schreiben wird wie eine rasend schnelle Schlittenfahrt durch einen Wald, wo man nur noch versucht, den Rodel der Geschichte nur irgendwie von Kollisionen mit den Bäumen der Bekannten wegzuhalten. Aber es ändert nichts am Umstand, dass es nur funktioniert, wenn man in diesem Wald bleibt.

Entsprechend klaustrophobisch erlebe ich gerade mein Tun. Je hübscher, je durchtriebener und zynischer die Szenen werden, desto unmöglicher wird es sein, darüber mit jenen zu sprechen, die sie auf sich beziehen könnten. Der Umstand, dass sie es fairerweise nicht tun können - alles Horizontale ist komplett und klugerweise vollkommen erfunden - ändert ja nichts daran, dass sie es trotzdem tun werden. Das mit der kleinen, leichten Liebesgeschichte mit sanft schwarzem Unterton sagt sich als Verleger leicht, aber er muss ja auch nicht für ein Jahr umziehen und sich neue Bekannte suchen, wenn es in falsche Kehlen kommt.

Das klingt jetzt alles ein wenig hysterisch, aber als Liquide letztendlich erschien, hatte ich enorme Probleme wegen eines einzigen Satzes, in dem ich passend zu einer Szene einem Techno-DJ einen leicht kirchenlästerlichen, aber ansonsten gängigen Namen gegeben hatte. Es gab in meinem weitesten Bekanntenkreis einen jungen Mann, der sich ähnlich nannte und Platten einer anderen Musikrichtung auflegte, und der allen Ernstes erwog, mich allein wegen des Wortes "Techno" anzugehen.

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