: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 20. November 2005

Sehr zu empfehlen - Für lange Winterabende

Manchmal frage ich mich, ob der demographische Knick in Deutschland nicht auch sehr viel mit der steigenden Mediennutzung zu tun hat. Wer Abends vor der Glotze oder dem Internet abhängt, macht sicher keine Conversation mit dem Partner, vergisst, wie das mit den Komplimenten geht und redet statt dessen komisches Zeug über dieses Internet da, was kaum jemand versteht - sollte diese Person denn je in die Situation kommen, ein potenzielles Sexualobjekt in einer Kneipe anzusprechen.

Ein weiteres Zeichen für einen tiefgreifenden kulturellen Wandel ist das Ende von Gesellschaftsspielen wie beispielsweise Rommee. Man kann auch gerne meine mit Schafkopfen angereicherte Jugend als wenig sinnstiftend erachten, aber ich wage zu behaupten, dass sie weitaus spannender und billiger war als die Zeit irgendwelcher asozialer Vollpfosten, die sich mit ihren Handies photographieren und die Bilder im gleichen Raum zuschicken, was manche dann als cutting edge der personalised information elite auffassen. Mit irgendwelchen handwerklichen Hobbies muss man erst gar nicht rechnen - ein paar Suchabfragen in der Blogosphäre zeigen schnell, dass fast nichts aus eigener Arbeit und so gut wie alles von H&M und Ikea kommt. Selbermachen, das war mal. Und das, obwohl sich der Winter ideal dafür anbieten würde, dauert er in Deutschland doch von November bis März.

Wie auch immer: Mir kann das nicht passieren. Mindestens eine Woche Nachtarbeit, eher zwei, stecken im heute erbeuteten, links abgebildeten Stuhl:



Wiener Biedermeier, so um 1830, erstklassiges Nussbaumwurzelholz, wunderbar geschnitzt, mit einer langen Geschichte immer an Städten an der Donau, und in grauenvollem Zustand. Allein schon der Bezug. Vieles erkennt man auf dem Bild nicht: Furnierschäden, zwei schlechte Restaurierungen, das Polster ist kaputt, der Schellack ist ruiniert, und momentan ist die Sitzhöhe für den ausgewachsenen Mitteleuropäer zu niedrig. Allerdings: Der Stuhl rechts sah vor 20 Jahren auch nicht besser aus. Es ist nie ganz verloren, wenn man ein Fach mit starkem historischem Realienbezug studiert. Nicht, dass man damit Autos reparieren könnte, aber alles, was vor der Industrialisierung war, bekommt man irgendwie hin. Und Holz ist nun mal eine Leidenschaft, gerade, wenn es um so ein Stück geht - 1830 konnte ein normaler Arbeiter für den Preis dieses Stuhles drei Monate eine Wohnung für sich und seine Familie mieten.

Eigentlich ging es bei dieser Jagd um Geschenke für andere - daraus wird jetzt nichts. Ich weiss zwar noch nicht, wo ich ihn hinstelle, er ist ja auch nicht zum Benutzen und ein Einzelstück, aber: Ein Platzerl find sich immer, für diesen Zeitgenossen Heines. Komme mir keiner mit Metternich, bittschön, in diesen langen Winternächten, wenn nebenbei Rossini läuft und der Rechner leise schnurrt, um denen da draussen zu erzählen, wie es mit dem Prachtsück weitergeht, und ob sich nicht a Gschpusi findet, die darauf eine Champagnertorte* löffelt.

... link (12 Kommentare)   ... comment


Jagdsaison

Als ich in Berlin eingepackt habe, gab es zwei Signaturen: B für Behalten - ein grosser Haufen - und V für Verschenken. Das war nicht viel, aber einiges. Denn, wie es nun mal so ist, oft hat jemand Geburtstag, man ist irgendwo eingeladen, und mit 40 silbernen Tortenhebern kann ich nicht wirklich was anfangen.

Jetzt, nach einem halben Jahr, stellt die Sache sich aber etwas anders dar. Vieles aus dem V-Häufchen wurde abgezweigt von der eigenen Familie. Ganz natürlich, da gab es eine Einladung, die Gäste blieben bis zum Abend, und statt das eigene Silber aus dem Schrank zu holen, griff man der Abwechslung wegen in den Silberschrank, und am nächsten Tag war es 123 hastdunichtgesehen enteignet. Und als ich letzte Woche die von vielen, auch von meiner Frau Mama zu Beginn als Geschmacksverirrung angesehene Leuchtenträgerstatue abholen wollte, wurde ich von wütenden Protesten empfangen. Die Haute Volée der kleinen Provinzstadt ist schnell zu überzeugen, wenn sie dergleichen Figuren plötzlich in den Grünwalder Häusern sieht, in denen am Freitag Abend im TVermittelt wird.

Und was dann vom V-Häufchen nach diversen Gastgeschenken, Geburtstagen, 1 Hochzeit und einigen Scheidungen noch da ist, hat hier Verwendung gefunden. Sprich, ich bin ausgeblutet, ich habe nichts mehr zu geben, und das ausgerechnet in dieser Jahreszeit. Doch draussen, da nieselt es, es ist kalt, und im Süden ist heute grosser Antikmarkt mit kleinen Besucherzahlen - da werde ich jetzt hinfahren, und das ewige Spiel um Geld, Besitz und Gier Verpflichtung, anderen etwas Schönes zu schenken, wird aufs Neue Fortuna herausfordern.

... link (2 Kommentare)   ... comment



: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Samstag, 19. November 2005

Die Stunde der Abrechnung

Sorry, aber langsam geht mir der Trollfälscher Mario Sixtus mit seinem ewigen Web 2.0 Kniebiesling und seinem Social Software Mob auf die Nerven. Ich bin froh, dass ich vor kurzem eine Entscheidung getroffen habe, die es mit erlaubt, das hier zu schreiben, ohne mir über irgendwelche Folgen gross Gedanken machen zu müssen.

... link (29 Kommentare)   ... comment



: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Freitag, 18. November 2005

Die chinesische Kommode und das Kartellamt

Bei meinem vorletzten Berlinbesuch fand ich in einem Laden in der Bergmannstrasse eine flache chinesische Kommode aus Nussholz, leicht beschädigt, aber sehr schön, eine zeitlose Form und genau passend für den Platz unter dem Fenster, bei dem ich gerade schreibe. Der Händler ist, vorsichtig gesagt, eher von der offensiven Sorte, und Begehr teilt man ihm besser mit, indem man nichts, absolut nichts findet, nur vielleicht diese Kommode da, aber nein, die ist sicher zu gross, also danke. Danach entsteht eine längere Verhandlung,und am Ende steht ein Preis, der beide Seiten zufrieden sein lässt. So auch in diesem Fall.

Zusammen befreiten wir die Kommode von den darauf stehenden Stühlen - der Laden ist ziemlich voll - da klingelte sein Handy. Auf der anderen Seite war sein Bruder, dem er erkennbar erfreut vom Verkauf erzählte. Dann gefror sein Gesicht voller Enttäuschung. Er legte auf und sagte, dass die Kommode bereits verkauft sei.

Insofern weiss ich ansatzweise, wie beschissen es heute manchen Leuten im Springerkonzern, ihren Büchsenspannern beim Spiegel und gewissen rechtskonservativ gesteuerten Gossenmedien gehen muss. Das Kartellamt mag den Kauf von Pro7Sat1 durch Springer so einfach nicht genehmigen. Und das, obwohl Springer bereits über 75% der Anteile besitzt. Die Begründung ist schon ziemlich happig. Da wird sich Springer ziemlich schlank machen müssen, um das noch über die Runden zu bekommen. Vielleicht killen sie ja endlich die Bildextension Die Welt, wenn die ohnehin Inhalte bei Bloggern klaut. Oder sie machen eine Kampagne für eine Gesetzesänderung und drohen mit dem Verkauf an Heuschrecken. Halt nein, das geht ja nicht, sie haben die Mehrheit ja gerade von Heuschrecken gekauft. Oder sie kriegen die Sender ebenso wenig wie ich damals die Kommode. Wobei mir die Vorstellung des Flennens bei Springer über meine Trauer hinweghilft.

Was machen die eigentlich mit den Aktien, wenn sie sie nicht behalten dürfen?

... link (3 Kommentare)   ... comment


Real Life 18.11.05 - A room with a view

Der frische Multimediacontent rast gerade über die Hamburger Mac in die Beschleunigung für den Weg in den Süden, da klingelt das altmodische Telefon ohne Anzeige und AB. Hier hat man sowas oft nicht, wenn man da ist, geht man ran, wenn man nicht da ist, klingelt es halt. Sage keiner, dass die Zeiten der Wählscheibentelefone vorbei ist, hier zumindest nicht. Es klingelt drei Mal, dann bist dran, ohne dem Händel den Saft abdrehen, der hier die Luft erfüllt, hätte es noch nicht mal so lang gedauert.

Wie es morgen aussieht, will Iris wissen. Ganz schlecht, ist die ehrliche Antwort, und damit schon wieder ein ausgefallenes Konzert. Gut, meint sie, dann geht sie auch nicht, das ist ihr ohnehin zu früh und auch sonst passt das Programm nicht. Aber du solltest dir mal überlegen, warum du überhaupt hier bist, wenn du nicht am Leben teilnimmst. Draussen bricht die Sonne zum ersten Mal seit Tagen durch die Wolken, zumindest so, dass alles im herbstlichen Sepia erscheibt, und du fragst dich, ob es so eine gute Idee ist, sich zu sehr auf das alles hier einzulassen.



Schliesslich hast du erst gestern nein gesagt zu einem Antrag, ein paar Wochen ab Januar wieder Richtung Südwesten zu gehen, in ganz anderem Auftrag und mit einer Arbeit, der es nicht egal ist, ob du erst um 5 ins Bett gehst. Aber die nächsten Monate werden hier nicht ganz unhart, so klein ist diese Stadt und so übel werden die neujahrsempfänge zwischen Betonfrisuren und lebensgrossen Keramiktigern in der Vorstadt, bei den Ferrarisammlern und den Vätern unverheirateter Töchter. Alle werden fragen, ob man sich auch für das zweite Abo angemeldet hat, das 2006 Mozart im Überfluss bietet, und wenn du es vergisst, wird man dich kurz vor dem ersten Konzert anrufen und sagen, dass man extra für dich ein Abo zurücklegen hat lassen, du weisst ja, wie gut ihre Verbindungen sind, da kannst du gar nicht nein sagen.

Da draussen vor dem Fenster, in den Kirchen, den Collegien, den Bruderschaften und besseren Kreisen wird sich nie was ändern. Warum auch, es funktioniert, es ist unfassbar stabil und wahrscheinlich auch richtig so. Niemand ahnt etwas von dem Leben da draussen, die kurzen Tage vergehen schnell und lassen viel Raum für den Schlaf, der ihr Leben beherrscht bis zum Übergang in das Nichts, das sie von Geburt an in sich tragen. Die Litaneien, für die all das vor dem fenster aufgetürmt wurde aus dem Morast der Tiefebene, haben ihre wahre bedeutung nicht verloren, einer nach dem anderen wird alterm und hinscheiden, und das einzige bestreben kann sein, sie zu überleben mit ihren Chorälen der Entsagung und der Dummheit.

Du sagst noch ein paar Nettigkeiten, bietest ein Essen am Montag an und vielleicht auch einen Trip zum Einkaufen nach München, und legst auf. Von weiteren gedanken hält dich ein Haifisch ab, der grosses verkündet, den Fall eines Giganten, der gerade jetzt schon lautlos stürzt, keiner vermag es zu hören, doch er fällt, und wenn er in Trümmern explodiert, versichert der haifisch, wird auch Dein Dasein wieder spannend. Dann liest Du, dass die grosse Koalition in Berlin besiegelt ist, und empfindest Erleichterung ob des Umstands, jemand anderen an Deiner Stelle in Berlin auf den krummen Wegen der Bundespolitik zu wissen.

... link (2 Kommentare)   ... comment


Au-Stalinismus - Pjön Jang in Hamburg

"Das Vertrauen in die Kompetenz der Redaktion und des Chefredakteurs ist durch die Diskussion aus Sicht der Gesellschafter in keiner Weise in Frage gestellt." - da sage noch einer, Neoliberalismus und Steinzeitkommunismus würden sich nicht trefflich ergänzen, zumal, wenn das rote Battalion Angelaberia aus Berlin mitfoltert. Und nun weiter im 5-Jahresplan, Stefan Aust, Stefan Aust, der hat immer Recht.

... link (25 Kommentare)   ... comment



: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Donnerstag, 17. November 2005

Sehr zu empfehlen - Chiaroscuro del MMV

Ein paar Kratzer, und schon kann man alle Theorien zur frühen Baugeschichte umwerfen. Unter der Tapete ist Mauerwerk von 1600, und das an einer Stelle, wo es eigentlich niemand erwartet hätte.



Denn im Putz zeichnet sich deutlich eine vermauerte, breite Renaissancetür ab, zweiflüglig und mit einem Segmentbogen, der in Höhe und Rundung genau zu den eindeutig datierten Fensterlaibungen passt. Schluss mit Kratzen und Spachteln, jetzt steht Bauaufnahme an. Und vorsichtiges Abtragen alter Putz- und Malschichten, denn da drunter könnte ja noch was kommen. Seccomalerei, imitierte Steinquader wie im Erdgeschoss. Oder auch noch was Besseres. Was die Arbeiten allerdings um ein, zwei Monate zurückwerfen kann.



Der Glanz ist lang vergangen. In die Mitte hat man dann eine normale Tür eingesetzt, irgendwann in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das Ganze ist insofern eine Überaschung, als alle bisher davon ausgegangen sind, dass der erste Stock nach 1650/60 eine einzige grosse Halle für die Bibliothek des Collegiums war. Offensichtlich hat man aber doch Teile der Innenbebauung stehen gelassen. Einen ähnlichen Bogen haben wir auch im Erdgeschoss, dort durchbricht er die originale Mauer des Vorgängerbaus und die Wandmalerei des späten Mittelalters.

Seit 10 Jahren beschäftige ich mich jetzt mit dem Haus, aber ich komme nie aus dem Staunen heraus. Es ist nicht ganz leicht, mit so einem Befund umzugehen; im ersten Moment ist da natürlich der Impuls, den imposanten 1600er Originalzustand wiederherzustellen. Allerdings hiesse das, spätere Veränderungen zu vernichten, zugunsten eines Zustandes, der ohnehin im ganzen Haus nicht mehr realisierbar ist. Es bleibt also bei der Bewahrung des aufgehenden Mauerwerks zu dem Zeitpunkt, da der Clan das Haus übernommen hat.

Trotzdem, so eine grosse Flügeltür ins kommende Schlafzimmer in Richtung Lotterbett, das wäre schon was gewesen.

... link (15 Kommentare)   ... comment


Dirt Picture Contest - Es gibt kein Recht auf Hässlich

Das Problem an Berlin ist nicht, dass es hässlich ist, oder arm, oder kaputt. All das intendiert einen Zustand, ein Schicksal, einen unabänderlichen Niedergang. Damit könnte man leben, und Berlin hat sich in dieser Realitätskonstruktion eine gute Entschuldigung geschaffen. Das eigentliche Problem ist aber, dass es nicht stimmt. Die Hässlichkeit von Berlin ist selbstgemacht, gezielt durchgeführt und verübt an einer Stadt, die ihre schönen Details und die verbliebenen Zeugnisse früherer Grösse ausmerzt wie ein Teenager die Pickel.



Ein Click auf das Bild klärt auf. Manches kann man beklagen oder bedauern, aber die Berliner sollte man nur verachten für das, was sie aus ihrem Slum machen.

... link (35 Kommentare)   ... comment



: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Mittwoch, 16. November 2005

Wie Web2.0 die deutschsprachige Blogosphäre schöner machen wird

Web2.0 - oder Web 2.0? - oder Internet 2.0, der Buzzwords gibt es viele - wird kommen. Noch nicht dieses Jahr, aber 2006/7. Und zwar ganz gross. Auch hier in Deutschland. Ganz ohne Ironie, ich meine das Ernst. Denn Web 2.0 hat endlich, endlich wieder alle Zutaten, die es braucht, um ein Thema wirklich gross zu machen. Es hat, im Umkehrschluss, alles, was Blogs nicht haben.

hier geht´s weiter an der Blogbar. Und es wird wirklich lang.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Stolpe darf nicht Stasi-IM genannt werden

- sagt ein Gericht - und bei einem Haufen bloggender Neoconnards dürfte ein klein wenig Hektik ausbrechen.

... link (51 Kommentare)   ... comment


Sehr zu empfehlen - Ich habe einen Plan

und der sieht so aus:



Wer jetzt die - in Relation zur Mauerdicke - kleinen Räume sieht, sei auf den Umstand hingewiesen, dass die Aussenmauern hier so zwischen 70 und 90 cm dick sind. Im Erdgeschoss sind es an einer Stelle 1,20 Meter. Wer jetzt sagt, dass man sowas doch nur in Burgen braucht, hat nicht unrecht: So gegen 1400irgendwas stand an der Stelle ein befestigter Hof eines Landadligen, und zwischen seiner Sorte und den Stadtbürgern kam es immer wieder zu Rebereien. 1,20er Mauern sind das, was man innerstädtisch im Mittelalter vor der Einführung der Kanone nicht kleinbekommen hat. Katapulte sind mit ihrer ballistischen Schussbahn in der Stadt einfach zu ungenau und brauchen zu viel Platz, auch wenn man es mitunter versucht hat. Mit Rammböcken braucht man Anlauf, den man in der engen Stadt kaum hat. Und Naturstein ist bis auf 1,20 Meter Höhe Dein Freund.



Damals, in der guten alten Zeit, als man pfuschenden Handwerkern die Nasen abgeschnitten hat und ein Brandmal in den Rücken drückte. Ich will ja nichts sagen, aber so mancher Fertighausschwindler wäre damit schnell zur Raison gebracht, und RTLII und Spiegel-TV könnten sich ihre Horrorgeschichten vom Hausbau sparen.

... link (9 Kommentare)   ... comment


Nicht 2.0

Mal schaun, welcher der üblichen mediokren Freiautoren gerade dieses nicht dumme, aber dennoch kritisch zu hinterfragende Feature über Flickr und Yahoo konzeptionell abschreibt, etwas kürzt und dann an deutsche Medien vertickt, die Business 2.o schon längst nicht mehr auf dem Radar haben. Ja, die alte Business 2.0, DAS Hypeblatt der New Economy lebt noch, schlimmer als der alte Holzmichel. Und in Deutschland ist sie eine Inspirationsquelle, hab ich da zumindest so eine Ahnung. Und einen neuen Button.



Weil, recht viel weiter dürften wir m.E. nicht sein mit all dem Socialgequatsche. Am Rande: Die Bagage ist plötzlich sehr still geworden, was den früher hochgelobten Web-2.0-Vorreiter Friendster angeht. Denn Friendster hat inzwischen reichlich massive wirtschaftliche und konzeptionelle Probleme. Nun kann man natürlich sagen, dass Friendster Web 2.o nicht verstanden hat - nur sollte man nicht unbedingt zu den Hellsehern Marke Grottenolm gehören, die 2003 Friendster entsprechend gehyped haben.

... link (29 Kommentare)   ... comment



: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Dienstag, 15. November 2005

Bitter Night für Knight Ridder Mitarbeiter

Aber Hallo: Ein internes Memo des grossen amerikanischen Verlagshauses hat es in sich. Kurz zusammengefasst: Kein Profit für die Aktionäre, kein Job für Journalisten. 31 Tageszeitungen und 45 Portale hat der US-Verlag Knight Ridder - noch. Und eigentlich müssten all die wirtschaftsliberalen Medien jetzt freudig verlangen, dass man solche Massstäbe doch bitte auch in Deutschland anwendet, wie überall in der Wirtschaft.

Und? Wo bleibt der Jubel, etwa bei der FTD?

... link (26 Kommentare)   ... comment


Heul doch!

Willkommen in der Ära des Spackenbloggens*, FTD. Hoffentlich macht Gruner + Jahr die erbärmliche Gesinnungspostille ohne Markt und Gewinn bald so platt, wie sich das marktwirtschaftlich gehört.

*Spackenbloggen - mein Neologismus. Und wenn schon als Wirtschaftszeitung bloggen, dann so.

... link (19 Kommentare)   ... comment


Sehr zu empfehlen - Achsenkrieg

So gegen 1720 befand sich die Marianische Congregation in der Provinzstadt auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Die Aufklärung war noch fern, und die Gesellschaft Jesu, deren Elitetruppe sie war, konnte in Bayern und anderen katholischen Regionen Europas fast nach Belieben an den Schalthebeln der kirchlichen und weltlichen Macht spielen. Ausdruck dieser Position war eine gigantische Bautätigkeit. Das üppige, alte Congregationskolleg, das im Jahre 1600 noch im Stil der späten Renaissance errichtet worden war, war im Rokoko weder gross noch protzig genug. Deshalb - und um die eigene Bildung zu dokumentieren - lagerte man die Bibliothek aus und errichtete fast genau im Zentrum der Altstadt ein eigenes rosa, stucküberzogenes Gebäude. Das war so gegen 1740 fertig.

Damit wurden die alten Bibliotheksräume, die so gegen 1650 eingerichtet worden waren, überflüssig. Die Gesellschaft mit ihrem Repräsentationsfimmel baute ganze Geschosse in Wohnungen für ihre Berühmtheiten um, und zwar genau so, wie man das im 18. Jahrhundert gerne tat: Mit langen Blickachsen durch die Türen in alle Räume. Ein wenig inspriert ist das von der Raumaufteilung, die es schon im Papstpalast von Avignon gab: Eine Abfolge von Zimmern, die je nach Zutrittsberechtigung Ausdruck der Hierarchie der Besucher war. Wer möglichst weit kam, konnte sich was drauf einbilden. Am Ende waren dann die Privatgemächer der lokalen Oberen der Congregation. Keine Tür ist zufällig an ihrem Platz, die Blickachsen durch die Raummitten von Tür zu Tür sind Ausdruck einer bewussten Konzeption.



Heute, mit 4 Meter breiten Schrankwänden oder einem Haufen Ikea-Regale, würde man das nicht mehr so machen. Die Schränke dominieren die Räume und drängen die Türen an die Ränder. Das 18. Jahrhundert hingegen kannte keine grossen Möbel, alles war mobil und wurde nach Bedarf umgeräumt - da waren die Symmetrie des Raumes und mittige Türen als Gliederung für die optische Gestaltung weitaus wichtiger.

Nun kam meine Frau Mama auf die grandiose Idee, dem mit dem Umbau beauftragten Architekten einzureden, die Blickachse zu schliessen, damit an der Wand vorne und hinten Schränke Platz haben würden. Und die Tür im Hintergrund um 2 Meter zu versetzen. Weil, was ist schon so eine grosszügige Blickachse des 18. Jahrhunderts gegen den passenden Platz für eine weitere Schrankwand aus Pressspan mit Eschefurnierimitat. Von einer Besprechung mit solchen, nun, Argumenten komme ich gerade.

Die Türen bleiben offen und da, wo sie sind. Und wer´s nicht mag und seine Schrankwand liebt, der soll doch in einen Block weit draussen ziehen.

... link (10 Kommentare)   ... comment


Sehr zu empfehlen: Alles eine Frage der Propaganda

Da gibt es diese Coffeetablebooks, die nur einen Ausschnitt zeigen - Pierre Deux Paris Country, In the Houses of Ireland, Savannah Style, British Country Houses, dazu die Interieur International. Die Geschichten sind immer gleich aufgemacht, man sieht die glücklichen Besitzer ihrer selbst hergerichteten Baudenkmäler, dann die Raumansichten mit den schimmernden Antiquitäten, die Intarsien, die Chinoiserien, die Edelholztische mit dem alten Porzellan, und ab und an auch Nahaufnahmen des Arbeitsplatzes, an dem die Besitzer - im Brotberuf Architekten, Künstler, Impressarios oder Schriftsteller - inspiriert von so viel Schönheit ihrem Nachtwerk bei Kerzenschein nachgehen, wohlgesättigt vielleicht nach einem Spaziergang durch nebelverhangene, herbstliche Flussauen, einem Ausritt oder nach einem leicht versauten Nachmittag mit dem Au pair im rokokösen Lotterbett - das sieht dann so aus.



Und tatsächlich gibt es auch solche Tage. Mitunter sind solche Abende unvergleichlich, gerade im Herbst. Aber nicht immer. Eigentlich sogar nicht wirklich oft. Jetzt im Moment, zum Beispiel. Denn neben der sichtbaren Realität gibt es auch noch eine andere, die sich kaum abbilden lässt. Nennen wir es mal: Allergische Reaktion auf den Staub und den Dreck, der sich in den zu entfernenden Tapeten angesammelt hat. Vielleicht auch das Zeug, das aus dem gerade entdeckten Riss an der Decke bröselte - der treibt die Kosten übrigens nochmal um 2000 Euro nach oben. Noch kein Bluthusten, das kommt noch, wenn es an die Dielen geht. Aber immerhin ist die Reaktion nach einem Nachmittag in einer zu restaurierenden Wohnung so übel, dass man sich drei Stunden im Bett wälzt, bevor man entnervt aufsteht und der werten Leserschaft mitteilt:

Alte Häuser sind wie verzogene Luxusweibchen. Teuer, undankbar, mitunter auch grandios, man wird sie nie vergessen, es wird nie langweilig, aber manchmal, viel zu oft ist es die Hölle. Und das Verhüten mit Handschuhen und Atemmasken sollte man nie vergessen - man weiss nie, von welchem anderen Lover sie welche Krankheiten mitbringen. Pflaster, eine Pinzette für die Schiefer und schnell wirkende Antiallergika sind Deine Freunde.

... link (2 Kommentare)   ... comment



: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Montag, 14. November 2005

In Situ

In gewissen Berliner Läden und Klubs würde man für so eine original 50er-Lampe, gekauft im ersten Haus am Platze



mit grosser Begeisterung den schweren, alten Kronleuchter rausschmeissen und diese goldene "gefickte Bordellbrotspinne" (Insiderjoke) dafür an die Rosette hängen. Hier bei uns in der Provinz läuft das andersrum - da kommt ein Berliner Kronleuchter hin.

falls jemand interesse hat: donalphonso | äd | gmail | dot | com

... link (33 Kommentare)   ... comment


Sehr zu empfehlen - Spukhausgeschichten

Während ich mich jetzt mit den 405 Jahre alten Dielen beschäftigte, die von einer chistlistischen Terrororganisation in einem ihrer Hauptquartiere eines damaligen Gottesstaates eingebaut wurden und auf denen ihr berühmtester Kriegsverbrecher und Berufsterrorist, der Schlächter von Magdeburg aus zerschossenen Beinen sein letztes Blut vergoss, kann sich die werte Leserschaft an dieser wirklich famosen Geschichte des Südtirolers Mek Wito (merke: der Südtiroler ist der Bayer sowohl der Italiener als auch der Österreicher) über das Bewohnen eines alten Hauses erfreuen, das auch so seine Geschichten hat. Bei sowas wird mir immer ganz wohlig.

... link (26 Kommentare)   ... comment


Morgendliches Mahagoni Massaker

Frau Mama: (hochkommend, anklopfend, weil das mit dem Handy anrufen nicht ihre Sache ist) Aufstehen, wir fahren jetzt an den Tegernsee, Du kannst derweilen unten ja mit dem Fussboden weitermachen...
Ich: (umdrehend): Jaja.
Frau Mama (geht in den zweiten Raum, in welchem die aus dem Slum Berlin geretteten, neuen Trouvaillen stehen, zurückkommend und nicht wirklich ob des Entdeckten erfreut): Sag mal, was ist denn das schon wieder für ein Mahagonitisch? Noch einer? Wie voll soll der Raum denn noch werden?
Ich: (mit aufschwirrenden Lebensgeistern ob der Bedrohung): Naja, für meine Coffeetablebooks brauche ich ja auch einen Coffeetable.
Frau Mama (leicht irritiert): Aha.
Ich: Ja.
Frau Mama (mit fallendem Groschen): So gesehen, könnte ich den ja eigentlich auch brauchen, der würde auch bei mir ganz gut passen, bei Dir ist er jedenfalls ganz sicher zu viel, meinst Du nicht auch?

Manchmal sieht man in konservativen Trash predigenden TV-Serien ja so ein paar Mythen über die sog. "Besseren Familien". Eine dieser Legenden sind die Kinder, die ihre Wohnungseinrichtungen, die alten Möbel und die Kronleuchter im mysteriös lichtdurchfluteten Speicher des elterlichen Hauses zusammensuchen; deren Eltern sagen, nimm es mit, Kind, und froh sind, dass die kommende Generation ein Gefühl für Traditionen hat. Wie so viele andere Vorurteile hat das nichts mit der Realität zu tun. Eltern kommen in die Speicher der Kinder und beschliessen, dass Dinge, die ihre Urgrosseltern vor 100 Jahren weggeworfen und die Kinder wieder zusammengetragen haben, doch was für sie wären.

Denn reich werden sie durch das Sparen, und nirgendwo spart man besser als beim Abtransport der Möbel der eigenen Brut, die sich schlecht dagegen wehren kann.

... link (5 Kommentare)   ... comment



: : : denn sie wissen nicht was sie tun sollen : : :

Sonntag, 13. November 2005

Provinzielle USP

Wie jedes Jahr steht die Frage in den Stuben und Wohnzimmern der Provinz, was denn nun in 6 Wochen auf die Gabentische gewuchtet werden soll. Digicams, Notebooks, Flachbildschirme, das alles war schon lange, man hat oft auch schlechte Erfahrungen mit Reklamationen gemacht, weshalb sich die Frage nach Werthaltigem stellt, das stilsicher den stürmischen Wandel der Zeiten überdauert. Und so ist es zu erklären, dass uns die Werbung für kleine Tonpuppen im Stil der 30er Jahre, sogenannte Hummelfiguren, hier gar nicht verschämt entgegentritt, sondern offensiv vom Schaufenster anlacht. Gleich neben dem Hersteller edler Funkelkristalligel und anderen hochwertigen Mitbringseln weist der Name Hummel auf die Möglichkeit der ultimativen Kaminverzierung hin, die, wie wir dank der göttlichen Modeste wissen, sich auch bei jungen Menschen grosser Beliebtheit erfreut.



Und als wäre das noch nicht genug, bleibt auch noch folgendes zu konstatieren: Das Geschäft existiert mit diesen oder vergleichbaren Produkten und ohne E-Commerce nunmehr schon seit 251 Jahren. Der Kauf der Figuren weiterhin ist ohne Risiko: Wer Auktionen besucht, weiss um die nachgerade unglaubliche Preisstabilität der teilweise viele hundert Euro teueren Keramikfiguren. Da kann kein Computer, keine Playstation mithalten. Geschenke für eine Ewigkeit, die kein Display, auf dem dieser Text heute gelesen wird, je erleben wird. Und mit den kommenden Jahren und den ergrauenden Haaren wird jeder Beschenkte das Präsent mehr zu schätzen wissen.

So geht das Geschäft in der Provinz.

... link (8 Kommentare)   ... comment


Austhelfen

Freunde in der Not lassen natürlich keinen im Stich:

Gewinner der Kabale dürfte Stefan Aust sein, der das Magazin seit elf Jahren erfolgreich führt. [...] Gerade die Heftigkeit der gegen ihn erhobenen Vorwürfe führt nun jedoch dazu, daß Aust fester im Sattel sitzen dürfte als zuvor.

Das komische ist nur: Stefan Austs Schützenhilfe angesichts der Augsteinschelte, der mauen G+J-Verteidigung und des Gesudels der Aust-Untergebenen kommt - ausgerechnet vom Spingerblatt Welt am Sonntag. Das in der Beurteilung von Austs gestärkter Position so ziemlich allein dasteht. Aber warum auch sollte man die zukünftigen Chef des hauseigenen Fernsehsenders beschädigen?

... link (2 Kommentare)   ... comment


Sponhohn

In der idyllischen Provinzstadt, in der ich aufgewachsen bin, gab es ein Gymnasium am Fluss, dass oft morgendlich zu betreten ich mich genötigt sah. Davor, in Richtung Fluss, verläuft eine kleine, ruhige Strasse, auf der die besseren Familien oder ihr Personal die Kinder anlieferten. Als ich dann in der Kollegstufe 13 angekommen war, sass ich in Deutsch neben einem sehr hübschen, liebenswerten Mädchen, das leider keine Augen für mich hatte. Hatte sie doch einen Freund, und der wiederum hatte nicht nur eine Teilglatze und eine Familie, mit der er im Clinch lag, sondern auch einen Toyota MR2, mit dem er das Mädchen fast täglich auf der besagten Strasse in die Schule brachte, und vor dem Abschied Dinge im Auto tat, die zu Debatten Anlass lieferten. Sie hatten "etwas" miteinander, obwohl er doppelt so alt wie sie war.

Es dauerte aber nur ein paar Wochen, und sie beendete die Geschichte. Keiner wusste warum, Fakt war aber, dass sie wieder mit dem Bus aus dem Vorort kam. Allerdings blieb uns auch der Typ im MR2 erhalten, der weiterhin fast jeden Morgen vor der Schule seinen Wagen abstellte und den Mädchen hinterherschaute. Die Schulleitung drückte ob der Fama seines Clans beide Augen zu, und meistens war ohnehin sinnlos, denn auch das roteste Flitscherl konnte den einsetzenden körperlichen Zerfall nicht mehr kaschieren. Nur selten hatte er genug Möglichkeiten, mit den Schülerinnen ins Gespräch zu kommen. Die Suada ging dann in etwa so, dass er furchtbar reich sei, alle glücklich machen könne, aber die meisten hier seien völlig unreife, blöde, eingebildete Dinger, er verstehe auch nicht, warum die Eine nichts mhr von ihm wissen wolle. Sie aber, die stehen geblieben sei, könne sich gern ein Bild davon machen, wie fortschrittlich und mutig er am Steuer seines Wagens sei, das wäre was ganz Tolles und viel besser als die Cratoni- und KTM-Rennräder der Kids hier.

Irgendwann war es dann tiefster Herbst, der Nebel kroch aus dem Fluss und die Schüler beeilten sich, die Kälte auf der Strasse in die Schulräume zu flüchten. Niemand hatte mehr Zeit für ihn, und dann war er verschwunden mit seinem krassen, geilen roten Flitscherl. Für mich war es nur eine kleine Episode in einem turbulenten Jahr; hätte ich heute eine Tochter und würde so ein Schwein auf der Strasse vor ihrem Gymnasium sehen, wäre er schneller in die angrenzende Botanik gerammt, als er die Playboy im Handschuhfach hätte verstauen können. Lange war das alles jedoch im fernen Grau eines völlig anderen Lebens verschwunden.

Bis gestern. Gestern las ich das hier und das hier. Da stellt sich in meinen Gedanken so ein älterer Betriebstyp mit seinem verlotterten rotlackierten, inwendig schwarz verdreckten Gossenmedium, seiner Bloghasserglatze und millionenverfressener Brandstwieteschwarte vor die Blogger hin und sagt, eigentlich issa ja auch son cooles Blog, über das jetzt alle reden. Und Punk ist es auch ey, und sie probieren da was aus und deshalb sind sie die Coolsten. Und da ist mir der dumme, erfolglose Aufreisser damals vor meiner Schule wieder eingefallen.

Kennt man einen, kennt man alle.

... link (24 Kommentare)   ... comment